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dieser Hinsicht von der Vorsehung etwas stiefmütterlich behandelt worden war, nur hatte sie einen kurzen Hals, so daß ihr Kopf zu sehr zwischen den Schultern saß. Wir werden bei meinem letzten Aufenthalt in Neapel sie samt ihrem Gatten, dem König Murat noch näher kennen lernen. Der jüngste der Brüder, Jérôme (Hieronymus), war auch der unbedeutendste unter allen, eigentlich eine physische, geistige und moralische Jämmerlichkeit. Seine ganz unansehnliche Gestalt hatte den Kopf noch weit mehr als Karoline zwischen den hohen Schultern stecken, und sein Gesicht hatte sogar etwas widerlich Unangenehmes. Dennoch hatte er als König von Westfalen unzählige Amouretten zu Kassel, wo ihm der Königstitel gefällige Damen in großer Zahl verschaffte; seine Ärzte waren nur damit beschäftigt, die vergeudeten Kräfte, an denen Hieronymus eben keinen Überfluß hatte, möglichst zu ersetzen und ließen ihn täglich unter andern die stärksten Weinbäder nehmen; der so gebrauchte Wein wurde nachher in Flaschen gefüllt, und das Hofgesinde verkaufte ihn unter der Hand an Wirte und andere Einwohner in Kassel!! Dabei hatte dieser affenartige Sardanapal sehr unnatürliche, oft neronische Gelüste, selbst bei den Frauen, die ihn zum Ekel widerlich machen mußten. Sein ganzes Aussehen hatte so wenig Königliches, daß er eher einem erzliederlichen Schneidergesellen ähnlich sah. Eine Jammergestalt in optima forma, die aber dem armen Land, das so glücklich war, sie auf eine kurze Zeit zu besitzen, unzählige Tränen und das Mark seiner ausgesogenen Bürger kostete. Dieser Prinz von der traurigen Gestalt hatte dennoch in Amerika das Glück gehabt, die Tochter eines reichen Bankiers von Baltimore, eine Miß Patterson, ein hübsches Mädchen zur Frau zu bekommen, die, als sie ihm hochschwanger nach Europa gefolgt war, auf dem ganzen festen Land auf Befehl ihres Schwagers Napoleon keinen Hafen fand, in dem man ihr zu landen vergönnte. In Frankreich, Holland, Belgien, Italien, Spanien und Portugal war sie zurückgewiesen worden; die arme, verlassene, treffliche Frau mußte nun allein über England wieder nach Amerika zurückkehren, denn dem früher in seiner hilflosen Lage oft von Schauspielern gefütterten Napoleon war die Familie Patterson jetzt nicht mehr gut genug, um sich verwandt mit ihr zu wissen. Schon hatte er die Marotte, aus allen seinen Brüdern
Könige stempeln zu wollen, die er teuer genug büßen mußte, denn als Könige waren sie ihm alle zum größten Verderb. Madame Mère, Frau Lätitia, war als kaiserliche Mutter eine sehr fromme Dame geworden und bewährte so das bekannte Sprichwort: Aus jungen ... werden alte Betschwestern. Ich habe Personen gekannt, die sehr vertraut mit ihren früheren Verhältnissen in Korsika gewesen und mich versicherten, daß, etwa Joseph ausgenommen, sie von keinem anderen ihrer Kinder mit Gewißheit den Vater zu nennen wüßte. Übrigens war sie eine sehr mitleidige Seele, die den Armen und anderen viel Gutes erwies, als sie die Mittel dazu erhielt; doch war sie auch sehr kapriziös, und ihr Eigensinn artete bisweilen in Starrsinn aus; sie soll sehr schön gewesen sein. Von den übrigen Mitgliedern der Familie Bonaparte will ich nur Napoleons Stiefsohn, den Prinzen Eugen, Vizekönig von Italien, erwähnen, einen in jeder Hinsicht vortrefflichen und edlen Charakter, dessen größter Fehler der war, seinem Stiefvater zu sehr nachgegeben zu haben und zu gehorsam gewesen zu sein. Er hatte sich 1806 mit der schönsten deutschen Prinzessin, mit der ältesten Tochter des Königs Maximilian von Bayern, Auguste Amalia, vermählt. Seine Schwester Hortensia war so ziemlich das Gegenteil des Bruders und Herrschsucht die Triebfeder fast all ihrer Handlungen, der sie kein Opfer zu bringen scheute. Ich hätte diese Skizzen der napoleonischen Charaktere weit mehr und mit den besten Grundfarben ausmalen, sowie die noch vieler anderer Personen des napoleonischen Hofes und Reiches, wie der listigen Füchse und Ränkeschmiede Talleyrand und Fouché, des Oheims des Kaisers, des geistlichen Komödianten Fesch, vieler Marschälle, Minister und so weiter mitteilen können. Dies gehört aber nicht hierher und würde ein ausgedehntes Buch für sich füllen, auch sind viele derselben längst, wenn auch oft mit falschen Zügen und Farben, geschildert.
Als ich den andern Morgen nach der Unterredung, die ich mit Paulinen gehabt, erwachte, kam mir die ganze Sache fast traumartig vor, indessen machte ich mich zur festgesetzten Stunde wieder auf den Weg nach Neuilly, begab mich an die mir angegebene Stelle des Gartens und erwartete unter einem Säulengang vor dem gewölbten Felsen die Dinge, die da kommen würden. Ich wartete nicht lange,
als eine Dame, eine andere als die, welche ich den Tag vorher in Paulinens Gesellschaft gesehen, erschien, mich freundlich willkommen hieß und mich durch eine Seitentür in das Innere des Felsens führte, in dem sich mehrere Gemächer und Galerien, unter anderen auch ein sehr schönes Bad in einem prächtigen Salon, befanden. Das Abenteuer kam mir sehr romantisch, beinahe märchenhaft vor, und ich dachte eben über den Ausgang, den es wohl haben könnte, nach, als eine in den feinsten Battist gehüllte Frauengestalt durch eine Seitentür in den Badesaal, in dem man mich warten geheißen, trat, auf mich zuging und mich lächelnd fragte, wie es mir hier gefalle. Ich erkannte sogleich Napoleons schöne Schwester, deren üppige und vollkommen plastische Formen sich bei jeder Bewegung durch die Falten ihres Gewandes ausdrückten. Sie reichte mir die Hand zum Kusse dar, hieß mich hier willkommen und auf einem schwellenden Ruhebett neben sich niederlassen. Hier war ich sicher nicht der Verführer, sondern der Verführte, denn Pauline ließ alle ihre durch das Chiaroscuro noch erhöhten Reize spielen, mein Blut in Wallung und meine Sinne in Aufregung zu bringen, was ihr denn auch vollkommen gelang, und bald waren die samtnen Polster Zeugen, wie wir unsere gegenseitige Glut in namenlosen Ergießungen löschten, wobei sie sich als eine sehr erfahrene Lehrerin zeigte, denn sie wußte mehr als ich. Nachdem wir das Feuer hinlänglich gekühlt, zog Pauline die Glocke und befahl ihren eintretenden Frauen, ein Bad zu bereiten, zu dem sie mich ebenfalls einlud. In Bademäntel von den feinsten Linnen gehüllt, blieben wir beinahe eine Stunde in dem kristallhellen bläulichen Wasser, worauf sie ein köstlich erquickendes und restaurierendes Mahl in einem Seitengemach servieren ließ, bei dem wir bis zur Abenddämmerung noch miteinander zubrachten. Beim Abschied mußte ich das baldige Wiederkommen versprechen und verlebte nun manchen Nachmittag auf ähnliche Weise in Neuilly. Indessen hatte ich eben nicht Ursache, sehr stolz auf diese Eroberung zu sein, denn viele andere hatte sie schon vor mir beglückt, und noch manchem anderen schenkte sie nach mir ihre höchste Gunst, auch war mir die Dame fast zu routiniert, und es dauerte nicht lange, so empfand ich trotz all ihrer Schönheit
Widerwillen statt Genuß in ihrem Umgang, da auch an eine nur einigermaßen geistreiche Unterhaltung mit Paulinen nicht zu denken war, und wenn einmal der Sinnentaumel vorüber, die tödlichste Langeweile und Gähnen dessen Stelle vertrat, dabei artete sie oft ins Gemeine aus. Wie anders war es mit einer Mars, deren Persönlichkeit immer neue Reize zu entfalten wußte, selbst Madame Bonnier war trotz ihrer Klostererziehung weit unterhaltender. Hierzu kam noch, daß ich zu jener Zeit die Bekanntschaft zweier anderer sehr liebenswürdiger junger Damen, die eine die Frau eines Generals, die andere die eines Rittmeisters, deren Männer sich beide bei der Armee in Spanien befanden, machte, und die ich bei einer Vorstellung der Iphigenia in Tauris aux Français, wo Talma den Orestes in der höchsten Vollendung gegeben, kennen lernte, da ich mich in derselben Loge mit ihnen befand. Auf die Iphigenia waren die Plaideurs gefolgt und gaben mir die beste Gelegenheit bei den Damen zu plaidieren, deren Ehrenkavalier ich jetzt auf eine Zeitlang wurde. Sie waren sehr muntere und liebenswürdige Geschöpfe; die Generalin zählte dreiundzwanzig, die andere erst neunzehn Jahre, beide kaum zwei Jahre verheiratet und Schwestern. – Noch hatte ich Versailles erst im Flug gesehen, an einem Nachmittag hatte ich mit Paulinen in dem großen Park daselbst zugebracht, von einem Gebüsch in das andere wandernd.
Nun besuchte ich Versailles mehrmals in Gesellschaft meiner neuen Bekanntschaft, der beiden Offiziersdamen, namentlich auch die beiden Trianons, wovon das kleine nebst seinen Gärten Zeugen der stillen Freuden Maria Antoinettens in ihren glücklicheren Zeiten war. Sie hatte es zu einem bezaubernden Aufenthalt umgeschaffen. Ludwig XVI. hatte es ihr beim Antritt seiner Regierung geschenkt. Auch wir genossen der stillen und heimlichen Freuden im Park von Versailles gar mancherlei und besuchten das Labyrinth, das Venusboskett und andere abgelegene Orte vorzüglich gerne. Die jüngere Emilie hatte ich Alcine und die ältere, Marguerite, Armide getauft. Eine ganze Woche brachte ich einmal mit den beiden Damen in Versailles zu, während welcher wir jeden Tag vom Morgen bis in die späte Nacht in den unermeßlichen Räumen dieser Gärten umherirrten, deren Besitzer wir uns dünkten und für diese Zeit auch
waren, denn niemand machte sie uns streitig, und alles stand uns offen. Wir spielten und tändelten bald an dem Bassin des Neptuns, bald in dem romantischen Boskett der Kaskaden, bald im Sternensalon, an den drei Fontänen oder Apollosbädern. Die acht Tage vergingen wie acht Stunden, wir hatten anfangs nur vierundzwanzig Stunden bleiben wollen. Wir kehrten endlich etwas gesättigt nach Paris zurück, wo uns jedoch neue Freuden und Vergnügungen erwarteten. Hier fand ich mehrere Billette von Madame Farigliano vor, die mich nach Neuilly zitierten, wo ich mich mit gehabter Unpäßlichkeit wegen meines Ausbleibens entschuldigte, was auch mein etwas angegriffenes Aussehen bestätigte, und wo ich deshalb bemitleidet ward. Das, was noch einiges Interesse für mich bei Paulinens Umgang hatte, war, daß ich über verschiedene Dinge, ihre Familie betreffend, um die ich sie öfters fragte, Auskunft von ihr erhielt. Sie sagte mir unter anderm einmal, als ich sie gefragt, wie es komme, daß der Kaiser noch nicht Rom gesehen, da diese merkwürdigste aller Städte doch ein ganz besonderes Interesse für ihn haben müsse: „Oh, mein Bruder meidet Rom, weil ihm einmal prophezeit wurde, daß er in dieser Stadt seinen Tod finden werde; und da eine ähnliche Weissagung, die man Alexander dem Großen hinsichtlich Babylons machte, eintraf, so will er einem solchen Schicksal entgehen. – Sie sehen, große Männer haben auch ihre Schwächen; wer weiß, wo er noch stirbt, wenn er sich gleich unsterblich glaubt,“ fuhr sie lächelnd fort. „Und es auch ist,“ fiel ich ihr ins Wort. – „Aber dem Tod entgeht er dennoch nicht,“ versetzte sie, „und ist ihm bestimmt, in Rom zu sterben, so wird es geschehen, er mag sich stellen wie er will.“ – Wir kamen nach und nach auf andere, aber immer Napoleon betreffende Dinge zu sprechen, und Pauline meinte, ihr großer Bruder habe nicht nur sehr große Schwachheiten, sondern beginge auch ganz unverzeihliche Torheiten, die ihn noch ins Verderben stürzen würden und von denen eine der größten seine Mariage mit der Österreicherin sei. „Hundertmal besser,“ fuhr sie fort, „wäre es gewesen, er hätte die Hortensia geheiratet, statt sie an seinen Bruder Louis zu verkuppeln, sein Verhältnis mit ihr war ja doch kein Geheimnis mehr, sowie daß sie von ihm in der Hoffnung war, als er diese Heirat stiftete. Daß
Duroc diese Partie ausgeschlagen, ist nicht an dem, es war nie Napoleons Plan, diesem ihre Hand zu geben. Wäre Hortensias erstes Kind, für dessen Vater der Kaiser allgemein gehalten wurde, für welches er eine große Zärtlichkeit bewies und das er aus der Taufe gehoben, am Leben geblieben, so würde er es gewiß adoptiert und wahrscheinlich zu seinem Nachfolger ernannt haben; wir hätten dann keine zweite Vermählung erlebt. Was die Liebe zu den Frauen anbelangt, so ist mein Bruder so wunderlich und veränderlich wie nur einer, und wo er nur immer war, in Paris und Madrid, Wien und Berlin, Mailand und Venedig und so weiter, allenthalben mußten ihm seine Vertrauten behilflich zur Befriedigung seiner augenblicklichen Kaprizen sein, und was er auch von ehelicher Treue, häuslichem Glück, Moralität schwatzen mag, wir wissen, was wir davon zu halten haben, es ist ihm nur um den äußern Schein, er hat sich einmal in den Kopf gesetzt, der Welt diese Schwachheiten verbergen zu wollen, und doch spricht man in allen Salons davon, und Josephine kennt sie wohl, hat ihm aber nichts vorzuwerfen, beide haben sich einander gehörig gehörnt; dabei handelt mein Bruder immer nur nach der augenblicklichen Eingebung seiner Laune, bald ist er freigebig bis zur Verschwendung, bald wieder filzig geizig, freundlich oder mürrisch, anscheinend teilnehmend oder kalt abstoßend.“ –
Noch einige Zeit fuhr Pauline mit der Schilderung Napoleons fort, ging dann auch auf mehrere ihrer Geschwister über und pflichtete dem Kaiser bei, ‚daß Joseph ein Weib unter seinen Brüdern und Karoline ein Mann unter seinen Schwestern sei‘; „denn,“ fuhr sie lachend fort, „mein Bruder Joseph wäre eine gute sanfte Hausfrau und meine Schwester Karoline ein tüchtiger Dragoner geworden. Lucian ist aber ein eigensinniger Starrkopf, Ludwig zu gut für die Welt, Jérôme ein Manequin, Elise aber ist zur Fürstin geboren und Bacciochi eine Null; daß man mich die Etourdie nennt, weiß ich recht gut, aber es ist nicht meine Schuld. Was wollen Sie, mein Temperament ist einmal so, und dann hat uns die Mutter alle verzogen.“ Als einmal die Rede auf die unglückliche Maria Antoinette kam, erzählte sie mir, daß das plötzliche Grauwerden der Königin, von dem man so viel gesprochen, eine Fabel sei, indem sie schon längst graue Haare gehabt, die täglich mit schwarzfärbender Pomade
eingerieben worden seien, die sie sich aber, einmal in der Conciergerie, nicht mehr verschaffen konnte, worauf natürlich sogleich die Haare ihre natürliche graue Farbe angenommen; dies Geheimnis habe eine ihrer Kammerfrauen ausgeplaudert. – Ich wurde endlich in Gnaden und mit dem Wunsch einer guten Besserung und baldigen Wiederherstellung entlassen.
Als sich Napoleon nach seiner Reise zum erstenmal wieder in der großen Oper mit seiner Gemahlin sehen ließ, wurde das neue prächtige Ballett ‚Perseus und Andromeda‘ gegeben. Das Schmettern der Trompeten, das Toben der Pauken und Fanfaren, das Geschrei: „Vive l’Empereur!“ und „Vive l’Impératrice!“, letzteres aber sparsamer, wollte gar kein Ende nehmen. Im Théàtre français hatte aber bald darauf das kaiserliche Ehepaar an zwei Stunden auf sich warten lassen und das Publikum deshalb seine Unzufriedenheit ziemlich laut zu erkennen gegeben. Den andern Tag enthielt das „Journal de l’Empire“ einen Verweis für die Schauspieler, weil sie nicht zur gehörigen Zeit angefangen hatten; hätten sie es aber getan, würde ihnen ein ganz anderes Donnerwetter über den Kopf gekommen sein. Um diese Zeit fuhr Napoleon mit Marie Louise zum erstenmal nach Versailles, wo er ihr das Schloß, den Park, die beiden Trianons zeigte und äußerte, er wolle dies alles in seiner früheren Pracht und Herrlichkeit wiederherstellen lassen und noch neue Anlagen hinzufügen. – Es blieb bei der Äußerung.
Der Kriegsminister gab den Neuvermählten ein großes Fest in seinem Hotel in der Straße Lille, wobei auch ein Gelegenheitsstück und ein Ball gegeben wurde. Eines der merkwürdigsten Feste war jedoch das, welches die Garden ihrem Herrn und Gebieter gaben, zu dem jeder Gardist sechs, ein Korporal zwölf, jeder Sergeant vierundzwanzig, jeder Sergeant-Major sechzig, ein Leutnant sechshundert, ein Kapitän fünfzehnhundert und die Stabsoffiziere drei- bis sechstausend Franken beitrugen. Der Marschall Bessières war, als Kommandant der Gardekavallerie, Anordner, das ungeheure Marsfeld der Hauptschauplatz desselben und zu diesem Behuf besonders hergerichtet worden. Was für Schauspiele wurden nicht seit dem Beginn der Revolution schon auf diesem einzigen Platz aufgeführt, und wer waren die Hauptakteurs? – Auch dieses Fest
begann an einem Sonntag, den 24. Juni. Wenigstens drei Vierteile der Bevölkerung von Paris wohnten demselben bei. Monate hatte man an den Zurichtungen gearbeitet. Um Mittag wurde die ganze übrige Garnison der Stadt Paris, nahe an dreißigtausend Mann, von den Garden unter Zelten bewirtet, und jetzt erschien das Marsfeld ein endloses fröhliches Lager. Um drei Uhr verschwand das Lager, und nun begannen Spiele und Tänze aller Art. In den Alleen, welche den Platz umgaben, waren Zelte mit Büfetts, die alle möglichen Erfrischungen enthielten, Marionettenbuden und so weiter aufgeschlagen. Nach sieben Uhr, nachdem bereits der Kaiser mit seiner Gemahlin eingetroffen war und nebst ihrem höchsten und hohen Gefolge in einem zu diesem Zweck errichteten Pavillon Platz genommen hatten, begannen die Wettrennen der Pferde und Wagen, welche dreimal die innere Bahn des Marsfeldes in Gegenwart von nahe an vierhunderttausend Zuschauern zurücklegten. Mehrere Wagen vollendeten in weniger als sieben Minuten ihren Kreislauf, die Pferde in noch kürzerer Frist, und die Sieger erhielten schöne Preise. – Als es Nacht wurde, zündete Marie Louise den Dragon (ein zur Entzündung des Feuerwerks bestimmter Drachen) vermittelst einer Feuerlanze an, und augenblicklich stand ein ungeheurer Wald, den das Feuerwerk in einem weiten Halbkreis vorstellte, in Flammen, in der Tat ein wunderartiger Anblick. Zwei schöne Seiltänzerinnen, als Genien gekleidet, bestiegen nun ein auf hohen Masten gespanntes Seil und schienen so zwischen Feuer, Rauch und Wolken in den Lüften zu schweben, während Tausende von Raketen und Leuchtkugeln sie umgaben, was eine höchst magische Wirkung hervorbrachte. An einem Feuerpalast las man die Worte: „A Napoléon et Marie Louise.“ Eine große Girandole, von der Artillerie der Garde, die überhaupt das ganze Feuerwerk besorgt hatte, ausgeführt, beendigte das feurige Zauberspiel, und nun begann der Ball. Zwei unermeßliche Säle hatte die Garde zu diesem Zweck in den zwei Höfen der Militärschule aufbauen lassen; der auf der linken Seite war zum Tanz und der auf der rechten zum Bankett bestimmt, beide auf das zierlichste ausgeschmückt. In dem Tanzsaal war ein Thron für die kaiserlichen Majestäten errichtet, die königlichen mußten sich mit Fauteuils begnügen. Ringsherum waren
amphitheatralische Sitze für nicht weniger als viertausend Damen auf sieben Stufen angebracht, hoch hinter diesen war wieder eine Galerie für Herren. Sechsunddreißig reich drapierte, mit Festons von Lorbeeren und Myrten umwundene faisceaux, die in schimmernden Stahlhelmen mit weißen Federn endigten und jede ein Wappenschild hatte, trugen des Saales Decke. Die Draperien waren von weißem Mousselin mit goldenen Bienen; an der Decke sah man die zwölf Himmelszeichen und andere allegorische Figuren. Sechs große Gemälde stellten Napoleons Vermählung, dessen Triumph, die Triumphe Trajans, Augusts, Cäsars und Alexanders Einzug in Babylon vor. Die vier letzten kontrastierten seltsam mit den beiden ersten und gaben zu manchen noch seltsameren Bemerkungen Anlaß. Schon der Kostüme wegen chokierte diese Zusammenstellung; sie waren sämtlich vom Dekorationsmaler der Großen Oper gemalt. Zweihundert kristallne Kronleuchter, an Blumengirlanden hängend, an einem jeden über fünfzig Kerzen brennend, dienten zur Beleuchtung dieses Lokals, und die zehntausend Lichter spiegelten sich millionenmal in zahllosen Spiegeln wieder.
Unter den Festen, die Napoleon selbst in St. Cloud oder den Tuilerien gab, bei denen prächtige Quadrillen aufgeführt wurden und seine Schwestern eine Hauptrolle spielten, war besonders eines durch das Kostüm berühmt, welches Pauline, Italien repräsentierend, trug und wobei sie einen leichten goldenen Helm mit schneeweißen Straußfedern, mit Agraffen von Diamanten, an deren Kiele die kostbarsten Perlen gereiht waren, auf dem Haupt hatte, dabei deckte ein kleiner Panzer von Goldschuppen mit einem brillantenen Gürtelschloß ihren Busen, eine weiße, goldgestreifte Tunika von indischem Mousseline fiel über die Knie herab, purpurne goldgestickte Halbstiefelchen deckten die Füße, und die Arme waren bloß. Man wußte nicht, sollte man eine Minerva, eine Venus oder eine Johanna d’Arc aus ihr machen, auf jeden Fall war es aber eine ideal schöne Erscheinung, besonders für die, welche sie nicht genauer kannten.
Die Reihe dieser Feste beschloß das höchst tragische, welches der österreichische Gesandte, Fürst Schwarzenberg, den 1. Juli der Tochter seines Souveräns und deren Gatten gab. Auch zu diesem
hatte ich mir durch hohe Protektion eine Einladung verschafft, und Fürst Y., den das Zipperlein von den meisten Feierlichkeiten zurückgehalten hatte, wollte durchaus dieser letzten beiwohnen. Den ganzen Tag fesselten ihn jedoch unausstehliche Schmerzen an sein Ruhebett, und es wollten weder Einreibungen noch sonstige Mittel helfen, die fortwährend angewandt wurden, um ihn wenigstens für diesen Abend noch gangfähig zu machen. Einigemal versuchte er aufzustehen und zu gehen, aber die Schmerzen ließen es nicht zu, erst abends nach acht Uhr gab er alle Hoffnung auf, das Fest durch seine Gegenwart verherrlichen zu können; es tat’s halt nicht, und mit Wimmern und Fluchen kroch er, nachdem er den letzten Versuch gewagt, wieder zu seinem Lager. Ich war bis zum letzten Augenblick vor dem Beginn des Festes noch bei ihm, versprach ihm einen getreuen Bericht von demselben abzustatten und suchte ihn zu trösten. – „Sie haben gut reden,“ sagte er, „Sie lassen kein Vergnügen ungenossen vorübergehen, während ich hier Jammer und Trübsal blasen muß und es vor Schmerzen kaum auszuhalten vermag.“ – „Aber was ist dabei zu machen, Durchlaucht? Sie können, sobald Sie wieder besser sind, alles nachholen und selbst die schönsten Feste geben, zu deren Verherrlichung ich nach Kräften beitragen will.“ – Ich war froh, als ich endlich zur Türe hinaus war und fuhr in die Straße Montblanc (Chauséed’Antin), in welcher Fürst Schwarzenberg das alte Hotel Montesson bewohnte, ein geräumiges Gebäude mit einem großen Garten und Hof. Da sich aber in demselben kein Saal befand, der die zahlreichen Gäste alle hätte aufnehmen können, hatte der Fürst einen großen Ballsaal nebst einer Galerie von Holz eigens zu diesem Fest erbauen lassen; der Saal war sehr reich mit Stoffen, Blumen und andern Verzierungen dekoriert und drapiert. Alle in Paris anwesenden königlichen und fürstlichen Personen, sowie die übrigen Gäste, weit über tausend, unter denen namentlich viele Österreicher in zwar sehr reichen, aber ziemlich geschmacklosen Kostümen, waren bereits versammelt, als die Gardegrenadiere, die für diesen Abend hier eine starke Wache lieferten, unter das Gewehr traten, aux champs schlugen und dadurch die Ankunft des kaiserlichen Paares verkündeten, das von Schwarzenberg und Metternich am Eingang empfangen wurde. Man
führte sie in den schön erleuchteten Garten, wo Gesänge und österreichische Nationaltänze unter Begleitung rauschender Musik von den Künstlern der Großen Oper aufgeführt wurden. Auch sah man wieder eine Nachahmung des Schlosses Laxenburg, und das Feuerwerk spielte auch hier eine Hauptrolle, zündete aber, gleichsam als wollte es ein Vorspiel zu dem furchtbaren Drama, das bald darauf folgen sollte, geben, schon ein Gerüst an, das bald anfing, in Flammen aufzulodern, die jedoch mit Hilfe der Pompiers schnell wieder gelöscht wurden. Nun begaben sich sämtliche Gäste in den Ballsaal zurück, über dessen Eingang eine Aufschrift in deutscher Sprache angebracht war, über deren Inhalt sich die Franzosen die Köpfe zerbrachen und ihre Glossen machten, selbst Napoleon schien das Deutsche nicht zu behagen, und er zuckte bei dem Anblick der ihm unverständlichen Worte die Achseln.
Der Ball wurde mit Kontertänzen, welche der Vizekönig von Italien, König Hieronymus, Fürst Esterhazy, die Königin von Neapel, die Fürstin Pauline von Schwarzenberg und so weiter aufführten, eröffnet, worauf eine Ekossaise folgte, während welcher das kaiserliche Paar in dem Saal herumspazierte. Ich stand so ziemlich in der Mitte der Kolonne, mit einer Hofdame der Königin von Neapel tanzend, als plötzlich eine Flamme an einer Draperie aufloderte, und kaum sah man sich darnach um, so brannte auch schon ein Teil der Decke, noch wurden einige Pas gemacht, als die Musikanten bereits die Flucht ergriffen, und ehe man es sich versah, brannte es hier, da und dort, vor und hinter einem, links und rechts und in allen Ecken, überall schlugen die Flammen hoch empor, und es entstand eine Verwirrung, ein Tumult, ein Geschrei, ein Drängen und Drücken, das unbeschreiblich war. Viele Offiziere umgaben schnell Napoleon und zogen ihre Degen, indem sie fürchteten, daß dies das Signal zum Ausbruch einer großen Verschwörung sei, wie es das Ansehen hatte. Was man auch sagen mag, so habe ich die Überzeugung, daß dieses Feuer geflissentlich angezündet wurde, denn nur zu deutlich nahm ich wahr, daß die Flammen an drei bis vier Orten zugleich emporschlugen, und zwar an ganz entgegengesetzten Winkeln, und es war sehr leicht, die Draperien an einer oder der anderen Stelle unbemerkt anzuzünden, während jedermann seine Augen auf die
zuerst auflodernde Flamme gerichtet hatte. Eine Verschwörung war es nicht, aber ich habe die moralische Überzeugung und wollte darauf schwören, daß der Vorfall dem Haß gegen Marie Louise und gegen diese Heirat seinen Ursprung zu verdanken hatte. Diese Meinung, welche viele mit mir teilten, ließ man natürlich nicht aufkommen, sondern von seiten der Regierung wurde alles aufgewandt, einen solchen Verdacht zu unterdrücken, sowie überhaupt die Meinung, daß das Feuer absichtlich angezündet worden, was bei den Fesseln, in denen damals die Presse und die freie Rede lag, leicht war; weshalb auch keine andere Untersuchung als die gegen die armen Spritzenleute veranstaltet werden durfte, die denn doch getan, was nur immer in menschlichen Kräften stand. Marie Louise hatte ihren Sitz schon wieder eingenommen, als der Brand ausbrach, Napoleon war schnell zu ihr geeilt und führte sie durch die Gartentür fort. Kaum hatte er den Saal verlassen, so stieg die Unordnung auf das höchste, alle und jede Rücksichten verschwanden, jedermann war nur noch auf seine Rettung bedacht, und Könige und Königinnen mußten Rippenstöße hinnehmen, wurden zurückgedrängt oder auf die Seite geschoben, und ehe noch die Hälfte der Anwesenden den Saal verlassen hatte, stand dieser schon in hellen Flammen, die Kronleuchter stürzten einer nach dem andern herab, denen schnell Dielen und Balken folgten. Zwar wurden große Wassermassen auf den Brand gegossen, diese lösten sich aber augenblicklich in Dampf und Dunst auf, und es war an keine Rettung des Baues mehr zu denken. Auch ich hatte mich rücksichtslos hinaus und in den Garten gedrängt, von wo aus sich das gräßliche Feuerwerk furchtbar schön ausnahm, hier aber waren Verwirrung und Tumult womöglich noch größer als im Saal selbst, aus dem brennende Damen flüchteten oder herausgeschleift und dann mit kotigem Wasser begossen wurden. Alles lief und rannte durcheinander, seine Angehörigen suchend, sie nicht findend, und von niemand eine tröstliche Antwort erhaltend. Dabei drängten sich die Hilfe leistenden Diener und Pompiers, alles, was ihnen in den Weg kam, weder Krone noch Sterne achtend, rücksichtslos auf die Seite stoßend, durch die wehklagenden Massen, und die Damen rannten mit ihren Flittern, Flor- und Blondenkleidern, viele mit
Brandflecken oder halbverbrannter Kleidung umher, ihre Männer oder Väter suchend. Das Flammen- und Rauchmeer wütete fort, und in kaum einer kleinen halben Stunde war die ganze, prächtig zusammengezimmerte und ausgeschmückte Herrlichkeit ein Raub des Feuers, das trotz aller Hilfe der Spritzen schon das Hotel des Gesandten selbst ergriffen hatte. Napoleon war unterdessen, nachdem er seine junge Gattin in Sicherheit gebracht, auf den Schauplatz des Unglücks zurückgekehrt, und nur der äußersten Anstrengung der Spritzenleute und der jetzt auf zwei Bataillone verstärkten Garden gelang es, das Hotel vor der gänzlichen Zerstörung zu retten. Der Kaiser leitete nun selbst die Löschanstalten, befahl die Entfernung aller müßigen Zuschauer und ging mit dem vor Todesangst schwitzenden Polizeipräfekten, dem Grafen Dubois, eben nicht zum glimpflichsten um. Der durch den Mordkriegsrat, den er präsidierte und der den Herzog von Enghien erschießen ließ, bekannte General Hülin mißhandelte in Gegenwart Napoleons, wahrscheinlich um dessen Zorn von sich abzuleiten, den armen Spritzenmeister, der ein Gott hätte sein müssen, wenn er die Flammen nach des grimmigen Kaisers Willen hätte bezwingen können, tätlich auf das empörendste und nichtswürdigste, so daß mir, der nur in geringer Entfernung davon stand, das Blut in den Adern kochte. Noch im Kerker mußte der Unglückliche der Ableiter der kaiserlichen Zornausbrüche sein. Das Schrecklichste aber waren die verbrannten, zum Teil tödlich verwundeten Personen, die hier verunglückt waren. Die Fürstin Pauline von Schwarzenberg hatte, wahrscheinlich ihre Tochter suchend, in den Flammen den Feuertod gefunden und wurde lange vergeblich von ihrem trostlosen Gatten und den Dienern gesucht, die Königin von Neapel hätte um ein Haar ein gleiches Schicksal gehabt, der Großherzog von Würzburg war ihr Retter; die schöne Vizekönigin von Italien, Prinzessin Auguste von Bayern, rettete sich auch glücklich mit ihrem Gemahl durch eine kleine Tür, als schon die halbe Decke des brennenden Saales eingestürzt war. Die Fürstin von der Laien und die Generalin Toussaint starben kurze Zeit nach dem Unglück unter den fürchterlichsten Schmerzen an ihren Brandwunden. Ein gleiches Schicksal hatte die Gemahlin eines russischen Konsuls, und der
russische Gesandte selbst, Fürst Kurakin, dankte seine Rettung nur dem damals schon durch seine außerordentlichen Kuren berühmten Doktor Koreff, der ihn auch völlig wiederherstellte, denn er war so beschädigt, daß man lange an seinem Aufkommen zweifelte. In allem waren mehr denn sechzig Personen, besonders Damen, mehr oder minder schwer verwundet und verbrannt. Dieses gräßliche Trauerspiel endigte würdig mit einer entsetzlichen Naturerscheinung, nämlich mit einem so furchtbaren Gewitter, wie ich mich nicht entsinne, ein ähnliches erlebt zu haben; Blitz auf Blitz und Schlag auf Schlag folgten so allgewaltig, daß der unaufhörlich rollende Donner die Welt zu erschüttern schien. Endlich entlud sich dasselbe in einem Wolkenbruch ähnlichen Platzregen, der nach und nach den Rest der Feuerglut löschte, als bereits der Tag anbrach. Napoleon war, sobald dem Feuer Einhalt getan und die weitere Gefahr beseitigt war, zu seiner besorgten Gattin nach St. Cloud zurückgekehrt, wo er äußerst niedergeschlagen angekommen und ausgerufen haben soll: „Quel terriblefête!“ Die Garden hatten unterdessen auf der Brandstätte ihr Biwak aufgeschlagen und verzehrten mit gutem Appetit die köstlichen Speisen und Schüsseln, die den Gästen zugedacht gewesen und die sie ohne dies Unglück nimmer gekostet haben würden. Den anderen Morgen fand man unter den Brandtrümmern eine Menge Schmuck, Degen, Armbänder, Halsgeschmeide, Diademe, Brillantschnallen, Knöpfe und so weiter, aber der gräßlichste Fund war die ganz verbrannte, halbverkohlte Leiche der Fürstin Schwarzenberg, die der Doktor Gall in des Platzkommandanten Gegenwart auffand und die man nur an einem Halsband erkannte, das die Namen ihrer Kinder trug. Welches Aufsehen diese schreckliche Begebenheit in Paris machte, ist unbeschreiblich. Da haben wir’s, hieß es, dies sind die ersten Folgen der Verbindung mit Österreich, es wird noch besser kommen. Und jedermann glaubte an eine tiefangelegte Verschwörung, welche dieses Fest hätte benutzen wollen, um die ganze bonapartistische Familie auf einen Schlag zu vernichten; dies war nicht der Fall, wohl aber war das Feuer böswillig angezündet worden, sei es nun von Anhängern der Bourbonen, von der republikanischen Partei oder auch nur aus Haß gegen Österreich. In Paris und ganz Frankreich
zweifelte niemand daran als die Regierung, in deren politischen Kram es taugte, eine solche Meinung durchaus nicht aufkommen zu lassen. Ich war bis zum hellen Tag auf der Brandstätte geblieben, hatte löschen helfen und ermüdet teil an dem Biwak der Garden genommen. Welch ein Fest! Der Aberglaube sah es wenigstens als eine sehr schlimme Vorbedeutung an, und das große Unglück, das bei den Vermählungsfeierlichkeiten Ludwigs XIV. und Maria Antoinettes stattgefunden, kam jedermann ins Gedächtnis. Die feierlichen Begräbnisse der Verunglückten, beinahe ein paar Dutzend, diejenigen inbegriffen, die noch später unter unsäglichen Schmerzen an ihren Brandwunden starben, erfüllten die Gemüter aufs neue mit Trauer. Napoleon selbst war durch diese Begebenheit sehr angegriffen und gab sich düsteren Ahnungen hin. Als ich den anderen Tag zu dem Fürsten Y. kam, empfing er mich mit den Worten: „Nun, und Sie sind unversehrt davongekommen? – Unkraut vergeht nicht!“
„Eure Durchlaucht können von Glück sagen und sich bei dem Podagra bedanken, denn Sie wären wahrhaftig bei lebendigem Leibe verbrannt.“
„Hu! mich schaudert, wenn ich daran denke.“
„Was Sie gestern noch als Tücke des Schicksals verfluchten, zeigt sich heute als wohlwollendes Geschick des Himmels. So ist’s in diesem sublunarischen Leben: was wir oft für das größte Unheil halten, ist nicht selten der Anker unseres Heils.“
Ich mußte dem Fürsten alle Details der schauerlichen Begebenheit ausmalen; gewiß ist es, daß er, der kaum mit Hilfe einer Krücke in der Stube herumhinken konnte, unfehlbar verbrannt wäre, wenn er dem Fest beigewohnt hätte. Fürst Kurakin hatte seine Rettung hauptsächlich seinem goldenen Rock mit Diamantknöpfen zu danken, der ihn wie ein Harnisch gegen Flammen und Kohlen schützte, und es wurde so dem Doktor Koreff mit noch anderer Hilfe möglich, ihn aus der Masse zu schleifen, nachdem er schon gestürzt und mit Füßen getreten worden war.
Dies war das Ende der Vermählungsfeste, man hatte genug daran. Außer dem Fest, das die Stadt Paris dem Kaiser gegeben, hatte sie ihm auch noch sehr kostbare Hochzeitsgeschenke gemacht, nämlich
ein Tafelservice von Vermeuil von ungeheurem Wert, das später Ludwig XVIII. als dem Kronschatz zugehörig erklärte. Marie Louise erhielt eine Toilettegarnitur von erstaunenswerter kunstreicher Arbeit.
Kurze Zeit nach der unglücklichen Begebenheit verbreitete sich plötzlich das Gerücht zu Paris von der Abdankung des Königs Ludwig von Holland, das eben nicht geeignet war, die etwas getrübte Stimmung der Franzosen zu erheitern, denn dieser Bruder Napoleons war auch in Frankreich geachtet und geliebt. Nach und nach gewann aber der Pariser Leichtsinn wieder die Oberhand, man vergaß die traurigen Begebenheiten und unterhielt sich mit Anekdoten und Erzählungen von der neuen Kaiserin, zum Teil Erfindungen müßiger Salonköpfe, die von Mund zu Mund die Runde durch ganz Frankreich machten. Sie war übrigens fast nur das Echo ihres Gatten, den sie, so sehr es sich tun ließ, in allen Stücken nachahmte. So fragte sie, dessen Beispiel befolgend, die Personen, die ihr vorgestellt wurden, jedesmal: „Sind Sie verheiratet? Haben Sie Kinder?“ Diese Fragen hatte sie sich so angewöhnt, daß sie den nämlichen Personen, so oft diese Audienz bei ihr hatten, dieselben wiederholte. Ein Gesandter äußerte deshalb einmal: „Die Kaiserin sollte doch endlich wissen, daß ich nicht verheiratet bin und keine Kinder habe, denn sie hat mich heute zum zehntenmal darnach gefragt.“ Marie Louise hatte eine sehr frische, fast hochrote Gesichtsfarbe und die Fähigkeit, ihre Ohren nach Gefallen bewegen zu können; beides gab zu mancherlei Spöttereien Anlaß, wozu auch die Unerfahrenheit und Unbekanntschaft der jungen Kaiserin mit den französischen Sitten manchen Stoff liefern mußte. Von ihren französischen Umgebungen wurde Marie Louise nicht geliebt, sie war ihnen zu wenig mitteilend, zu kalt, frostig und zeremoniell, unterhielt sich nie vertraulich mit ihren Damen, weshalb man sie für steif, unbeholfen und selbst stupid verschrie. Ihre Hauptbeschäftigungen waren: etwas Klavierspielen, weibliche Tapisseriearbeiten, Reiten, wenn es das Wetter gestattete, fast immer im Galopp. Dabei sagte man ihr nach, daß sie sechs Mahlzeiten des Tages zu sich nehme, namentlich sehr viel Creme esse, überhaupt einen Appetit für drei französische Grenadiere habe und nicht imstande sei, eine nur einigermaßen
geistreiche oder wissenschaftliche Unterhaltung zu führen oder ihr nur zu folgen, sondern statt zu antworten mit dem Kopf nicke und höchstens von den unbedeutendsten Vorgängen im Palast spreche. Hierbei mag nun viel übertrieben gewesen sein, auch war ihr das Französische nicht so ganz geläufig. So viel ist aber gewiß, daß das Äußere der jungen Kaiserin sowie ihr Benehmen besonders für Franzosen viel Abschreckendes hatte. Ich habe sie nur gesehen, aber fast nie sprechen gehört, freilich kam ich nie auch nur in die entfernteste Berührung mit ihr.
Unterdessen hatte ich noch einige neue Intrigen mit mehreren anmutigen Pariserinnen angeknüpft, wie man sie bei einiger Gewandtheit und savoir faire zu Dutzenden daselbst mit verheirateten Frauen haben kann, nicht so mit Mädchen aus den höheren Ständen, die hier selbst strenger als in Italien gehütet werden und gehütet werden müssen. Dafür revanchieren sie sich auf das reichlichste einmal unter der Haube und lassen ihren Leidenschaften und Kapricen freien Lauf. Einer dieser Damen konnte ich nur durch den Kamin meine Aufwartung machen, da sie ihr Mann, so oft er sie allein lassen mußte, einschloß; ein Grund mehr, alles daran zu setzen, ihn zu hintergehen. Glücklicherweise war der Kamin sehr geräumig und eine Öffnung in einem oberen Stock in demselben angebracht, durch die ich mich hinabließ; da es im Sommer war, so wurde ich auch nicht vom Rauch inkommodiert, doch gab ich diese Kaminbesuche bald wieder auf. – Noch immer bombardierte mich Miollis mit Briefen und wollte endlich durchaus wissen, woran er sei; auf seine Veranlassung und Briefe hatte ich noch eine ziemlich lange Unterredung mit dem Herzog von Feltre, den ich endlich fragte, ob er nicht glaube, daß durch die Prinzessin Borghese, mit der ich bekannt sei, der Kaiser für das Gesuch des Gouverneurs von Rom zu stimmen sei. Clarke erwiderte mir lächelnd: „Ich und alle Minister haben strenge Befehle, kein Gesuch seiner schönen Schwester zu berücksichtigen; und was Ihren persönlichen Wunsch, zu den Garden versetzt zu werden, anbelangt, so würden Sie, wenn ich es durchsetzte, dennoch einen sehr schwierigen Stand haben. Sie müßten sich mindestens durch das ganze Korps der Leutnants des Regiments, dem sie zugeteilt
würden, schlagen und würden, so gut sie auch den Degen führen mögen, endlich doch Ihren Mann finden und noch andere Unannehmlichkeiten treffen; ich rate Ihnen deshalb als Freund, von diesem Gesuch abzustehen.“ Bei der ersten Gelegenheit teilte ich Paulinen mit, was mir der Minister hinsichtlich ihrer gesagt hatte. Lachend erwiderte sie: „Aber das wußte ich schon längst; müssen es denn gerade die Garden des Kaisers sein?“ fuhr sie fort. „Suchen Sie doch lieber zu denen meines Schwagers Murat zu kommen, die sind ja weit schöner und prächtiger, und die Offiziere meistens Franzosen; wenn Sie dies wollen, das kostet mich nur ein paar Worte an Murat, und die Sache ist im reinen.“ – Anfänglich wollte mir zwar dieser Tausch nicht sehr zusagen, bald betrachtete ich aber die Sache in einem anderen Licht. Schön war die Garde des Königs von Neapel, und der Aufenthalt daselbst in mancher Hinsicht dem zu Paris vorzuziehen. Ich bequemte mich, die französischen Dienste zu verlassen, und bat die Prinzessin, die nötigen Demarchen zu machen, wozu sie sich sogleich bereitwillig fand. Sie selbst war indessen wegen einer kleinen Unart, die sie sich gegen Marie Louise erlaubt hatte, bei ihrem kaiserlichen Bruder in Ungnade gefallen, so daß sie noch weit weniger für mich bei ihm hätte wirken können. Sie hatte nämlich eines Tages der Kaiserin hinter ihrem Rücken allerlei Grimassen gemacht und unter anderm zwei Finger ihrer rechten Hand, den Zeigefinger und den kleinen, hörnerartig in die Höhe gestreckt, um so anzudeuten, daß sie Hörner tragen werde. Marie Louise hatte dies in einem großen Spiegel sowie auch ihr Gatte bemerkt, der nun voll Zorn seiner Schwester das Erscheinen in den kaiserlichen Gemächern untersagte.
In der Erwartung meiner baldigen Versetzung besuchte ich die noch nicht gesehenen Umgebungen von Paris, Bondy, St. Denis, wo ich die Überreste der in der Revolution verwüsteten königlichen Gräber in der Abtei daselbst heimsuchte und so weiter.
Eines Abends bemerkte ich in der Oper in einer benachbarten Loge ein recht freundliches Frauengesicht, das mir sehr bekannt vorkam, ich wußte aber nicht gleich, wo ich es schon gesehen hatte. Ich lorgnettierte die Dame, wurde endlich auch von ihr bemerkt, und sie nickte mir lächelnd zu. Ich begab mich nun während eines
Zwischenakts in jene Loge und fand – Madame Viriot, dieselbe, die ihr Gemahl vor ungefähr fünf Jahren in Nancy entführt hatte. Schnell war die alte Bekanntschaft erneuert; ihr Gatte war wieder in den Militärstand getreten, stand jetzt als Kapitän bei der Armee in Spanien, und sie lebte bei einer reichen Tante zu Paris und hatte ein niedliches vierjähriges Mädchen. Ich begleitete sie noch denselben Abend nach Haus, wurde auf den anderen Tag zum Besuch eingeladen, wobei sie mich der Tante als einen alten Freund ihres Mannes vorstellte. Ich suchte mich bei der alten Dame durch Artigkeiten zu insinuieren und war bald im Haus gern gesehen und Hahn im Korb, solange ich noch zu Paris verweilte.
Ende Juli hatte Napoleon für gut befunden, den Parisern zur Abwechslung auf seine Vermählungsfeierlichkeiten ein höchst pomphaftes und prunkendes Trauerfest zu geben, nämlich die Leichenfeier des bei Eßlingen gebliebenen Marschalls Lannes, dessen irdische Reste im Pantheon beigesetzt wurden. Das Gepränge dieser Zeremonie war außerordentlich. Mehrere Tage wehte eine schwarze, weiß eingefaßte Fahne von der Kuppel des Pantheons, in dem Tempel selbst war ein Katafalk in Form einer hohen Pyramide errichtet, an deren vier Ecken die Bildsäulen der Mäßigkeit, der Klugheit, der Gerechtigkeit und der Stärke angebracht waren, ihre Spitze krönte eine Urne mit einer eisernen Krone. Medaillen, die ausgezeichnetsten Taten des Marschalls darstellend, wurden von Genien gehalten, unter der Pyramide stand der Sarkophag, bereit, die Leiche des Verblichenen aufzunehmen. Auf den Stufen ringsherum brannten unzählige Kerzen auf silbernen Kandelabern.
An den beiden Seiten des Altars sah man die Bildsäulen des heiligen Ludwig und des heiligen Napoleon, die ganze Kirche war mit schwarzen Teppichen belegt und behängt, auf der schwarz drapierten Kanzel saß ein kolossaler Adler, für den Erzkanzler hatte man einen Sitz von Ebenholz, mit silbernen Sternen und Fransen verziert, errichtet. Alle Sitze der Kardinäle, Bischöfe, der Behörden und so weiter waren auf ähnliche Weise geschmückt; auch alle Fenster waren schwarz behangen, mit weißem Saum. Von dem endlosen Zug aller Zivil- und Militärbehörden gefolgt, wurde die Leiche des Marschalls vom Hotel der Invaliden in das Pantheon mit
großer Feierlichkeit und mit imponierender Trauermusik gebracht; auf dem Sarg lag der Marschallsstab, das Wappen und Lorbeerkronen. Achtzehn silberne Grabeslampen hingen an gleichen Ketten an dem Feinde abgenommenen Lanzen herab; überall waren Trophäen von eroberten Waffen und Fahnen angebracht. Die Waffen des Toten nebst Siegespalmen hielten zwei über dem Altar schwebende Renomeen in der Hand. Über ihnen las man die Worte: Napoléon à la memoire du Duc de Montebello, mort glorieusement auxchampsd’Essling,le22.Mai1809.
Das Konservatorium führte eine großartige Trauermusik auf, die von Zeit zu Zeit durch die Töne der schwarz verhüllten Orgel unterbrochen wurde; hierzu hatte man die herrlichsten Kompositionen Mozarts gewählt. Der Trauerwagen, auf dem die Leiche gebracht wurde, war mit vier Faszes, aus Fahnen bestehend, welche das von Lannes befehligte Armeekorps erobert hatte, geschmückt. Der ganze Zug bestand aus vier Abteilungen, einer geistlichen, einer militärischen, einem Trauerzug und einem Ehrenzug. Bei dem militärischen waren die Truppen aller Waffengattungen, Kanonen und Pulverkarren, die Tambours, Trompeter und Musikchöre der ganzen Garnison, die Lüfte mit lugubern Klagetönen erfüllend. Der ganze Generalstab mit den Fürsten von Neufchatel und Wagram, denen die Generalität, alle Stabsoffiziere und andere Offiziere folgten, waren an der Spitze des militärischen Zuges. Bei dem religiösen Zug, der sich vor dem militärischen bewegte, befand sich die ganze hohe und niedere Geistlichkeit von Notre-Dame und aller Kirchsprengel von Paris, mit unzähligen Kirchenfahnen, Kreuzen und so weiter, auch viele Greise und Kinder aus mildtätigen Anstalten und Pflegehäusern. Vier Marschälle, unter denen Moncey und Davoust, hielten die Zipfel des Bahrtuchs, auf beiden Seiten des Wagens trugen Lannes Adjutanten Standarten. Der Ehrenzug bestand aus des Marschalls leerem Wagen, zu dessen beiden Seiten wieder zwei seiner Adjutanten ritten; diesem folgten vier Trauerwagen für die Familie des Verblichenen, diesen die Wagen der Prinzen, Großwürdenträger, Marschälle, Generalobersten, Minister und höchsten Behörden. Sämtliche Züge schloß eine starke Abteilung der Gardekavallerie mit
Trauermusik zu Pferde. So lange die Zeremonie währte, läuteten alle Glocken von Paris, und in kleinen Zwischenräumen fielen jedesmal dreizehn Kanonenschüsse. Als der Sarg in die Gruft gesenkt wurde, gab sämtliches Militär Gewehrsalven, und die Legionäre übergaben ihre Ehrenkreuze dem Großalmosenier, der sie durch den Erzpriester mit hinabsenken ließ. Davoust hielt eine kurze Rede, in welcher er die tiefe Trauer des Heeres über diesen Verlust aussprach, und nachdem der Erzkanzler eine zum Andenken an diese Totenfeier geschlagene Medaille dem Sarge folgen ließ, war sie beendigt, und die Truppen zogen mit lustig klingendem Spiel wieder ab. In ganz Frankreich, Italien und wo französische Truppen standen, wiederholte sich diese Totenfeier, durch welche Napoleon der Welt beweisen wollte, wie sehr er seine Helfershelfer zu ehren wisse, hauptsächlich um dadurch auf das Militär zu wirken.
Wenige Tage später gab die am Napoleonsfest, den 15. August 1810, erfolgte Vollendung der Siegessäule auf dem Platz Vendome, die man zum Ruhm der französischen Armee im Jahre 1806 begonnen hatte und die eine Nachahmung der Trajanssäule zu Rom ist, den Parisern abermals Stoff zur Unterhaltung und zu Festivitäten. Die zweihundertundzwanzig Fuß hohe Säule wurde aus eintausendzweihundert, den Österreichern und Russen 1805 abgenommenen Kanonen errichtet und stellte nach Art der römischen die hauptsächlichsten Taten der Franzosen aus dem Feldzug von 1805 dar; sie steht auf der Stelle, wo die während der Revolution zertrümmerte Bildsäule Ludwig XIV. stand. An zwei Millionen Pfund Erz sind zu dieser Säule verwendet worden. Auf einer in ihrem Innern angebrachten Schneckentreppe gelangt man zu ihrer Spitze, auf die Napoleons zehn Fuß hohe Statue gestellt wurde.
Am 25. August, denselben Tag an dem man früher das Fest des heiligen Ludwigs feierte, fand jetzt das der Marie Louise statt und wurde zum erstenmal mit außerordentlicher Pracht und großer Ostentation begangen. Einige Tage darauf hielt Napoleon im Bois de Boulogne Musterung über die holländischen Garden, die er nach Paris beordert hatte, und die hierauf in dem Gehölz so gut bewirtet und namentlich mit Wein so reichlich versehen wurden, als sie nur
Lust zu trinken hatten, was für die Pariser abermals ein neues Schauspiel war, das aber wieder ein sehr schmutziges Ende nahm. Die holländischen Plexums betranken sich en canaille, fingen dann zuerst Stänkereien und Streit unter sich selbst und dann mit den Zuschauern an, und als ein Gewitter und starker Regen die letzteren schnell verscheuchte, hielten die Soldaten alle Frauen und Mädchen an, während sie die sie begleitenden Männer mißhandelten und zum Zeitvertreib die Bäume des Gehölzes umhieben, wodurch sich einige hundert kleine Gefechte, die zum Teil blutig ausfielen, entspannen. Einige der Zuschauer hatten sich nach St. Cloud geflüchtet und daselbst die fatale Mär hinterbracht. Napoleon geriet in Zorn über die Brutalität der Holländer und gab Order, sogleich viele und starke Patrouillen abzusenden, welche die Betrunkenen zur Räson bringen sollten, deren Anführern er selbst Verhaltungsbefehle gab, um die Ruhe wieder herzustellen. Ich hatte mich ebenfalls zu Pferd in das Boulogner Wäldchen begeben, die holländischen Garden tafeln zu sehen, und es gelang mir, einige Mädchen aus den Klauen dieser Trunkenbolde zu befreien. Diese Burschen waren nur Bier und Schnaps gewöhnt, der Wein war ihnen eine gar zu verführerische Neuigkeit. Als die Patrouillen ankamen, war es schon fast Nacht, und sie würden vielleicht wenig ausgerichtet haben, wenn sich nicht plötzlich das Gerücht unter den Soldaten verbreitet hätte, Napoleon selbst sei soeben angekommen, was die Burschen etwas nüchterner und gelassener machte, dieser hatte jedoch St. Cloud nicht verlassen. Die unmittelbaren Folgen dieses Gerüchts waren aber, daß sich die Holländer Hals über Kopf aus dem Staub machten und eiligst in ihre Kaserne zu kommen suchten, indessen wurden einige fünfzig verhaftet, und mehrere, die man en flagrant délit ertappt hatte, wurden streng bestraft.
Um diese Zeit oder bald darauf verbreitete sich auch das Gerücht von der Schwangerschaft Marie Louisens, und da schon beinahe sechs Monate verflossen waren, ehe man etwas davon hörte, so glaubte man allgemein den Hauptzweck von Napoleons Ehescheidung und Wiedervermählung verfehlt und war um so mehr über diese Trennung und Ehe ungehalten. Ein Teil des Publikums hielt Napoleon für impotent, während der andere seiner Gattin
Unfruchtbarkeit zur Last legte; ja viele Personen wollten durchaus nicht an diese Schwangerschaft glauben oder hielten sie für fingiert und supponierten, daß der Kaiser damit umginge, ein fremdes Kind unterzuschieben und zu seinem Thronerben zu machen; selbst nach der Geburt des Königs von Rom gab es noch viele Personen, die denselben für untergeschoben halten wollten und diese Meinung unter dem Volk zu verbreiten suchten. Die Ursache, warum Marie Louise nicht früher guter Hoffnung geworden, soll der zu häufige Gebrauch von Bädern gewesen sein, die ihr nun untersagt wurden. Es war Anfangs September, als ich meine Entlassung aus den französischen Diensten und mein Patent als Kapitän bei der neapolitanischen Garde zu Pferd, Cavalli leggieri, erhielt. Ich hatte besonders darum gebeten, bei der Reiterei angestellt zu werden, mich deshalb während der letzten Zeit meines Aufenthaltes zu Paris noch mehr mit den Manövern dieser Waffengattung vertraut gemacht, und allen Kavallerie-Übungen zu Pferde beigewohnt. Da jetzt mein Schicksal entschieden war, so eilte ich nun, Paris zu verlassen, wo es zwar alle Tage etwas Neues, aber auch manche eben nicht angenehme Neuigkeiten gab. Ich machte meine Abschiedsvisiten, empfahl mich besonders dem noch immer leidenden Fürsten Y., durch den ich doch manche vergnügte Stunde gehabt, und ging meiner neuen Bestimmung entgegen, den Weg über Orleans einschlagend, das ich noch nicht gesehen und doch gerne besuchen wollte. An Miollis hatte ich schon geschrieben, ihm die Äußerung hinsichtlich der Prinzessin Pauline gemeldet, und daß durch diesen Kanal nichts zu machen sei. Von Madame Bonnier nahm ich ebenfalls Abschied und Briefe an ihre Verwandten zu Pesaro mit, die ich persönlich zu übergeben versprach, sowie zu versuchen, daß sie die Dame bis zur Zurückkunft ihres Mannes in ihrem Schoß aufnehmen möchten, da sie sich so isoliert in dem gefährlichen Paris befinde. Dem Fürsten Y. tat meine Abreise wirklich leid, auch er fand sich verlassen in der großen Stadt und hatte sich an meinen Umgang gewöhnt.
II.
Reise von Paris nach Neapel. – Turin. – Ankunft zu Neapel. – Murats Garden und Hofstaat. – Fehlgeschlagene Expedition gegen Sizilien. –Grausame Maßregeln zur endlichen Vertilgung der Briganten in Kalabrien. – Entstehung der Carbonari. – Murat. – Die Königin Karoline. – Der Karneval zu Neapel. – Ein italienisches Liebhabertheater. – Die Festini in San Carlo. – Die Marchesa im Schilderhaus. – Fastenzeit und Osterfeier. – Ein Pistolenduell. – Don Juan zum erstenmal in Neapel aufgeführt. – Ein Schiff mit englischen Nachtgeschirren von der Douane weggenommen. – Ein Abenteuer in den Gärten zu Caserta. – Ein Souper suspendu. – Ein silbernes Ei. – Ein dreifacher Mord. – Weihnachtsfeier. –Verbrennung der englischen Waren. – Ich falle in die allerhöchste Ungnade und werde nach Tarent beordert.
Ein wenig sonderbar war es mir doch zumute, als ich Frankreichs Hauptstadt, in der ich so manches Abenteuer bestanden, so manches Vergnügen genossen, verließ und im Rücken hatte. Erst in Turin beschloß ich Rasttag zu halten, um meinen etwas zusammengerüttelten und steif gewordenen Knochen einige Ruhe zu gönnen. Ich fuhr durch die schnurgeraden Straßen in ein Albergho, wo ich mich sogleich niederlegte und erst erwachte, als Mittag längst vorüber war. Ich machte meine Toilette und schickte mich an, die Sehenswürdigkeiten der schönen Stadt zu besuchen. Die Neustadt ist vielleicht die schönste Stadt Europas. Von allen Städten, die ich kenne, kann sich nur ein Teil von Berlin und Nancy mit ihr messen. Zur Nachtzeit werden Schleusen losgelassen, welche die Straßen reinigen, die dann wie abgewaschen sind. Die Festungswerke sind bedeutend; die Zitadelle, ein regelmäßiges Fünfeck, ist eine der stärksten Festen, die es gibt; auch schöne Promenaden sind in der Nähe der Stadt. Übergroße Müdigkeit und Bedürfnis nach Ruhe machte, daß ich Turins Herrlichkeiten nur sehr oberflächlich sah und die meiste Zeit in meinem Zimmer auf einem Ruhebett zubrachte. Den dritten Tag nach meiner Ankunft setzte ich meine Reise fort. In Pesaro suchte ich die Eltern der Madame Bonnier auf, denen ich die Briefe, welche mir ihre Tochter an sie mitgegeben, überlieferte. Sie
wollten anfänglich wenig von ihr wissen und sagten, die Sünde ihrer Tochter, das Kloster verlassen und geheiratet zu haben, sei ein ewiger Schimpf für die ganze Familie, eine unvertilgbare Schande, denn so etwas sei noch nicht erhört worden, so lange es Christen gebe. Ich suchte die Leute deshalb zu beruhigen und eines Bessern zu belehren, aber meine Bemühungen halfen wenig, obgleich ich ihnen sagte, daß ich, als Helfershelfer bei der Geschichte, gerne die ganze Sünde auf mich nehmen wolle. Indessen brachte ich es endlich doch dahin, daß mir der Vater versprach, wenn sich eine passende Gelegenheit fände, er in Gottesnamen sein ungeratenes Kind kommen lassen wolle. Dies war freilich wenig Zuverlässiges, und ich erwiderte, daß es gewiß besser sei, wenn jemand von der Familie nach Paris reise, die Dame abzuholen, worauf mir aber ganz trocken geantwortet wurde, daß dies die Umstände nicht gestatteten. Ich empfahl mich nun ziemlich frostig, schrieb sogleich an Angelika das Resultat meiner Bemühungen und gab ihr den Rat, nicht weiter zu ihren Anverwandten zu verlangen, da dies herzlose Menschen seien, die ihr das Leben zur Hölle machen würden. Sie befolgte diesen Rat, wurde bald darauf Witwe, ihr Gatte, den sie nicht wieder gesehen, blieb in der Schlacht bei Salamanka; 1814 fand ich sie in Lyon als die Geliebte des Generals Albert, der früher als Augereaus Adjutant eine Anverwandte der Familie d’Orville, eine Mademoiselle Fuchs, in Offenbach geheiratet hatte.
In Rom angekommen, stattete ich dem General Miollis mündlich Bericht über alle in seinen Interessen getanen Schritte ab und setzte ihm die Unmöglichkeit auseinander, durch die mir eröffneten Kanäle und Instruktionen die gewünschte Absicht zu erreichen. Andere Demarchen, die er zu demselben Zweck durch einen Bataillonschef in Paris machen ließ, hatten noch schlimmeren Erfolg, denn vom Generalstatthalter in Rom wurde er nun erster Leutnant des Gouverneur général de Rome. Ich fuhr, ohne mich weiter in Rom umzusehen, nach Neapel ab, wo ich gegen Ende September glücklich ankam.
Mein erstes war, mich bei dem Baron Cäsar Dery, Generalleutnant und Kommandant der Garde-Kavallerie, zu melden und dann bei dem Baron Livron, Oberst des Regiments. Bei beiden wurde ich wohl
aufgenommen, worauf ich bei alten Bekannten meine Privatvisiten machte. Helene befand sich mit ihrem Mann jetzt auf der Insel Capri, wo ich sie einigemal besuchte, auch kam sie fast jede Woche nach Neapel zu einer Freundin, wo wir dann intime Zusammenkünfte hatten. Bei dem Regiment waren die meisten Offiziere Franzosen, namentlich in den höheren Graden, nur wenige Neapolitaner waren in demselben sowie bei der Garde überhaupt angestellt. Diese, die Casamilitare delRe genannt, bestand damals aus dem Stab, einem Generalkommandanten der Infanterie, einem der Reiterei, einem Gardegrenadierregiment, einem Regiment Veliten zu Fuß, einem Bataillon Voltigeurs, der Ehrengarde (Guardia d’onore), den Veliten zu Pferde, den Cavalli leggieri, bei denen ich stand; der Gensdarmeria scelta, der reitenden Garde-Artillerie, dem Train d’Artillerie, dem Genie und der Garde-Marine; auch waren noch Garde-Veteranen und Hellebarden vorhanden. Der Dienst dieser Truppen war im ganzen angenehm und nicht sehr beschwerlich, die Garden selbst standen im guten Ansehen, da sie meistens aus Fremden, hauptsächlich Franzosen zusammengesetzt waren, auch sehr reiche und kostspielige Uniformen, drei verschiedene Kostüme hatten. Die Equipierung kostete viel Geld, und denjenigen Offizieren, die nicht hinlängliche Mittel hatten, half Murats Großmut; er machte ihnen reiche Geschenke an Pferden und Geld. Auch der Hofstaat des Königs von Neapel war jetzt überaus prächtig und glänzend eingerichtet, er bestand aus einem Großmarschall des Palastes mit vier Palastpräfekten, unter denen der Herzog von Circella war, einem Gouverneur der königlichen Paläste, Palastadjutanten, Marescalli degli alloggi; Großkammerherr war der Fürst Colonna mit einem halben Hundert Kammerherren, meistens Principi, Herzoge, Marquis, Grafen und Barone; ein Großstallmeister mit zwanzig Unterstallmeistern, gleichfalls Principi und so weiter. Ein Pagengouverneur mit einem Untergouverneur, ein Dutzend Professoren, unter denen sogar ein Lehrer der deutschen Sprache, ein gewisser Moser, war, einige dreißig Pagen, ein Großjägermeister mit einem halben Dutzend Oberjägermeistern, ein Großzeremonienmeister nebst Zugehör, ein Kardinal-Großalmosenier, ein Bischof von Nola, Oberalmosenier, dreißig Almoseniere und
Kapläne, aber noch bei weitem nicht genug, um all die vielen und großen Sünden des Hofes zu absolvieren. Die Königin Karoline hatte außerdem ihren eigenen Almosenier, den Erzbischof von Tarent; ihr Ehrenkavalier war Fürst d’Angri, eine besondere Ehrendame eine Dame d’Atour und ein Viertelhundert Palastdamen, unter denen die berühmtesten Namen Italiens, wie die Doria, Colonna, Imperiali, Spinelli, Carignani und so weiter figurierten, die wunderschöne Herzogin von Atri (Giuglietta Colonna) und die nicht minder schöne Marchesa Cavalcanti, auch eine Catharina von Medicis waren. Die königlichen Kinder hatten ihre Gouverneure, Gouvernanten und so weiter, und in diesem Verhältnis war das zahlreiche Unterpersonal des Hofes organisiert. Zu den größten Hoffesten und Bällen wurde außerdem der zahlreiche neapolitanische Adel, die angesehensten Bürger der ganzen Stadt, alle Garde- und andere anwesende Offiziere gezogen. Außerdem hatte Murat einige dreißig Adjutanten und Ordonnanzoffiziere, unter den letzteren viele Italiener. Das Hofleben war in hohem Grad rauschend, üppig, pompös, und die Toiletten der Damen zeigten eine orientalische Pracht und Verschwendung, wobei die Königin den Ton angab und in mehr als einer Hinsicht das Muster war, nach dem sich ihre Damen und die vornehmen Frauen der Residenz richteten.
Meine Equipierung kostete mich nahe an zehntausend Franken, drei Pferde inbegriffen. Glücklicherweise hatte ich einen ziemlich vollen Beutel mit von Paris gebracht, und wenn es fehlte, half Vetter Moritz aus; übrigens war das Gehalt ansehnlich.
Murat selbst war, als ich in Neapel ankam, noch mit einem Teil der Garde in Kalabrien; er hatte geraume Zeit vor mir Paris verlassen, projektierte eine Landung in Sizilien und hatte deshalb bedeutende Streitkräfte in der Sohle des italienischen Stiefels und der Gegend von Reggio versammelt. Drei französische Divisionen, eine neapolitanische, ein großer Teil der Garden, in allem einige zwanzigtausend Mann, waren bestimmt, das Wagstück zu unternehmen. Lamarque und Partonnaux, welche unter dem König kommandierten, waren mit ihren Divisionen zur Einschiffung bereit, nachdem vorher einige teils glückliche, teils unglückliche Gefechte zur See mit den Engländern stattgefunden hatten. Am Phar von
Kalabrien lagen eine große Anzahl Transportschiffe und mehrere Kanonierschaluppen vor Anker. Das Heer kampierte an der Küste der Meerenge von Messina, die Garden und die Reservedivision im Zentrum, Partonnaux befehligte rechts und Lamarque links von Szilla. Eine bedeutende englische Seemacht von fünf Linienschiffen, sechs Fregatten, mehreren Briggs und Kanonierschaluppen hatte sich zwischen dem Phar und Messina aufgestellt, verursachte der neapolitanischen Marine großen Schaden und hatte schon manches Konvoie derselben weggenommen oder versprengt, auch in Amalthea viel Unheil angerichtet. Endlich, nachdem es, den Engländern zum Trotz, gelungen war, eine hinlängliche Anzahl Schiffe in der Nähe des Lagers zu vereinigen und die Äquinoktialstürme den Feind genötigt hatten, sich in die Häfen von Sizilien zurückzuziehen, bestimmte Murat die Nacht vom 17. auf den 18. September zur Landung in Sizilien. Drei Regimenter leichter Infanterie, ein Regiment neapolitanischer Jäger nebst einem Bataillon Korsen wurden gegen Mitternacht eingeschifft und landeten gegen zwei Uhr Morgens zu San Stefano in Sizilien. General Cavaignac, der diese Division befehligte, glaubte, daß ihm der Rest der Armee unmittelbar folgen würde, griff sogleich alle ihm im Wege stehenden Posten an, von denen viele aus Engländern bestanden, die mehrere Regimenter in Sizilien hatten, und marschierte dann mit seiner Kolonne bis Duchessa vor; allein während er sich mit dem Feind herumschlug, war eine gänzliche Windstille eingetreten, wodurch sowie durch die Strömungen im Kanal die übrigen Truppen am Abfahren verhindert wurden. Murat selbst hatte sich eingeschifft und blieb bis zum Tag in seiner Schaluppe. Vergeblich auf günstigen Wind hoffend, ließ er endlich den schon übergesetzten Truppen das Zeichen geben, wieder zurückzukehren. Als der englische General Stuart, der diese Landung für einen fingierten Angriff hielt, überzeugt war, daß die anderen Truppen unmöglich nachkommen konnten, ging er auf San Stefano los, um die ausgeschiffte Division abzuschneiden. Diese Truppen wurden nun handgemein, und Cavaignac mußte sich vor der großen Übermacht Hals über Kopf an das Ufer des Meeres zurückziehen, wo man sich in der größten Unordnung unter dem feindlichen Feuer einschiffte. Zum Unglück
war ein großer Teil der Transportschiffe schon wieder an die Küsten von Kalabrien zurückgekehrt, und ein Teil der Division, von Oberst Ambrosia befehligt, mußte die Waffen strecken und sich gefangen geben. Mit einem Verlust von wenigstens eintausendfünfhundert Mann und vielen Verwundeten kamen die Übrigen wieder auf dem festen Land an. Dieser schlimme Ausgang des ersten Landungsversuchs auf Sizilien entmutigte Murat und die Truppen.
Kurz darauf machte ein Tagesbefehl dem Heer bekannt, daß Napoleons Verlangen bereits ein Genüge geschehen, indem dessen Absicht nur gewesen sei, die Streitkräfte der Engländer auf diesen Punkt zu ziehen, um die nötigen Verstärkungen unangefochten nach der Insel Korfu schicken zu können, und daß vorerst die Expedition nach Sizilien verschoben werde. Wenige Tage darauf wurde das Lager abgebrochen, die Schiffe und die Garden kehrten nach Neapel zurück, wo auch Murat etwas verstimmt und ungehalten ankam. Über die Ursache der so schnellen Aufgabe dieses Unternehmens wurden mancherlei Vermutungen ausgesprochen, viele wollten sie einem geheimen Befehl Napoleons zuschreiben, der nicht gerne sehe, daß sein Schwager allzumächtig würde und den er schon mit mißtrauischen und neidischen Augen betrachte. Soviel ist sicher, daß seit jener Zeit ein Mißverständnis zwischen den beiden Schwägern bestand, das immer mehr Wurzel faßte.
Um dem noch immer in Kalabrien wenigstens teilweise bestehenden Brigantenunfug zu steuern und ihn endlich auszurotten, nahm die Regierung Murats ein System an, welches hauptsächlich darin bestand, daß man die Einwohner Kalabriens selbst für die in dem Gebiet ihrer Kantone von den Briganten begangenen Untaten verantwortlich machte. Die regulären Truppen wurden jetzt nur noch dazu verwendet, die Einwohner zu zwingen, die Insurgenten selbst zu bekämpfen, zu fangen und auszuliefern, widrigenfalls man sie als deren Helfershelfer ansehen und bestrafen würde. Diese Maßregeln in Ausführung zu bringen, wurden zehn- bis zwölftausend Mann in alle Teile Kalabriens verlegt. Das Dekret, welches deshalb erschien, war sehr streng und grausam, und ließ auch Spielraum zu ungestrafter Befriedigung der Privatrache. Es wurden Listen mit Namen von Familien, als des Einverständnisses
mit den Briganten verdächtig, angefertigt, und ein jeder, der ein solches Individuum tötete oder gefangen ablieferte, erhielt eine Belohnung von zwanzig bis fünfundzwanzig Dukati, war es aber ein Brigantenchef, so empfing er fünfhundert Dukati. Wer den Insurgenten oder ihren Helfershelfern irgend etwas, sei es an Nahrung, Kleidung, Munition, Geld und so weiter zukommen oder sie entwischen ließ, wurde augenblicklich erschossen. Der General Manches, ein sehr harter und heftiger Mann, wurde mit der Vollziehung dieses Dekrets beauftragt und vollzog es ohne alle Schonung. Die Folgen waren, daß viele Tausende der Einwohner, sich nicht mehr sicher wähnend oder Privatfeinde habend, nach Sizilien entflohen. Aber diese harte Maßregel hatte so ziemlich den erwünschten Erfolg; das Brigantenwesen hörte bald fast gänzlich auf, und man konnte endlich ziemlich sicher in ganz Kalabrien umherreisen. Freilich waren zahlreiche Familien das Opfer für ein einziges ihrer Mitglieder geworden, das sich etwas hatte zuschulden kommen lassen; denn Eltern, Geschwister und andere Anverwandte mußten das Vergehen des einen büßen. Aber das Land war doch endlich nach fünf Jahren ziemlich beruhigt; so lange hatte der grausame Brigantenkrieg gewährt, eine sich ewig erneuernde Hyder, die unaufhörlich von Sizilien aus alimentiert wurde.
Eines der gefährlichsten Brigantenhäupter war zuletzt der sogenannte Brigantenfürst Baron Bittiglioni gewesen, der mit großer Verwegenheit in Salerno sein Wesen trieb, ohne daß jemand geahnt hatte, daß er einer der Haupturheber der Brigantenstreiche war. Endlich kam man diesem schlauen Fuchs, der alle Gestalten annahm, doch auf die Spur. Er wurde nebst mehreren seiner Offiziere aufgehoben und samt seinem ganzen Anhang zum Tode verurteilt. Viele Individuen aus den ersten Familien zu Neapel waren mit in diese Geschichte verwickelt, und ihre Häupter traf dasselbe Urteil. Murat verwandelte jedoch die Todesstrafe in lebenslängliches Gefängnis oder Kettenschleifen, zehnmal schrecklicher als der Tod. Mit der Rückkehr des alten Königshauses (1815) wurden aber die noch Lebenden wieder frei und sogar belohnt.
Ungefähr zu dieser Zeit war es, daß sich in Kalabrien die berüchtigte Sekte der Karbonari bildete, hauptsächlich durch die