

8 The line
Tan Ping’s Multi-Perspective Concept
9 Die Linie
Tan Pings multiperspektivisches Konzept Beate Reifenscheid
22 How to Be “One”? A Philosophical Reflection on “One” from Nothing—Tan Ping and “ the Third Abstraction”
23 Wozu das Eine?
Tan Ping und die Dritte Abstraktion
- eine philosophische Reflexion über das Entstehen des Einen aus dem Nicht-Existenten LaoZhu (Zhu Qingsheng)
44 Self-Statement
45 Selbstauskunft
Tan Ping
56 A Line 57 Eine Linie
82 Point, Line, Plane 83 Punkt, Linie, Ebene
118 Limited Freedom
119 Eingeschränkte Freiheit
148 Overflow and Suture
149 Überlauf und Naht
178 Chronology Chronologie
188 Exhibitions Ausstellungen


by
Art is the perfect synthesis of body and mind, as well as the anticipation that follows a playful act of “destruction.”
My work often begins with free, spontaneous line drawing and smudging. At predetermined points in time, I employ a destructive technique to “cover” the artwork, regardless of how perfect the image may appear. Every time I apply this destructive “overlaying” method on a seemingly flawless image, I am challenging the limits of my inner self, making the experience of continual “destruction” the very core of my art. On a material level, the overlaid images still exist beneath layers of color, much like human history, where traces and imprints remain despite natural decay or human destruction. The act of “overlaying” creates a slice of time, while history is an accumulation of these slices. On a spiritual level, overlay is akin to a form of mind-cultivating practice. I strive to keep my work in a perpetually unfinished state, allowing it to be continuously overlaid, which keeps it closely connected to my inner self. In art, the excitement of thought and inner emotions always emerged through the process of “destruction.”
Kunst ist die perfekte Synthese von Körper und Geist sowie die Vorfreude auf einen spielerischen Akt der „Zerstörung“.
Meine Arbeit beginnt oft mit freien, spontanen Strichzeichnungen und Verwischungen. Zu vorbestimmten Zeitpunkten wende ich eine zerstörerische Technik an, um das Kunstwerk zu „überdecken“, unabhängig davon, wie perfekt das Bild erscheinen mag. Jedes Mal, wenn ich diese zerstörerische „Überlagerungs“-Methode auf ein scheinbar makelloses Bild anwende, fordere ich die Grenzen meines inneren Selbst heraus und mache die Erfahrung der ständigen „Zerstörung“ zum Kern meiner Kunst. Auf einer materiellen Ebene existieren die überlagerten Bilder immer noch unter den Farbschichten, ähnlich wie in der menschlichen Geschichte, wo Spuren und Abdrücke trotz natürlichen Verfalls oder menschlicher Zerstörung bestehen bleiben. Der Akt des „Überlagerns“ schafft einen Zeitabschnitt, während die Geschichte eine Ansammlung dieser Abschnitte ist. Auf einer spirituellen Ebene ist die Überlagerung mit einer Art geistiger Kultivierungspraxis vergleichbar. Ich bemühe mich, meine Arbeit in einem immerwährenden unvollendeten Zustand zu halten, so dass sie ständig überlagert werden kann, wodurch sie eng mit meinem inneren Selbst verbunden bleibt. In der Kunst ist die Erregung des Denkens und der inneren Gefühle immer durch den Prozess der „Zerstörung“ entstanden.





+40m (partial view / Ausschnitt), 2012 mixed media / Mischtechnik, 20 × 4000cm Collection of National Art





At first glance, Tan Ping’s “gray paintings” appear strikingly similar to the works of the aforementioned artists. However, upon closer examination, one will notice significant differences, particularly in the fact that the single shade of gray in Tan Ping’s work does not completely cover the canvas. The key lies in the barely noticeable spots of pure color at the four corners—often overlooked by viewers. These colors in the corners form a layered relationship, rather than a flat juxtaposition. In other words, the final visual effect is created by successive layers of color, with the last layer being gray. This is why it initially appears as a “gray painting.” The artist has left us a clue for understanding his work. While other artists strive to fully express themselves on the canvas, Tan Ping hides himself. So, what exactly has the artist done?
Another of his video works reveals the answer to this mystery. Typically, the process begins with a blank canvas. Tan Ping, following his usual creative method, paints lines, dots, and circles onto the canvas. At various stages, the piece has already become what we recognize as a complete and remarkable “Tan Ping-style” abstract painting. But in a surprising turn, in the next moment, Tan Ping overlays “that piece” with another color, returning it to the blank canvas it once was. For the artist, this act means destroying a satisfying work, while simultaneously heralding the start of something new. He may then use a scraper to remove everything, turning the canvas into a perplexing state where past and present are interwoven. For the viewer, after witnessing the birth of a masterpiece, they are immediately confronted with its destruction, followed by its rebirth, and then its demise once more—a repeated cycle. The process is “heart-stopping,” until it finally becomes a “gray painting.”


Overlay:
Angesammelte Zeitsequenzen
„Overlay“ ist die Gegenmaßnahme zu herkömmlichen Malmethoden, mit dem Ziel, zu „zerstören“, statt zu konstruieren. Je perfekter das „überlagerte“ Bild ist, desto effektiver vermittelt diese Aktion das zugrunde liegende Konzept.
Tan Ping
„OVERLAY“ ALS ARBEITSMETHODE
Im Jahr 2019 schuf Tan Ping ein Werk, das fast vollständig in einem einzigen Grauton gehalten ist. Es erzählt weder eine bewegende „Geschichte“ wie die klassische Malerei oder der Realismus, noch bietet es eine ästhetische „Form“ wie die Moderne oder die abstrakte Kunst. Dies war keine einmalige Schöpfung;
er schuf eine große Anzahl ähnlicher Werke. Obwohl solche Werke in der Kunstgeschichte nicht ungewöhnlich sind, zielen Tan Pings Werke nicht wie die von Malewitsch, Rauschenberg, Mark Rothko oder Reinhardt darauf ab, einen transzendenten „Geist“ durch minimalistische „Form“ auszudrücken, noch streben sie das „Letzte“ in religiöser oder philosophischer Hinsicht an.
Auf den ersten Blick erscheinen Tan Pings „graue Gemälde“ den Werken der oben genannten Künstler auffallend ähnlich. Bei näherer Betrachtung werden jedoch erhebliche Unterschiede festgestellt, insbesondere in der Tatsache, dass der einzelne Grauton in Tan Pings Werk die Leinwand nicht vollständig bedeckt. Der Schlüssel liegt in den kaum wahrnehmbaren Flecken reiner Farbe an den vier Ecken – die vom Betrachter oft übersehen werden. Diese Farben in den Ecken bilden eine geschichtete Beziehung, statt einer flachen Gegenüberstellung. Mit anderen Worten: Der endgültige visuelle Effekt wird durch aufeinanderfolgende Farbschichten erzeugt, wobei die letzte Schicht grau ist. Deshalb erscheint es zunächst als „graues Gemälde“. Der Künstler hat uns einen Hinweis zum Verständnis seiner Arbeit hinterlassen. Während andere Künstler danach streben, sich auf der Leinwand voll auszudrücken, versteckt sich Tan Ping. Was also hat der Künstler genau getan? Eine andere seiner Videoarbeiten enthüllt die Antwort auf dieses Rätsel.
Normalerweise beginnt der Prozess mit einer leeren Leinwand. Tan Ping malt, seiner üblichen kreativen Methode folgend, Linien, Punkte und Kreise auf die Leinwand. In verschiedenen Stadien ist das Werk bereits zu dem geworden, was wir als vollständiges und bemerkenswertes abstraktes Gemälde im „Tan Ping-Stil“ erkennen. Doch in einer überraschenden Wendung überzieht Tan Ping „dieses Werk“ im nächsten Moment mit einer anderen Farbe und macht es wieder zu der leeren Leinwand, die es einmal war. Für den Künstler bedeutet dieser Akt die Zerstörung eines zufriedenstellenden Werks und gleichzeitig den Beginn von etwas Neuem. Er kann dann einen Schaber verwenden, um alles zu entfernen und die Leinwand in einen verwirrenden Zustand zu versetzen, in dem Vergangenheit und Gegenwart miteinander verwoben sind. Der Betrachter wird, nachdem er die Geburt eines Meisterwerks miterlebt hat, sofort mit seiner Zerstörung konfrontiert, gefolgt von seiner Wiedergeburt und dann erneut seinem Untergang – ein sich wiederholender Zyklus. Der Prozess ist „atemberaubend“, bis schließlich ein „graues Gemälde“ entsteht.
Punkt, Linie, Ebene




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© Hans Hartung, by SIAE 2024
© Lee Ufan, by SIAE 2024
ISBN 978-88-366-5995-1
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Fertig gedruckt im November 2024 / Printed in November 2024
This catalogue is published on the occasion of the exhibition Dieser Katalog erscheint anlässlich der Ausstellung
Tan Ping. Body of Abstraction
Ludwig Museum im Deutschherrenhaus
December 1st, 2024 to February 23th, 2025
1. Dezember 2024 bis 23. Februar 2025
Editor / Herausgeber Beate Reifenscheid
Curator / Kurator Beate Reifenscheid
Editing and Copy editing / Redaktion und Lektorat
Barbara Leers, Ludwig Museum, Koblenz
Suzana Leu, Ludwig Museum, Koblenz
Texts / Texte Beate Reifenscheid, Lao Zhu (Zhu Qingsheng), Tan Ping, Shan Shui Jing, He Guiyan, Zhang Jing, Wu Hung, Jiang Jiehong, Peng Feng, Tony Brown, Achille Bonito Oliva
Photo Credits / Bildnachweise © Tan Ping, for the reproduction of works by / für alle abgebildeten von Tan Ping
S. / p. 24: Photo © Stefano Baldini / Bridgeman Images for / für Hans Hartung: Rayonnement, 1962
S./ p. 27: © Christie’s Images / Bridgeman Images for / für Lee Ufan, From Line, 1979
Translations / Übersetzungen Liang Xingyi
1. S./ pp. 58-59: Textauszug von / Text excerpt from He Guiyan: „Time and Time”, 时间 与《时间》 , 2015, ISBN 978-7-5356-7420-3, 412 Seiten/ pages.
2. S./ pp. 84-87: Textauszug von / Text excerpt from Peng Feng: „Center and Periphery: A Philosophical Reading of Tan Ping’s Art”, 《一划》 中 心与边缘:谭平艺术的哲学解读》 , 2012, ISBN 978-7-5060-5916-9, 116 Seiten/ pages.
3. S./ pp. 96-97: Textauszug von / Text excerpt from Tony Brown „Following the Line: Tan Ping‘s Drawing“, 《彳亍 : 循迹而行:谭平的绘 画 》 2014, unanhängiger Verleger / independent publisher, 142 Seiten/ pages.



