




Tue Greenfort, *1973 in Holbaek, DK, lebt / lives in Horbelev, DK
Biobasierter Kunststof / Bio-based plastic (PLA) im 3D-Druck / in 3D-printing,
Betonfundamente / concrete foundations, Metall / metal
Tue Greenfort abstrahiert und übersetzt drei Wachstumsstadien einer Pflanze in skulpturale Formen: von den ersten spargelähnlichen Keimen über die Herausbildung der ersten zusammengerollten Blätter hin zur Entwicklung von, hier vergrößerten und zu einem Turm gestapelten, Blütenständen. Nachts leuchten die mit Licht speichernden Pigmenten versetzten Skulpturen verhalten vor sich hin. Sie sind in einem fachen städtischen Brunnen mit Betonfundamenten befestigt, in denen ein wucherndes Wurzelgefecht eingegossen ist. Mit diesem Brunnen und den Treppenstufen, die zum Fluss Chemnitz herabführen, hat der Seeberplatz etwas von einem antiken Theater. Doch statt Schauspielenden sehen wir den Fluss und sein Ufer. Dort hat sich seit einiger Zeit die Pfanze ausgebreitet, für die sich Tue Greenfort interessiert: der Japanische Staudenknöterich.
Der Knöterich hat hierzulande einen schlechten Stand, ist er doch aufgrund seines enorm schnellen Wachstums und seiner besonderen Anpassungsfähigkeit imstande, sich rasant auszubreiten. Mit seinen ausladenden, dicht bewachsenen Ästen raubt er kleineren Pfanzen das Licht und behindert somit ihr Wachstum. Besonders in Biotopen ist das ein Problem. An Wasserläufen lässt sich beobachten, wie der Knöterich die bestehende Flora zunehmend verdrängt. Dabei spielt das Wurzelnetz eine besondere Rolle. Das sich immer weiter ausdehnende Wurzelnetzwerk soll eine Kraft haben, die imstande ist, Betonfundamente zu destabilisieren. Und bereits aus einem wenige Millimeter großen Stück dieses Gefechts kann eine neue Pfanze wachsen. Die Pfanze fndet sich insbesondere an Ufern von Gewässern wie der Chemnitz, nicht etwa, da sie ein besonderes Maß an Feuchtigkeit bedarf. Tatsächlich gedeiht der Staudenknöterich nahezu überall, wo er ein einfaches Substrat vorfndet. Flüsse spielen eher als „Ausbreitungs-Autobahn“ eine Rolle: Fällt bereits ein kleines Sprossteil oder Bruchstück der Pfanze hinein, wird es vom Gewässer über weite Strecken transportiert und an neue, bisher unerschlossene Stellen angespült. Auch die zahlreichen Abriss- und Bauprojekte nach der Wende, bei denen Baugruben mit ungeprüftem Material gefüllt wurden, brachten oftmals Stücke des Rhizoms mit aus. Heute fndet man Inseln des Staudenknöterichs auf wenig genutzten Flächen, neben Bahn-
Tue Greenfort’s sculptural forms abstract from and transpose three growth stages in the development of a plant: from the frst asparagus-like sprouts, to the formation of the initially rolled leaves, to the development of blossoms, here enlarged and piled up in the shape of a tower. Light-absorbing pigments have been applied to the sculptures so that they glow faintly at night. They are secured in a fat municipal fountain with concrete foundations into which a burgeoning mesh of roots has been embedded. Due to this fountain and the steps down to the River Chemnitz, Seeberplatz has something of an antique theater feel about it. But instead of actors we see the river and its banks. And there, for some time now, a plant has been thriving that is of interest to Tue Greenfort: the Japanese knotweed.
In these parts, knotweed has a bad reputation, as it is capable of spreading wildly thanks to its incredibly swift growth and exceptional adaptability. Its sprawling, densely covered branches rob smaller plants of light and so hinder their growth. This is especially problematic for biotopes. It is possible to observe how knotweed increasingly crowds out existing fora along watercourses. The root network plays a particular role in this. The ever expanding network is said to have the strength to destabilize concrete foundations, and a new plant can grow out of just a few millimetres of this mesh. The plant can be found especially on the banks of waterways like the River Chemnitz, although not because
Brunnen am / Fountain at Seeberplatz
And still Phaethon falls.
Fossil fuels inspire “fre engines,” each rapidly redesigning the other, in a spiral of industrial fre. The fery prime movers, steam, then internal combustion, fed on fossil fuels, turn the greased wheels of industry.
The industrial world has little use for messy and dangerous naked fame. Fire withdraws from sight. Electricity, rather than elemental fame, keeps our cities shining through the night.
As good fres—primeval, regulatory—lag further each year, bad fres have gotten worse. In Italy, France, and Spain, in Canada and California, summer fres now consume whole forests.
Fire forces its way back into the imagination.
While fusion reactors strive—Phaethon-like—to harness the power of the sun, industrial burning belches still more vigorously, unhinging the planet, too singular, too disaggregated—Prometheus Unbound.
So profound is the disturbance, it has unsettled even the stories we share, of fre and of ourselves. Both narratives and narrators becoming unreliable distortions—straw men leaning together, while still Phaethon falls.
SIMON STARLING
Performances / Intervention mit Vokalisierung / with vocalization, Dauer / duration: 5 min
ABB. 1
Als wir 2010 das Projekt Urban Play in Jakarta umsetzten, hatte es zuvor eine enorme Abwanderungswelle vom Land in die indonesische Hauptstadt gegeben, der jedoch nicht mit einer angemessenen Handhabe der Infrastruktur entgegengesteuert wurde und die die Tragfähigkeit der Umwelt überforderte. Ein veraltetes System musste Veränderungen im Verhalten einer ländlichen Bevölkerung tragen, die sich zu einer spezifsch urbanen Bevölkerung wandelte, kompetitiver im Wettstreit um Wohnraum.
Uns, die vor einigen Jahren selbst Teil dieser Landfucht waren, wäre ein Wegzug aus Jakarta nicht mehr leichtgefallen, da unsere Überlebensstrategien bereits mit dort verankerten Einfüssen verknüpft waren, die sich wiederum darauf auswirken, dass sich in Gegenden außerhalb der Hauptstadt nur wenige neue Wachstumsmöglichkeiten entwickeln. Unsere Stimmen als Bürger:innen werden derweil durch kurzfristige praktische Interessen vereinnahmt, durch Korruption, geheime Absprachen und Vetternwirtschaft – ein Vermächtnis des Regimes der „Neuen Ordnung“ (Orde Baru), das bis heute nachwirkt.
1
When we first made the Urban Play project in Jakarta in 2010, there had been a massive wave of urban migration to Jakarta, the capital of Indonesia, that unfortunately was not balanced out with environmental carrying capacity and proper infrastructure management. The outdated system was being forced into facing the dynamic behavioral change of rural people into specifcally urban people who are more competitive in the struggle for living space.
We, being among the rural-to-urban migrants some years ago, found moving out of Jakarta to be a tough choice because our way of survival was already tied to infuences centered in Jakarta, which also play a role in inhibiting the growth of opportunities in areas outside the city. Meanwhile, our votes as citizens are covered by short-term practical interests, corruption, collusion, and nepotism—legacies from the New Order (Orde Baru) regime that continue to this day.
Innenstadt / City center
sich. Manches davon kann bestimmten Ereignissen zugeordnet werden, etwa der Einführung von Karakulschafen, die eine verstärkte Verteilung der Samen unterschiedlicher Gehölzarten bewirkte.7 Vieles jedoch schreitet schrittweise voran, auf eine weniger klar umrissene Art und Weise, die wir erst jetzt zu begreifen beginnen. Rasch wird klar, dass ohne die Orientierung an mündlich überlieferten Zeugnissen Bilder allein so viel verbergen, wie sie zeigen. Diese „Blicke von nirgendwo“8 nehmen eine leidenschaftslose Position der Allgemeingültigkeit ein und untergraben damit zutiefst lokale und komplexe Beziehungen zwischen indigenen Völkern und ihren Ökologien. Mit der Präsentation dieser Arbeit verweisen wir auf eine dekoloniale Ökologie, darauf ausgelegt, Gewalt an der Umwelt als eine Fortsetzung von ausbeuterischen, durch den Kolonialismus geschaffenen Methoden zu verstehen. Unsere Rekonstruktion historischer Umgebungen soll den Verlust bereits ausgeschlossener ökologischer Zukünfte unterbrechen, ihre Körperlichkeit wird durch das mündliche Erbe der Nachfahren bereichert, das weiterhin unsere Arbeit beeinfusst und uns einstimmt auf neue Ökologien, die einst waren und auch wieder sein können.
ABB. 7
Während unserer Feldforschung im September 2023 fanden wir einige leere Patronenhülsen, Kaliber .577 und .450 des Martini-Henry-Gewehrs, übereinstimmend mit denen der Witboois, die ihre Munition bei britischen Händlern kauften. Eines dieser Geschosse wurde als unser Ausstellungsstück für den öffentlichen Raum in Chemnitz ausgewählt, spezifisch für den Platz vor der ehemaligen Hartmann-Fabrik, die während des Ersten Weltkriegs zur Wafenherstellung genutzt wurde. Zum einen ist die Patrone ein Symbol des Widerstands der Witbooi-Nama gegen die Kolonialherrschaft. Zugleich gilt das Ausstellen dieses Artefakts im öffentlichen Raum in Chemnitz als Kommentar zur Alltäglichkeit des gefundenen Objekts, verstreut zwischen Gestein auf der Erde der Farm, wo Menschen und Tiere schon seit vielen Jahrzehnten auf der ausgelöschten Witbooi-Siedlung gelebt hatten.
Die genaue Betrachtung der Umwelt, die im Laufe dieser Arbeit entstanden ist, eröfnet nicht nur die Vergangenheit, sondern auch mögliche Zukünftigkeiten von Widerstand. Wie die Umwelt in Hornkranz die Narben des Völkermords von 1893 trägt, so trägt diese Hülse den Widerstandswillen der Witbooi-Nama, fortgesetzt in den Forderungen ihrer Nachfahren, unbeschränkten Zugang zu ihren Gedenkorten zu erhalten und letztendlich die Rückführung des Landes ihrer Vorfahren.
Wir hofen, dass dieses Projekt einen neuen Impuls für kolonisierte, durch Genozid und Klimakatastrophe beeinträchtigte Völker setzt, um Initiativen öfentlicher Bildung und opferorientierter Justiz weiterzuverfolgen. Seine gemeinschaftliche und gemeinschaftsorientierte Machart verfolgt neue Ansätze einer transnationalen Erinnerungskultur und neue Vorschläge sinntragender Wiedergutmachung, verwurzelt in Gewahrsein, Anerkennung, Bewahrung und Entschädigung.
ABB. 8
FORENSIS/FORENSIC ARCHITECTURE
reconstruction of historical environments is meant to punctuate the loss of ecological futures foreclosed, their materiality enriched by the inherited testimonies of descendants, which continue to inform our work and make us attuned to the new ecologies that were and can be again.
FIG. 7
During our feldwork in September 2023, the team recovered a number of spent bullet cartridges, identifed to be .577 and .450 Martini Henry calibres—consistent with those used by the Witboois, who purchased their munition supplies from British traders. One of these bullets was chosen as our exhibit in the public space of Chemnitz. The site chosen for this exhibit is the plaza in front of the former Hartmann factory. We learnt that during the First World War, the factory was used for munitions production.
On one hand, the bullet constitutes a symbol of anticolonial resistance of the Witbooi Nama to the colonial regime. On the other, exhibiting this artefact in the public space of Chemnitz speaks to the mundane nature of the found object strewn among rocks on the ground of a livedin private farm, where people and animals had lived for decades on the erased Witbooi settlement.
The close reading of the environment developed throughout this work not only reveals the past; it also invites possibilities for futurities of resistance. As the environment in Hornkranz bears the scars of the genocide perpetrated in 1893, this canister carries with it the defance of the Witbooi Nama whose resistance lives on in the descendants’ calls for free and open access to their sites of remembrance and, ultimately, the restitution of their ancestral lands.
We hope this project will ofer a new precedent for colonized peoples afected by genocide and climate breakdown to pursue initiatives of public education and restorative justice. Its deep collaborative fabric and community-led approach envisions new approaches to a transnational culture of remembrance, and new propositions for meaningful reparation, rooted in awareness, acknowledgment, preservation, and restitution.
FIG. 8
FORENSIS/FORENSIC ARCHITECTURE
Abb. / Fig. 6 Einteilung der Pflanzendecke: / Vegetation cover classifcation: Vergleich / comparison, 1967/2021 (© Forensic Architecture/Forensis, 2024)
Abb. / Fig. 7 Vergleichende Umweltrekonstruktion anhand von Fernerkundung und mündlich überlieferter Zeugnisse / Comparative environmental reconstruction based on remote sensing and inherited testimonies (© Forensic Architecture/Forensis, 2024)
Abb. / Fig. 8 In Hornkranz gefundene Patronenhülsen / Cartridges found in Hornkranz Feldforschung / feldwork, September 2023 (© Forensic Architecture/Forensis, 2024)
1 Édouard Glissant: Poétique de la relation (Poétique III), Gallimard 1990.
2 Akten des Reichskolonialamtes, Bundesarchiv, R1001/1483, S. 46.
3 Casper Erichsen und David Olusoga: The Kaiser’s Holocaust: Germany’s Forgotten Genocide and the Colonial Roots of Nazism, Faber & Faber 2010, S. 64.
4 George Steinmetz: The Devil’s Handwriting: Precoloniality and the German Colonial State in Qingdao, Samoa, and Southwest Africa, University of Chicago Press 2007, S. 118.
5 Wolfgang Werner: „A Brief History of Land Dispossession in Namibia”, in: Journal of Southern African Studies 19, 1 (1993), S. 135–146.
6 R. F. Rohde und M. T. Hoffman: „The Historical Ecology of Namibian Rangelands: Vegetation Change Since 1876 in Response to Local and Global Drivers”, in: Science of the Total Environment 416 (2012), S. 276–288.
7 Ebd.
8 Thomas Nagel: Der Blick von nirgendwo, aus dem Englischen von Michael Gebauer, Suhrkamp 2012.
1 Édouard Glissant, Poétique de la relation (Poétique III) (Gallimard, 1990).
2Imperial Colonial Office Files, Bundesarchiv, R1001/1483, p. 46.
3Casper Erichsen and David Olusoga, The Kaiser’s Holocaust: Germany’s Forgotten Genocide and the Colonial Roots of Nazism (Faber & Faber, 2010), p. 64.
4See George Steinmetz, The Devil’s Handwriting: Precoloniality and the German Colonial State in Qingdao, Samoa, and Southwest Africa (University of Chicago Press, 2007), p. 118.
5 Wolfgang Werner: “A Brief History of Land Dispossession in Namibia,” in: Journal of Southern African Studies 19, 1 (1993), pp. 135–146.
6 R. F. Rohde and M. T. Hoffman: “The Historical Ecology of Namibian Rangelands: Vegetation Change Since 1876 in Response to Local and Global Drivers,” in: Science of the Total Environment 416 (2012), pp. 276–288.
7 Ibid.
8 Thomas Nagel, Der Blick von nirgendwo trans. Michael Gebauer (Suhrkamp, 2012).
„1. Tell the Earth, ‘I love you. I can’t live without you’.
2. At frst you may feel embarassed to be lovers with the Earth, Relax. Let it go. It’s OK.
3. Spend time with her.
4. Ask her what she likes, wants, needs – then try to give it to her.
5. Massage the Earth with your feet.
6. Admire her views often.
7. Circulate erotic energy with him.
17. Kiss and lick him.
18. Bury parts of your body deep inside his soil.
19. Plant your seeds in her. […]
25. Vow to love, honor, and cherish the Earth until death brings you closer together forever.“1
Diese Zeilen stammen aus dem Manifest 25 Ways to Make Love to the Earth (2009/2019) der Künstlerinnen Annie Sprinkle & Beth Stephens. In ihrem künstlerischen Forschungsfeld, das sie u. a. in Performances, Workshops und Lesungen nach außen tragen, spüren sie einer sogenannten Sex Ecology, d. h. den Schnittstellen zwischen Sexualwissenschaft und Ökologie, nach. Dabei betrachten sie die Erde als Mutter und zugleich Geliebte:r zugunsten einer non-binären, romantischen, liebevoll-sinnlichen und erotischen Beziehung mit der Natur (und anderen Menschen), ohne diese selbst zu vermenschlichen.2 Gleichzeitig bringt ihre Haltung ökoaktivistische Strategien mit sich, „a punk-rock, queer, drag, pinup grrrl version
“1. Tell the Earth, ‘I love you. I can’t live without you.’
2. At frst you may feel embarrassed to be lovers with the Earth, Relax. Let it go. It’s OK.
3. Spend time with her.
4. Ask her what she likes, wants, needs—then try to give it to her.
5. Massage the Earth with your feet.
6. Admire her views often.
7. Circulate erotic energy with him.
17. Kiss and lick him.
18. Bury parts of your body deep inside his soil.
19. Plant your seeds in her.
25.Vow to love, honor, and cherish the Earth until death brings you closer together forever.”1
These lines are taken from the manifesto entitled 25 Ways to Make Love to the Earth (2009/19) by the artists Annie Sprinkle & Beth Stephens. In their feld of artistic research, which they communicate to the outside world in, among other things, performances, workshops, and readings, they track down a so-called sex ecology, i.e., the intersection