96 OKT/NOV 22 ZKZ 76542 magazine I PREVIAL GET THE SHOT LORNA SHORE COUNTERPARTS THE WONDER YEARS STRAY FROM THE PATH SLEEPING WITH SIRENS PIANOS BECOME THE TEETH
05 THE CALLOUS DAOBOYS
My Band
05 OAK MAN
Kopf ĂŒber Wasser
05 MA XIM MENTAL
Perspektivwechsel
06 GR AUPAUSE
Eine kurze Werbeunterbrechnung
06 STA KE
Liebe, Tot und alles dazwischen
07 FL ITTERN
Bands fragen Bands
08 UP & COMING
10 ARC HITECTS
Sorry, weâre not technical anymore
12 SL IPKNOT
Nicht das Ende, noch nicht
14 CA LLEJON
Bestandsaufnahme
16 I PR EVAIL
Gemeinsam wachsen
18 INGE STED
Kinder, die Metal entdecken
20 REVOCATION
Höllische Zeichen
22 ST RAY FROM THE PATH
Am Puls der Zeit
2 3 BR UTUS
Break up oder breakthrough?
24 PI ANOS BECOME THE TEETH
Licht und Schatten im Einklang
25 GO ATWHORE
Alte Schule
2 6 LO RNA SHORE
Der Schmerz bleibt
2 7 SL EEPING WITH SIRENS
Back to the Roots
2 8 CA BAL
Die Party ist zu Ende
2 9 PO LAR
Alles immer ĂŒberall
IMPRESSUM
Fuze Magazine
Dennis MĂŒller, P.O.Box 11 04 20
42664 Solingen, Germany
(Pakete an: Fuze Magazine, HochstraĂe 15, 42697 Solingen)
Fon 0212 383 18 29, Fax 0212 383 18 30
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Redaktion:
Dennis MĂŒller, office@fuze-magazine.de
Anzeigen, Verlag: Joachim Hiller, mail@fuze-magazine.de
INDEX
30 ESCUELA GRIND Frevel!
35 DEST RAGE Unaufhaltsame musikalische Diarrhoe
3 6 POLYPHIA Jetzt mit Gesang
37 GE T THE SHOT Totaler Widerstand
38 BO RDERS Rap-Battles
3 9 COU NTERPARTS Zwischen DĂŒster und Twitter
40 OU R HOLLOW OUR HOME DIY mit Support
41 TH E WONDER YEARS Alte und neue Ăngste
42 OU R MIRAGE Von Sonne und Finsternis
43 BE HEMOTH Immer in Bewegung
44 BE TWEEN BODIES Zwischen Menschlich
45 UN PROCESSED Immer in Bewegung
46 TH E DEVIL WEARS PRADA Entdecker
47 DEF LESHED Eine akustische Ohrfeige
48 HI PPIE TRIM Rache des Schabentempels
49 INCLINATION BewuĂtseinsverĂ€nderung
5 0 PR ESS CLUB Du selbst sein
51 AR MOR FOR SLEEP 15 Jahre spÀter
52 BE ING AS AN OCEAN Eine Dekade spÀter
55 TO P 5
56 RE VIEWS
Verlag & Herausgeber: Ox-Verlag, Joachim Hiller HochstraĂe 15 42697 Solingen Germany
V.i.S.d.P.: Dennis MĂŒller (FĂŒr den Inhalt von namentlich gekennzeichneten Artikeln ist der/ die VerfasserIn verantwortlich. Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.)
Mitarbeiter der Ausgabe: Florian Auer, Christian Biehl, Marcus Buhl, Isabel Castro, Rodney Fuchs, Silke HĂ€ndeler, Joscha HĂ€ring, Christian Heinemann, Carsten Jung, Christina Kiermayer, Jeannine Kock,
STELL DIR VOR, ES IST EIN KONZERT
UND NIEMAND GEHT HIN. Man liest und hört es gerade ĂŒberall: Tourabsagen, Festivalabsagen, Konzertabsagen. Die GrĂŒnde sind teils unterschiedlich, teils aber auch Ă€hnlich: von fehlendem Personal oder nicht verfĂŒgbaren Vans bis zu schlechten Vorverkaufszahlen. LIGTH THE TORCH sagen alle Supportdates fĂŒr GWAR in den USA ab, weil sie keinen Van oder Bus bekommen. MANTAR streichen einen groĂen Teil ihrer Tour, weil es angesichts schleppender TicketverkĂ€ufe keine Garantie gibt, am Ende nicht knietief in den Miesen zu stehen. Ein Freund erzĂ€hlt mir, dass sie nicht wissen, ob sie ihren Club bei den hohen Gaspreisen im Winter heizen können, und lieber gleich dichtmachen. Sehen wir hier gerade unsere Szene sterben? So dramatisch ist es nicht. Punk, Metal und Hardcore waren immer Subkulturen und die wird es auch immer geben. Aber es ist ein empfindlicher Schlag fĂŒr alle, die geholfen haben, dass unsere Szene so groĂ geworden ist. Klar, Bands gehören dazu, aber auch Booking-Agenturen, Venues, lokale Veranstalter:innen, Tontechniker:innen und viele andere stehen gerade nicht besonders gut da. Und man kann nicht mal irgendjemandem einen Vorwurf machen. Wir leben in unsicheren Zeiten, niemand weiĂ so genau, was finanziell auf uns zukommt, und sich dann in Unkosten zu stĂŒrzen, um Tickets zu kaufen, kann man von niemandem verlangen. Dennoch: Wenn wir weiter Shows sehen und auf Festivals gehen wollen, und das nicht nur von den ganz GroĂen des Genres, dann gilt es auch hier weiter Support zu zeigen. Bei den Bands und gerade auch bei den lokalen Szenen und kleinen Festivals und Shows. Denn genau da kommen die nĂ€chsten groĂen Bands her. Wenn diese lokale Szene wegstirbt, dann haben wir ein echtes Problem. Also bleibt dran, bleibt dabei und unterstĂŒtzt, was euch wichtig ist.
Dennis MĂŒller (office@fuze-magazine.de)
DAS FUZE IST EIN MUSIKMAGAZIN,
das alle zwei Monate erscheint und sich auf Hardcore, Metal und Emo spezialisiert hat.
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Ein Abonnement ĂŒber sechs Ausgaben kostet 18 Euro und kann unter ox-fanzine.de/abo bestellt werden.
Einzelausgaben, auch Ă€ltere, sind fĂŒr 3 Euro (inkl. Versand) erhĂ€ltlich unter ox-fanzine.de/shop
Marvin Kolb, Anton Kostudis, Arne Kupetz, Britt MeiĂner, Andreas Regler, Ingo Rieser, Josefine Schulz, Philipp Sigl, Noel Sommerkamp, Manuel Stein, Jonas Unden, Sarah Weber, Philip Zimmermann
Designkonzept: www.janinawilmes.de
Layout: Alex GrÀbeldinger
Lektorat: Ute Borchardt
Coverfoto: Ed Mason
Coverdesign: Alex GrÀbeldinger
Vertrieb: Eigenvertrieb, Cargo, Green Hell, Core Tex, Impericon
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light the fuze
THE CALLOUS DAOBOYS
OAKMAN
Ich bin neugierig, worauf bezieht sich das âDaoâ? Es machte phonetisch einfach mehr Sinn als âDowâ, wir fanden es komisch, es als âDowboysâ zu schreiben.
Mein erster Gedanke, als ich das Album hörte: Das klingt wie THE DILLINGER ESCAPE PLAN. Wie schwer ist es, nicht mit dieser Band verglichen zu werden, wenn man Mathcore spielt? Wie groà war ihr Einfluss auf die Szene und eure Musik?
âCelebrity Therapistâ ist ein sehr abwechslungsreiches Album, das sicherlich kein einfaches Hörerlebnis ist. Ich denke, ich habe den Vergleich inzwischen einfach akzep tiert. NatĂŒrlich stört es mich nicht, sie sind eine meiner Lieblingsbands aller Zeiten, aber es schmerzt schon ein wenig, wenn man uns als Abklatsch bezeichnet, ich denke, wir machen definitiv unser eigenes Ding. Was, wĂŒrdest du sagen, ist die beste Umgebung, um es zum ersten Mal zu hören?
Das Licht dimmen, einen Anzug anziehen, den Ex anrufen, weinen, âCelebrity Therapistâ anmachen. Hast du einen Lieblingsaspekt in eurer Musik?
Ich liebe es, schrÀgen Shit einzubauen, vor allem Elemen te aus Jazz und elektronischer Musik, die ich viel mehr höre als Heavy Music.
FĂ€llt es euch eigentlich schwer, eure Sachen zu ver markten, da es wahrscheinlich nicht die einfachs te Musik ist, die man sich anhören kann ... Ich habe zur Zeit das GefĂŒhl, dass Mathcore und Metalcore der Nuller Jahre wieder im Kommen ist.
Es ist nicht schwer zu vermarkten, ich denke, die Leute wissen nicht, was sie wollen, bis sie es hören. Das Revival ist cool, aber ich liebe diese Musik schon seit langem, also komme ich wohl nicht mit ganz frischen Ohren daher. Ich bin aber sehr froh, ein Teil davon zu sein!
Ihr habt eine Geige, die euren Sound wunderbar er gĂ€nzt. WĂŒrdest du sagen, dass die meisten Bands zu eingeschrĂ€nkt sind, wenn sie nur Bass, Schlagzeug und Gitarren haben?
Nicht so sehr eingeschrĂ€nkt, aber ich denke, dass viele Bands Angst davor haben, so experimentell zu sein, weil sie denken, dass sich damit keine Platten verkaufen las sen, obwohl das durchaus der Fall ist. Die Geige, das Sa xophon, die Tatsache, dass so viele Leute auf der BĂŒhne stehen â all das sind Argumente fĂŒr die Band.
Warst du gut in Mathe und denkst du, dass es wichtig ist, um Mathcore zu spielen?
Ăberhaupt nicht wichtig, ich war ein schlechter SchĂŒler. Gibt es etwas, das du zu âCelebrity Therapistâ ergĂ€n zen möchtest?
Es ist das Beste, was wir je gemacht haben, ich hoffe, es gefÀllt euch.
Rodney Fuchs
KOPF ĂBER WASSER. Die Songs von OAKMAN gefallen aufgrund ihrer immensen EingĂ€ngigkeit. Auf seiner neuen EP âSPCâ tritt das Trio aus Lyon mit einem Alt/Indie-Pop/Rock an, der jedes der sechs StĂŒcke treffsicher in einen nachwirkenden Ohrwurm verwandelt.
âUnser Anspruch ist es schlicht, dass wir das tun, was wir lieben und was wir fĂŒhlenâ, gibt sich SĂ€nge rin/Gitarristin Marine Lanzillotta bescheiden. âUnd das wollen wir auf eine organische Art und Weise tun. NatĂŒrlich hat sich die Musik seit unseren AnfĂ€ngen weiterentwickelt. Auch das, was uns beeinflusst, hat sich verĂ€ndert und erweitert. Wir wachsen und rei fen, aber der einzige Grund, warum wir Musik machen, ist, dass das unsere Leidenschaft ist. Unsere Absicht war es schon immer, Popmusik zu spielen, jedoch vol ler Wut und Kraft, weil man diese live besser wahrneh men kann. FĂŒr einige von uns bedeutete die GrĂŒn dung dieser Band ein ganz neues LebensgefĂŒhl, weil sie nun endlich die Gelegenheit haben, das zu tun, wofĂŒr sie bestimmt sind.â Das VerstĂ€ndnis der Fran zösin bezĂŒglich ihrer Kunst ist durch Pragmatismus bestimmt: âDie Grundlage des modernen Alt-Pop ist fĂŒr mich die Neukombinationen von Dingen, die es schon eine ganze Weile gibtâ, nĂ€hert sich Marine einer Definition.
âGenau da wird es interessant. Heute besteht das Ziel von Kunst oft nicht mehr darin, ein völlig neues Ele ment zu finden, das dieser Basis hinzugefĂŒgt wird. Das gibt es kaum mehr, weil die Variationen ohnehin schon endlos sind. Das ist dennoch etwas, das wir weiter entwickeln wollen. Und selbst das ist schon eine sehr schwierige Aufgabe geworden, weil es so viele extrem begabte Musiker gibt. Man kann schnell das GefĂŒhl haben, in diesem Fluss, der sehr, sehr schnell flieĂt, zu ertrinken. Deshalb ist es am besten, gar nicht erst groĂ zu suchen. So zu denken, lag auĂerdem noch nie in meiner Natur. Ich schreibe und komponiere immer völlig spontan. Meistens folge ich einer Inspi ration, die unbewusst von irgendwoher kommt, und verfolge keinen Plan, dieses oder jenes zu tun. Unsere Musik muss nicht zwingend im Einklang mit dem aktu ellen Zeitgeist stehen. Das wĂŒrde unserer Einstellung widersprechen. Uns ist es wichtig, authentisch zu sein, und das auszudrĂŒcken, was wir fĂŒhlen.â
Damit schlieĂt sich der Kreis: âUnser Name leitet sich von der Beziehung zwischen Mensch und Natur ab âvon der Verbindung, die wir mit ihr habenâ, erklĂ€rt die Frontfrau. âSie ist Teil eines jeden Menschen und wir wollten diese Verbindung symbolisieren. Die dahinter stehende Bedeutung reprĂ€sentiert die Individuen von OAKMAN. Wir sind drei Menschen â einfach und echt, aber im Inneren auch sehr chaotisch, leidenschaftlich und emotional. So wie die Natur.â Arne Kupetz
MAXIM MENTAL
PERSPEKTIVWECHSEL. Nach dem Ende von SAY ANYTHING lĂ€sst Max Bemis als MAXIM MENTAL dem Wahnsinn freien Lauf. Im Interview erklĂ€rt der Texaner, was sich dabei fĂŒr ihn geĂ€ndert hat und welche Blickwinkel er dabei mitunter einnimmt.
Auch wenn du mit âMake Team Presents Maxim Mental In Maximalismâ dein erstes Soloalbum vorlegst, erscheint es nicht unter deinem Namen.
Bei SAY ANYTHING ging es stets um einen erfundenen Charakter, wĂ€hrend ich bei MAXIM MENTAL wirklich ich bin. Der Name ist da, um es von SAY ANYTHING eindeu tig abzugrenzen. Auch damals habe ich ĂŒber meine Unsi cherheit, meine Wut und meine Leidenschaft gesungen und viele Platten waren sehr aufrichtig, trotzdem war die Stimme nicht meine. Ich habe mich nicht als der verletz liche Mensch geoutet, der ich bin. Bei MAXIM MENTAL zeige ich nun auch diese Seite von mir.
Im Track âJawbreakerâ heiĂt es: âI burned every bridge at the boys clubâ. Ist deine Zeit in Bands endgĂŒltig vorbei?
Nein, ich bin definitiv noch nicht fertig damit, in Bands zu sein. GröĂtenteils ist Punkrock aber immer noch ein Jungsclub im negativen Sinne und damit bin ich definitiv durch. Ich möchte auch nichts mehr mit Leuten zu tun haben, die dort mitmischen. De facto bin ich natĂŒrlich auch ein Mitglied dieses Clubs, weil ich mĂ€nnlich bin. Das ist der Grund, warum ich Dinge tue und sage, mit denen ich toxischer MĂ€nnlichkeit ins Gesicht spucke. Der Song handelt allgemein davon, wie meine Frau darunter gelitten hat, eine Frau in der Musikindustrie zu sein. Schon allein deswegen möchte ich jemand sein, der sich dafĂŒr einsetzt, dass alle gleichbehandelt werden â egal ob du eine Frau, ein Mann oder jemand bist, auf den diese Kategorien nicht zutreffen. Jedem, der nicht so denkt, möchte ich mich entschieden entgegenstellen. Das heiĂt aber nicht, dass ich nicht mehr Teil einer Band sein möchte.
Auch wenn du auf deinem Album in AbgrĂŒnde blickst, gerade was deine mentale Gesundheit betrifft, ringst du den Dingen immer wieder eine komische Seite ab. Ist das deine Art, Sachen zu verarbeiten, oder ist die RealitĂ€t wirklich so absurd? Beides, die AbsurditĂ€t ist meine BewĂ€ltigungsstrate gie und sie funktioniert am besten, weil wir uns tat sĂ€chlich immer wieder in lĂ€cherlichen Situationen wiederfinden. Ob das nun soziale ZusammenhĂ€nge sind oder sie die psychische Gesundheit betreffen. Wenn man einen Schritt zurĂŒck tritt, erkennt man die Komik und denkt sich: Das kann doch alles nur ein Witz sein! Das bedeutet nicht, dass man die Dinge nicht ernst nehmen sollte, aber es ist wichtig, sie auch mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Bei SAY ANYTHING habe ich das nur immer von einem sehr dĂŒsteren Standpunkt aus getan.
Christian Biehl
MY BAND. Mit SĂ€nger Tom sprechen wir ĂŒber das neue Album der Mathcore-Band aus Atlanta und darĂŒber, wie man mit dem ewigen Vergleich mit den groĂen Vorbildern umgeht.
Foto: Grant Butler
Foto: Sherri Bemis
5 light the fuze
GRAUPAUSE
EINE KURZE WERBEUNTERBRECHUNG. Das neue Album der Band aus LĂŒdenscheid trĂ€gt den Titel âGestern wird superâ â mit SĂ€nger Sven sprechen wir ĂŒber Werbeslogans, die sich ins Hirn gefressen haben, und andere Katastrophen der Menschheit.
Euer neues Album beginnt mit âVersprochen ist versprochenâ. Ich war erschrocken, wie viele der dort aneinandergereihten Slogans ich sofort zuordnen konnte. Ging es dir auch so, als du den Text geschrieben beziehungsweise das erste Mal gelesen hast?
TatsĂ€chlich ist es erschreckend, wie viele Werbeslogans sich in unser Unterbewusstsein gekrallt haben und auch nach Jahren sofort prĂ€sent sind â teilweise sogar mit
der dazugehörigen Melodie, einem Promi-Gesicht oder Ăhnlichem. Wahnsinn! VerrĂŒckt ist aber auch, wie viel Blödsinn den Konsumenten versprochen wird. Und genau das wollen wir mit dieser Aneinanderreihung der leeren Versprechen und Inhalte auch deutlich machen. Wir waren sowohl erschrocken als auch amĂŒsiert, als wir den Text das erste Mal durchgegangen sind und einzelne Slogans ausgetauscht oder verschoben haben.
Wenn ich ein zentrales Thema des Albums benennen mĂŒsste, dann ist es der aktuelle Zustand der Welt und wie die Menschen sie weiter ausbeuten â das greift ihr ja in mehreren Songs auf. Ist das eure Art damit umzugehen? Empfindet ihr da manchmal auch eine gewisse Ohnmacht, wenn ihr die Nachrichten hört? Ja, dieses GefĂŒhl, dass alles den Bach runtergeht und sich der Wahnsinn da drauĂen nicht stoppen lĂ€sst, stellt sich immer mal wieder ein. Das kann einen auch schon mal erdrĂŒcken. Die Wut ĂŒber die ZustĂ€nde ist aber jedes Mal stĂ€rker. Und wir haben das groĂe GlĂŒck, unsere GefĂŒhle in Musik verpacken und rausschreien zu können. Das ist, gerade in der aktuellen Lage, ein Geschenk, das wir â neben der engen Freundschaft untereinander â ganz besonders zu schĂ€tzen wissen. Bei all der ganzen ScheiĂe da drauĂen darf man aber nicht vergessen, dass es auch einige Menschen gibt, die tĂ€glich gegen den Irrsinn ankĂ€mpfen, die diese Welt noch nicht aufgegeben haben und die jede UnterstĂŒtzung gebrauchen können.
Verschwörungsmythen, Kapitalismus, Ausbeutung der Natur â das hĂ€ngt ja alles zusammen und findet sich alles auch auf dem Album. Wie sehr im Arsch sind wir eigentlich? Und kann Musik ein Gegenentwurf sein? GefĂŒhlt ist die Menschheit komplett im Arsch. Der Kapitalismus zerfrisst nach wie vor ungehemmt den Planeten sowie die Herzen und Hirne. Kriege, TerroranschlĂ€ge, Repression, Rassismus und die eben erwĂ€hnte Sorge um den Einsatz von Atomwaffen⊠Der blanke Irrsinn. Und dann ist da noch diese wahnsinnig gefĂ€hrliche vor sich hin brodelnde Mixtur aus Hysterie, Hetze und Fake News, die nicht nur an den Stammtischen, sondern auch in den sozialen Medien an der Tagesordnung ist und sich dadurch noch schneller verbreitet. Musik ist zwar nicht die Lösung des Problems. Musik kann aber auf jeden Fall eine laute und wichtige Stimme sein, um diese MissstĂ€nde deutlich zu benennen und anzuprangern. Und das ist wichtig, weil Musik ein Mutmacher ist und viele Menschen erreichen und miteinander verbinden kann.
Dennis MĂŒller
Ihr habt einen Teil âLiebeâ den zwei Teilen âTodâ und âVerfallâ gegenĂŒbergestellt â ist mehr von der âdunklen Seiteâ in dieses Album eingewoben? Nicht wirklich, als morbide Romantiker denken wir, dass sich die Liebe manch mal in etwas Negatives verwandeln kann. Wogegen der Tod der Beginn eines ganz neuen Kapitels sein kann, eines höheren Bewusstseins. Verfall fĂŒhrt automatisch zu Erneuerung, neuem Leben, vielleicht neuer Liebe. Das ist der Grund, warum wir diese drei Begriffe in unserem Albumtitel kombiniert haben. âDecay, Love And Deathâ wĂ€re auch ein guter Titel gewesen. Es ist nicht wirklich wichtig, in welcher Reihenfolge die Wörter vorkommen, wichtig ist, dass sie miteinander verbunden sind.
Der âTodâ scheint mit der Band verbunden zu sein â nicht wie ein Fluch, sondern als Teil eurer Kunst. Habt ihr das GefĂŒhl, dass eure Musik Teil eurer Trauererfahrung ist? Und wie manifestiert sich das in den Songs?
Der Tod ist Teil des Lebens, nicht nur unserer Musik. Es ist sicherlich eine Trauererfahrung, aber die Musik und die Kunst, die daraus entsteht, ist unsere notwendige Therapie. Obwohl diese ganze âTodes-Sache nicht der Hauptteil ist. Es gibt auch gute und erfreuliche Erfahrungen, die in diesen Songs stecken. Ich denke, das macht es zu einem farbenfrohen und kontrastreichen, angenehmen Album.
STAKE
LIEBE, TOT UND ALLES DAZWISCHEN. Unsere Fragen zum neuen Album beantwortet die Band gemeinsam auf Tour.
Hi, hier sind Brent (Gesang/Gitarre), der unser Wohnmobil fÀhrt, Cis (Gitarre) der CoPilot und Joris (Schlagzeug), der hinten tippt. Wir sind auf dem Weg nach Belgien zum Pukkelpop und haben gerade auf dem schönen ArcTanGent Festival in Bristol gespielt.
Euer neues Album heiĂt âLove, Death And Decayâ â ein Titel, der es in sich hat. WĂŒrdet ihr uns verraten, was sich dahinter verbirgt?
âLove, Death And Decayâ ist eine Reflexion unserer Erlebnisse und Gedanken der letzten drei Jahre, und fasst eigentlich die Themen all unserer Texte zusammen. Liebe und Tod sind das, was wir im letzten Jahr sehr viel erlebt haben. Dabei wurde uns auch klar, dass der Tod â und damit der Verfall â direkt mit der Liebe verbunden ist. Leider fangen Menschen oft erst an, jemanden oder etwas zu lieben, wenn es nicht mehr da ist oder in ihrem Leben fehlt.
Das ganze Album klingt, als ob viele Emotionen in die Musik und die Songs eingearbeitet wurden â ist âLove, Death And Decayâ wie eine Art Katharsis fĂŒr euch? War das bei STAKE schon immer so?
Jede Platte ist ihre eigene Reflexion der jeweiligen Zeit. Es kann schweres Zeug sein, mit Liebe zu tun haben, einfach nur alltĂ€glicher Mist, lustig oder schmutzig ... Wir zielen nicht unbedingt darauf ab, mit einem Song ein bestimmtes GefĂŒhl zu erzeugen. Zum Beispiel haben wir versucht, eine lustige Platte zu machen, aber am Ende wurde es eine traurige Platte, durchsetzt mit lustigen Momenten. Man weiĂ ja nicht, was einem im Leben begegnet. Es ist gut, dass wir unsere GefĂŒhle in Riffs und Bits kanalisieren können.
Ihr habt euch entschieden, die Songs auf physischen Formaten in einer anderen Reihenfolge zu veröffentlichen als in der digitalen Version, was ist die Idee dahinter? War es einfach, die Songs den verschiedenen Medien entsprechend zu arrangieren?
Wir dachten, dass die physische und die Vinyl-Version heutzutage zwei unterschiedliche Hörerfahrungen sind. Es erscheint uns gar nicht so seltsam, eine andere Reihenfolge fĂŒr diese Formate zu haben. Wir haben auch lĂ€ngere Songs auf dem Album, was es einfacher machte, sie auf der LP anders anzuordnen.
Dennis MĂŒller
Foto: Leon De Backer
Foto: Nils Baukus
6 light the fuze
FLITTERN
BANDS FRAGEN BANDS. Warum eigentlich âFlitternâ? Wart ihr ĂŒberhaupt schon mal in den Flitterwochen? Und wenn nein, wer wird der Erste von euch sein und warum? (David, KMPFSPRT)
Seb: Nö, von uns war noch niemand in den Flitterwochen. Ich war aber schon auf Hochzeiten und weiĂ, dass es darum geht, möglichst weit weg zu fliegen und einen möglichst teuren Urlaub zu haben. Ist das noch zeitgemĂ€Ă? Mit FLITTERN können wir ja gerade jeden Tag kostenlos âflitternâ.
Eure VorgÀngerband HEY RUIN wurde am damaligen Merchstand von der allwissenden Emozwiebel empfohlen. Was sagt diese nun zu FLITTERN? (David, KMPFSPRT)
Seb: Haha, die war vom Gitarristen AndrĂ©. Und ich glaube, der findet unsere Musik scheiĂe! Zumindest liket er keinen unserer BeitrĂ€ge. Sorry, AndrĂ©! Bussi!
Jan: Ich glaube ja, dass die Emozwiebel sehr zufrieden mit uns ist ... Ernie: Mich erfreut es mega, wie viele Menschen immer Bezug nehmen auf die gute, alte Emozwiebel. Ich wĂŒrde mir wĂŒnschen, dass sie uns auch weiterhin begleitet, und glaube, dass sie sich noch ziemlich gut mit unserer Musik identifizieren kann.
Seb: Ihr habt recht. Ich glaube, unsere Musik war noch nie mehr âemoâ!
Seit HEY RUIN erfahrt ihr eine Landflucht von Bandmitgliedern. Wer ist der NĂ€chste von euch, den es in die Eifel oder den Westerwald ziehen wird? (Christoph, EXAKT NEUTRAL)
Seb: Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wovon du sprichst!
Jan: Hahaha. So weit ich weiĂ, ist niemand in die Eifel oder den Westerwald geflohen ... Jens lebt in Koblenz und AndrĂ© in der ursprĂŒnglichen Heimatstadt von HEY RUIN. Also Trier. Aber vielleicht ziehe ich irgendwann nach in die NĂ€he von Königswinter und grĂŒnde eine Kommune mit ein paar befreundeten Musikern ...
Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie wĂŒtend seid ihr noch, dass wir euch den Schlagzeuger geklaut haben? (David, KMPFSPRT)
Seb: Null wĂŒtend! Also unter 1 sogar.
Jan: Ach ja?! Mindestens eine 8 auf der Wutskala. Ich finde, dass es eine bodenlose Frechheit ist.
Ernie: TatsĂ€chlich ĂŒberwiegt Besorgnis: Die Timeline dieses Mannes zeichnet ein einziges Bild der Entgleisung, seit er sich dieser Band mit dem unaussprechlichen â vermutlich okkulten â Namen angeschlossen hat. Free Jan!
Apropos Schlagzeuger: Wer ist der stilistische Architekt hinter Jans sexy Outfits mit short Shorts, wilder MĂ€hne und Batikshirt? (David, KMPFSPRT)
Jan: Was soll ich sagen?! Was stilistische Eskapaden angeht, war ich immer zielsicher. Die shorten Shorts sind dem Einfluss meiner Freundin Mareike geschuldet, die mich auch stets motiviert, das nÀchste modische Niveau zu erreichen. Das Batikshirt geht auf das Konto einer Band, mit der wir mal getourt sind.
Was verbirgt sich hinter den aufgeschlagenen Knien auf eurem Albumcover? (Christoph, EXAKT NEUTRAL)
Seb: Die Platte ist ja ĂŒber Erlebnisse aus unserer Jugend und unser âErwachsenwerdenâ. DafĂŒr fanden wir das einfach eine schöne Metapher.
Jan: Hinter den blutigen Knien verbirgt sich auch ein echt zĂ€hes Ringen und Suchen nach einem Albumcover. Jeder hat ja seine eigenen Erinnerungen und Assoziationen, was die Kindheit und das GroĂwerden angeht. So kamen etwa eine Million verschiedene Ideen und Bilder ins GesprĂ€ch und alles, was einer gut fand, fanden zwei andere so mehr oder wenig unpassend. Aber offene Knie kannte jeder.
Mal ernsthaft, welche Bands, wĂŒrdest du sagen, hatten den gröĂten musikalischen Einfluss auf den Sound und die Herangehensweise bei FLITTERN? (David, KMPFSPRT)
Seb: TatsĂ€chlich ernsthaft FLEETWODD MAC. Ich habe so vor zwei oder drei Jahren zum ersten Mal âTango In The Nightâ gehört und da hat es noch mal auf besondere Weise klick gemacht. Die Art und Weise, wie da jede Note durchdacht ist und alles ineinandergreift und doch eine gewisse Leichtigkeit hat, finde ich sehr beeindruckend. Das Artwork ist auch totally geil!
Jan: Ich dachte ja eher an BRING ME THE HORIZON und Thees Uhlmann. Aber gut ...
Wenn ihr euren Fans Musikempfehlungen geben mĂŒsstet, wĂ€ren das welche Bands aus den Genres Punk, Hardcore, Metal und Rap? (Christoph, EXAKT NEUTRAL)
Seb: Punk: BETWEEN BODIES und DURRY. Hardcore: ORTHODOX und ROLO TOMASSI. Metal: Davon hab ich keine Ahnung. Rap: OG Keemo, Pilz.
Jan: Punk: Alles ohne Travis Barker. AuĂer KMPFSPRT, die haben mir mit Travis am besten gefallen. Und ganz im Ernst, von FRENZAL RHOMB das 2011er Album âSmoko At The Pet Food Factoryâ. Hardcore: SNAPCASE. Immer fresh. Ansons ten bin ich raus, weil ich nur noch so selten Hardcore höre. Ah ... und GIVER aus Köln. Die finde ich schon auch ganz geil. Metal: AT THE GATES. Ansonsten natĂŒr lich METALLICA. Keine andere Band hat gleichermaĂen eindrucksvoll prĂ€sentiert, wie man Metal machen soll und wie man ihn nicht machen soll. HipHop: Das ist ja genau mein Ding. Alles, wo der Retrogott und Hulk Hodn ihre Finger im Spiel haben. Und THE LESSON GK.
Dennis MĂŒller
Foto: Sebastian Igel
7 light the fuze
Makhaira
Heimat: Wir leben alle verstreut im Rhein-MainGebiet. Die lokale Szene ist in den letzten Jahren hier ziemlich eingeschlafen, wie es jetzt allerdings nach Corona weitergeht, lĂ€sst sich noch nicht abse hen. Es fĂŒhlt sich aber an, als hĂ€tten die Leute wie der viel mehr Lust auf Shows und Veranstaltungen nach der zweijĂ€hrigen Zwangspause. Einen besonde
UP & COMING UP
ren Einfluss auf unseren Sound hat die Herkunft nicht. Man könnte umgekehrt sagen, dass es wenige Bands in unserer Musikrichtung hier gibt, was den Drang, MAKHAIRA zu grĂŒnden, verstĂ€rkt hat.
Was war: Jeder von uns hat bereits in diversen Bands gespielt und wir kennen uns alle auch durch viele gemeinsame Konzerte schon seit ĂŒber zehn Jahren. Ich war unter anderem bei CARRY THE DEAD und RISING ANGER, Phil bei DONE und HUMAN TOUCH, Emil bei YESTERDAY I HAD ROADKILL und Björn spielt aktuell auch bei NOTHINGS LEFT. Wir haben letztes Jahr unsere erste EP âForced To Existâ in Eigenregie ĂŒber Band camp, Spotify, Apple Music etc. veröffentlicht.
Was ist: Aktuell bereiten wir uns auf unsere ersten Kon zerte vor und arbeiten an neuem Material. AuĂerdem veröffentlichen wird demnĂ€chst ein Video zum Song âOf light and darknessâ, das auch komplett in Eigenre gie entstanden ist. Infos zum Release werden wir schon sehr bald auf unseren Social-Media-KanĂ€len posten.
Was kommt: In erster Linie wollen wir viele Shows spie len. Im Idealfall auch in zwei Jahren noch, und dann
natĂŒrlich mit neuen Songs. Einen festen Plan verfolgen wir nicht, aber es ist angedacht, als NĂ€chstes eine MiniEP mit dem aktuellen Line-up zu veröffentlichen. SelbstverstĂ€ndnis: Durch die Auflösungen unserer alten Bands und die lange gewachsene Freundschaft untereinander in den letzten zehn Jahren entstand der Wunsch, eine neue Band zu grĂŒnden, die einen extrem kompromisslosen, ehrlichen und wĂŒtenden Sound ohne viele Gimmicks auszeichnet. Die Texte unserer ersten Platte, die allerdings noch von unserem ersten SĂ€n ger Chris stammen, handeln viel von mentalen Proble men und Depressionen, darauf sind wir allerdings nicht festgelegt und das kann sich bei kommenden Releases auch Ă€ndern.
Klingt wie: Wir wĂŒrden unsere Musikrichtung als Metal lic Hardcore bezeichnen und sind sehr beeinflusst vom Sound des schwedischen Neunziger-Jahre-Metal wie ENTOMBED, aber auch moderne Bands wie NAILS, HARMâS WAY, END oder GATECREEPER gehören zu unseren Favoriten.
Flo, Gesang
Me On Monday
Heimat: Wir leben zur Zeit in Leipzig und Berlin. Aufge wachsen sind alle eher lÀndlich. Da brauchtest du min destens eine E-Gitarre, um dir die Zeit gut zu vertreiben. Die Szene könnte hier durchaus mehr bieten, aber vor allem unser Basser Luke hat es im Dessauer Beatclub
damals ordentlich krachen lassen ... erzÀhlt man sich. (Steffen)
Was war: Wir alle haben schon in einem wilden Mix an Bands gespielt â ĂŒber Metal, bis Deutschpop war wohl alles dabei. Luke wurde damals noch klassisch im Musi kladen angesprochen und rekrutiert. Ich kam ĂŒber eine Facebook-Anzeige zur Gang. Steffen kannten die Jungs aus einem Workshop. Seit 2018 sind wir jetzt als Freunde zusammengewachsen und es fĂŒhlt sich an, als wĂŒrden wir uns schon viel lĂ€nger kennen. Zwei EPs haben wir bisher zusammen rausgehauen. (Marius)
Was ist: Am 26.08. stand der Release unseres aller ersten Albums âFar From Overâ vor der TĂŒr. Wir sind so pumped, dass ich hier gleich vom Stuhl springe! Dazu planen wir eine coole Ăber-Mega-Record-ReleaseParty fĂŒr Oktober. (Titus)
Was kommt: Die Antwort ist leicht: Wir wollen auf Fes tivals! Am besten natĂŒrlich auf die, wo unsere Ikonen auch spielen: Highfield, Hurricane, Southside ... Wir
bereiten da gerade eine einmalige Bewerbungsmail fĂŒr euch vor! DafĂŒr werden nach dem Release fleiĂig neue Songs geprobt und auch unsere Live Show wird aufs nĂ€chste Level gebracht. (Steffen)
SelbstverstĂ€ndnis: Was uns verbindet, ist der PopPunk. Wir alle saĂen damals mit dem CD-Player auf dem Bett oder im Schulbus, hörten BLINK-182, SUM 41, die Klassiker eben. AuĂer Titus, der hörte die Pep pers. Ansonsten lachen wir gern ĂŒber uns selbst und geben uns immer ziemlich viel MĂŒhe bei allem, was wir so angehen. Ich glaube, das merkt man auch. (Steffen) Klingt wie: Leute die auf BLINK-182, SUM 41, SIM PLE PLAN oder MY CHEMICAL ROMANCE stehen, sind genau richtig bei uns. Diese wie auch DIE ĂRTZE, McFLY, BEARTOOTH und viele viele mehr sind Bands, die uns stĂ€ndig inspirieren und deren Platten wir fast auswen dig können. (Marius)
Steffen (Gitarre, Gesang), Titus (Drums), Marius (Gesang)
Heimat: Wir verteilen uns ĂŒber Wuppertal, Solingen, Bochum und Witten, haben uns aber bedingt durch die Lage unseres Proberaums fĂŒr Wuppertal als Ant wort auf die Frage nach unserer Homebase entschie den. Das Bergische Land und das Ruhrgebiet verfĂŒgen ja bekanntlich ĂŒber eine gesunde Metal-Szene, so dass man hier immer auf bekannte Gesichter trifft und sich fĂŒr eine Band wie uns viele Möglichkeiten und Kontakte ergeben.
Was war: Unser Gitarrist Ron hat die Band 2016 mit Hagen Thiele gegrĂŒndet, der sich spĂ€ter zwar mehr auf die Schriftstellerei konzentrierte und das Projekt daher verlieĂ, aber noch heute ein sehr guter Freund und UnterstĂŒtzer von uns ist. Was zunĂ€chst als kleines ZweiMann-Wohnzimmerprojekt gestartet ist, entwickelte sich im Laufe der Jahre entgegen den ursprĂŒnglichen PlĂ€nen und Erwartungen dann doch zu einer richtigen Band. Wir haben alle schon Erfahrungen in unterschiedlichen Bands aus dem Hardcore- und Metal-Bereich gesam melt und kamen ĂŒber gegenseitige Kontakte zusammen.
Was ist: KĂŒrzlich haben wir unsere DebĂŒt-EP âThe Ter rorâ auf allen wichtigen digitalen KanĂ€len veröffentlicht, um uns der breiten Masse erst mal vorzustellen. Diese besteht zwar ânurâ aus zwei Songs plus Intro, was aller dings bewusst so gewĂ€hlt ist. Wir haben mit âThe ter rorâ und âAcross the astral seaâ genau jene zwei Songs gewĂ€hlt, die gegenwĂ€rtig aus unserer Sicht die Band und den musikalischen Weg, den wir gehen wollen, am besten widerspiegeln.
Was kommt: Wir haben noch einige Songs in Arbeit, die wir gerne im Laufe des kommenden Jahres in Album form bringen wollen. Ein Label wĂ€re hierzu natĂŒrlich
super, weshalb wir dahingehend ebenfalls unsere FĂŒh ler ausstrecken. Auch auf dem Live-Sektor soll es jetzt endlich losgehen, nachdem uns die Pandemie da echt massiv ausgebremst hat. Erste Shows stehen an res pektive sind in Planung. Darunter auch ein eigenes klei nes Festival unter anderem mit PRAISE THE PLAGUE, DENOMINATION und NEORITE im kommenden Jahr. SelbstverstĂ€ndnis: Wir wollen in jedem Fall nicht die finsteren Doom-Death-Metal-Miesepeter sein, fĂŒr die wir schnell gehalten werden könnten, sondern auch ein GefĂŒhl der Hoffnung vermitteln, was gerade in die sen dunklen Zeiten wichtiger denn je ist. Hat auch nur ein Mensch durch uns ein gutes GefĂŒhl, dann haben wir erreicht, was wir wollten.
Klingt wie: Wir maĂen uns nicht an zu sagen, dass wir genau wie Band XY klingen, haben aber durch diverse Leute und auch im einen oder anderen bisher erfolg ten Review eine stilistische NĂ€he zu frĂŒheren PARADISE LOST und MY DYING BRIDE beziehungsweise zu Bands wie AHAB attestiert bekommen. Wenn jetzt noch je mand PALLBEARER mit in den Topf wirft, dann wĂ€ren wir ĂŒberaus glĂŒcklich.
Jens, Gitarre
Foto: Julia Schwendner
Foto: Sandra Pesch
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UTTER SILENCE
light the fuze
ARCHITECTS
EureAlben tragen hĂ€ufig sehr poetische Titel: âAll Our Gods Have Abandoned Usâ, âFor Those That Wish To Existâ und jetzt âThe Classic Symptoms Of A Broken Spiritâ. Was steckt hinter dem Namen des neuen Werks?
Sam: Es ist der Sound einer Band oder eher von uns als Menschen, die damit zu kĂ€mpfen haben, wo wir als Spezies stehen und wo die Welt sich befindet. Bei allem, was aktuell passiert, kann man sich schnell niedergeschlagen und hilflos fĂŒhlen. Was den Titel des Albums inspiriert hat, ist dieses GefĂŒhl der Hilflosigkeit â es immer wieder zu versuchen, aber wenn man sich umschaut, sieht man so viele Menschen, die es nicht einmal probieren. Dabei steuern wir geradewegs auf eine Katastrophe zu, die unausweichlich erscheint.
Alex: Die letzten Jahre haben uns alle an unsere Grenzen gebracht. Und diese Tatsache spiegelt sich musikalisch auf dem neuen Album wider. Wir als Band haben immer versucht, die Dinge optimistisch zu sehen, auch wenn manche Titel da etwas fehlinterpretiert wurden. Jetzt sind wir allerdings an einem Punkt, wo wir uns fragen: Oh Mann, wie soll es jetzt weitergehen?
Sam: Ja, genau. Wie der Titel schon sagt: Es geht um die klassischen Symptome einer gebrochenen Gesellschaft. Und ich denke, nicht nur wir fĂŒhlen uns so. Es gibt garantiert viele Menschen da drauĂen, die mĂŒde davon sind, fĂŒr das zu kĂ€mpfen, an was sie glauben und was aus ihrer Sicht das Richtige ist. Und keiner weiĂ so richtig, wie es in den nĂ€chsten Jahren weitergeht.
Eure Musik war schon immer sowohl persönlich geprÀgt als auch gesellschaftskritisch. Also ist es diesmal genauso?
Sam: Ich finde, es ist ohnehin schwierig, persönliche und politische EinflĂŒsse klar zu trennen, da die Politik so eine groĂe Wirkung auf unser Leben hat und unsere Sichtweisen extrem beeinflusst. Die Politik steckt in allem. Auf den ersten Blick wĂŒrde man nicht sagen, dass Politik und der Klimawandel zusammenhĂ€ngen, aber sie tun es sehr wohl. Letztendlich sind es die Politiker und Regierungen, die entscheiden, wann und mit welchen Mitteln wir die Netto-Null-Ziele erreichen. âThe Classic Symptoms Of A Broken Spiritâ ist ein sehr reflektiertes Album. Dan wollte etwas mehr Persönlichkeit und SelbsteinschĂ€tzung preisgeben, was ich super finde.
Alex: In den letzten Jahren haben sich ARCHITECTS eher generell zur Gesellschaft geĂ€uĂert und unsere Texte lieĂen viel Raum fĂŒr Interpretation. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis man in seiner Musik etwas mehr Persönlichkeit zeigen muss, damit nachvoll ziehbar wird, was den Songwriter beschĂ€ftigt und wo die Texte herkommen. Raum fĂŒr Interpretation ist klasse, fĂŒhrt manchmal aber auch zu einer mangelnden Connection zu den Hörenden. Ich finde es beeindruckend, dass Dan diesmal viel mehr persönliche Dinge preisgegeben hat. Und das ist, wenn du mich fragst, um ein Vielfaches schwie riger und mutiger, als immer nur in Metaphern ĂŒber unsere Gesellschaft zu sprechen.
Erst kĂŒrzlich habt ihr euren neuen Song âTear gasâ veröffentlicht, zusammen mit einem Musikclip. Dieses Video ist eher untypisch fĂŒr ARCHITECTS. Welche Bedeutung steckt dahinter und wie seid ihr darauf gekommen?
Sam: Das Video spiegelt wider, was alles falsch lÀuft, in der Welt und zeigt die Inkompetenz mancher Menschen, die an der Macht sind.
Alex: Das zeigt sich auch direkt in der Intro-Sequenz, in der wir vor dem PC sitzen und uns dieses Hunde-Video anschauen. Als die Warnhinweise aufploppen, versuchen wir,
sie einfach wegzuklicken, als ob das Problem zu ignorieren es auf magische Weise lösen wĂŒrde. Es ist so wie mit dem Klimawandel: Seit Jahrzehnten sehen wir die Anzeichen, aber tun nichts dagegen und lenken uns mit unwichtigen Dingen von der Katastrophe ab, als könnte man sich auch noch spĂ€ter darum kĂŒmmern.
Sam: Es hat echt SpaĂ gemacht, dieses Video zu drehen. Wir werden fĂŒr gewöhnlich als eine sehr ernste Band wahrgenommen. Das trifft aber absolut nicht auf uns als Menschen zu. Wir sind eigentlich ein Haufen verdammter Idioten, haha.
Alex: Wir wollten schon immer ein dĂŒmmlich-lustiges Video machen. Wir hatten schon einige Ideen, aber waren irgendwie immer zu ... nervös. Es gab halt auch Zeiten, in der das nicht wirklich passend gewesen wĂ€re.
Sam: Ja, stell dir mal âGone with the windâ mit so einem Video vor. Oh wow. Alex: Absolut. Aber mittlerweile ist die Band emotional wieder etwas stabiler, so dass wir Dinge in Angriff nehmen können, die wir schon immer mal ausprobieren wollten. Das soll nicht heiĂen, dass wir die frĂŒheren Videos in ihrem cineastischen Stil nicht mögen. Im Gegenteil.
Sam: Das Video erinnert mich ein bisschen an BEASTIE BOYS oder FOO FIGHTERS, also Bands, mit denen wir aufgewachsen sind und deren Clips wir uns immer und immer wieder angesehen haben.
Wegen Corona musstet ihr âFor Those That Wish To Existâ getrennt voneinander aufnehmen, richtig? Wie war es jetzt, ein Album wieder zusammen im Studio zu produzieren?
Alex: Eigentlich war die Vorgehensweise bei âFor Those That Wish To Existâ eher die Regel. Wir schreiben seit Jahren hauptsĂ€chlich remote, weil nur Sam und ich nah beieinander wohnen. Wir wussten also schon vor Corona, wie es funktioniert, und fĂŒhlten uns wohl damit. Bei âThe Classic Symptoms Of A Broken Spiritâ hatten wir aber mal wieder die Möglichkeit, gemeinsam im Studio zu sein. UrsprĂŒnglich woll ten wir nur Drums fĂŒr bereits fertiggestellte Songs im Studio einspielen und die restliche Zeit bei Sam Vocals und Bass aufnehmen. Dann haben wir aber angefan gen, neue Songs zu schreiben und mit neuen EinflĂŒssen zu arbeiten. So entdeck ten wir zum Beispiel extra Keyboard- und Percussion-Elemente, die super in die Songs passten. Einige Tracks auf dem Album wurden also spontan aus einer Ein gebung heraus im Studio geboren.
Sam: Josh hat die Gitarrenparts hauptsĂ€chlich remote geschrieben und als er damit fertig war, sind wir noch mal ins Studio und haben die kompletten Lyrics in ungefĂ€hr einer Stunde geschrieben, was fĂŒr uns als Band echt untypisch ist. Nor malerweise nehmen wir alles doppelt und dreifach unter die Lupe, aber diesmal sind die Songs auf sehr organischem Wege entstanden und es hat uns so viel SpaĂ gemacht, dass wir sie extrem schnell zusammen hatten â Ă€hnlich wie damals âAni malsâ. Es war einfach klasse, auch mal wieder Zeit als Freunde zusammen im sel ben Raum zu verbringen und Neues zu wagen. Zum Beispiel haben wir stundenlang den richtigen Synthsound fĂŒr bestimmte Passagen gesucht und uns gemeinsam in den ganzen kleinen Details verloren, die letztendlich den Unterschied machen. Alex: Wir haben ĂŒber die letzten Jahre herausgefunden, dass wir auch wunderbar getrennt voneinander in diesem eher klinisch-isolierten Umfeld gute Musik schrei ben können. Aber fĂŒr dieses Album war das keine Option fĂŒr uns â und so haben wir aufs Neue erkannt, wie viel SpaĂ wir an der gemeinsamen Arbeit haben.
SORRY, WEâRE NOT TECHNICAL ANYMORE. Mit âThe Classic Symptoms Of A Broken Spiritâ stehen die Briten kurz vor der Veröffentlichung ihres nĂ€chsten Albums. Wie bereits der VorgĂ€nger offenbaren die ersten beiden Singles einen eher ungewohnten Stil â was einigen Fans sauer aufstöĂt. Wir sprechen mit Sam und Alex ĂŒber den Entstehungsprozess des Albums und die NegativitĂ€t auf Social Media.
Foto: Vincent Grundke (vollvincent.com)
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Ich habe mir mal ein paar Meinungen zu den ersten beiden Singles âWhen we were youngâ und âTear gasâ auf Social Media durchgelesen und Kommentare wie âRIP ARCHITECTSâ oder âSie sind so langweilig gewordenâ gefunden. Wie empfindet ihr als KĂŒnstler solches Feedback?
Sam: Ganz im Ernst, mittlerweile interessiert es mich gar nicht mehr. Social Media ist einfach ein Ort, wo Menschen fĂŒr ihre negative Haltung gefeiert werden. Leute, die sch reiben âIhr seid meine Lieblingsband. Danke fĂŒr diesen genialen Songâ bekommen halt keine Likes. Aber SprĂŒche wie âRIP ARCHITECTS, Tom wĂŒrde es hassenâ gehen natĂŒr lich total ab. Es war genauso, als wir damals âAnimalsâ veröffentlicht haben. Die Kom mentatoren auf Social Media haben es gehasst. Mittlerweile ist er aber unser belieb tester Song bei Amazon Music und immer, wenn wir ihn live spielen, erzeugt er so gute Stimmung â es ist unglaublich. Man darf solche ĂuĂerungen nicht zu sehr an sich her anlassen. Wir haben diese Songs geschrieben und aufgenommen, sind sie im Studio wieder und wieder durchgegangen und wissen fĂŒr uns selbst, dass es gute Songs sind, die unsere Emotionen widerspiegeln. Und die Leute, die solche Kommentare schrei ben, sind letztendlich auch genau die, die uns auf der StraĂe nach einem Selfie fragen. Alex: Es gab mal eine Zeit, in der Dan auf sehr asoziale Kommentare geantwortet hat, und sobald diese Menschen auf einer individuellen Ebene angesprochen wurden, kam sie sofort sowas wie:âOh mein Gott, sorry, das meinte ich gar nicht so.â Es ist wirklich interessant zu sehen, wie viele Leute das einfach nur fĂŒr die Aufmerksamkeit machen. Wenn jemand unsere Musik nicht mag, ist das okay fĂŒr uns. Aber man muss es nicht immer online verbreiten, wenn man etwas schlecht findet â und persönlich zu werden ist auch unangebracht.
Ich bin groĂer Fan der neuen Songs, gerade weil sie anders sind. Aber ich könnte auch etwas voreingenommen sein, weil ARCHITECTS die Band waren, die mich fĂŒr den technischen Metalcore begeistert hat.
Alex: Sorry, wir sind nicht mehr so technisch, haha. Nee, SpaĂ, danke dir! Wie Sam eben schon meinte: Social Media ist ein negativer Ort. Viele Menschen beschweren sich darĂŒber, dass die neuen Songs nicht heavy genug sind. Unser letztes Album endete mit einem Akustiktrack â was glaubtet ihr, wo die Reise hingeht? Dass wir auf dem nĂ€chsten Album wie NILE klingen? Entwicklung ist uns wichtig, um als Band, aber auch persönlich zu wachsen.
Sam: Zumal man auch sagen muss, dass es definitiv heavy Songs auf dem Album gibt. Und natĂŒrlich könnten wir in jeden Track einen heftigen Breakdown einbauen â und die Leute wĂŒrden es lieben. Aber âTear gasâ kommt zum Beispiel wunderbar mit dem aus, was es hat. Ich habe manchmal das GefĂŒhl, dass Menschen mittler weile in einer Reaction-Video-Welt leben, wo sie entweder etwas abgrundtief has sen oder aber auf Pause drĂŒcken mĂŒssen und sagen: âWoah, hast du das gehört? Wie krass war denn diese Strophe, die nahtlos in den Refrain ĂŒbergegangen ist?â Aber etwas schlecht zu finden ist natĂŒrlich einfacher, als sich tiefer mit der Musik auseinanderzusetzen.
Sam, du hast vor einigen Tagen etwas in deiner Instagram Story repostet, wo es hieĂ: âSocial media kills realityâ. Seht ihr auch Vorteile von Social Media fĂŒr Musiker, besonders fĂŒr Newcomer?
Sam: Es ist furchtbar fĂŒr Bands. Es gibt so viele talentierte KĂŒnstler da drauĂen, aber auf Social Media reicht es nicht aus, musikalisches Talent zu haben. Du musst gleichzeitig Vollzeit-Content-Creator sein, damit der Algorithmus deine Inhalt auch anzeigt. Selbst wenn Fans die Inhalte interessieren, sehen sie wahrscheinlich nur einen Bruchteil der BeitrĂ€ge. Deshalb: Macht einfach Musik und kĂŒmmert euch nicht zu sehr um diese digitale Welt, die nicht real existiert.
Alex: Wir kennen das Konzept sehr gut aus unserer Anfangszeit, nur dass wir damals mit dem MySpace-Algorithmus zu kÀmpfen hatten. Aber diese Welt aus Likes, Shares und Followern wird mit jedem Tag toxischer.
Sam: Das Beste, was junge Bands machen können, ist, sich gegenseitig zu unter stĂŒtzen. Wir haben das frĂŒher genauso mit BRING ME THE HORIZON gemacht. Wir sind zusammen getourt, haben den Merch der anderen Band angezogen und Promo fĂŒr neue Musik gemacht. Aber versteh mich nicht falsch: Ich will hier nicht klingen wie so ein alter Sack, der ĂŒber das Internet motzt, haha. Songs direkt auf deinem Laptop aufzunehmen und in wenigen Klicks direkt auf Streaming-Plattfor men laden zu können hat schon echte Vorteile. Aber diese VorzĂŒge von den gan zen Likes und Followern zu trennen und seinen Selbstwert nicht daran zu messen, ist verdammt schwer.
Philip Zimmermann
SEINE PERSĂNLICHKEIT IN DER MUSIK PREISZUGEBEN, IST UM EIN VIELFACHES SCHWIERIGER UND MUTIGER, ALS IN METAPHERN ĂBER UNSERE GESELLSCHAFT ZU SPRECHEN.
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SLIPKNOT
Es ist das Jahr 2014, Alex Venturella spielt seine erste Show als Bassist von SLIPKNOT beim Knotfest. Heute, im Jahr 2022 existiert diese Festivalreihe nicht nur in den USA, sondern auch Europa. Die deutsche Ausgabe hat im Juli in Oberhausen stattgefunden, zu Gast waren natĂŒrlich SLIPKNOT, aber auch Bands wie IN FLAMES, BLEED FROM WITHIN und JINJER. âEs war toll. NatĂŒrlich war alles mit viel Reiseaufwand und Logistik verbunden. Aber es hat SpaĂ gemacht, endlich wieder Festivals spielen zu könnenâ, erzĂ€hlt Alex im Zoom-Interview, wĂ€hrend er schon auf die Abfahrt zum nĂ€chsten Festival innerhalb Europas wartet.
Der SLIPKNOT-Patch: Wie alles begann Ich erzĂ€hle ihm von meiner ersten Begegnung mit SLIPKNOT, zu dem Zeitpunkt war ich zehn Jahre alt und konnte mit dem Schriftzug auf dem AufnĂ€her eines anderen SchĂŒlers auf meiner Schule natĂŒrlich nichts anfangen. Der Name hat sich aber eingeprĂ€gt und irgendwann konnte ich nicht nur mit dem Namen, sondern auch mit der Musik etwas anfangen. Alex hatte gerade das College beendet, als das erste SLIPKNOTAlbum (natĂŒrlich noch ohne ihn) erschien: âIch bin mit der Musik von SEPULTURA und METALLICA aufgewachsen. Aber dann war da plötzlich diese hĂ€rtere Band, viel chaotischer. So was hatte ich vorher noch nie
gehört. Es war eine der Bands, die man sich anhört und denkt: Wow, was ist das? Ich war aber erstmal in anderen Bereichen der Musik unterwegs.â Und zwar landete er als Gitarrentechniker bei Bands wie MASTODON und COHEED AND CAMBRIA. AuĂerdem war er Gitarrist bei zwei anderen britischen Bands, bevor er als Bassist bei SLIPKNOT einstieg. âDann war es so weit, ich war in der Band und konnte es selbst kaum glauben. Selbst als ich mit SLIPKNOT zum Aufnehmen im Studio war, war das noch ein surrealer Moment.â
DĂŒsterer = besser? Doch womöglich könnte dieser Moment schon bald vorbei sein. Das kommende Album heiĂt nĂ€mlich âThe End, So Farâ und bietet damit genug Anlass fĂŒr die GerĂŒchtekĂŒche in jeder Kommentarspalte. Es wird geunkt, dass das jetzt das letzte Album der Band sei, wie sie das denn den Fans antun könnten und und und. Dran ist an den Vermutungen aber nichts, beruhigt Alex. âCorey hat es bei einer Show schon gesagt. Er musste es offenbar erklĂ€ren, weil doch einige den Titel fĂŒr bare MĂŒnze genommen haben. Aber so ist das immer.â Na dann! Also schauen wir uns das kommende Album mal genauer an. In einem anderen Interview hatte SĂ€nger Corey Taylor schon davon gesprochen, dass es dĂŒsterer und hĂ€rter sei, als die vorherigen Alben.
Naheliegend also die Frage, was wir unter âdĂŒstererâ zu verstehen haben. âIch wĂŒrde sagen, das Song writing ist dĂŒsterer. Es ist eine Fortsetzung von âWe Are Not Your Kindâ, aber es fĂ€llt auch zurĂŒck in hĂ€r tere Gangarten von SLIPKNOT. Na ja, hĂ€rter nicht unbedingt im Sinne von âIowaâ-heavy. Heavy kann ja verschiedene Dinge meinen: Rhythmik, TonalitĂ€t ... gleichzeitig geht es auch in eine dĂŒsterere, melodi sche Richtung. Die HĂ€rte entsteht besonders durch das groĂe Spektrum und die Art, wie wir alles mitein ander zusammengebracht haben.â
Nie wieder Iowa
Da hat er es getan, er hat âIowaâ angesprochen. Das Album, an das sich jeder SLIPKNOT-Fan gerne zurĂŒck erinnert oder sogar wieder zurĂŒckwĂŒnscht. Aber wird es so ein Album jemals wieder geben? Alex hat eine ziemlich klare Antwort: âWenn ich âMaster Of Pup petsâ hören möchte, dann höre ich âMaster Of Pup petsâ. Ich möchte dann kein âMaster Of Puppets 2â. Es ist genau das, was das Album besonders macht. Ich denke, man muss sich als Band auf organische Weise vorwĂ€rts bewegen und entwickeln. NatĂŒrlich könnten wir uns hinsetzen und versuchen, ein Album so hart wie möglich zu machen und so klingen zu lassen wie das alte Album. Aber ich denke, das entspricht nicht der
NICHT DAS ENDE, NOCH NICHT. Bassist Alessandro âAlexâ Venturella alias V-Man hat sich wĂ€hrend der Festivalsaison in Europa die Zeit fĂŒr ein Interview genommen. Darin geht es nicht nur um die brodelnde GerĂŒchtekĂŒche, sondern auch um das Rezept fĂŒr ein dĂŒsteres Album, verfeinert mit einer Prise Nostalgie.
Foto: Jonathan Weiner
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RealitĂ€t der Entwicklung und VerĂ€nderung. Wir verĂ€ndern uns und sind nie diesel ben Menschen, die wir beim vorherigen Album waren. Und genau das ist die Schön heit bei Bands, die diese Langlebigkeit in der Musik haben. Wenn du nur dasitzt und denkst: âDas muss so klingen wie ...â, dann schreibst du nicht, was du eigentlich sch reiben willst. Das nimmt dir einen Teil deines kĂŒnstlerischen Potenzials. Wenn du einfach nur dasitzt und versuchst, etwas noch mal zu schreiben, das du vor Jahren schon geschrieben hast. Das ist kein natĂŒrlicher Fluss.â
Logistisches und musikalisches Puzzle
Einen natĂŒrlichen Fluss hat aber wohl die Arbeit an âThe End, So Farâ gehabt. Zwar befand sich die Welt im Lockdown, als es geschrieben und produziert wurde, trotzdem durfte Alex dafĂŒr nach Iowa einreisen. Es war ja schlieĂlich zu Arbeitszwecken. âIch hatte Schnipsel mitgebracht, die ich geschrieben hatte. Die anderen genauso. Wir haben aus den Songfragmenten dann etwas zusammengesetzt und mit ins Studio genommen. Die Arbeit war nicht wirklich anders als bei jedem anderen SLIPKNOTAlbum. Nur logistisch war es aufgrund von Corona etwas zeitintensiver. Zu neunt haben wir, denke ich, eine gute Basis fĂŒr die Songs geschaffen. Im Studio kann man einzelne Leute, die ihr Handwerk verstehen, machen lassen. Sid und Mick waren hier stark dabei.â
Thematisch hat jeder Song auf âThe End, So Farâ eine eigene Geschichte zu erzĂ€hlen, musikalisch ist es aber eine ganze Reise, sagt Alex. âGerade Songs wie âAdderallâ sind die, bei denen die Leute sagen werden: âWas?!ââ Und warum ist gerade dieser âWas?!â-Momente erzeugende Song der Einstieg in das neue Album geworden? âDer ist ganz anders, aber gleichzeitig SLIPKNOT. Er ist immer noch chaotisch auf seine Art. Es ist eine Achterbahnfahrt. Das ist einer dieser Songs, die ganz anders enden, als sie begonnen haben. Als ich den finalen Mix davon hörte, hat das echt meinen Horizont erweitert.â
Viel mehr lÀsst sich Alex zum kommenden Album nicht entlocken. Auch meine Frage zum Artwork bleibt unbeantwortet. Allerdings aus einem ganz interessanten Grund:
Der Bassist ĂŒberlĂ€sst die EntwĂŒrfe und Ideen anderen Leuten und wirft vor der Veröffentlichung keinen Blick darauf. Sobald das Album drauĂen ist, kauft er es sich und schaut sich erst dann das Produkt als Ganzes an.
I donât know what to do
When she makes me sadâ
SLIPKNOT â âVermilion, pt. 2â
Bei meiner Vorbereitung auf das Interview ist mir aufgefallen, dass ich viele Songs von SLIPKNOT mehr oder weniger auswendig kann. Immer noch. Nachdem ich die zuletzt in meiner Zeit als Teenager gehört habe. Und trotzdem erweckt das erneute Hören der Songs immer wieder jede einzelne Textzeile zum Leben. Wie ist es bei Alex, welche Songs aus seinen Teenagerjahren kennt er in- und auswendig? âOh, das ist eine kontroverse Frage. Ich kann mir eher die Melodien merken und mitpfeifen. Aber nicht die Lyrics wiedergeben. Klar, ein paar klassische Popsongs wie von Elton John oder so hĂ€ngen noch in meinem Kopf. Aber bei harter Musik habe ich manchmal auch Probleme. Bei METALLICA zum Beispiel. Und ich habe deren Artwork auf mei nem Arm tĂ€towiert. Aber wenn ich die live sehe, kenne ich nur kleine Ausschnitte von deren Texten.â
Trotzdem spielt Nostalgie natĂŒrlich eine groĂe Rolle fĂŒr Alex. Auf meine Frage nach musikalischen Neuentdeckungen zĂŒckt er sein Handy und muss zerknirscht zugeben: âDas ist keine neue Entdeckung, aber ich habe viel LEPROUS gehört. Ich liebe diese Band und habe sie kurz nach der Aufnahme unseres Albums live in London gesehen. Das war groĂartig. Sie sind gute Musiker, tolles Songwriting. Aber neue Bands ... da fallen mir keine ein. Ich bin so ein Mensch geworden, der an seinen alten Bands festhĂ€lt. Ich bleibe immer lange an einer Band hĂ€ngen. Dann höre ich das Album immer und immer wieder. Wenn ich im Flugzeug bin oder so, mache ich mir meistens eine Playlist an, damit ich nicht immer pausenlos das selbe Album höre. Aber vermutlich werde ich so ein grantiger, alter Mann, der immer die gleiche, alte Musik hört.â Britt MeiĂner
BESETZUNGSWECHSEL
Keine Ahnung mehr, wer jetzt zu SLIPKNOT gehört und wer nicht? Wir haben das noch mal kurz fĂŒr euch zusammengefasst: Das einzige verbliebene GrĂŒndungsmitglied von 1995 ist Shawn Crahan (Percussion ). Seit 1996 sind Mick Thomson (Gitarre) und Craig Jones (Sampling) dabei. 1997 stiegen dann auch SĂ€nger Corey Taylor und DJ Sid Wilson ein, 1999 der Gitarrist Jim Root. Dann war erstmal Ruhe mit den NeuzugĂ€ngen. Erst 2014 kamen Jay Weinberg am Schlagzeug und Alex Venturella am Bass dazu. 2019 gab es dann noch Michael Pfaff (Percussion) als Neuzugang. Mit Paul Gray und Joey Jordison sind bereits zwei der GrĂŒndungsmitglieder 2010 und 2014 verstorben.
âSheâs a myth that I have to believe in All I need to make it real is one more reason
I donât know what to do
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CALLEJON
BESTANDSAUFNAHME. Denkt man an deutschsprachigen Metal, kommt man nicht an CALLEJON vorbei. Der umtriebige FĂŒn fer aus DĂŒsseldorf ist kaum mehr aus der hiesigen Szene wegzudenken und eine der Speerspitzen des Genres. Dieser Tage steht mit âEterniaâ Album Nummer zehn in den Startlöchern und CALLEJON können auf zwanzig Jahre Bandgeschichte zurĂŒckblicken. Wir haben uns den sympathischen SĂ€nger und Kreativkopf Bastian Sobtzick geschnappt, um das neue Album zu beleuchten und die letz ten zwanzig Jahre Revue passieren zu lassen. Raus aus dem BeerdigungscafĂ©, quer durchs Zombieactionhauptquartier, auf einen Abstecher nach Metropolis und schlieĂlich hoch auf den Planeten Eternia. Einsteigen bitte: Einmal Zeitreise!
Zwanzig
Jahre CALLEJON. Wie verrĂŒckt ist das bitte? Wie hat das eigentlich alles angefangen?
Ich glaube, bei uns lief es ganz klassisch. Wir sind ja eine Generation, die mit dem Musikfernsehen groĂ geworden ist und den groĂen Rockstars dieser Zeit.
Irgendwann war da diese Wunschvorstellung: Ich will eine Band haben, ich will einmal auf der BĂŒhne stehen. Das war so der erste Antrieb. Ich habe immer unendlich viel Musik gehört, aber ich war eigentlich nicht wirklich musikalisch. Ich habe zwar angefangen, Gitarre zu spielen, aber diese trockene Herangehensweise, wie man so ein Instrument damals lernen sollte, hat mich erst total abgeschreckt. Das war mir aber letztlich egal, da ich mir vorgenommen hatte, trotzdem Musiker zu werden. Wir haben schlieĂlich mehr oder weniger als Schulband gestartet. Bernhard und ich waren uns damals, als die beiden einzigen Metalheads im Freundeskreis, sofort einig, wohin die Reise gehen sollte.
Die Vision und der Wille waren offenbar da. Eure ersten Schritte habt ihr also auch in den Kellern und Jugendzentren gemacht?
Zu allererst war die Vision viel gröĂer als das eigene Können, wie so oft ... Damals war es ja auch noch so, dass du, um irgendwo live spielen zu können, irgendwelche Aufnahmen haben musstest. Also war klar, wir brauchen dringend ein Demo. Damals ging quasi nichts ohne, also haben wir etwas zusammengeschustert und mit den Songs im GepĂ€ck angefangen, Shows zu spielen. Zu der Zeit gab es aber auch noch super viele Veranstalter, die in Jugendzentren oder kleinen Clubs Konzerte veranstaltet haben. FĂŒr die Art Musik, die wir vor zwanzig Jahren gemacht haben, gab es zwar noch keine groĂe Szene und wir haben auch nicht so richtig in eine Schublade gepasst, aber spielen wollten wir trotzdem unbedingt.
Mit âChronosâ und âWillkommen im BeerdigungscafĂ©â erschien aber schnell die erste EP beziehungsweise die erste LP. Von da an ging es quasi Schlag auf Schlag.
Wenn man ĂŒberlegt, wie viel damals Aufnahmen gekostet haben, muss man wirklich mit dem Kopf schĂŒtteln. Heute kannst du so vieles im Homestudio machen, aber das war zu der Zeit ja noch absolut undenkbar. Da musstest du so ein Album in einer
Foto: Chris Dohle
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Woche reinknĂŒppeln. DafĂŒr hast du einen Pauschalbetrag gezahlt fĂŒr die Aufnahmen, den Mix und das Master. Die Vocals hast du mal eben an einem Tag aufgenommen. Da war es vorprogrammiert, dass die Stimme nach zwei Songs im Eimer war. DafĂŒr ist das alles echt noch ganz okay geworden.
Ihr habt euch aber bald einen Namen gemacht und auch aus der damaligen Szene herausemanzipiert. Half da der Stilmix? Definitiv. Wir waren eine der wenigen Bands, die diesen Mix aus Hardcore und Metal mit deutschen Texten gemacht haben. Auch durch unsere bunten Cover, die es damals in der Szene gar nicht gab, haben wir uns damals von vielen anderen abgehoben. Wir haben CALLEJON aber schon immer als Gesamtkunstwerk betrachtet und mir war es sehr wichtig, das Ganze auch entsprechend zu visualisieren. Zu der Zeit haben wir damit begonnen, uns ernsthaft mit Labels auseinanderzusetzen, und dabei auch unsere eigenen Ziele korrigiert. âZombieactionhauptquartierâ kam schlieĂlich ĂŒber Nuclear Blast raus und das war ein absoluter Meilenstein fĂŒr uns. Plötzlich hatten wir ein Produktionsbudget und ganz andere Möglichkeiten.
Im Zuge dessen wurden auch die Shows immer gröĂer und euer Sound hat sich stark verĂ€ndert. Trotz allem habt ihr euch eine wundervolle Punkrock-AttitĂŒde erhalten. Wie schafft man es, nicht die Bodenhaftung zu verlieren?
Das war wirklich eine verrĂŒckte Zeit. Zum ersten Mal in Wacken zu spielen oder im Nightliner zu touren, das sind schon absolute Highlights fĂŒr eine junge Band. Man kann dabei nur auf dem Boden bleiben, wenn man dankbar ist und sich stets selbst hinterfragt. Wir sind aber auch Charaktere, die nicht zum Abheben neigen. Wir wissen, woher wir kommen und wie schwer aller Anfang ist. Da muss man einfach froh und glĂŒcklich sein, so lange man Erfolg hat. Das MusikgeschĂ€ft ist so unbestĂ€ndig, morgen kann alles schon wieder vorbei sein.
Es folgten âVideodromâ und âBlitzkreuzâ. Seitdem seid ihr noch viel prĂ€senter und es ging schnell steil bergauf. Was ist damals genau passiert? Dank âBlitzkreuzâ konnten wir unser Hobby zum Beruf machen. Ich glaube, das unterscheidet das Album so stark von allem was wir davor gemacht hatten. Alles war nochmals professioneller und wir haben uns voll und ganz auf die Musik und die Umsetzung konzentrieren können. Wir sind quasi All-In gegangen und hatten mit âBlitzkreuzâ unseren ersten richtigen Charterfolg. Das war zu der Zeit absolut selten in unserem Umfeld, bis dahin hatten das nur HEAVEN SHALL BURN geschafft. Das war schon ein Meilenstein fĂŒr uns und deswegen ist âBlitzkreuzâ fĂŒr uns auch ein so wichtiges und richtungsweisendes Album.
An Meilensteinen und Erfolgen mangelt es in eurer Bandgeschichte nicht. âMan spricht deutschâ, âWir sind Angstâ, âFandigoâ und âHartgeld im Clubâ haben eure nĂ€chsten Jahre geprĂ€gt. Wir könnten hier sicherlich noch gute zehn Seiten fĂŒllen. Dennoch springen wir ins Jahr 2020. Mit âMetropolisâ erschien da euer Corona-Album. Wie habt ihr die Pandemie erlebt?
In der Nachbetrachtung hat âMetropolisâ trotz aller positiver Rezensionen leider nie die WertschĂ€tzung erfahren, die dieses Album verdient hĂ€tte. Das hat aber durchweg damit zu tun, dass wir es nicht live spielen konnten. Das haben wir aber ja mittlerweile nachgeholt. Trotzdem schade, gerade weil uns das Gesamtbild ja so immens wichtig ist, und da gehören natĂŒrlich die Live-Shows mit dazu. FĂŒr Kulturschaffende war das eine absolut harte Zeit und wir sind froh, dass wir hoffentlich den schlimmsten Teil der Pandemie hinter uns haben. Wir werden zwar noch eine ganze Weile mit den Folgen zu kĂ€mpfen haben, hoffen aber sehr, dass der Live-Betrieb nicht erneut eingestellt werden muss.
Mit âEterniaâ erscheint in KĂŒrze euer zehntes Album, was können wir erwarten? âEterniaâ ist die logische Konsequenz aus zwei Jahrzehnten CALLEJON. Eine Schlussfolgerung könnte man sagen. Das Ziel war es, unsere StĂ€rken auszuspielen und uns ein StĂŒckweit neu zu erfinden. Ich glaube, das haben wir diesmal sehr gut hinbekommen. Wir haben die hĂ€rtesten Songs der Bandgeschichte auf âEterniaâ und trotzdem auch die melodischsten Refrains untergebracht. Nach zwanzig Jahren und zehn Alben war es uns extrem wichtig, uns nicht auszuruhen. Man sagt das zwar bei jedem Release, aber âEterniaâ ist das rundeste Album, das wir bislang gemacht haben. Alles greift ineinander und erzĂ€hlt eine allumfassende groĂe Geschichte, die ein wunderbares Bild der letzten zwanzig Jahre zeichnet. Wir freuen uns sehr, die Songs diesmal auch live prĂ€sentieren zu können.
Carsten Jung
FĂR DIE ART MUSIK, DIE WIR VOR ZWANZIG JAHREN GEMACHT HABEN, GAB ES DAMALS NOCH KEINE GROSSE SZENE.
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HeyEric, ich habe das GefĂŒhl, dass ihr auf âTrue Powerâ so vielseitig klingt, wie nie zuvor. Wie kam das zustande?
Ja, wir haben versucht, die Genregrenzen weiter aus zudehnen. Wir haben schon immer sehr unterschied liche MusikgeschmĂ€cker gehabt, aber einige Aspekte als gemeinsamen Nenner gefunden. Es hat SpaĂ gemacht, das Album zu schreiben, weil wir viel Zeit hatten und nicht Song fĂŒr Song vorgegangen sind, sondern viel mehr Part fĂŒr Part. Als wir einige fertig hatten, haben wir uns Gedanken gemacht, wie das alles zusammenkommen kann, und versucht, uner wartete Twists einzubauen. Wir wollten links abbiegen, wenn man es nicht erwartet, aber es so machen, dass es zwar ĂŒberrascht, jedoch trotzdem Sinn ergibt. Es war uns wirklich wichtig, dass alles am Ende kohĂ€siv zusammenwirkt, und da wir die Zeit hatten, konnten wir das machen.
âTrue Powerâ hat insgesamt 15 Tracks, ihr habt vor dem Release mit âBody bagâ und âBad thingsâ aber lediglich zwei wirkliche Singles veröffentlicht. Das ist eher wenig verglichen mit den meisten Bands, die teilweise fĂŒnf oder mehr Singles aus Alben auskoppeln, oder?
FĂŒr mich war es ein logischer Schritt. Wir wollten anfangs drei Singles machen und haben dann âSelfdestructionâ am Tag vor dem Albumrelease noch als dritte veröffentlicht. âTrue Powerâ ist nicht wirklich ein Konzeptalbum, aber es gibt Songs, die miteinander verknĂŒpft sind, textlich oder thematisch. Ich erinnere mich noch, als ich ein Teenager war und mir ein Album gekauft habe, habe ich es immer als Ganzes gehört. Manche Alben kannte ich aber schon zur HĂ€lfte, weil von zehn Tracks bereits drei oder vier bereits im Radio gelaufen waren. Also habe ich die ĂŒbersprungen, weil ich sie schon so oft gehört hatte. Es war nicht so auf
regend, wie wenn man ein Album zum ersten Mal in den HĂ€nden hĂ€lt und alles darauf neu ist. Ich wollte, dass unsere Fans auch dieses Erlebnis haben und die Erfahrung eines Albums, das wir mit einer durchdach ten Tracklist liebevoll zusammengestellt haben, als Ganzes genieĂen können. Nur zwei Singles vorher auszukoppeln, hat uns geholfen, diese Vision umzu setzen.
Ich erinnere mich noch daran, dass ich manche Alben so oft gehört habe, bis ich sie mochte, weil ich es mir quasi nicht leisten konnte, ein gekauftes Album nicht zu mögen ... Mir ging es genauso. Ich habe mir frĂŒher auch Alben gekauft und gehofft, dass sie mir gefallen. Wenn es nur einzelne Songs waren, habe ich die Platten mit Freunden getauscht und dadurch viele neue Bands kennen gelernt.
GEMEINSAM WACHSEN. âJetzt, da das Album endlich drauĂen ist, fĂŒhle ich dass ein groĂes Gewicht von meiner Brust verschwunden ist, ich bin froh und stolz.â I PREVAIL haben sich viele Gedanken gemacht, um das dritte Studioalbum der Band so kohĂ€siv wie möglich werden zu lassen. Eine Deadline fĂŒr die Veröffentlichung von âTrue Powerâ gab es nicht, weshalb sich I PREVAIL drei ganze Jahre Zeit nehmen konnten, um am Songwriting zu feilen, wie SĂ€nger Eric Vanlerberghe erzĂ€hlt. Dabei ist das Resultat aus jahrelangen EinflĂŒssen, die sich zu einem einzigartigen Sound fĂŒgen, der eine junge Generation prĂ€gen könnte.
Foto: Adam Elmakias
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I PREVAIL
Erinnerst du dich noch an das erste Album, das du gekauft hast?
Haha, du wirst wahrscheinlich lachen. Es waren entweder die BLACK EYED PEAS oder 50 CENT. Ich glaube, es war tatsĂ€chlich 50 CENT, âGet Rich Or Die Tryinââ. Ich erinnere mich, wie schwer es war, meine Mutter davon zu ĂŒberzeugen, dass ich es mir kaufen durfte, haha.
Finden sich deshalb auch so viele HipHop- und Rap-Elemente auf âTrue Powerâ?
Absolut. Ich bin damit aufgewachsen und kurz darauf gab mir ein Freund âRide The Lightningâ von METAL LICA und es hat mich komplett umgehauen. Wir haben schon immer sehr breite musikalische EinflĂŒsse gehabt und Brian und Steve erging es Ă€hnlich wie mir. Deshalb war es uns umso wichtiger, Musik zu schrei ben, die wir wirklich schreiben wollen, und dabei einen Weg zu finden, unsere ganzen EinflĂŒsse mit einzubrin gen. Dass das wiederum den Kids gefĂ€llt, ist einfach nur der Wahnsinn.
Mit den Erfolgen eurer bisherigen Karriere im Hinterkopf: Wie fĂŒhlt es sich an, jetzt selbst in einer Band zu spielen, die die Kids begeistert?
Das ist ein schönes Kompliment, danke! Wenn ich an meine Jugend denke, sind da KORN, LIMP BIZKIT, SLIPKNOT, LINKIN PARK, MUDVAYNE und weitere Nu-MetalBands. Das waren die Acts, die riesig waren und es zu Recht immer noch sind, weil sie einen Sound geprĂ€gt haben, der ikonisch ist. PANTERA klingen noch immer so angepisst wie damals und haben einen Sound, der damals unglaublich war und noch immer zeitlos ist. Diese Idee haben wir mit âTrue Powerâ auch verfolgt.
Verfolgst du das Ziel, selbst mal eine Band mit einem Status wie die oben genannten zu werden?
Es ist groĂartig zu sehen, wie unterschiedlich unsere Fanbase ist. Es sind Kids, die das Genre gerade erst entdecken, vielleicht auf ihrem ersten Rockkonzert sind oder gar zum ersten Mal Shouts hören. Aber auch Ă€ltere Paare, Familien, normale Menschen bis hin zu Metalheads, die schon seit ĂŒber zwanzig Jahren Metal hören. Eine Gateway-Band zu sein, die Men schen zu hĂ€rterer Musik bringt, ist fĂŒr mich, der ich als Metalhead aufgewachsen bin, der kein Internet hatte, eine absolute Ehre. Ich erinnere mich noch daran, wie ich in der Highschool ĂŒber YouTube immer wieder die nĂ€chste Band mit einem abgefahrenen Namen oder mit einem krassen Thumbnail angeklickt habe. Das war als MTV und TRL aufgehört haben, Musikvideos zu senden und ihre Realityshows an den Start brach ten. Es ist witzig zu sehen, wie sich das geĂ€ndert hat, denn heutzutage liegt es an den Kids, diese Bands zu finden, oder eben an den Bands, ein gutes Marketing zu machen.
Ja, absolut. Ich habe einige neue coole Bands ĂŒber Spotify-Playlisten gefunden und suche immer nach neuen Sachen. Ich gehe sehr gerne auf Shows von Bands, die ich neu entdeckt habe, und es fĂŒhlt sich manchmal ein bisschen so an, wie in die Schule zu gehen. Ich denke mir oft: Mann, war das cool, wie kann ich das, was ich fĂŒhle, unseren Fans auch bieten? Es ist nicht mal die Musik oder die Performance einer bestimmten Band, die mich am meisten beeinflusst, sondern das GefĂŒhl bei der Musik, das ĂŒberwĂ€ltigend sein kann. Ich will diesen besonderen âOh mein Gott, das ist unfassbarâ-Moment erleben und ihn ebenfalls in unsere Musik einbauen. Ich glaube, es ist ein Vorteil musikalisch offen zu sein und sich von solchen GefĂŒhlen inspirieren zu lassen.
Ist es schwieriger geworden, die Kids zu erreichen? Ich glaube eher, es ist schwierig, die Kids dazu zu bewegen, sich ein Album ganz anzuhören. Es geht vielen jungen Menschen darum, so viel Content so schnell wie möglich zu bekommen. Es ist eine toughe Challenge.
Suchst du noch so aktiv nach neuer Musik wie damals?
Wie geht es jetzt weiter mit I PREVAIL? Wie hoch sind die Erwartungen, was das neue Album betrifft? Als wir âTraumaâ geschrieben haben, war vieles neu fĂŒr uns und unsere Fans. Es war viel hĂ€rter, es war etwas Rap mit dabei und wir wussten zuerst gar nicht, wie es ankom men wird. Es wurde geliebt, wir wurden fĂŒr die Grammys nominiert und kamen in die Charts. Ich habe niemals geglaubt, dass so etwas passieren könnte. Wir haben etwas riskiert und es hat sich ausgezahlt, mit âTrue Powerâ wollten wir das Risiko erhöhen und haben uns richtig rein gehĂ€ngt. Wenn wir in die Zukunft blicken, dann hoffe ich, dass es wieder einen weiteren Schritt nach vorne geht, wie mit âTraumaâ. Ich hoffe, die Musik kommt genauso gut an und resoniert mit den Fans. Wir wollen weiter wachsen und wieder nach Deutschland kommen, wo wir immer so verdammt viel Zuneigung bekommen. Ihr seid echt der Wahnsinn in Deutschland. Wir können es kaum abwar ten endlich wieder mit unseren Fans die Musik feiern, das wĂ€re ein wahr gewordener Traum und hoffentlich können wir alle gemeinsam daran wachsen.
Rodney Fuchs
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ICH WILL DEN âOH MEIN GOTT, DAS IST UNFASSBARâ-MOMENT. 14.10.2022 LORNA SHORE LTD. CD DIGIPAK LTD. GATEFOLD BLACK 2LP (CD & LP matt lamination with UV spot gloss) DIGITAL ALBUM
INGESTED
das neue Album klingt im Vergleich zu den VorgĂ€ngern oft sehr weit, episch und viel melodischer. Ein Weg, den ihr mit eurer âCall From The Voidâ-EP 2019 eingeschlagen habt. Warum seid ihr nach der letzten Platte noch weiter in diese Richtung gegangen?
Sean,
Ehrlich gesagt war es eine natĂŒrliche Entwicklung. Ich wĂŒrde nicht sagen, dass wir uns zum Ziel gesetzt haben, in eine bestimmte Richtung zu gehen. Aber wir möchten mit jedem Album immer ein weiteres Element hinzufĂŒgen, um die Band voranzubringen und zu vermeiden, dass sie stagniert.
Wie weit könnt ihr dabei in den melodischeren Bereich vordringen? Gibt es Grenzen wie Klargesang oder Akustikgitarren?
Wir können es so weit treiben, wie wir wollen. Wir haben uns keine Grenzen fĂŒr unse ren Sound gesteckt, solange wir alle drei SpaĂ daran haben. Du wirst die INGESTEDDNA immer in unseren Songs wiederfinden. Aber wir haben keine Angst davor, neue musikalische Landschaften zu erkunden.
Auf âWhere Only Gods May Treadâ hattet ihr einige GĂ€ste dabei. Wie ist es diesmal? Wir haben drei GĂ€ste auf der neuen Platte. Zuerst haben wir Julia Frau im Titeltrack âAshes lie stillâ. Wir wollten, dass eine SĂ€ngerin dieses StĂŒck um einen melodischen Part ergĂ€nzt, und sie hat unsere Vorstellungen ĂŒbertroffen. Sven de CaluwĂ© von ABORTED ist bei âFrom hollow wordsâ zu hören. Wir kennen Sven schon eine Weile und sind mehrfach gemeinsam auf Tour gewesen. Sein Gesang ist sehr markant und es war ein Kinderspiel, ihn in diesen Song zu integrieren. SchlieĂlich ist noch Matt Heafy von TRIVIUM mit drauf. Wir haben Matt kurz vor unserem letzten Album âWhere Only Gods May Treadâ kennen gelernt. Er hatte uns in seinen Social-Media-BeitrĂ€gen erwĂ€hnt. Zu der Zeit, als die Welt tief in Corona steckte, entwickelten wir einige Ideen fĂŒr Musikvideos â fĂŒr die wir nicht als Band zusammenkommen konnten â und aus einer davon wurde der Clip zu âDead seraphic formsâ. Wir sehen darin, wie Freunde und Kollegen auf unseren Song reagieren. Wir haben auch Matt angefragt und so war auch er dabei. Er erwĂ€hnte irgendwann, dass er Lust hĂ€tte, auch bei einer zukĂŒnftigen Veröffentlichung als Gast dabei zu sein, und hier ist er.
Zwischen âWhere Only Gods May Treadâ und âAshes Lie Stillâ seid ihr zum Trio geworden. Was ist passiert?
Unser Bassist entschied, dass er gegen Ende 2019 nicht auf Tour gehen wollte. Also beschlossen wir, als Vierer weiterzumachen und den Bass auf einen Backing-Track umzustellen. Zu diesem Zeitpunkt waren alle bei INGESTED noch GrĂŒndungsmitglieder und es fĂŒhlte sich falsch an, jemand anderen neu aufzunehmen. 2020 ist dann noch unser Gitarrist ausgestiegen. Wir konnten so nicht weitermachen, also haben wir einen festen Live-Ersatz eingestellt.
Wie hat sich die neue Bandkonstellation auf das Songwriting ausgewirkt? Die wichtigsten Songwriter sind ja immer noch in der Band. 90 bis 95 Prozent der Musik stammen von mir, also wird sich nicht viel an unserem charakteristischen Sound Ă€ndern. Der wird sich aber weiterentwickeln, so wie sich auch mein Schreibstil entwickelt. Das Texten hatten sich unser SĂ€nger und unser ExGitarrist aufgeteilt, also gab es eine kleine Ănderung in dieser Abteilung. Jetzt tragen alle drei aktuellen Mitglieder etwas bei, so dass der Verlust einer Person paradoxerweise zu mehr Kompositionen gefĂŒhrt hat.
Wie war es, wĂ€hrend der Pandemie ein Album und eine Neuaufnahme quasi ins Nichts zu veröffentlichen? FĂŒhlt sich die âWhere Only Gods May TreadâPeriode wie ein abgeschlossener Zyklus an oder war es nur eine besondere Phase?
Dass wir unser Album nicht auf Tour vorstellen konnten, war sicherlich ein spezi eller Fall. Aber die Aufmerksamkeit, die das Album in Bezug auf Plays und Shares online erhielt, war immer noch sehr stark. Angesichts der Tatsache, dass die Men schen fĂŒr einen so langen Zeitraum nicht arbeiten oder das Haus verlassen konn ten, half es uns, im Auge zu behalten, was wir taten. Das Album verkaufte sich gut und wir wurden in mehr Medien gefeaturet als je zuvor. Wir haben es geschafft, einen Teil dieses Materials im Oktober 2020 wĂ€hrend eines Streams live zu spie len. Das war ein einzigartiges Erlebnis fĂŒr uns und etwas, das wir einfach fĂŒr unsere Fans tun mussten.
KINDER, DIE DEATH METAL ENTDECKEN. INGESTED stehen nicht still. Fast am laufenden Band veröffentlichen die mittlerweile als Trio agierenden Briten neue Musik. Wir sprechen mit Gitarrist Sean Hynes ĂŒber den neuesten Streich âAshes Lie Stillâ, auf dem sich die Band noch einmal deutlich melodischer prĂ€sentiert als auf den bisherigen fĂŒnf Alben.
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Wann hast du dich der neuen Musik genĂ€hert? Wie hast du sichergestellt, dass âWhere Only Gods May Tread Pt. 2â nicht ohne Interaktion mit dem Publikum oder sonstigem Kontakt mit der AuĂenwelt entstanden ist?
Ich schreibe stĂ€ndig, vor und wĂ€hrend der Albumzyklen. Also habe ich immer eine FĂŒlle von Ideen, Songs und Riffs parat. Viele Bands widmen dem Schreiben fĂŒr ein bestimmtes Album einen bestimmten Zeitrahmen. Ich denke, man kann hören, wie das Material stagniert und vielleicht frĂŒheren Sachen Ă€hnelt. Ich komponiere permanent, also sind wir nie an eine Frist gebunden, das lĂ€sst meine musikalischen Ideen natĂŒrlich flieĂen, was wiederum dazu beitrĂ€gt, dass unsere Alben ihre eigene IdentitĂ€t haben. Du wirst immer INGESTED raushören, aber du wirst auch subtile Fortschritte erkennen, die jedes Album von den anderen unterscheidet.
Im Vergleich zu euren neueren Alben kommen mir die ersten paar Veröffentlichungen etwas infantil vor. Wie blickst du auf diese Platten zurĂŒck, die Musik, die Texte?
Wir sind alle in dieser Band, seit wir 18, 19 waren. Also kannst du natĂŒrlich unsere Jugend in dem frĂŒhen Sound hören. Wir waren Kinder, die Death Metal entdeckten. Wir wollten textlich die brutalsten und ekelhaftesten sein, wie CANNIBAL CORPSE oder DEVOURMENT. Wir wollten zugleich versuchen, es noch besser zu machen. Wenn ich auf unser Ă€lteres Material zurĂŒckblicke, bin ich stolz auf das, was wir uns vorgenommen hatten. Es ist nichts, was ich jetzt genauso machen möchte, besonders mit diesen Lyrics, aber das war das, wo wir damals waren und was wir sein wollten. Wir haben den Slam-Sound fĂŒr eine neue Generation modernisiert. Ob die Leute das nun anerkennen wollen oder nicht â es ist eine Tatsache. Wir haben einen Sound entwickelt und sind weitergezogen!
Manuel Stein
Foto: Tina Korhonen
WIR WOLLTEN TEXTLICH DIE BRUTALSTEN UND EKELHAFTESTEN SEIN, WIE CANNIBAL CORPSE ODER DEVOURMENT.
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REVOCATION
HĂLLISCHE ZEITEN. Der Pandemie sei Dank hat die Bostoner Band ihr achtes Studioalbum komplett selbst produziert. Wir sprechen mit Mainman David Davidson ĂŒber das Konzept und warum es gerade jetzt zu einer Wiederkehr des Klargesangs kam.
David, weiĂt du schon beim Schreiben eines Liedes, ob es Klargesang enthalten wird?
Ich hörte den Klargesang schon im Kopf, als wir das Lied aufgenommen haben. Das ist der Vorteil davon, wenn man selbst der Produzent ist und nicht auf
die Zeit achten muss. Nicht dass das uns in der Vergangenheit gehindert hĂ€tte, irgendetwas umzusetzen. Aber in einem anderen Studio ist Zeit Geld. Da willst du vorbereitet ankommen, auĂer du hast ein riesiges Budget. Ich versuchte also unvoreingenommen an die Sache heranzugehen, mich in vielerlei Hinsicht aus
Foto: Alex Morgan
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zutoben. Ich hatte die volle Kontrolle. Nach âThe Outer Onesâ dachte ich, dass wir jetzt wohl eine richtige Death-Metal-Band sind und komplett auf Klargesang verzichten können. Wir hatten ja auf dem ersten Album âEmpire Of The Obsceneâ diesen melodischeren Klargesang oder wie auch immer du das nennen möchtest. Auf âGreat Is Our Sinâ hatten wir bislang den meisten Anteil davon. Normalerweise hĂ€tte man jetzt erwarten können, dass wir mit âThe Outer Onesâ noch weiter in diese Richtung gehen. Doch ich wollte den Hörern damals ein Schnippchen schla gen. Wir haben komplett auf den klaren Gesang verzichtet. Es gibt viele Bands, bei denen man immer genau weiĂ, was man zu erwarten hat. Unsere Fanbase erlaubt es uns aber, uns kĂŒnstlerisch auszuleben. Es sollte auch auf âNetherhe avenâ ursprĂŒnglich keinen Klargesang geben. Bei âStrange and eternalâ hatte ich aber irgendwie das GefĂŒhl, dass wir gerade im Schlussteil etwas Spezielles brin gen mĂŒssen. Wenn du an das Konzept der Hölle denkst, kommt dir natĂŒrlich auch sofort das Konzept vom Himmel in den Kopf. Ich dachte also, es wĂ€re cool, eine Art dĂ€monischen Chor einzubauen. Der Song ist von Robert Chambers und des sen Buch âDer König in Gelbâ inspiriert. Vielleicht hast du die erste Staffel von âTrue Detectiveâ gesehen. Auch da wird der Protagonist vom Konzept des gelben Königs verfolgt. Der Regisseur der Serie war stark von Chambers inspiriert. Das Buch âDer König in Gelbâ ist eine Sammlung von Kurzgeschichten. Wie bei Lovecraft gibt es auch hier einen Mythos, der sich durchzieht, eben das Drama um den gelben König. Der erste Akt dieses StĂŒcks erscheint noch ganz normal, der zweite lĂ€sst die Men schen jedoch verrĂŒckt werden. Das fand ich eine sehr coole Idee und ein gutes Fut ter fĂŒr Death-Metal-Lyrics. Gerade gewisse religiöse Texte können deinen Geis teszustand ein wenig manipulieren. Je nachdem wie glĂ€ubig du bist. In einer der Geschichten von Chambers befindet sich die Hauptfigur am Ende in einer Kirche. Er schaut hoch zum Altar und zur Orgel und StĂŒck fĂŒr StĂŒck löst sich die RealitĂ€t auf, bis er dem König in Gelb gegenĂŒbersteht. Der gibt sich dann als bösartige, all mĂ€chtige Gottheit zu erkennen. Dieses Bild wollte ich einfangen. Das Licht, das in unsere RealitĂ€t einbricht, den Chor der Engel, die aber eigentlich DĂ€monen sind, und die Konfrontation mit dem König in Gelb. Das wollte ich vertonen.
ICH SPIELTE SOGAR JESUS IN EINEM THEATERSTĂCK IN DER SCHULE UND WURDE VOR DEN AUGEN MEINER MUTTER GEKREUZIGT.
Nun ist es so, dass REVOCATION im Death Metal nicht die Ersten sind, die ein Album ĂŒber die Hölle schreiben.
Ich war selbst hin- und hergerissen, was das Konzept angeht. Zuallererst ist das Ganze mal eine Hommage an die infernalischen Death-Metal-Bands, mit denen ich aufge wachsen bin. Ich wurde katholisch erzogen, auch wenn meine Mutter jetzt nicht super religiös war. Sie wollte, dass ich auf eine private katholische Schule gehe und ein pro duktives Mitglied der Gesellschaft werde. Ich spielte sogar Jesus in einem TheaterstĂŒck in der Schule und wurde vor den Augen meiner Mutter gekreuzigt.
GlĂŒckwunsch dazu!
Danke! Haha. Die Rolle wollte ich damals unbedingt. Ich hatte schon frĂŒh SpaĂ daran, auf der BĂŒhne zu stehen und zu spielen. Diese Ikonografie war also Teil mei ner Erziehung. Bis ich auf die Mittelschule gekommen bin, glaubte ich an diese reli giösen GlaubenssĂ€tze. Wie konnte ich auch nicht? Ich wurde ja in diesem Umfeld groĂgezogen. Heute denke ich natĂŒrlich, dass das alles groĂer Quatsch ist. Zusammen mit einer gehörigen Portion Skeptizismus hat mir Death Metal dabei geholfen, aus diesem Denken auszubrechen. Das Konzept der Hölle ist dennoch im Metal sehr verbreitet, es gibt aber weitere wichtige mit dem Genre assoziierte Aspekte, die nicht so oft beleuchtet werden. Freie MeinungsĂ€uĂerung, freies Den ken, das Treffen von eigenen Entscheidungen oder das Hinterfragen von AutoritĂ€ ten. Neben seiner BrutalitĂ€t kann man bei einigen Bands also noch weitere Dinge aus der Musik ziehen. Zur gleichen Zeit waren Religionen in der Vergangenheit mal mehr, mal weniger groĂe Bedrohungen. FĂŒr eine kurze Zeit war das Christentum ein einfaches Ziel. Es schien so wĂŒrde als wĂŒrde sein gesellschaftlicher Einfluss zurĂŒckgehen und man könnte ganz einfach draufhauen. Schaut man sich Umfra gen aus der jĂŒngsten Vergangenheit an, tendiert die Welt immer mehr in Richtung Agnostizismus und SĂ€kularismus. Gerade in Amerika ist es aber so, dass die Rech ten und Evangelikalen eine, aus meiner Sicht, absolut unheilige Allianz bilden. Auch wenn die das sicher anders sehen. Das ist sehr beunruhigend. Ich zitiere hier immer gerne Thomas Jefferson: âEwige Wachsamkeit ist der Preis ewiger Freiheit.â Wenn du zu selbstzufrieden wirst, dann greifen Leute nach der Macht, von denen du das eigentlich nicht möchtest. Das Christentum fĂŒhlt sich also aktuell nicht mehr nach einem leichten Ziel an. Angesichts des Aufschwungs von theokratischen und tota litĂ€ren Gruppen, die die Grenzen zwischen Staat und Kirche einreiĂen möchten, war ich der Meinung, dass ich diesen Zeitgeist aufgreifen und diese diabolische, infernale, satanische Platte schreiben muss.
Manuel Stein
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STRAY FROM THE PATH
du hast das Album zusammen mit eurem Schlagzeuger Craig Reynolds vornehmlich ĂŒber das Internet geschrieben. Wie war diese Erfahrung?
Tom,
Ich weiĂ nicht, ob ich es noch einmal machen wĂŒrde. Aber es hat wirklich SpaĂ gemacht. Vieles davon haben wir sogar ĂŒber Twitch gestreamt. Die Zuschauer konnten direkt am Schreibprozess teilhaben. Es gab dabei Streams, bei denen nichts rumkam, aber auch andere, bei denen uns die Zuschauer wirklich halfen, einen Song zu vervollstĂ€ndigen. Das Langweilige fĂŒr mich war, wenn ich ein Riff geschrieben und dieses an Craig geschickt hatte. Er spielte dann Schlagzeug dazu, programmierte es, was er da gespielt hatte, und ich bekam das Ganze zurĂŒck. Dann fĂŒgte ich wieder etwas hinzu und so weiter. Aber es gab dieses Mal auch Lieder, die mit dem Schlagzeugpart beginnen. Der erste Song des Albums zum Beispiel, âNeedful thingsâ. Der Beat, den du auf der Platte hörst, war auch derjenige, den er mir als initiale Idee geschickt hatte. Das Lied kam super schnell zusammen. âGuillotineâ zum Beispiel haben wir komplett im Stream geschrieben. Manche haben sicher noch den Arbeitstitel im Kopf, der lautete âGaryâ. Sie kennen den Track also noch in diesem Status und haben uns dabei zugesehen, wie wir ihn ausgearbeitet haben. Als wir schlieĂlich zu Will Putney ins Studio gegangen sind, haben sich einige Elemente noch mal geĂ€ndert. In ihrer finalen Fassung sind die Lieder also auch fĂŒr die Leute, die uns beim Schreiben begleitet haben, frisch und neu.
Was habt ihr wĂ€hrend des Schreibens ĂŒbereinander gelernt, das ihr vorher noch nicht wusstet? Oh, das ist schwierig. Vielleicht, dass uns wirklich nichts aufhalten kann. Wenn wir weitermachen möchten, dann finden wir einen Weg. Wir waren schon immer eine recht resiliente Band. Am Anfang wollte uns zum Beispiel niemand interviewen und auch die Radiostationen spielten unsre Lieder nicht. Wir waren unserer Zeit etwas voraus mit Alben wie âMake Your Own Historyâ, âAnonymousâ oder auch âSubliminal Criminalsâ. Es hat immer ein bisschen gedauert, bis wir verstanden wurden. Wenn Leute
um die zwanzig sind, dann wollen sie oft eine gewisse EinstiegshĂŒrde in ihrem Metal, Metalcore oder Hardcore. Erst spĂ€ter sind sie auf der Suche nach eher ausgefallenen Sachen oder auch mit mehr inhaltlichem Tiefgang. Nicht jeder NeunzehnjĂ€hrige möchte Lieder ĂŒber Nazis, die Polizei und Sozialismus hören. Wenn die Menschen Ă€lter werden, kommen wir ins Spiel.
Humor und spricht die gleiche Sprache. Mittlerweile ist er fĂŒr uns wie ein fĂŒnftes Bandmitglied. Wir mĂŒs sen nicht einmal mehr darĂŒber debattieren, mit wel chem Produzenten wir aufnehmen wollen, sondern rufen bei Will an und fragen, wann wir vorbeikommen können. Wir kennen seine Familie, seine Frau, seine Hunde. Er gehört quasi mit zur Familie und zu Stray. Und wenn er uns beim Schreiben aushilft, bekommt er seinen Anteil.
Auf mich wirkt euer neues Album ziemlich dĂŒster, sowohl musikalisch als auch inhaltlich. Auf âInternal Atomicsâ gab es einige positive Momente, auch dank der ErklĂ€rung der Philosophie des Albums im Booklet. Jetzt hingegen scheint alles nur noch dĂŒster und negativ zu sein. Woran liegtâs?
Wer mit euch gewachsen ist, du hast ihn auch schon einmal erwĂ€hnt, ist euer Produzent Will Putney. Das ist nun das sechste Album, das ihr mit ihm aufgenommen habt. Wie hat sich eure Zusammenarbeit ĂŒber die Jahre verĂ€ndert? Mittlerweile ist er fĂŒr uns quasi unersetzbar. Ich kann mir aktuell nicht vorstellen, noch einmal ein Album ohne ihn aufzunehmen. In der Vergangenheit haben wir einmal mit Kurt Ballou von CONVERGE gearbei tet. Der ist mein Lieblings-Hardcore-Gitarrist. Aber wir haben irgendwie nicht zusammengepasst. Vieles hatte bestimmt damit zu tun, dass wir 2007, als âVil lainsâ entstand, noch sehr jung waren. Dann haben wir mit Misha von PERIPHERY aufgenommen, âMake Your Own Historyâ. Auch hier passte es einfach nicht. Ich bin immer noch sehr stolz auf die beiden Alben, aber irgendwie funktionierte es nicht. Dann hatte Drew ein Gastauftritt auf einem Album gehabt, das Will zu der Zeit produzierte. Drew und ich sind also zu Will ins Studio. Wir trafen uns, mochten uns und haben danach âRising Sunâ bei ihm aufgenommen. Ich mag das Ergebnis mittlerweile gar nicht mehr, aber die Zeit im Studio war trotzdem spaĂig. Er kommt auch aus dem Nordwesten, hat also eine Ă€hnliche Art von
âInternal Atomicsâ haben wir quasi direkt im Anschluss an eine Reise nach Afrika geschrieben. Dort haben speziell mit Rico von der Hardcore Help Foundation und Ross von âActions Not Wordsâ zwei Personen getroffen, die uns beeindruckt haben. Das sind Leute, die alles in ihrem Leben aufgegeben haben, um Menschen zu unterstĂŒtzen, die hilfebedĂŒrftig sind. Wir kamen von diesem Hoch, wir hatten Menschen getroffen, die absolut inspirierend waren, wirkliche Helden! Das hat uns sehr positiv gestimmt. 2020/21 war es das komplette Gegenteil. Jeder war super selbstbezogen. Die Leute haben sich nicht impfen lassen, wollten aber die Betten im Krankenhaus in Anspruch nehmen, wenn sie krank wurden. Dazu kommen die ganzen querulantischen Neonazis und Waffenfanatiker. Da werden Kinder in einer Schule erschossen und die Polizei steht drauĂen, hört zu und wartet ab. Wie viele Kinder hĂ€tten wohl gerettet werden können, wenn die Polizei getan hĂ€tte, wozu sie da ist? Das Bild auf dem Cover soll die Möglichkeit symbolisieren, dass die Erde uns einfach per Knopfdruck von ihrem Antlitz tilgt. Ich will jetzt natĂŒrlich nicht sagen, dass jeder auf der Welt sofort sterben muss. Es ist eher unsere kĂŒnstlerische Herangehensweise, um unseren GefĂŒhlen Ausdruck zu verleihen.
Manuel Stein
AM PULS DER ZEIT. Sie sind immer auf der Höhe. Auch ihr zehntes Album âEuthanasiaâ reflektiert das. Entstanden mit Hilfe modernster Mittel wĂ€hrend einer Pandemie, geht es inhaltlich um die Geister, die aktuell unsere Welt heimsuchen. Wir sprechen mit Gitarrist Tom Williams.
âGUILLOTINEâ ZUM BEISPIEL HABEN WIR KOMPLETT IM STREAM GESCHRIEBEN.
Foto: quintenquist.com
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BRUTUS
Ichglaube, das hier ist mittlerweile unser viertes Interview. Und seit wir das erste Mal miteinander gesprochen haben, seid ihr als Band und musikalisch gewachsen und quasi berĂŒhmt geworden. Wie erlebt ihr dieses Wachstum?
Peter: Ich empfinde es nicht als BerĂŒhmtheit. Aber ich hoffe, dass wir musikalisch gewachsen sind. Dass die Songs vielleicht nicht besser sind, aber anders, und dass wir uns verĂ€ndert haben.
Stefanie: Ich denke, das Ziel war immer das selbe. Wir wollten ein gutes Album oder einen guten Song schreiben. Und ich hoffe, dass wir eine Entwicklung des musikalischen Levels haben. Aber unsere Intention ist gleich geblieben, wir haben das von Anfang an sehr ernst genommen. Nicht dass wir bei den Proben immer total ernst waren, aber von Anfang an wollten wir etwas Gutes machen und haben hart dafĂŒr gearbeitet.
Peter: Und jetzt kommen tatsĂ€chlich ein paar Dinge dazu: Wir haben jetzt einen Tourmanager, weil es sonst zu viel fĂŒr uns ist, uns um Interviews, Fahrten, Lichttechnik und so was zu kĂŒmmern. Wir werden also gröĂer, auf eine Art.
Stefanie: Oder beschÀftigter.
In den vergangenen Interviews klang es immer so, als wĂŒrde eurer Songwriting-Prozess entweder mit einem Album oder der Auflösung der Band enden, weil ihr alle so unterschiedliche Erwartungen und Meinungen habt. Wie lief es dieses Mal?
Stefanie: Ich denke der Prozess lief dieses Mal sehr gut. FĂŒr uns war es gut, aber die Standards sind sehr hoch.
Peter: Was meinst du?
Stefanie: Es ist nicht mehr nur âder Songâ, sondern wir stellen uns jetzt auch Fragen ĂŒber die Frequenz ...
Peter: Ach so, wir gehen immer tiefer, ja. Aber wenn du den Prozess zwischen uns dreien meinst, ob wir uns gestritten haben oder nicht ... Die letzten zwei Jahre waren fĂŒr uns eher eine Zeit des Teambuilding. Denn vorher, auch als wir âNestâ geschrieben haben, war es sehr stressig, wir waren auf Tour und hatten noch keinen Tourmanager. Also es ging immer Schlag auf Schlag. Als dann die Pandemie kam, hatten wir viel Zeit zu dritt. Wir hatten viel Zeit zu schreiben und zu kochen. Manchmal haben wir einfach sieben Stunden geredet und dann eine halbe Stunde mit einem Effekt herumgespielt. Und an anderen Tagen haben wir nur geschrieben. Wir sind
in der Zeit zusammengewachsen. Und das hat uns beim Schreiben und Aufnehmen der Songs geholfen. Korrigier mich, Stefanie, aber wir haben uns wenig bis gar nicht gestritten, oder?
Stefanie: Stimmt, weil es keine Ăberraschungen im Studio gab. FĂŒr âBurstâ haben wir mit der Handy-Auf nahmefunktion gearbeitet fĂŒr die Demos. Und manch mal war es dann im Studio eine Ăberraschung: Ach, das spielst du da? Dieses Mal haben wir die Demos mit extra Mikrofonen aufgenommen. Das war ein groĂer Unterschied.
Stefanie: TatsÀchlich gibt es nur einen Song mit Blastbeats, aber das ist ein sehr langer Song.
Peter: Stimmt, also darauf haben wir nicht geachtet, sondern eher auf die Funktion der StĂŒcke.
Stefanie: Du willst dich als Band ja auch entwickeln und wir versuchen, immer zu wachsen. Ich denke, wenn du dir alle drei Alben von uns anhörst, wird der Weg, den wir gehen, sehr deutlich sichtbar.
âVictoriaâ dreht sich im weitesten Sinne ums Erwachsenwerden. Wie sieht es thematisch auf dem Rest des Albums aus?
Es klang auch immer so, als wĂŒrde euer Album nur aus Blastbeats bestehen, wenn ihr Stefanie das Ruder ĂŒberlassen solltet. Hört man sich euer neues Album an, klingt es so, als hĂ€tte Stefanie sich nicht durchgesetzt oder ihre Meinung geĂ€ndert. Was ist passiert?
Stefanie: Stefanie ist Ă€lter geworden, haha. Als wir angefangen haben, war ich in meiner rebellischen Phase einer 23-JĂ€hrigen. Und eventuell wollte ich manchmal die Gesangsparts kompensieren. Vielleicht ist es das. Am Anfang habe ich KĂ€mpfe im Kopf ausgefochten, weil ich eigentlich nur Schlagzeugerin sein wollte, aber auch die SĂ€ngerin war. Jetzt, da wir Ă€lter sind, sprechen wir eher darĂŒber, was ein Song braucht, anstatt ĂŒber das Konzept eines Songs zu sprechen, das ich mir wĂŒnsche. Und wenn du sagst, dass ich das so gesagt habe, ist das komisch fĂŒr mich und klingt nach einer sehr jungen Stefanie.
Peter: Jetzt sprechen wir mehr ĂŒber die Funktion eines Songs. Aber es gibt immer noch Blastbeats auf dem Album.
Stefanie: Insgesamt dreht sich âUnison Lifeâ um das Streben nach einem Leben in Harmonie. Manchmal klappt das und manchmal klappt es nicht. Wir haben âDustâ und âLiarâ schon veröffentlicht. Ich möchte immer, dass alles schön und frei von Konflikten ist. Aber das funktioniert nicht. Und darum geht es in âLiarâ. Es geht um mich oder andere Leute, die lĂŒgen, weil es in diesem Moment als die beste Möglichkeit erscheint, um die Harmonie zu wahren. Aber am Ende ist das immer eine schlechte Idee. Ich weiĂ, dass man das nicht machen sollte, aber ich mache es trotzdem. Wenn ich könnte, wĂŒrde ich nie unangenehme Dinge ansprechen, das ist ein schlechter Charakterzug von mir. Selbst wenn andere Leute eine Diskussion beginnen, friere ich quasi ein.
Peter: Und ich bin das genaue Gegenteil, ich brauche Diskussion und Reibung. Und Stijn geht gerne Kompromisse ein. Damit hast du jetzt eine gute Definition unserer Band.
Stefanie: ZurĂŒck zum Album: Bei âNestâ ging es viel darum, sein Zuhause zu vermissen und darum, was daheim passiert ist, wĂ€hrend man nicht da war. Es ging um Dinge, die in der AuĂenwelt passiert sind. âUnison Lifeâ dagegen wurde im Lockdown geschrieben. Da ist nichts passiert, gar nichts. Dadurch musste ich mich mit meinen Gedanken und Fragen im Inneren beschĂ€ftigen. Dadurch kamen die Lyrics zustande. Ich kann mir auch keine Geschichten ausdenken und darĂŒber schreiben. âJuliaâ auf âBurstâ ist zum Beispiel aus der Sicht einer dritten Per son geschrieben. Dabei geht es eigentlich um mich, ich hatte nur die den Mut, das zu sagen. Jetzt ist es mir egal. An dem Tag, an dem wir als Personen nicht mehr in den Texten zu finden sind, können wir auch gleich aufhören. Britt MeiĂner
BREAK UP ODER BREAKTHROUGH? Nach Lockdowns und Live-Alben ging auch fĂŒr BRUTUS aus Belgien das Musikleben weiter. Mit niemandem habe ich bisher hĂ€ufiger gesprochen als mit SĂ€ngerin und Schlagzeugerin Stefanie Mannaerts und Bassist Peter Mulders. Kein Wunder also, dass dieses GesprĂ€ch ĂŒber âUnison Lifeâ ziemlich in die Tiefe geht.
Foto: quintenquist.com
AM ANFANG HABE ICH KĂMPFE IM KOPF AUSGEFOCHTEN, WEIL ICH EIGENTLICH NUR SCHLAGZEUGERIN SEIN WOLLTE, ABER AUCH DIE SĂNGERIN WAR.
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seine Arbeitsweise, aber auch die Tatsache, dass er nur fĂŒnf Minuten die StraĂe runter von mir wohnt. Das hat uns die Arbeit deutlich erleichtert, denn nach einer ersten Phase, die wir zusammen im Studio verbracht haben, haben wir, aufgrund unserer privaten ZeitplĂ€ne, meist getrennt voneinander gearbeitet. DarĂŒber hinaus hat er auch verstanden, dass wir unseren Sound stĂ€ndig erweitern und mit jeder Platte eigenwilliger werden wollen. Dieses VerstĂ€ndnis unserer Band spiegelt sich nun auch in dem grandiosen Sound des Albums wider.
PIANOS BECOME THE TEETH
LICHT UND SCHATTEN IM EINKLANG. Vor einigen Tagen ist Kyle Durfey zum zweiten Mal Vater geworden. Dementsprechend muss der PIANOS BECOME THE TEETH-SĂ€nger erst seine Gedanken sortieren und zeitliche RĂ€ume schaffen, wenn es um seine Band geht. Aber selbst wenn privat die Sonne scheint, erkundet Kyle auch auf dem fĂŒnften Album die AbgrĂŒnde und Schattenseiten seiner Existenz. Nur klingt das bei der Band aus Baltimore mittlerweile ganz anders als auf dem verzweifelten Mei lenstein âThe Lack Long Afterâ von 2011, aber auch nicht mehr wie die jĂŒngeren Werke âKeep Youâ und âWait For Loveâ, die bereits eine ZĂ€sur markierten.
Nebenall dem, was gerade in deinem Leben passiert, wie aufregend ist da noch eine Albumveröffentlichung fĂŒr dich?
Oh, das ist immer noch eine sehr emotionale Sache. Auch wenn meine Texte nicht mehr so leicht zu entschlĂŒsseln sind wie frĂŒher, ist das, was ich mache, immer noch absolut ehrlich und untrennbar mit meinem Leben verbunden. Jedes Mal, wenn wir an einem neuen Album arbeiten, habe ich den Anspruch, mich verwundbar zu machen. Wenn ich nicht das GefĂŒhl habe, die Leute an meinem Leben teilhaben zu lassen und ihnen einen Einblick zu gewĂ€hren, habe ich in meinen Augen einen schlechten Job gemacht. Es darf sich nicht leicht anfĂŒhlen.
FĂŒr einen Menschen, der mitten im Leben steht, sind auf âDriftâ immer noch eine Menge Dunkelheit und Selbstzweifel rauszuhören.
Ich habe das GefĂŒhl, dass diese Traurigkeit und die Melancholie einfach zu uns gehören. Dieser Vibe zieht sich durch alle Elemente unserer Musik.
Aber geht mittlerweile auch ab und zu mal das Licht an?
Da sind Licht und Schatten gleichermaĂen. Genau darum geht es bei diesem Album: Beide Komponenten sollen ihren Platz bekommen und keine die Ăberhand gewinnen.
Inhaltlich zeichnest du dabei ein introvertiertes Bild deiner selbst. Welches VerhÀltnis hast du zu deiner Rolle als Frontmann einer Rockband?
Ich habe mich daran gewöhnt. Wenn wir alle fĂŒnf zusammen auf der BĂŒhne stehen, kann ich in dieser Einheit ein wenig verschwinden. Es ist immer noch ein eigenartiges GefĂŒhl, mich vor Publikum zu offenbaren, doch ich fĂŒhle mich nicht mehr unwohl â rufe den Leuten aber auch nicht zu: Hey, seht mich an!
Trotzdem stehst du bei allen Videos zum neuen Album klar und meist allein im Mittelpunkt. Jeder in der Band hatte so viel zu tun, dass irgendwann die Zeit knapp wurde, und dann konnten wir kurzfristig keinen Videoregisseur finden. Daraufhin fragte ich unseren Gitarristen Mike und seine Frau, ob wir nicht etwas versuchen wollen, was vielleicht cool aussieht, und das hat dann auch funktioniert. Ein Vorteil, die Sache selbst zu machen, lag darin, dass ich mit ihnen keine Probleme hatte, mich verletzlich zu fĂŒhlen. Ich musste niemand AuĂenstehendem Ideen erklĂ€ren, die sich eventuell als nicht gut entpuppen.
Ist das der Grund, warum ihr bei der Produktion wieder mit Kevin Burnstein, dem Produzenten von âThe Lack Long Afterâ, zusammengearbeitet habt?
Genau. Er ist seit damals einer unserer besten Freunde geblieben und ein UnterstĂŒtzer der Band. Wir mögen
TatsĂ€chlich hat sich euer Sound mit âDriftâ erneut hörbar geĂ€ndert. Dass ihr offenbar kein Interesse mehr daran habt, Singles zu schreiben, ist da nur eine Feststellung.
âDriftâ ist definitiv spezieller. NatĂŒrlich fordern wir uns mit jedem Album aufs Neue heraus und wollen den Sound erkennbar verĂ€ndern, trotzdem ist das Ziel aber auch PIANOS BECOME THE TEETH zu bleiben. Unser Anspruch ist, jede Art von Song schreiben zu können, hĂ€rter, ruhiger, launischer, und trotzdem nie unseren eigenen Kosmos zu verlassen. Dieses Mal war es eben nicht unser Plan, Singles zu schreiben, sondern dass der Vibe die Leute fesselt.
TatsĂ€chlich hat man schnell den Eindruck, dass die AtmosphĂ€re auf âDriftâ stark im Zentrum steht. Exakt. Uns war das kohĂ€sive GefĂŒhl von Anfang bis Ende extrem wichtig, dass die Songs eine wirkliche Einheit bilden und keiner wichtiger ist als der andere. Dementsprechend haben wir auch eine halbe Ewigkeit an der Tracklist gearbeitet, damit die StĂŒcke entsprechend ineinanderflieĂen und nicht wie zufĂ€llig nebeneinander stehen.
Bist du eher ĂŒberrascht, dass ihr bereits euer fĂŒnf tes Album veröffentlicht, oder war es eine lange beschwerliche Reise, die euch in den Knochen steckt? Wenn ich unsere musikalische Entwicklung betrachte, ist es definitiv logisch, dass wir fĂŒnf Alben gebraucht haben. Nimmt man allerdings unsere Arbeitsweise in den Fokus, ist es schon eher ĂŒberraschend. Andere veröffentlichen alle zwei Jahre ein neues Album, schon allein, um die Maschine am Laufen zu halten. Aber so eine Band waren wir nie. Wir könnten auch nie so funktionieren. Drei bis vier Jahre ist unsere Zeitspanne. Wir mĂŒssen erst ein bisschen leben, bevor wir wieder eine neue Platte schreiben können.
Wie viele Alben könnt ihr noch veröffentlichen, bevor ihr zu alt fĂŒr die Post-Hardcore-Szene seid? Was meine Geisteshaltung betrifft, fĂŒhle ich mich sehr wohl da, wo ich bin. Ich liebe es, in einer Band zu sein, und die Jungs sind meine besten Freunde. Das kann bis zu meinem Tod so weitergehen. In welcher Taktzahl das passiert, kann ich allerdings nicht sagen. Je lĂ€n ger aber die Band besteht, umso mehr gewinnt unser Leben auĂerhalb davon die Oberhand. Zum GlĂŒck ist es aber heutzutage ein Leichtes, sich gegensei tig Tracks hin- und herzuschicken, so dass man nicht immer in einem Raum sein muss, um gemeinsam Musik zu machen.
Christian Biehl
ES IST IMMER NOCH EIN EIGENARTIGES GEFĂHL, MICH VOR PUBLIKUM ZU OFFENBAREN, DOCH ICH FĂHLE MICH NICHT MEHR UNWOHL âRUFE DEN LEUTEN ABER AUCH NICHT ZU: HEY, SEHT MICH AN!
Foto: quintenquist.com
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GOATWHORE
ALTE SCHULE. Die Pandemie kam fĂŒr GOATWHORE zu einem taktisch gĂŒnstigen Zeitpunkt. Ausgelaugt von vielen Shows zu ihrem 2017 veröffentlichten Album âVengeful Ascensionâ konnte sich die Band viel Zeit nehmen, um an einem neuen Album zu schreiben. Dabei hat sich der Sound von GOATWHORE ĂŒber die letzten fĂŒnf Jahre wenig verĂ€ndert, wie Schlagzeuger Zack Simmons erzĂ€hlt.
DerSound von GOATWHORE hat sich ĂŒber die Jahre kaum wirklich verĂ€ndert, sondern eher konsolidiert. Gab es nie den Wunsch, sich musikalisch weiter auszuprobieren?
Wir probieren natĂŒrlich viele Dinge aus, aber wir wissen auch, wofĂŒr wir als Band stehen. Wir wissen, welche Freiheiten wir uns nehmen können, aber es ist auch ein kollektives GefĂŒhl, dass wir wissen, was wir tun können und was wir besser sein lassen. Es geht darum, was sich fĂŒr uns richtig anfĂŒhlt, und all das mit reinzubringen, worum sich diese Band dreht, und auf unsere StĂ€rken zu bauen.
Gab es im Songwriting fĂŒr das Album auch Ideen, die ihr schnell wieder verworfen habt?
NatĂŒrlich gab es das. Manchmal hat man EinfĂ€lle, die nicht so gut sind, weil sie einfach nicht funktionieren.
Wir haben uns an solchen Sachen aber nicht lange aufgehalten und neue Dinge probiert. Wenn etwas nicht funktioniert, dann ist das so und wir schauen weiter.
In vielen Kommentaren im Internet heiĂt es, dass man euch fĂŒr unterbewertet hĂ€lt. WĂŒrdest du diese Ansicht teilen?
Wir arbeiten ziemlich hart und sehen das Ganze realistisch. Es ist auf jeden Fall besser, wenn wir als unterbewertet gelten denn als ĂŒberbewertet, haha. Manchmal vergesse ich auch, dass wir es mit unserem Namen nicht allzu leicht haben. Wenn ich jemanden, den ich kaum kenne, von der Band erzĂ€hle, sage ich immer, atme mal kurz durch, bevor ich den Namen sage. Vielleicht ist es auch der Name, der einige abschreckt.
Gab es mal Ăberlegungen, den Namen zu Ă€ndern? Nein, das stand nie zur Debatte. Unsere AttitĂŒde ist klar: Love it or hate it.
Was, wĂŒrdest du sagen, ist das Wichtigste im Sound von GOATWHORE?
Es sind definitiv die Riffs. Die Riffs sind die Grundlage fĂŒr mich und Metal generell, was meine Lieblingsbands
betrifft. Ich höre viel Oldschool Heavy Metal und die besten Songs haben groĂartige Riffs, die zu kohĂ€siven Paketen geschnĂŒrt sind und miteinander harmonieren. Was GOATWHORE betrifft, bin ich immer wieder begeistert, wie konstant Sammy unfassbar eingĂ€ngige Riffs schreibt.
UNSERE ATTITĂDE IST KLAR: LOVE IT OR HATE IT.
Ich habe oft das GefĂŒhl, dass man als Schlagzeuger die Wirkung eines Riffs massiv beeinflussen kann. Siehst du das auch so?
Ich stimme dir total zu. Wir experimentieren damit wirk lich viel. FĂŒr mich als Drummer in diesem Genre und ins besondere in dieser Band gibt es ein gewisses Vokabular an Metal-Beats, die mit unseren Riffs funktionieren. Man bekommt ein GespĂŒr dafĂŒr und weiĂ schnell, was passt. Je mehr man mit einem Riff rumspielt und Variationen ausprobiert, desto mehr erkennt man, welche Parts wirk lich funktionieren. Das dann variativ zu gestalten, macht die Musik und das Riff noch spannender.
Die Metal-Szene ist aktuell sehr modern, ihr bevorzugt aber weiterhin einen Oldschool-Sound ... Das ist die Art und Weise, wie wir Dinge anpacken. Es ist witzig, dass wir damit heutzutage rausstechen, weil es irgendwie anders ist. Wir machen nicht Musik, die extrem ist, um extrem zu sein, wie manche Bands, die moderner klingen. Uns geht es um starke Kontraste und eine groĂe Portion Variation in der Musik. Dadurch werden viele Dinge spannender. Allgemein ist die aktuelle Metal-Szene enorm stark, abhĂ€ngig vom jeweiligen Subgenre natĂŒrlich. Es gibt so viele Bands, es ist ĂŒberwĂ€ltigend, aber Metal generell ist enorm stark zur Zeit und das freut uns.
Heavy Metal und die Oldschool-Ăsthetik des Genres wurde auch durch die letzte âStranger ThingsâStaffel wieder mehr in den Fokus der Popkultur gerĂŒckt. Wie stehst du dazu, wenn sich Kids METALLICA-Shirts bei H&M kaufen, aber kaum mit der Musik auseinandersetzen?
Ich sehe viele Menschen, die eine Gatekeeping-MentalitĂ€t an den Tag legen und wĂŒtend werden, wenn jemand ein Bandshirt trĂ€gt, aber keine drei Songs der Band kennt. Mir ist das total egal. Wenn jemand ein Shirt trĂ€gt und damit glĂŒcklich ist, ist das doch super. Die Vorliebe fĂŒr Metal in der Popkultur ist doch fĂŒr uns alle cool, da geht es nicht darum zu posen.
Also hÀttest du nichts dagegen, wenn man GOATWHORE-Shirts bei H&M kaufen könnte?
Ich glaube nicht, dass ein GOATWHORE-Shirt fĂŒr H&M aufgrund unseres Namens angemessen wĂ€re, haha. Aber wenn Leute es kaufen wollen wĂŒrden, wĂ€re das cool fĂŒr mich.
GOATWHORE scheinen ein ziemlich stabiles Bandge fĂŒge zu haben. Wie fĂŒhlt sich das nach all der Zeit an? NatĂŒrlich gibt es Höhen und Tiefen, wie in jeder Bezie hung. Es basiert einfach darauf, sich gegenseitig zu respektieren, ehrlich zu sein und zu tolerieren. Ich mag es, wenn Bands ein konstantes Line-up haben, weil das eine gewisse Magie in sich birgt. Am Ende sind es oft gute Freunde und das fĂŒhrte bei vielen meiner Lieb lingsbands dazu, dass sie das beste Material ihrer Kar riere schreiben, was meiner Meinung nach ziemlich cool ist.
Im Januar und Februar kommt ihr zurĂŒck nach Europa, was steht sonst noch an?
Wir hoffen, auch im Sommer noch mal nach Europa zu kommen und unseren Fans das Album live prÀsentieren zu können. Wir haben echt viel in den USA gespielt und können es kaum abwarten, wieder nach Europa zu kommen. Ich freue mich schon drauf.
Rodney Fuchs
Foto: Stephanie Cabral
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LORNA SHORE
Mit âPain Remainsâ wollen LORNA SHORE beweisen, dass sie das hohe Niveau der vorangegangenen EP auch halten können.
Diese ging berechtigterweise durch die Decke und mit Will Ramos, der seit 2021 dabei ist, hat die Band nun einen Shouter gefunden, der bereits technisch wie auch textlich beeindrucken konnte. âWir waren unterwegs und plötzlich endete die Tour abrupt wegen der Pandemie. Also setzten wir uns hin, um zu schauen, wie wir das Beste aus dieser Zeit machen.
Ich meine, wir haben uns dann darauf fokussiert, das bestmögliche StĂŒck Musik rauszubringen, und so haben wir diese EP rausgebracht und die hat das gemacht, was sie eben gemacht hat.â
Ein groĂer Teil des durchschlagenden Erfolgs der EP ist sicher darauf zurĂŒckzufĂŒhren, dass Will bei LORNA SHORE eine Menge kreativer Freiheiten genieĂt, die er bei frĂŒheren Bands nicht hatte. âWeiĂt du, ich habe in Bands gespielt, die mir immer wieder gesagt haben: âMach diesâ oder âMach dasâ und âKannst du das hier vielleicht so machen?â, aber die Jungs von LORNA SHORE sagten zu mir: âMach das, was fĂŒr dich gut funktioniertâ und dass ich das machen konnte, sowohl auf der EP als auch jetzt auf dem Album, hat sich ausgezahlt. Man kann hören, dass es nicht mehr die typischen LORNA SHORE sind. Die neuen Releases hören sich anders an und wir alle konnten unser eigenes Ding machen. Als wir das Album schrieben, war ich von allen separiert in einem eigenen Raum und dann kamen wir alle zusammen und die Jungs sagten: âOkay, das nehmen wir aufâ und ich war begeistert.â
Die komplette Band stand also hinter Wills Vision und dem, was er einbringen wollte? âOh ja, defi nitiv und das war groĂartig. Ich bin das so nicht gewohntâ. Kamen dadurch auch mehr Experi mente zustande? âJa, durch diesen RĂŒckhalt habe ich auch mehr gewagt. Es war mir jederzeit möglich, verschiedene Vocalparts an verschiedenen Stellen auszuprobieren und mich so zu verbessern. Diese
Freiheit hat letztendlich wirklich einen Unterschied fĂŒr mich gemacht.â Was genau konnte Will jetzt bei LORNA SHORE einbringen, was zuvor in anderen Bands nicht möglich war? âOh, vor allem Konzepte fĂŒr Texte. Ich konnte poetischer sein und musste nicht alles so geradeheraus formulieren. Ich war in vielen Bands, die hier sagten: âDas können wir nicht machen, das ist zu heavyâ oder âDas kön nen wir nicht machen, das ist nicht heavy genugâ. FĂŒr mich war die Freiheit, meine harten, aber auch die nicht so harten Ideen einzubringen, ein richti ger Gamechanger. Die emotionalsten Passagen in den neuen Songs sind die Mitten. Also die nicht komplett hohen oder komplett tiefen Screams. Viele Deathcore-Bands wollen eben diese Höhen und Tiefen in den Screams und das schrĂ€nkt viele Bands extrem ein! Aber gerade diese Mitten heben das, was wir tun, auf das nĂ€chste Level.â
Dann erklĂ€rt mir Will das Konzept hinter âPain Remainsâ: âDie Grundidee, die ich fĂŒr das Album hatte, war eine zehn Song starke Geschichte zu erzĂ€hlen. Ich schreibe oft solche langen Sachen. Als ich an diesem Album arbeitete, erinnerte ich mich an viele meiner frĂŒheren Inspirationsquellen wie Mangas und Animes. In diesem Fall erinnerte ich mich an einen Charakter aus einem Anime, der von allen als langsam beschrieben wird, und man erfĂ€hrt zu Anfang nicht, warum. Aber im Laufe der
Geschichte erfĂ€hrt man, dass der Grund fĂŒr diese Langsamkeit darin liegt, dass der Charakter mit der RealitĂ€t abgeschlossen hat. Er hatte einfach beschlossen, sich in TrĂ€ume zu flĂŒchten. Wenn man lernt, luzid zu trĂ€umen, dann wird man eine Art Gott. Dieser Charakter war also ĂŒberzeugt, mit der echten Welt abgeschlossen zu haben, und nahm Schlaftabletten, um in diesem Zustand zu bleiben. Das ist wirklich unglaublich traurig, aber auf der anderen Seite war dieser Charakter eben sehr viel glĂŒcklicher in seinen TrĂ€umen â und wer bin ich, darĂŒber zu urteilen? Ich meine, am Ende des Tages wollen wir alle einfach nur glĂŒcklich sein. Dieses BittersĂŒĂe der Geschichte inspirierte mich, meine eigene Version davon zu schreiben. Hinzu kam, dass ich genau zu dieser Zeit damit aufhörte, permanent Weed zu rauchen. Wenn man aufhört, so viel zu kiffen, trĂ€umt man so unglaublich viel. Also wollte ich etwas ĂŒber TrĂ€ume schreiben. Ich schrieb eine Geschichte ĂŒber eine Person, die die eigene RealitĂ€t satthatte, die anfing, luzid zu trĂ€umen, und in diesem Traumzustand realisierte, dass sie alles nur Erdenkliche erschaffen konnte und so der Gott dieser Traumwelt wurde. Und im Fortschreiten der Geschichte wird diese Person immer trauriger und trauriger. Und weil diese Traumwelt eben nicht real ist, verliert sie das Interesse daran. Das geht so weit, dass diese Person nicht mehr trĂ€umen will. Sie will zurĂŒck. Die letzten drei Songs des Albums sind die Klimax. Sie handeln davon, dass diese Person komplett verschwinden will. Die letzte Zeile des Albums dreht sich dann darum, in einem Flammenmeer zu verschwinden. Die Person will also die gesamte Welt zerstören und hofft, dass diese Zerstörung sie selbst mitnimmt. Im selben Moment erfĂ€hrt diese Person eine Katharsis. Als ich das schrieb, merkte ich, dass das wie ein Loop ist. Die Person versucht, der RealitĂ€t zu entfliehen, und schafft sich eine eigene RealitĂ€t, der sie dann letztendlich auch wieder entfliehen will. Hör das Album in einem Loop an und dann merkst du, dass es vom Ende wieder zum Anfang springt.â
Marvin KolbZITAT:
DER SCHMERZ BLEIBT. Nach der ĂŒberragenden EP â... And I Return To Nothingnessâ-stehen LORNA SHORE aus New Jersey ganz schön unter Druck, auch auf dem ersten Album mit SĂ€nger Will Ramos abzuliefern. Doch der zeigt sich von diesen Erwartungen unbeeindruckt, aber ĂŒberglĂŒcklich, seine eigene Vision ohne Kompromisse einbringen zu können, und erklĂ€rt mir das inhaltliche Konzept hinter âPain Remainsâ.
26 ALS ICH AN DIESEM ALBUM ARBEITETE, ERINNERTE ICH MICH AN VIELE MEINER FRĂHEREN INSPIRATIONSQUELLEN WIE MANGAS UND ANIMES.
SLEEPING WITH SIRENS
Ichmöchte zunĂ€chst einmal sagen: GlĂŒckwunsch! Der Klassiker âKing for a dayâ, deine Kooperation mit PIERCE THE VEIL, ist auf TikTok viral gegangen und landete zum ersten Mal seit seiner Veröffentlichung vor zehn Jahren auf Platz eins der âBillboard Hard Rock Streaming Songs Chartâ. Wie fĂŒhlt es sich an, dass dieser Titel immer noch so erfolgreich ist?
Es zeigt mir, dass gute Songs einfach gute Songs sind, weiĂt du? Und wenn sie gut geschrieben sind, ĂŒberdauern sie die Zeit. Ich denke, das ist die eine Sache, die ich durch die letzte Tour gelernt habe und dadurch, dass ich gesehen habe, wie elektrisiert und aufgeregt alle bei den Konzerten waren â es gibt mir das GefĂŒhl, dass es immer noch einen Platz fĂŒr SLEE PING WITH SIRENS gibt und das macht mich glĂŒck lich. Ich habe auf der BĂŒhne auf dieser Tour sehr oft gesagt, dass wenn ihr uns weiterhin Songs spielen hören wollt, werden wir weiterhin auftauchen, um sie zu spielen, und solange das der Fall ist, werden wir wei ter touren und Shows spielen.
Denkst du nicht, dass es Zeit fĂŒr eine weitere Zusammenarbeit mit PIERCE THE VEIL ist, um diesen Meilenstein zu feiern?
Nein. Auf keinen Fall. Der Blitz schlĂ€gt nicht zweimal an der selben Stelle ein. Ich denke, der Song ist nicht zu schlagen. Wir mĂŒssten diesem Vorbild gerecht werden, und das ist einfach nicht möglich. Der Song ist perfekt, so wie er ist.
NatĂŒrlich seid auch ihr mit neuer Musik zurĂŒck. Euer letztes Album wurde 2019 veröffentlicht, also mussten die Fans drei Jahre warten, denn ihr habt wĂ€hrend der Pandemie kein Album veröffentlicht. Was habt ihr in dieser Zeit gemacht?
Wir haben ĂŒberlebt, haha. Ich glaube, wir haben uns davor selbst zu Grunde getourt. âHow It Feels To Be Lostâ war gerade herausgekommen, wir hatten unsere erste eigene US-Tournee hinter uns. Davor waren wir auf dem Disrupt Festival, und ich glaube, wir brauch ten alle eine Pause, um herauszufinden, wer wir sind.
Zu Hause bei der Familie zu sein und sich zu erholen, war also sehr wichtig fĂŒr uns, und ich konnte mit eini gen anderen Musikstilen herumspielen. Ich habe mein
eigenes kleines Solo-Ding gemacht, um mein Gehirn zu beschĂ€ftigen. Und dann habe ich eine Menge Fea tures mit anderen KĂŒnstlern gemacht und ich glaube, irgendwann lag da einfach eine Reihe von Songs herum, von denen ich das GefĂŒhl hatte, dass sie ein guter Anfang fĂŒr ein Album sein könnten. Das war der Zeitpunkt, in dem ich das Telefon in die Hand nahm und alle anrief und sagte: âHey, lass uns wieder in einem Raum zusammenkommen und etwas machenâ. Ich glaube, es war das perfekte Timing, und ich glaube, wir haben wirklich tolle Musik daraus gemacht. Ich wollte auf keinen Fall eine Platte wĂ€hrend der Pande mie veröffentlichen, weil ich das GefĂŒhl hatte, dass es scheiĂe wĂ€re, jetzt Musik herauszubringen. Das hat ten wir ja gerade erst mit âHow It Feels To Be Lostâ gemacht â wir haben eine Platte herausgebracht und sind dann alle nach Hause gegangen, und das wollte ich nicht zweimal erleben.
erkannt haben, dass die hĂ€rteren KlĂ€nge mit melodi schem Gesang definitiv unser Ding sind und wir es am meisten genieĂen, diese Songs live zu spielen, also macht es Sinn, diese Songs fĂŒr eine Platte zu schrei ben. Denn es macht uns SpaĂ, rauszugehen und Songs wie âCrossesâ, âLeave it all behindâ, âKick meâ und âIf you canât hangâ live zu spielen â diese StĂŒcke sind das, was SLEEPING WITH SIRENS ausmacht. WeiĂt du, die andere Platte, die softer und nicht so heavy war, das ist nicht das, was wir sind. Das ist also das Beste fĂŒr uns, denn das ist es, was wir gerne spielen, und es ist auch das Beste fĂŒr unsere Fans, denn das ist es, was sie hören wollen.
Euer letztes Album war wieder ziemlich heavy, wÀhrend die vorherigen etwas ruhiger waren, nicht so laut, und dieses neue ist auch eine gute Mischung aus euren Àlteren, hÀrteren Sachen, wÀhrend man immer noch die Fortschritte hören kann, die ihr als Band gemacht habt. Kannst du mir erklÀren, was den Sound diesmal inspiriert hat?
Zwei Dinge: Nummer eins, ich will nicht mehr nach Deutschland kommen und mir von den Fans sagen lassen, dass unser letztes Album scheiĂe war, also muss ich groĂartige Platten machen, damit, wenn wir zurĂŒckkommen, alle unsere deutschen Fans sagen, ja, das ist eine gute Platte, haha. Oder, es ist okay! Jede dieser Antworten ist gut. Zweitens denke ich, dass wir
Ihr beendet das Album dann mit einem eher langsamen beziehungsweise traurigen Song, warum? Er ist nicht wirklich traurig. Ich meine, es ist ein Song ĂŒber Selbstsabotage und wie einfach es ist, damit weiterzumachen, und ich denke, viele unserer Fans kennen das von sich. WeiĂt du, ich habe festgestellt, wenn Leute depressiv werden, wissen sie oft nicht, wie sie da wieder rauskommen, und ich denke, ein GroĂteil der Depression beruht auf Selbstsabotage und es sind diese Gedanken in deinem Kopf. Ich denke, wir sind alle sehr nah dran, einen FuĂ im Grab zu haben und einen FuĂ drauĂen. Ich glaube, das ist die Idee des Liedes, dass wir eine Art Wahl treffen mĂŒssen. Wir können uns entweder dafĂŒr entscheiden, dort zu bleiben, oder wir können uns dafĂŒr entscheiden, uns darĂŒber zu erheben. In gewisser Weise scheint es also ein trauriger Song zu sein, aber das ist er nicht, und ich denke auĂerdem, dass es immer gut ist, ein Album mit einem akustischen Song zu beenden.
Worauf können sich die Fans neben dem Album sonst noch freuen?
Wir wollen einige Songs fĂŒr einen zweiten Teil von âIf You Were A Movie This Would Be Your Soundtrackâ zusammenstellen, unsere Akustik-EP, die wir vor langer Zeit gemacht haben. Wir arbeiten also daran, Titel dafĂŒr auszusuchen, und das ist etwas, auf das sich die Fans in Zukunft freuen können. Und ich weiĂ, dass alle wollen, dass âIrisâ auf eine Platte kommt, also denke ich, dass das definitiv etwas ist, was wir umsetzen wollen.
Isabel Ferreira de Castro
BACK TO THE ROOTS. Die Band aus Florida meldet sich nach dreijĂ€hriger Pause endlich mit ihrem neuen Album âComplete Collapseâ zurĂŒck und das dĂŒrfte mit seinen hĂ€rteren KlĂ€ngen vor allem Fans der Anfangszeit begeistern. Frontmann Kellin Quinn verrĂ€t uns, warum es wieder hĂ€rter zugeht und was deutsche Fans damit zu tun haben.
ICH WILL NICHT MEHR NACH DEUTSCHLAND KOMMEN UND MIR VON DEN FANS SAGEN LASSEN, DASS UNSER LETZTES ALBUM SCHEISSE WAR.
Foto: Karo SchÀfer (cateyephotography.com)
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CABAL
Die Ereignisse ĂŒberschlagen sich aktuellâ, freut sich Frontmann Andreas. âWir bekommen so viele Anfragen und Angebote wie noch nie. Ein groĂer Teil der Aufmerksamkeit ist sicherlich LORNA SHORE zu verdanken, mit denen wir gut befreundet sind. Sie haben uns mit auf ihre Tour durch GroĂbritannien genommen, wo wir bislang noch nie gespielt hatten. Das hat uns dort enorm geholfen. Wenn man sich anschaut, welche Beachtung sie zuletzt im Mainstream erfahren haben, ist das schon verrĂŒckt. Seit den MySpace-Zeiten von SUICIDE SILENCE hat es so etwas nicht mehr gegeben. Aber das haben sie sich verdient und es freut mich fĂŒr sie. Alle anderen Deathcore-Bands und auch wir profitieren davon. In unserem Genre gibt es meiner Meinung nach keinen Wettbewerb untereinander, sondern ein faires Miteinander. Jede Gruppe hat ihre eigene Positionierung und alle helfen sich gegenseitig. Mir sagen unser Umfeld und die Szene, in der wir uns bewegen, sehr zu.â
Die eigene Bandbreite mit CABAL interpretiert Andreas dabei gröĂer: âAm Deathcore-Label hĂ€nge ich nicht sklavisch, störe mich daran aber auch nichtâ, so der Frontmann. âWie immer uns die Leute beschreiben: das ist okay fĂŒr mich. Wichtig ist, dass sie uns ĂŒberhaupt hören. Werden wir gefragt, sprechen wir von Post-Deathcore. In unserer Musik findet man viele Elemente, die fĂŒr die Deathcore-Sparte typisch sind. Das ist die Basis. Daneben nutzen wir aber auch weitere Stile und erweitern so unsere Sound-Basis. Die erste DeathcoreWelle liegt schon eine Weile zurĂŒck. Darauf set-
zen wir auf und fĂŒhren den Ansatz fort. Auch deshalb passt fĂŒr mich Post-Deathcore besser. FIT FOR AN AUTOPSY sind fĂŒr mich in dieser Hinsicht ebenfalls ein gutes Beispiel.â Der dĂ€nische Musiker will seine eigene Erfolgsgeschichte schreiben: âIch bin mit Bands wie SUICIDE SILENCE, WHITECHAPEL und CARNIFEX aufgewachsen und mag ihre Alben bis heuteâ, erzĂ€hlt Andreas. âDoch das, was sie getan haben und reprĂ€sentieren, ist getan. Und zwar so gut, dass es keinen Sinn ergibt zu versuchen, sie zu imitieren oder zu ĂŒbertrumpfen. Ein solches Unterfangen wĂ€re zum Scheitern verurteilt. Das erkennen wir an und suchen uns deshalb unsere eigene Spielwiese. Wir gehen die Dinge anders an, um eigene Spuren zu hinterlassen und den Sound zu finden, der nach uns klingt. Um das zu erreichen, versuchen wir, die Genregrenzen zu verschieben und nicht nach Schema F vorzugehen.â
Was CABAL konkret tun, fĂŒhrt der Frontmann auf Nachfrage aus: âEntscheidend ist es aus meiner Sicht, dass man sich ĂŒber seine musikalische Basis im Klaren ist. Nur wenn man diese fĂŒr sich definiert hat, kann man es weiterentwickeln und anreichern. Wir haben unseren Sound, den Deathcore, frĂŒh gefunden und haben ihn seither um viele neue Elemente erweitert. Wer sich unsere Veröffentlichungen alle hintereinander weg anhört, kann das nachempfinden. Wir setzen beim Songwriting nicht auf Nummer sicher, sondern gehen gerne auch Risiken ein. Unsere StĂŒcke sollen sich schlieĂlich voneinander unterscheiden. Und wir wollen jede Idee ausprobieren und schauen, wohin sie uns fĂŒhrt. Nur so kann
eine Band wachsen. Dass einzelne Hörer bestimmte Tracks nicht mögen, nehmen wir in Kauf. Es ist nun einmal so, dass man oft das, was man schon kennt, bevorzugt oder dazu zumindest einen leichteren Zugang findet. Nicht alle unsere Songs sind revolutionĂ€r. Oftmals reicht es uns auch, in den Details zu experimentieren und weiter zu gehen. Wir achten auf eine gesunde Dosierung.â
Die DĂ€nen haben zudem ihre Einstellung zum eigenen Musikerdasein verĂ€ndert: âAuf Tour trinke ich inzwischen nicht mehr als ein Bier hier und daâ, erklĂ€rt Andreas. âIch habe aufgehört, unsere Touren als nicht endende Party zu betrachten, und das Rockstar-Leben hinter mir gelassen. Inzwischen weiĂ ich, dass es wichtig ist, mich gesund zu ernĂ€hren, ausreichend zu schlafen und jeden Tag mindestens eine Stunde Sport zu treiben. Das hilft mir dabei, mit dem Touren gut klarzukommen und mit meiner besten Leistung auf die BĂŒhne zu gehen. Der Unterschied ist betrĂ€chtlich. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen, denn anfangs war ich noch anders drauf. Ginge es nach uns, wĂŒrden wir uns CABAL in Vollzeit widmen. Deshalb mĂŒssen wir alles, was mit der Band zusammenhĂ€ngt, professionell und ernsthaft angehen. In anderen Jobs kann man auch nicht angetrunken auftauchen. Tut man es doch, wird man gefeuert. In der Vergangenheit hat es einige Shows gegeben, bei denen ich so voll war, dass mir kaum noch die Texte eingefallen sind. Aus heutiger Sicht finde ich das peinlich. Die Fans verdienen mehr.â
Arne Kupetz
DIE PARTY IST ZU ENDE. âMagno Interitusâ markiert den bisherigen Höhepunkt der imposanten Entwicklung von CABAL. Das Quintett aus Kopenhagen tritt auf seinem dritten Album mit einem reifen, konsequent adressierten Post-Deathcore an, mit dem es die Gunst der Stunde nutzt.
Foto: Morten Bentzon
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POLAR
Das hat mich richtig genervt. Ich habe es auf YouTube in den Kommentaren gelesen, dass es einen Film gibt, in dem Augen so rumwackeln, und jetzt setzen das Leute mit unserem Song gleich? Das ist nicht so cool. Aber so lange die richtigen Leute erreicht werden und den Fans der Song gefĂ€llt, ist alles gut, selbst wenn da irgendeine Verbindung zu irgendeinem Film gezogen wird ...â Da war wohl jemand nicht im Kino. Nachdem Schlagzeuger Noah See seinen Ărger zum Ausdruck gebracht hat, holt ihn SĂ€nger Adam Woodford wieder zurĂŒck: âEs ist ein richtig guter Film, haha! Das ist schon okay, dass wir im gleichen Atemzug genannt werden.â In dem A24-Kinohit des Sommers geht es um Multiversen und die Kraft, die FĂ€higkeiten aus allen Universen, aus jeder Version seiner selbst, die man mal war, die man mal sein wird und die man mal sein könnte, in sich zu vereinen und zum Guten zu nutzen. Perspektivwechsel. Selbstvertrauen. Worum geht es auf dem neuen POLAR-Album?
âWir hatten absolut keine Lust, Songs ĂŒber die Pande mie zu schreiben oder ĂŒber Impfungen. Auch wenn wir alle diese Jahre durchgemacht haben und das Album in die ser Zeit entstand, sollten sich die Texte nicht zu sehr dar auf beziehenâ, erklĂ€rt Gitarrist Fabian Lomas. âWir haben versucht, Texte zu schreiben, in denen sich die Leute indi viduell wiederfinden können. Haben wir schon immer. Wir bekommen auch oft die RĂŒckmeldung, dass Leuten gewisse Zeilen unglaublich viel bedeuten, das ist richtig cool. Wir wollen unsere eigenen GefĂŒhle zum Ausdruck
bringen und damit auch andere erreichen. Das GefĂŒhl, ungenĂŒgend zu sein, etwas zu vermissen, in ein Loch zu sinken, aber sich auch wieder rauszukĂ€mpfen, nach dem sich wichtige Dinge verĂ€ndert haben, ist eine sehr menschliche Erfahrung. Die wollten wir da reinpacken.â
Als ich zum ersten Mal die Tracklist gesehen habe, war mein erster Gedanke: Religionsunterricht. âHaha ja, wenn ich die Titel mir so anschaue, verstehe ich total, was du meinst. âGods and heathensâ, âThe greatest sinâ, âDeliveranceâ. âSnakes of Edenâ ... Da ging es wohl ein bisschen mit uns durch, hahaâ, sagt Noah. Adam fĂŒgt hinzu: âDas war gar nicht so beabsichtigt. Aber religi öse Bildsprache ist echt super fĂŒr Lyrics! Die meisten können sich etwas darunter vorstellen, wenn sie solche Begriffe hören, und sie einordnen. Das hilft schon sehr, um es richtig auszuschmĂŒcken. Aber wirklich gewollt war das nicht.â Dabei hatten POLAR bei ihrem vorheri gen Album âNovaâ ein unglaublich durchdachtes Kon zept, sowohl fĂŒr die Musik als auch das Artwork und die Videos bis hin zu den sozialen Medien. Gibt es so was diesmal gar nicht? âOh doch, aber wir stehen da ja noch am Anfang. Es wird sich noch etwas aufbauen und zei gen! Wir stecken ziemlich viel Arbeit in unsere SocialMedia-Seiten, und machen fast alles selbst. Klar pos ten auch unser Label und unsere Booking-Agentur etwas, aber die Konzeptarbeit liegt bei uns. Es ist cool, darĂŒber eine Connection zu den Fans zu habenâ, sagt SĂ€nger Adam. Bassist Gav Thane fĂŒgt hinzu: âAber in den letzten zwei Jahren hat sich das alles so verĂ€ndert.
Die Dynamiken in den sozialen Medien bleiben selten fĂŒr mehr als ein paar Monate die gleichen, und es ist harte Arbeit, da am Ball zu bleiben, und die Plattfor men optimal zu nutzen. Es ist schon eine Herausfor derung, aber es macht auch SpaĂ.â Apropos Connec tion mit den Fans. Wie ist eure Haltung zu Konzerten und Live-Auftritten nach den letzten zwei Jahren? âWir freuen uns natĂŒrlich wieder richtig, richtig, richtig doll, auf die BĂŒhne zu gehenâ, so Adam. âAber ich verstehe, dass sich auch das sehr verĂ€ndert hat. Dass viele Leute sich noch nicht trauen aus unterschiedlichen Beweg grĂŒnden, vielleicht haben sie Risikopatienten zu Hause in ihrem Umfeld und wĂŒrden sich deswegen unwohl dabei fĂŒhlen, auf ein Konzert zu gehen. Ich denke, wir mĂŒssen alle viel Vertrauen haben â in die Promo ter und Venues, dass sie alles unternehmen, damit das Konzert fĂŒr alle sicher ist, und auch in die anderen Leute um uns rum, dass sie nicht mit Symptomen kom men oder Ăhnliches. Aber Vertrauen lernen ist nicht einfach.â Es geht mal wieder, natĂŒrlich, wie immer, nur gemeinsam. Es gibt kein losgelöstes Teilchen, an dem man schrauben kann, um alles ins Lot zu bringen; und es ist auch keine Einzelaufgabe, sondern die von uns allen, damit es funktionieren kann. Zum GlĂŒck klappt das oft genug, besonders dann wenn wir alle gemein sam vor einer BĂŒhne stehen, auf der eine Band spielt, die jedem von uns etwas bedeutet. Verbundenheit und Zusammenhalt mit allem und jedem, genau am richti gen Ort, genau im richtigen Moment.
Christina Kiermayer
ALLES IMMER ĂBERALL. ZufĂ€lle gibtâs! Die Briten POLAR veröffentlichen ein neues Album und nennen es âEverywhere, Eve rythingâ im gleichen Jahr, in dem ein Film namens âEverything Everywhere All at Onceâ rauskommt. Oder ist das gar kein Zufall, sondern eine Verbindung zwischen den Multiversen? Ich spreche mit den vier Bandmitgliedern ĂŒber Metaphorik, Religion und die Dinge, die alles zusammenhalten.
Foto: Tom Adam Green
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ESCUELA GRIND
Der Albumtitel âMemory Theaterâ bezieht sich auf ein altes Konzept. Könnt ihr uns erklĂ€ren, was das bedeutet und wie es auf euch und eure Musik zutrifft?
FĂŒr unser zweites Album wollten wir mit den Texten und Themen introspektiver werden. Unsere Idee des âMemory Theaterâ beschreibt ein internes GebĂ€ude, das aus unendlich ausgedehnten, konstruierten RĂ€umen besteht. Ich bin Architektin, also wollte ich eine Architektur des Geistes mit Symbolik und einer Menge Verweise auf Kunst und Philosophie bauen. Musikalisch spiegelt das Thema des Aufbaus einer inneren Architektur die Art und Weise wider, wie wir das Album geschrieben haben. Wir haben diese Songs wĂ€hrend der Pandemie geschrieben, also haben wir buchstĂ€blich diese isolierte Welt der Musik fĂŒr uns gebaut und davon getrĂ€umt, wie es sein wird, wenn wir wieder live spielen können.
Ihr habt mit Kurt Ballou von CONVERGE an dem Album gearbeitet. Wie war die Zeit mit ihm? Erstaunlich. Er ist wirklich eine Inspiration fĂŒr jedes einzelne Bandmitglied, daher war es immer unser Ziel, mit Kurt bei GodCity arbeiten zu können.
Welchen Einfluss hat er auf das Album gehabt? Kurt war sehr direkt. Er drĂ€ngte darauf, aus uns die besten Tracks herauszuholen, und lieĂ uns genau wissen, was er dachte. Gleichzeitig fĂŒhlten wir uns in seiner NĂ€he aber auch alle sehr entspannt. Die AtmosphĂ€re im Studio ist sehr entspannt und wir haben uns alle sehr gut verstanden. Es stand viel auf dem Spiel, denn wir hatten nur ein kleines Zeitfenster fĂŒr die Aufnahmen, und natĂŒrlich wollten wir das Beste daraus mitnehmen. Ich wĂŒrde sagen, dass Kurts Anwesenheit einen groĂen Einfluss auf âMemory Theaterâ hatte.
Alle Songs auf âMemory Theaterâ sind lĂ€nger als 1:30, einige sogar lĂ€nger als drei Minuten â wenn man sich eure Diskografie anschaut, ist das ein
Novum und fĂŒr Grindcore könnte man es schon als episch bezeichnen. Das mag seltsam klingen, aber ist die Definition von Grind nicht, hart und schnell zu sein?
FĂŒr manche ist die LĂ€nge der Songs ein wesentliches Element von Grindcore, aber wir hatten nicht vor, eine reine Grindcore-Platte zu machen. Wir haben uns wirklich darauf konzentriert, diese Songs wĂ€hrend der Pandemie zu demontieren und zu bearbeiten und dabei die ganze Palette unserer EinflĂŒsse einzubeziehen. Wir haben sehr darauf geachtet, wie sich die Leute zu diesen Songs bewegen wĂŒrden â wahrscheinlich, weil wir es so sehr vermisst haben, live zu spielen â, also haben wir uns entschieden, bestimmte Teile lĂ€nger laufen zu lassen und auf verschiedene Arten zu wiederholen. Wie du schon sagtest, hart und schnell aber mit Kontrasten.
Nun, was den Gesang angeht ... Entweder man ĂŒberfrachtet einen Song mit einer Million Wörtern oder man reduziert die Konzepte auf die einfachste und kryptischste Art und Weise, wie man sie ausdrĂŒcken kann.
Hast du manchmal das GefĂŒhl, du hĂ€ttest noch mehr zu einem Thema zu sagen, aber der Song ist schon zu Ende?
Haha, oh ja, sicher. Deshalb war es fĂŒr mich wichtig, die Lyrics und Patterns von âMemory Theaterâ mehrmals durchzugehen und zu bearbeiten, bis das Konzept und die Stimme ĂŒberall sauber sind.
Grindcore und Powerviolence sind ziemliche Nischengenres â und die neigen dazu, Gatekeeper zu haben. Ist das etwas, das du in der Vergangenheit erlebt hast?
Als ich jĂŒnger war, hat mich so etwas noch beeindruckt. Wenn ich dem jetzt begegne, kommt mir dieses Verhalten eher lustig vor. Es ist doch kontraintuitiv, andere von deinen Lieblingsbands und -genres fernzuhalten ... WĂŒrdest du nicht so viele Leute wie möglich daran teilhaben lassen wollen, wenn du bestimmte Bands liebst und willst, dass sie Erfolg haben und weiterhin deine Lieblingsmusik machen? Das ist der Punkt, an dem ich bin, und das fĂŒhlt sich ziemlich gut an.
Wie habt ihr euch dabei gefĂŒhlt, so âlangeâ Songs zu schreiben?
GroĂartig! Aber ich muss mich erst noch daran gewöhnen, sie live zu spielen und meine Energie wĂ€hrend des Sets einzuteilen.
Die meisten Songs sind immer noch kurz . Wie bringst du darin alles unter, was du sagen willst?
Wo seht ihr eure Band in diesem Zusammenhang? Wir sind die Band, die man seinem kleinen Cou sin vorspielt, damit er sich fĂŒr Heavy Music interes siert, aber wir sind auch die Band, die mit den alten Hasen abhĂ€ngen kann. Wir wollen, dass die Leute, die zu unseren Konzerten kommen oder unsere Plat ten hören, eine emotionale Verbindung aufbauen und alles rauslassen können. Bei uns wird keiner ein Urteil ĂŒber dich fĂ€llen und du kannst tanzen/hören/ dich kleiden/sein, wie immer du willst. Akzeptanz muss nicht radikal sein, und wir wollen euch das durch harte Riffs und Blasts nĂ€herbringen.
Dennis MĂŒller
FREVEL! Grindcore-Songs, die lĂ€nger sind als eine Minute? Puristen schĂŒtteln den Kopf. Warum man sich aber das neue Werk der USBand dennoch anhören sollte, klĂ€ren wir mit SĂ€ngerin Katerina.
FĂR MANCHE IST DIE LĂNGE DER SONGS EIN WESENTLICHES ELEMENT
VON GRINDCORE, ABER WIR HATTEN NICHT VOR, EINE REINE GRINDCORE-PLATTE ZU MACHEN.
Foto: Will O
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DESTRAGE
DasAlbum trĂ€gt den Titel âSo Much. Too Muchâ. Ich denke, so könnten auch einige Leute reagieren, die mit euch oder extremem Metal bislang nicht vertraut sind ...
Deine Vermutung ist richtig. Sogar unser Label hat uns gesagt: âIhr seid zu viel!â Es wurde zu einer immer wiederkehrenden Aussage, einem Meme, aber es ergibt auch eine Menge Sinn fĂŒr uns. In diesem Album steckt sehr viel von uns selbst. KĂŒnstlerische GroĂzĂŒgigkeit? Nachsichtiger Maximalismus? Narzisstische Persönlichkeitsstörung? Unaufhaltsame musikalische Diarrhöe? Es spielt keine Rolle. Es ist so viel. Und wenn so viel in deinen Ohren zu viel wird, bist du nicht allein. Auch wir sind ĂŒberwĂ€ltigt.
Dieses Album ist bei 3DOT Recordings erschienen, einem Label, das von Mitgliedern von PERIPHERY betrieben wird. Macht es einen Unterschied, wenn man mit Leuten zusammenarbeitet, die eigentlich selbst Musiker sind?
Ja, es macht einen Unterschied. Wir haben alle Freiheiten der Welt, und es fĂŒhlt sich gut an, von den Leuten bei 3DOT zu hören, sie haben wirklich eine Meinung. Unsere Kommunikation ist sehr eng, die Leute vom Label sind sehr reaktionsschnell und geben uns eine Menge Input. Abgesehen davon, dass es von Musikern gefĂŒhrt wird, denke ich, dass ein Teil des GefĂŒhls von der GröĂe herrĂŒhrt. 3DOT ist jung und aufstrebend. Es werden mehr Bands, aber im Moment sind die Leute, die fĂŒr das Label arbeiten, nicht zu sehr ĂŒberfordert. Sie haben es nicht mit tausend KĂŒnstlern zu tun, so dass sie sich wirklich auf jeden Einzelnen konzentrieren und sie gut betreuen können. Auch wenn ich 3DOT wĂŒnsche, dass
sie wachsen und gedeihen, hoffe ich, dass das FamiliengefĂŒhl erhalten bleibt.
Viele Bands haben wĂ€hrend des Lockdowns neue Musik geschrieben â ihr habt euch dagegen entschieden und gewartet. Ich kann das nachempfinden, da ich wĂ€hrend des Lockdowns auch keine Lust hatte, irgendetwas zu tun ... Hattest du jemals das GefĂŒhl, dass du den Lockdown nutzen musstest, um neue Musik zu schreiben, und denkst du, das Album wĂ€re dann anders geworden?
Ich kann das nachvollziehen, wenn du sagst, du hat test keine Lust, etwas zu tun. WĂ€hrend des Lockdowns habe ich mir Zeit fĂŒr mich und meine Familie genom men und beschlossen, die unglaublich viele Zeit, die mir zur VerfĂŒgung stand, nicht zu nutzen, um etwas KĂŒnstlerisches zu machen. Kunst kommt aus dem Leben, sie kommt nicht aus der Bequemlichkeit. Ich habe oft gehört, dass der Lockdown ideale Gele genheiten zum Schreiben böte, aber ich war damals zutiefst anderer Meinung und der bin ich auch heute noch. WorĂŒber sollten wir schon schreiben? FrĂŒhstĂŒck essen? Pflanzen gieĂen? Mauern beobachten? Was könnte uns beeindrucken? Welche Erfahrung könnte einen so starken Eindruck hinterlassen, dass man sie in Musik umwandeln oder sogar einen Denkpro zess anstoĂen könnte? Der Lockdown hĂ€tte sich her vorragend dazu eignen können, bereits vorhandene Ideen zu sammeln und zu ordnen, denn ich glaube, dass die ZurĂŒckgezogenheit gut ist, wenn das Werk in die Produktions- oder Verfeinerungsphase eintritt. Da das bei uns nicht der Fall war, weil wir in dieser Zeit bei Null anfangen mussten, hatten wir Lust zu schrei
ben, wenn wir ins Leben zurĂŒckkehren und die kĂŒnst lerischen Batterien aufgeladen sind, so dass unsere Ideen von echter, lebendiger, lebendiger Inspiration kommen konnten.
Ihr habt mit Devin Townsend an âPrivate partyâ gearbeitet, er hat sogar seine eigenen Parts geschrieben. Wie war die Zusammenarbeit mit ihm? Wie hat es sich angefĂŒhlt, einem AuĂenstehenden â sogar einem wie Devin â so viel Kontrolle ĂŒber einen Song zu geben, den du geschrieben hast?
Ich glaube nicht, dass Devin zu viel Kontrolle verlangt hat. Jeder KĂŒnstler, der an einer Zusammenarbeit beteiligt ist, sollte seinen eigenen Teil beisteuern können, wenn er möchte. Als er also sagte, dass er diese Kollaboration unter einer Bedingung machen wĂŒrde, nĂ€mlich dass er seine eigenen Parts schreibt, klang das fĂŒr uns wirklich nach einem VergnĂŒgen! Er hat das groĂartig gemacht, und das in so kurzer Zeit. Beeindruckend ist die Anzahl der Gesangsharmonien, die er aufnahm, um diese charakteristische, volle Performance zu liefern, die wir alle lieben.
Und zu guter Letzt, auch wenn ich weiĂ, dass mein Kollege Rodney dich das schon einmal gefragt hat: Ist das KrĂ€ftemessen mit FLESHGOD APOCALYPSE endlich zustande gekommen?
Danke fĂŒr die Erinnerung. FLESHGOD APOCALYPSE, ihr seid nun offiziell herausgefordert, DESTRAGE bei einem italienischen Kochfest zu schlagen. Mal sehen, ob deine KĂŒche nach den Zutaten aus dem 18. Jahrhundert riecht, die du in deine Musik einwirfst.
Dennis MĂŒller
UNAUFHALTSAME MUSIKALISCHE DIARRHOE. Wenn deine Musik sogar deinem Label zu viel wird, dann suchst du dir eben Gleichgesinnte. Also wurden die italienischen Extrem-Metaller mittlerweile von dem Label gesignt, das von PERIPHERY-Leuten gefĂŒhrt wird. Unter KĂŒnstlern versteht man sich eben, wie uns Gitarrist, Songwriter und Videoregisseur Matteo erklĂ€rt.
Foto: quintenquist.com
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POLYPHIA
Euer
letztes Album âNew Levels New Devilsâ ist jetzt etwa vier Jahre alt und war euer groĂer Erfolg. Was hat sich seitdem verĂ€ndert?
Scottie: Also im Ernst jetzt, wir waren immer in dem Mindset, dass wir Songs schreiben wollen, die wir uns selber gerne anhören wĂŒrden. Wenn ich ein Gitarrenriff schreibe, frage ich mich also: Mag ich das Riff, weil es gut ist, oder bin ich voreingenommen, weil ich es geschrieben habe? Wenn ich es dann niederlege und mir am nĂ€chsten Tag wieder anhöre, mit einem frischen Ohr, und ich es immer noch mag, dann bin ich zuversichtlich, dass es gut ist. Man muss einen Weg finden, alles weniger voreingenommen zu betrachten.
Clay: Eine Sache, die sich definitiv geĂ€ndert hat, ist, dass wir jetzt Zugang zu anderen KĂŒnstlern und Produzenten haben, mit denen wir gerne arbeiten wollten. Vielleicht waren wir ihnen vorher zu unbekannt und sie sind jetzt offener, mit uns etwas zu machen. Es war jedenfalls sehr cool, dass wir jetzt die Möglichkeit dazu hatten.
Scottie: Wir lieben es, Musik mit Features zu machen und mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten. Ich höre auch selber gerne Musik mit vielen Features, ich mag es, wenn KĂŒnstler zusammenkommen und etwas gemeinsam kreieren. Eine Instrumentalband bietet auch sicherlich viel Freiraum fĂŒr so was, gerade fĂŒr Gesang. Wir wollten einfach gucken, welche Art Musik wir zusammen machen wĂŒrden. Da sind bestimmt zehn verschiedene Stile auf dem Album, als eine Sammlung von gemeinsamen Ideen.
Ihr seid bekannt als die Band, die Instrumentalmusik spaĂig gemacht hat. Wie kommt es, dass ihr jetzt mehr als je zuvor Vocalfeatures habt? Stiehlt ein LeadsĂ€nger euch als Instrumentalisten nicht die Show?
Clay: Definitiv nicht. Es geht lediglich darum, jeman den einzubringen, mit dem man dann zusammen Musik macht. Es ist auĂerdem irgendwie interessant, etwas zu schreiben mit dem Hintergedanken, Platz fĂŒr SĂ€nger zu schaffen, so dass sie sich wohl fĂŒhlen und alles machen können, was sie wollen. In der Vergangenheit hatten wir ein kaum StĂŒcke mit Vocals, âSo strangeâ war so ziem lich der einzige, bei dem im ganzen Song Vocals waren,
bei âLook but donât touchâ war es HĂ€lfte/HĂ€lfte. Vorher war es einfach viel verrĂŒcktes Instrumentalzeug, aber wenn man eine Stimme dabeihaben will, sollte man es nicht ĂŒbertreiben. Tim spielt das tragende Riff im Refrain und manchmal komme ich dann mit dazu und ergĂ€nze ein paar Harmonien oder Ăhnliches zu den Vocals.
Euer Album heiĂt âRemember That You Will Dieâ. Was ist die Bedeutung dahinter?
Scottie: Wir waren auf Tour, saĂen alle im Van und hockten somit stundenlang nebeneinander rum. Also hatten wir viel Zeit und versuchten, die irgendwie zu nutzen, und haben dann ehrlich gesagt einfach irgendwelche Sachen gegooglet. Wir haben nach Inspirationen fĂŒr irgendwas gesucht. Ich habe mir dann Phrasen in verschiedenen Sprachen angeguckt und bin auf âMemento moriâ gestoĂen. Da dachte ich, das habe ich doch schon mal gehört, was heiĂt das noch gleich?
Und es bedeutet ja ĂŒbersetzt âRemember That You Will Dieâ. Und auĂer dass es cool klingt, hat es ja eben auch diese philosophische Bedeutung, so etwas wie das âLebe jeden Tag, als wĂ€re es dein letzterâ-Zeugs. Aber ehrlich gesagt haben wir uns gedacht, dass es badass klingt, eine tiefere Bedeutung hat und sehr einfach zu konzeptualisieren ist. Es funktionierte einfach mit der Musik, die wir hatten, es wirkte, als wĂŒrde der Titel alle Lieder zusammenbringen.
Mir ist aufgefallen, dass euer kommendes Album weitaus fröhlicher klingt als euer vorheriges, jedenfalls fĂŒr mich scheint es so. Hat sich etwas an eurer Stimmung oder eurem GruppengefĂŒge geĂ€ndert? Clay: Ich denke, dieses Album erzĂ€hlt mehr oder weniger eine Geschichte auf eine Weise, wie unsere vergangenen Alben es nicht getan haben. Auf eine Art, dass es dich auf eine Reise mitnimmt. Es sind viele fröhliche Songs dabei, aber auch ein paar dĂŒstere, schwerere Songs mit starken Emotionen. Es verbindet alles von Anfang bis Ende des Albums.
Generell ist es ja weniger offensichtlich, wie Titel von Instrumentalsongs zustande kommen, da ja keine Lyrics vorhanden sind, an denen man sich orientieren kann. Wie geht ihr da vor?
Scottie: Wir schreiben die Musik zuerst und wenn wir fertig sind, gucken wir, wie man das StĂŒck nennt. Mit Instrumentalmusik ist das ein wenig schwieriger, weil man sich ja nicht auf die Lyrics beziehen kann, muss man sich eher an die Vibes orientieren, die der Song vermittelt. Aber bei Songs mit Lyrics ist das auf jeden Fall einfacher, da hast du recht, man tendiert dazu, sich am Text zu orientieren. Aber an sich ist die Herangehensweise in erster Instanz trotzdem gleich, wir gehen erst mal nach den Vibes.
Normalerweise bleiben Drummer eher im Hintergrund, sei es im Song, im Video oder auf der BĂŒhne. Bei euch ist das nicht so, ihr seid alle gleichermaĂen prĂ€sent.
Clay: Auf jeden Fall. Wir haben so viel Arbeit darin investiert, jeden Aspekt dieses Albums so gut wie möglich zu gestalten. In der Vergangenheit verliefen die Drumrecordings manchmal ein bisschen gehetzt, es war zwar genug Zeit, aber eben nicht so viel, wie ich es gerne gehabt hĂ€tte. Und diesmal hatten wir endlich die Gelegenheit sicherzugehen, dass alles so klingt, wie wir es haben möchten. Ich bin ursprĂŒnglich im Dezember 2020 ins Studio gegangen und habe 16 Songs aufgenommen und im Laufe der nĂ€chsten Jahre wurden Songs rausgeschmissen, neue hinzu gefĂŒgt und andere wiederum komplett verĂ€ndert. Wir hatten viel Zeit zum Rumschrauben, bis die Drums so klingen, wie wir sie haben wollten, so dass es am Ende kein stark gitarrenfokussiertes, sondern ein run des Album ist in jeglicher Instanz. Ich hatte viel Freude dabei und wir alle haben jetzt viel SpaĂ daran, unsere neuen Songs zu spielen.
Noel Sommerkamp
GITARRENGOTT
JETZT MIT GESANG. Warum sich eine Instrumentalband fĂŒr Vocalfeatures entscheidet und vieles mehr. Wir sprechen mit Gitarrist Scottie LePage und Clay Aeschliman, Drummer der Band aus Texas.
Foto: quintenquist.com
Scottie ĂŒber das Feature von Steve Vai: âWir wussten, wenn wir noch ein Gitarrenfeature haben werden, dass es der Gitarrengott sein mĂŒsste. Es sollte etwas Besonderes sein. Und es war unglaublich, mit Steve zusammenzuarbeiten, es war einfach fantastisch.â
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GET THE SHOT
GET THE SHOT haben sich seit 2009 in derselben Besetzung ĂŒber alle Alben weiterentwickeltâ, bemerkt Bassist Dan, auf die langwĂ€hrende Historie der Band bei personeller Konstanz angesprochen. âOffensichtlich haben wir uns als Gruppe, aber auch als Individuen verĂ€ndert. Dennoch sind alle Ziele, die zur GrĂŒndung der Gruppe beigetragen haben, auch heute noch relevant. Im Laufe der Jahre gab es auf unserem Weg immer wieder Herausforderungen und Hindernisse, aber irgendwie haben wir immer einen Weg gefunden, sie zu ĂŒberwinden. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich Bands in der Hardcore-Szene nach ein paar Jahren schon wieder auflösen. Ich bin davon ĂŒberzeugt, dass wir auch dank unserer gemeinsamen Werte, unserer Freundschaft und des gegenseitigen Respekts, der innerhalb des Kollektivs herrscht, noch zusammen und aktiv sind. Bei kĂŒnstlerischen Differenzen finden wir immer schnell eine gemeinsame Basis.â
Mit seiner Positionierung zwischen Hardcore und Metal hat das Quintett auch andere zusammengebracht. FĂŒr den Bassisten ist dabei klar: âGET THE SHOT waren schon immer eine Hardcore-Band und werden es auch immer bleiben. Ich glaube, dass wir aufgrund unserer tiefen Verwurzelung auch immer als solche wahrgenommen werden. Obwohl wir uns auch stark von diversen Metal-Bands inspirieren lassen, wissen wir, dass die Hardcore-Szene unsere Heimat ist, dass wir dort hingehören. Diejenigen, die vor mehr als zehn Jahren bei unseren frĂŒhen Shows waren, werden vielleicht eine gewisse Nostalgie fĂŒr eine vergangene Ăra empfinden. Doch ich glaube, die Mehrheit unserer Fans folgt uns in unserer Entwicklung.â Die Kanadier mit ihrem kompatiblen Crossover-Sound nehmen die Dinge, wie sie kommen: âEs ist nicht ungewöhnlich, dass man Tourpackages mit Bands aus verschiedenen Bereichen des Heavy-Spektrums siehtâ, fĂŒhrt Dan an.
âWir fĂŒr unseren Teil haben schon immer etwas komplexere Riffs mit einem dynamischen Rhythmus bevorzugt. Obwohl wir uns auf Tourneen mit Hardcore- und Beatdown-Bands der alten Schule immer wohl gefĂŒhlt haben, denke ich, dass wir auch gut in ein traditionelleres Metalcore-Line-up passen wĂŒrden. Wenn ich nur eine aktuelle Band anfĂŒhren mĂŒsste, die ich mir da vorstellen kann, wĂŒrde ich MALEVOLENCE nennen. Die sind in Sachen Riffs ebenfalls ganz vorne mit dabei.â
Nach aktuellen Alben aus dem Feld zwischen Metal und Hardcore befragt, die GET THE SHOT beeindrucken, antwortet der Musiker: âWir alle sind uns einig, dass âMalicious Intentâ von MALEVOLENCE mit auf der Liste steht. Ich möchte zudem âMenaceâ von NASTY hervorheben, das wĂ€hrend der Pandemie veröffentlicht wurde, und kann es kaum erwarten, das neue Material von ihnen live zu hören. Ganz klar gilt es auch PALEFACE als eine der derzeit hĂ€rtesten Bands und natĂŒrlich KNOCKED LOOSE, die dem Genre so viele TĂŒren geöffnet haben.â Das Quintett aus QuĂ©bec fĂ€llt ebenfalls in diese Kategorie und wird mit âMerciless Destructionâ wiederum fĂŒr Furore sorgen: âWir verfolgen das Ziel, kein Album zweimal zu machenâ, stellt der Bassist klar. âAuĂerdem vergleichen wir nie das, woran wir gerade arbeiten, mit dem, was wir schon gemacht haben. Wir ziehen es vor, nach vorne zu schauen, ohne uns unter Druck zu setzen. Obwohl die Songs aus dem Wunsch entstehen, sie live explodieren zu sehen, machen wir keine Musik fĂŒr jemand anderen als uns selbst. WĂ€hrend der Konzeption eines Albums experimentieren wir viel. Es ist nicht ungewöhnlich, dass es mehrere Versionen eines StĂŒks gibt, bevor er seine endgĂŒltige Form findet. Unser Frontmann JP ist die treibende Kraft hinter den Strukturen. WĂ€re er nicht gewesen, wĂŒrde âMerciless Destructionâ wohl weniger gelungen, kohĂ€rent und interessant klingen. Er zwingt uns, neue Wege zu gehen, und weiĂ, wohin
er will. Unser Wunsch war es, so heavy wie möglich zu klingen. Wir wussten, dass wir in der Lage sind, schnell zu spielen, aber wir wollten sehen, was wir zu bieten haben, wenn wir einige Tempi verlangsamen und die Instrumente tiefer stimmen. Es gibt mehr Struktur und Dynamik. Das fĂŒhre ich auf die Beatdown-EinflĂŒsse zurĂŒck. Nachdem wir fast zwei Jahre lang mit NASTY auf Tour waren, mĂŒssen wir zugeben, dass sie uns irgendwie inspiriert haben. Ich erinnere mich auch an eine Aftershow in Deutschland, wo der letzte Breakdown von ,Davidianâ von MACHINE HEAD gespielt wurde und ich sofort das GefĂŒhl hatte, dass GET THE SHOT genau in diese Richtung gehen mĂŒssen. Im Gegensatz zu frĂŒheren Alben, bei denen wir ein organischeres Ergebnis anstrebten, haben wir von Anfang an festgelegt, dass wir dieses Mal die gröĂtmögliche Produktion wollen.â
Die Kanadier holen auch in ihren Texten groĂ aus: âUm JPs Worte zu paraphrasieren: Dieses Album ist eine ursprĂŒngliche Hymne fĂŒr die desillusionierte Jugend, die in einer Gesellschaft gefangen ist, die auf UnterdrĂŒckung und Ungerechtigkeit aufgebaut istâ, fasst Dan zusammen. âEs ist eine primitive Antwort auf jahrelang aufgestauten Hass und Wut auf die niedrigsten Exemplare der Menschheit, die unseren Weg kreuzten. Der deutsche Philosoph Theodor W. Adorno fragte einmal, ob es möglich sei, ein richtiges Leben im falschen zu fĂŒhren. Darauf antworten wir aus einer pessimistischen Warte. In dieser hoffnungslosen Welt ist jeden Tag Gewalt angesagt. Bei diesem permanenten Kriegszustand haben wir keine andere Wahl, als uns dem totalen Widerstand anzuschlieĂen, auch wenn wir wissen, dass der Tod der einzige Ausweg aus diesem Chaos ist. Das Album ist nichts anderes als ein kathartischer Versuch, dieser Wut einen Sinn zu geben und sie in eine sich selbst erhebende Kraft zu verwandeln, anstatt in dekadente SchwĂ€che.â
Arne Kupetz
TOTALER WIDERSTAND. âMerciless Destructionâ folgt auf âInfinite Punishmentâ. Die Titel der Alben von GET THE SHOT haben es in sich, sind aber stets ein guter Spiegel der brutalen MusikalitĂ€t und schonungslosen Texte der Kanadier. Die Gruppe aus QuĂ©bec setzt weiterhin auf tough und aggressiv adressierte Songs zwischen Hardcore, Metalcore, Beatdown und Thrash Metal.
Foto: Ătienne Dionne
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BORDERS
BloomSeasonâ wird im November erscheinen. Wie aufgeregt seid ihr? Was sind deine Erwartungen an das Album?
Ich bin mehr als aufgeregt! Dadurch, dass ich in den letzten zweieinhalb Jahren so lange von der Musik isoliert war, habe ich das alles viel mehr zu schĂ€tzen gelernt. Es war eine wirklich therapeutische Erfah rung. Wir haben viel Zeit damit verbracht, âBloom Seasonâ zu schreiben, und es hat uns wirklich wieder zu uns selbst zurĂŒckgefĂŒhrt. Wir sind stolz darauf, wir erwarten einige erstaunte Gesichter ob der seltsamen Wendungen auf dem Album, und wir können es kaum erwarten, allen zu zeigen, was die neue Ăra von BOR DERS ausmacht!
Es sind viele EinflĂŒsse zu hören â es ist ein hartes Album, aber es gibt auch andere KlĂ€nge. Kannst du mir sagen, welche Musik, Stile und KĂŒnstler euren Sound inspiriert haben?
Ich denke, man kann mit Sicherheit sagen, dass wir uns alle auf Nu Metal einigen können, aber da in der Band viele EinflĂŒssen zusammenkommen, fĂŒgen wir dem unsere eigene Note hinzu. Ich selbst bin stark von Grime inspiriert. In meiner Jugend bin ich zu Rap-Batt les hier in Nottingham gegangen und ich glaube, dass ich den Flow und die Aggression dieser Musik wirk lich fĂŒhlen konnte. Ich erinnere mich an den Abend, an dem wir das Genre gewechselt haben, ich und Gav und einige Freunde, die ein paar Bier getrunken haben. Wir machten aus SpaĂ ein Demo mit ein paar fre chen Texten und Riffs. Am nĂ€chsten Tag wachten wir auf und hörten uns an, was wir in der Nacht zuvor fab riziert hatten â in der vollen Erwartung, dass es uns zum Lachen bringen wĂŒrde â, und wir wussten sofort, dass dieser Sound tatsĂ€chlich etwas hatte, das uns wirklich gefiel. Ohne unseren Produzenten Jonathan Dolese von den KonKrete Studios hĂ€tten wir unseren Sound aber nicht weiterentwickeln können. Er hat uns an unsere Grenzen gebracht, raus aus unserer Kom fortzone, und hat âBloom Seasonâ eine derartige Tiefe verliehen.
Ich habe das GefĂŒhl, dass die Heavy-Musik-Szene immer aufgeschlossener geworden ist; junge KĂŒnstler haben keine Scheu mehr, verschiedene Stile zu mischen â wĂŒrdest du dem zustimmen? Habt ihr jemals erlebt, dass Leute euch wegen bestimmter Aspekte eurer Musik nicht mochten?
Auf jeden Fall! Die Dinge mĂŒssen nicht mehr so schwarz und weiĂ sein. FrĂŒher trugen Bands alles schwarz, Skinnys, gelegentlich eine Lederjacke und spielten das gleiche alte [Metalcore-Band einfĂŒgen]-Riff. Um ehrlich zu sein, sind auch wir irgendwann in diese Falle getappt.
Wir wollten wirklich, dass dieses Album unsere eigenen KĂ€mpfe zeigt, auf sie zurĂŒckblickt und andere in einer Ă€hnlichen Situation dazu bringt, das Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Ob Drogen- und Alkoholprobleme, IdentitĂ€t, Sucht nach sozialen Medien, Politik, die dein Land kaputt macht â das Album spricht Konflikte an, mit denen alle Mitglieder der Band zu kĂ€mpfen hatten. Ich denke, als junger Erwachsener macht man eine Menge durch, eine Menge Probleme und eine Menge Premieren. Dieses Album handelt davon, wie man durch eine turbulente Phase in seinem Leben geht und auf der anderen Seite wieder herauskommt.
Das lag daran, dass wir das damals auch gehört haben, aber ehrlich gesagt ... wir waren nicht wir selbst und hatten keinen SpaĂ daran. Menschen entwickeln sich weiter, genauso wie die Musik. Wir sind nicht mehr die, die wir vor zweieinhalb Jahren waren, oder? Die Pandemie gab uns die Möglichkeit, einen Schritt zurĂŒckzutreten und uns auf die Musik zu konzentrieren, die wir fĂŒr uns schreiben wollten, nicht fĂŒr andere ... uns selbst zu finden. Abgesehen davon habe ich das GefĂŒhl, dass 99 Prozent der Hörer unseren Stilwechsel wirklich unterstĂŒtzt haben, und wir sind ihnen dankbar, dass sie uns eine Chance gegeben haben.
Rock, Metal, Rap â diese Genres hatten alle mit Protest und Wut zu tun, als sie entstanden. Worum geht es bei einem Mix aus diesen Genres? Was treibt BORDERS an?
Es gibt zwei Features auf dem Album. Zum einen sind das DROPOUT KINGS. Warum hattet ihr das GefĂŒhl, dass sie eine gute ErgĂ€nzung fĂŒr das Album wĂ€ren? Wir waren im Juli mit DROPOUT KINGS auf Tour und hatten einfach sehr viel SpaĂ. Wir haben ihre Musik schon immer geliebt, aber live sind diese Jungs noch mal eine Klasse fĂŒr sich! Unser Manager Oli hat uns den Kontakt vermittelt, weil er in den USA ist. In ihren Songs geht es um Themen wie UnterdrĂŒckung, Depression, Alkohol- und Drogenprobleme. Wir fanden ihre Texte sehr ansprechend und dachten, dass sie perfekt fĂŒr ein Feature geeignet wĂ€ren. Ich denke, dass sie bei âNWWMâ wirklich alles gegeben haben und der Song ohne ihren Beitrag nicht derselbe wĂ€re.
Und dann Elijah Witt. Was verbindet euch mit ihm? Wir sind groĂe CANE HILL-Fans und unser Produzent Jonathan hat zufĂ€llig zur gleichen Zeit mit ihnen gearbei tet wie mit uns. Elijah hatte seine eigenen Probleme mit dem Glauben und CANE HILL haben mehrere Anti-Reli gions-Songs, hinter denen wir absolut stehen können. Unser Track âGodlessâ handelt von meiner Trennung und meiner persönlichen Beziehung zum Glauben und meiner IdentitĂ€t, so dass wir das GefĂŒhl hatten, dass es perfekt passt, Elijah dazu zu bringen, mit uns daran zu arbeiten. Er hat den Vibe des Songs sofort verstanden und sein Fea ture hat das Ganze auf ein anderes Level gehoben!
Dennis MĂŒller
RAP-BATTLES. Der neue Output der britischen Band ist ein wilder Stilmix. Wie es zu all diesen EinflĂŒssen auf âBloom Seasonâ kam, erklĂ€rt uns SĂ€nger JJ.
ICH DENKE, ALS JUNGER ERWACHSENER MACHT MAN EINE MENGE DURCH, EINE MENGE PROBLEME UND EINE MENGE PREMIEREN.
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COUNTERPARTS
ZWISCHEN DĂSTERNIS UND TWITTER. Wie bereitet man sich auf ein GesprĂ€ch mit Frontmann Brendan Murphy vor? Auf der einen Seite steht das neue Album âA Eulogy For Those Still Hereâ, das davon handelt, sich selbst das Leben zur Hölle zu machen, indem man alles kaputtdenkt, und auf der anderen Seite ist da die PrĂ€senz auf Social Media oder bei Shows, wo die Band beziehungsweise Brendan sich ĂŒber alles und jeden bitterböse lustig macht. Also wie? Fragen wir ihn doch einfach selbst.
Wenbekommt man bei dir als Interviewpart ner? Den Brendan, der sich in seinen Songs selbst zerfleischt, oder den publikumsbe schimpfenden Weirdo von Twitter?
Nur auf Social Media zeige ich mein wahres Gesicht, haha. Aber im Ernst, alles worĂŒber ich in meinen Songs schreibe, ist zu hundert Prozent wahr, aber ich wĂŒrde es hassen, immer nur dieser negative Mensch zu sein. Das Einzige, worauf ich mich tagtĂ€glich wirklich freue, ist, die Leute zum Lachen zu bringen.
Hast du das GefĂŒhl, dass Menschen dich aufgrund deiner Musik zu ernst nehmen oder nicht ernst genug, wegen deiner Kommentare abseits davon? Ehrlich gesagt mache ich das schon zu lange, als dass ich noch irgendwas darauf gebe, wie die Leute von mir denken. Was zĂ€hlt, ist nur, dass ich SpaĂ habe. Andererseits Ă€rgert es mich schon, wenn jemand mich als SĂ€nger sieht und ernsthaft annimmt, dass ich ein Arschloch bin. Dann sage ich immer: âSieh dich mal im Publikum um. Denkst du wirklich, die Leute um dich herum wĂŒrden meine Beleidigungen hinnehmen, wenn sie nicht wĂŒssten, dass es nur SpaĂ ist?â Es wird immer Leute geben, die nicht verstehen, wie ich mich verhalte. Aber so lange, wie das schon lĂ€uft, sind es bestimmt 95 Prozent, die gemeinsam mit mir darĂŒber lachen, wie ich sie runtermache, haha.
Hast du hĂ€ufig den Eindruck, dass die Leute glauben, dich genau zu kennen? Absolut. TatsĂ€chlich ist das aber auch der Fall â sie kennen mich. Ich habe immer klar gesagt, dass ich nie eine Rolle spiele und nichts vor der Ăffentlichkeit oder den Hörern meiner Musik verheimliche. Warum sollte ich in meinen Songs so super ernst rĂŒberkommen wollen, wenn es nicht echt wĂ€re? Ich hĂ€tte es lieber, wenn die Leute zu mir kĂ€men, um sich mit mir ĂŒber ihre kranken Haustiere zu unterhalten, als dass sie Angst haben, ich könnte mich ihnen gegenĂŒber wie ein Idiot benehmen. Ich bin wie ein offenes Buch. Wenn Leute also denken, sie wĂŒrden mich kennen, dann ist das vielleicht auch so.
Deine Texte handeln von Schmerz und Trauer, eine zynische Ebene, die vielleicht dem Selbstschutz dient, bleibt da völlig auĂen vor.
Hundertprozentig richtig. Ich möchte nicht immer dieser traurige Sack sein, so entstehen nur die Texte fĂŒr
meine Songs. Alle paar Jahre setze ich mich in einen dunklen Raum, verfasse den dĂŒstersten Kram, der mir einfĂ€llt, und im Anschluss daran kann ich wieder rausgehen, SpaĂ haben und die Leute zum Lachen bringen. Ich bin schonungslos offen, was meine Texte betrifft, aber auch wenn es um die meine Person abseits der BĂŒhne geht.
bedeutet mir der Song auch sehr viel, deshalb sollte absolut klar sein, worum es geht. In dem Moment, in dem ich das erste Mal das Instrumental gehört habe, wusste ich, dass das Kumas Song wird. Anstatt also stundenlang bei thesaurus.com rumzuhÀngen, um den Track irgendwie mehrdeutig zu machen, habe ich einfach gesagt, was ich zu sagen hatte.
Du bist auch sehr offen, wenn es um dein Leben als âRockstarâ geht. Wie hast du die glorreiche RĂŒckkehr auf die BĂŒhnen erlebt, nachdem die CoronaPause vorbei war?
Ich will ehrlich sein, ich habe noch keine richtig geile Tour erlebt, seitdem es wieder losgegangen ist. Sie waren keine kompletten Desaster, aber eben auch nicht bahnbrechend, was den SpaĂ oder die Einnahmen betrifft. Es ist schon okay, ich bin glĂŒcklich, wieder Shows spielen zu können, weil es das Einzige ist, was ich seit meinem Schulabschluss gemacht habe. Momentan hoffe ich, dass die jeweils nĂ€chste Tour nicht einen Monat vorher abgesagt wird.
Wenn Menschen Ă€lter werden, verharren sie in der Regel weniger in dĂŒsteren Gedanken. Nun hast du aber ein Album ĂŒber eine Gedankenwelt geschrieben, in der du noch lebende Wesen bereits fĂŒr tot erklĂ€rst. Ist fĂŒr dich keine Besserung in Sicht?
Ich hoffe doch! Aber so lange diese AbgrĂŒnde in meinem Kopf existieren, habe ich auch einen Job und muss nicht bei Best Buy arbeiten. Also warum sie verstecken?
Ich bin ein menschliches Wesen wie alle anderen auch und mache eben bestimmte Sachen durch.
Wie geht es deinem Kater Kuma?
Es geht ihm ganz gut. Er ist ein kleiner QuĂ€lgeist, weil er alle paar Monate plötzlich beschlieĂt, dass ihm sein Futter nicht mehr schmeckt. Das Ding ist, wenn er nichts mehr isst, kann ich auch nichts mehr essen und das geht so lange, bis ich was Neues fĂŒr ihn gefun den habe.
Der Song âWhispers of your deathâ vom neuen Album handelt von Kuma und benutzt eine auffĂ€llig klare Sprache, wĂ€hrend die anderen Tracks wesentlich symboltrĂ€chtiger und weniger spezifisch formuliert sind.
Ich habe da einfach mein Herz sprechen lassen. Ich liebe Kuma mehr als alles andere in der Welt und daher
Was nervt dich am meisten am Leben als Musiker? Und warum ist es das trotzdem alles wert? Eigentlich geht es mir wirklich nicht gut. Ich bin pleite, achtzig Prozent des Jahres unterwegs, ich vermisse meinen Kater und bin komplett ĂŒberarbeitet. An man chen Tagen denke ich, dass mein Leben es nicht wert ist, gelebt zu werden, und ich nur in diese Rolle hin eingeraten bin, weil ich nie in irgendetwas gut war auĂer Schreien. Ich hoffe instĂ€ndig, dass sich das bald Ă€ndert.
Mit END hast du eine weitere Band, mit der du in Sachen harter Musik unterwegs bist, anderer seits feierst du auf Twitter immer wieder das neue Album von THE 1975. Schon mal darĂŒber nachge dacht, selbst auch in eine poppigere Richtung zu gehen?
Ich wĂŒnschte, ich wĂ€re in der Lage dazu. Bei mir lĂ€uft kaum noch hĂ€rtere Musik, fast ausschlieĂlich K-Pop und THE 1975. Ich stecke in meiner Sparte fest, weil ich selbst nicht besonders gut darin bin, Musik zu schreiben, und singen kann ich ebenfalls nicht. Ich bin dazu verdammt, der kleine Schreihals zu sein. Vielleicht sollte ich mal Gesangsstunden nehmen.
Christian Biehl
EIGENTLICH GEHT ES MIR WIRKLICH NICHT GUT. ICH BIN PLEITE, ACHTZIG PROZENT DES JAHRES UNTERWEGS, ICH VERMISSE MEINEN KATER UND BIN KOMPLETT ĂBERARBEITET.
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OUR HOLLOW, OUR HOME
DIY MIT SUPPORT. Die EnglĂ€nder um SĂ€nger Connor haben ihre Band bisher selbst organisiert, ihre Platten selbst veröffent licht und sich immer um alles selbst gekĂŒmmert. Nun haben sie erstmals bei einem Label unterzeichnet. Die GrĂŒnde dafĂŒr erlĂ€u tert uns Connor.
Esist ein Jahr her, dass wir ĂŒber euer Album âBurn In The Floodâ gesprochen haben. Seitdem ist viel passiert. Wie ist der Status von OHOH im Moment? Schreibt ihr, seid ihr auf Tour?
Ja, es war ein ziemlich verrĂŒcktes Jahr fĂŒr uns, eines voller Höhen und Tiefen. 2022 haben wir einige der gröĂten Shows unserer Karriere gespielt, darunter eine Tour mit A DAY TO REMEMBER und einen Auftritt auf der HauptbĂŒhne des Resurrection Festivals in Spanien, neben vielen anderen Touren und Festivals, und das alles, wĂ€hrend wir zu Hause in GroĂbritannien immer noch unseren Jobs nachgehen mĂŒssen
OUR HOLLOW, OUR HOME waren immer eine DIYBand, ihr habt bisher alle eure Musik selbst veröffentlicht. Jetzt habt ihr bei Arising Empire unterschrieben. War es der richtige Zeitpunkt fĂŒr euch, unter Vertrag genommen zu werden? Was war der Hauptgrund dafĂŒr, dieses neue Kapitel zu beginnen?
Es war einfach der richtige Zeitpunkt, Gleichgesinnte zu finden, die genauso an unsere Songs und unsere Band glauben wie wir, selbst und ein Team an Bord zu holen, das uns hilft, uns weiterzuentwickeln und die Band zu neuen Höhen zu fĂŒhren. Eine unabhĂ€ngige Band zu sein, hat definitiv seine Vorteile, aber sobald man eine gewisse GröĂe erreicht hat, ist der einzige logische nĂ€chste Schritt, sich nach einer Art von UnterstĂŒtzung umzusehen, die einen weiter nach oben bringt. Arising Empire haben uns von Anfang an unglaublich unterstĂŒtzt und hart gearbeitet, und wir sind sehr glĂŒcklich, sie an unserer Seite zu haben, wĂ€hrend wir uns weiterentwickeln.
War es eine schwierige Entscheidung, jetzt mit einem Label zu arbeiten? Was glaubst du, kann Arising der Band geben, was andere Labels nicht konnten?
Ich denke, es war eine Frage der Notwendigkeit fĂŒr uns. Wir hatten einen Punkt erreicht, an dem wir das GefĂŒhl hatten, dass wir Hilfe brauchten, um weiter zu wachsen und den Erfolg zu erreichen, von dem wir wissen, dass die Band dazu fĂ€hig ist, also wĂŒrde ich nicht sagen, dass es eine besonders schwere Entscheidung war. Es war der richtige Zeitpunkt fĂŒr uns, diesen nĂ€chsten Schritt zu machen. Wie ich schon sagte, schien Arising Empire einfach die beste Option fĂŒr uns zu sein, da sie den
Ruf haben, ein unglaublich hart arbeitendes Label mit einem wirklich engagierten Team zu sein, und wir fĂŒhlen uns gesegnet, dass wir die Gelegenheit bekommen haben, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Sie lieben unsere Band genauso sehr wie wir, und das war der wichtigste Faktor bei der Entscheidung, bei wem wir unterschreiben sollten.
Lebens verzichtet, um die Band am Laufen zu halten und ihr die Zeit, die Liebe und die Leidenschaft zu widmen, die sie braucht, damit sie funktioniert.
Was, denkst du, hast du in den letzten Jahren gelernt, das dir jetzt in deinem Privatleben und in der Band zugute kommt?
ZWEI VON TOBYS ABSOLUTEN LIEBLINGSBANDS SIND IRON MAIDEN UND NICKELBACK.
Was, wĂŒrdet ihr sagen, waren die Vor- und Nachteile, die es mit sich brachte, in den letzten Jahren eine Band ohne Label zu sein? Und was wird sich eurer Meinung nach jetzt Ă€ndern?
Der Versuch, sich als KĂŒnstler in einer Branche zu entwickeln, die von den sozialen Medien und schnell wechselnden Trends dominiert wird, wĂ€hrend wir alle noch normalen Jobs nachgehen mĂŒssen, um unsere Rechnungen bezahlen zu können, wird mit zunehmender GröĂe immer schwieriger. Es war eine Herausforderung, all den Aspekten, die man beachten muss, um voranzukommen, die nötige Zeit zu widmen. Wir haben die Freiheit genossen, bis zu diesem Punkt alles auf unsere Art zu machen, aber wenn du mit einem Label zusammenarbeitest, das wirklich an dich glaubt und dein Produkt versteht, ist das wirklich ein extrem groĂer Gewinn fĂŒr deine Band, mehr als alles andere.
Seine Musik selbst zu veröffentlichen, ist das etwas, was ihr anderen Bands raten wĂŒrdet, zumindest fĂŒr eine gewisse Zeit in ihrer Karriere?
Ich denke, wir stimmen alle darin ĂŒberein, dass man sich nicht davor scheuen sollte, sich zu schinden und so viel Arbeit wie möglich selbst zu investieren, bevor man erwartet, dass jemand kommt und alles fĂŒr einen erledigt. Man muss sich einfach die Zeit nehmen, die Opfer bringen und was sonst noch dazugehört. Wir haben Ereignisse mit der Familie und Freunden verpasst und auf Fortschritte in vielen anderen Bereichen unseres
Das knĂŒpft irgendwie an meine vorherige Antwort an, man sollte einfach keine Angst vor harter Arbeit haben. Nichts, was man im Leben will oder was es wert ist, im Leben zu haben, fĂ€llt einem von allein in den SchoĂ. Wir sind jetzt seit fast zehn Jahren eine Band und die meiste Zeit hat sich niemand auch nur annĂ€hernd so sehr fĂŒr unsere Band interessiert wie wir. Wir können uns glĂŒcklich schĂ€tzen, dass wir die Fans und die UnterstĂŒtzung haben, die wir jetzt haben, aber wir haben extrem hart gearbeitet, um in diese Position zu kommen, und das ist etwas, woran ich mich stĂ€ndig erinnere, sowohl in meinem beruflichen als auch in meinem privaten Leben.
Ihr habt gerade âBattle X Cityâ veröffentlicht. Ich habe das GefĂŒhl, dass die Leadgitarren in diesem Song stark von klassischem Metal im Stil von IRON MAIDEN beeinflusst sind. Wird es in Zukunft mehr von diesem âOldschool-Soundâ geben?
Ja, ich wĂŒrde sagen, das ist ein ziemlich guter Vergleich. Ich meine, zwei von Tobys absoluten Lieblingsbands sind IRON MAIDEN und NICKELBACK, und man kann diese Ein flĂŒsse definitiv im Songwriting von âBattle X Cityâ hören. Ich denke, das ist etwas, das bei unseren Fans live sehr gut ankommt und das wir auf jeden Fall weiter ausbauen wer den, um es bei zukĂŒnftigen Veröffentlichungen noch stĂ€r ker in unsere Musik zu integrieren.
Wo wir gerade bei der Zukunft sind: Es wurden nach âBurn In The Floodâ bereits einige neue Songs veröffentlicht â was können wir in naher Zukunft von euch erwarten?
Ich kann zu diesem Zeitpunkt leider noch nicht viel sagen, aber was ich sagen kann, ist, dass es eine Menge neuer Musik von uns gibt, die sich in verschiedenen Sta dien des Schreibprozesses befindet und die veröffent licht wird, sobald wir sie in die Welt setzen können. Es ist eine sehr aufregende Zeit fĂŒr OUR HOLLOW, OUR HOME und wir freuen uns sehr auf die Zukunft der Band. Wir hoffen, dass ihr uns auf diesem Weg begleiten werdet! Dennis MĂŒller
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THE WONDER YEARS
ALTE UND NEUE ĂNGSTE. Sie haben sich dem Konzeptalbum als Kunstform verschrieben. Eher ungewöhnlich fĂŒr eine Band, die dem Pop-Punk-Genre zugeschrieben wird. Aber THE WONDER YEARS sind so viel mehr. Vielschichtig, verletzlich und erneut mit einem ganz eigenen kĂŒnstlerischen Ansatz versehen kommt aktuell âThe Hum Goes On Foreverâ daher. Dabei ist Album Nummer sieben unter solch schwierigen Bedingungen entstanden, dass sich Verzweiflung und Hoffnung permanent die Klinke in die Hand gaben. SĂ€nger Dan Campbell erklĂ€rt, wie sehr die beiden letzten Jahre das neue Werk geprĂ€gt haben und worum es darauf geht.
Ihrhabt in den vergangenen Jahren nahezu durchweg Konzeptalben gemacht. Auf âSister Citiesâ ging es um Erfahrungen, die ihr auf Tour gesammelt habt, und wie ihr die Welt seht. Um was geht es auf âThe Hum Goes On Foreverâ?
Ich wĂŒrde es ein loses Konzept nennen. Uns ist es immer extrem wichtig, ein songĂŒbergreifendes Thema zu finden. Im Falle von âThe Hum Goes On Foreverâ ist es wohl vor allem die Angst vorm Versagen. Das Album ist das erste, das wir geschrieben haben, seitdem ich Vater geworden bin. Da verĂ€ndert sich die Sichtweise auf das Leben. Zu den alten Ăngsten kommen eine ganze Menge neue hinzu. Wo ich vorher in den Seilen hing und keinen wirklichen Plan fĂŒrs Leben hatte, muss ich nun fĂŒr meine Kinder funktionieren. Das kann einem eine höllische Angst einjagen. Man hinterfragt sich selbst oft und denkt sich, war es fair gegenĂŒber meinen Kindern, sie in eine Welt zu setzen, in der so vieles falsch lĂ€uft? Ich meine, wir reden hier ĂŒber die Klimakrise, MassenschieĂereien und Kriege. Diese Fragen und Zweifel versuche ich, auf âThe Hum Goes On Foreverâ zu verarbeiten. Die letzten beiden Jahre waren auch fĂŒr uns als Band sehr schwierig. Die globale Pandemie hat so vieles verĂ€ndert, auch die Dynamik, wie du als Band an ein neues Album herangehst.
Du hast ja die Pandemie bereits angesprochen, inwiefern hatte sie Einfluss auf âThe Hum Goes On Foreverâ?
Das Album hĂ€tte eigentlich schon 2020 veröffentlicht werden sollen. Wir wollten sofort nach der âSister Citiesâ-Tour damit anfangen. Dann kam die Pandemie und wir hatten erst mal keine wirkliche Chance, gemeinsam zu arbeiten. In einem Land, das kein funktionierendes Gesundheitssystem hat, war es am Anfang auch unmöglich, an Tests ranzukommen beziehungsweise waren diese damals unglaublich teuer. So hatten wir uns also dazu entschieden, uns alle fĂŒr 14 Tage in QuarantĂ€ne zu begeben und danach einen Test zu machen. Erst als klar war, dass wir alle negativ waren, haben wir angefangen, gemeinsam Musik zu machen. Wir haben
also eine Farm im Nirgendwo gemietet, uns dort hĂ€uslich eingerichtet und angefangen zu schreiben. Am Anfang habe ich noch versucht, mit Maske zu singen, und wir haben die absurdesten Dinge ausprobiert, um sĂ€mtliche Risiken zu minimieren, aber nichts hat wirklich funktioniert. Wir wollten einander einfach schĂŒtzen. Es war eine wirklich fordernde Zeit, die an uns allen gezehrt hat. âThe Hum Goes On Foreverâ ist eben in genau dieser Zeit entstanden. Aber gerade diese Schwierigkeiten und die Themen, die es zu verarbeiten galt, haben das Album zu dem gemacht, was es heute ist. HĂ€tten wir 2020 ein Album veröffentlicht, wĂ€re es sicherlich ein komplett anderes geworden. Ich bin mir allerdings auch ziemlich sicher, dass es nicht so gut wie âThe Hum Goes On Foreverâ geworden wĂ€re.
UNS IST ES IMMER EXTREM WICHTIG, EIN SONGĂBERGREIFENDES THEMA ZU FINDEN. IM FALLE VON âTHE HUM GOES ON FOREVERâ IST ES WOHL VOR ALLEM DIE ANGST VORM VERSAGEN.
Das heiĂt, dass in diesem Fall die Pandemie auch einen positiven Effekt auf euer Schaffen hatte? Nein, so wĂŒrde ich das nicht sagen. Ich kann nichts Gutes an einer Situation finden, in der Millionen von Menschen ihr Leben lassen mussten. Aber Einfluss hatte das alles natĂŒrlich auf uns. Es gab neue Dinge zu verarbeiten und wir waren gezwungen, sĂ€mtliche Live-Shows einzustellen. Das lĂ€sst dich grĂŒbeln und verschafft dir Zeit, dich eingehender mit dir selbst und
deiner Musik auseinanderzusetzen. âThe Hum Goes On Foreverâ ist vielleicht aus genau diesem Grund das in sich geschlossenste Album, das wir jemals produ ziert haben. Alles greift ineinander und funktioniert als Ganzes. Als wir mit dem Schreiben angefangen haben, gab es ja noch keine Songs und wenn ĂŒber haupt lose Ideen. Wir haben bei Null angefangen. Wir sind als Band in dieser Zeit noch stĂ€rker zusammen gewachsen. Wir hĂ€tten 2020 sicherlich Songs veröf fentlichen können, mit denen wir zufrieden gewesen wĂ€ren, aber ich glaube nicht, dass sie die QualitĂ€t des aktuellen Albums erreicht hĂ€tten.
Ich habe gesehen, ihr seid im November auf Tour in England. Habt ihr auch PlĂ€ne fĂŒr den Rest von Europa?
Um ehrlich zu sein, ja, aber nicht zum jetzigen Zeit punkt. Wir sind noch immer keine riesige Band und mĂŒssen sehr genau schauen, wo das Touren in der momentanen Situation Sinn ergibt. Uns ist es sehr wichtig, dass unsere Crew fair bezahlt wird und alle Kosten darstellbar sind. In einer Zeit, in der die Infra struktur am Boden liegt, es wenig Personal im Veran staltungsbereich gibt und du als Band teilweise weder Busse noch Equipment mieten kannst â von Benzin kosten und Co. wollen wir gar nicht erst anfangen â, ist es extrem schwer, Planungssicherheit zu haben. Dazu kommt auch noch die weiterhin existente CoronaSituation. Wenn du Geld investierst, eine Tour planst und diese dann absagen musst, weil sich einer von der Band infiziert hat, ist das ganze eingesetzte Geld weg. Da bist du als Band unserer GröĂenordnung im Zwei fel ruiniert und kannst dich nie wieder davon erholen. Wir hoffen einfach, dass sich die Situation bald wieder verĂ€ndert und wir euch dann besuchen können. Es wird wirklich Zeit, dass alles zur NormalitĂ€t zurĂŒckkehrt. Lasst uns alle das Beste hoffen. Vielleicht kommen ja sogar einige der Leute, die vorher in dem Bereich gearbeitet haben, wieder zurĂŒck, wenn die Situation stabiler wird und keine Lockdowns mehr drohen.
Carsten Jung
Foto: Kelly Mason
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OUR MIRAGE
ZumLaunch eurer neuen Platte habt ihr Musikclips zu den Songs âBlack holeâ, âHelp me outâ und den Titeltrack âEclipseâ produziert. Worum geht es inhaltlich?
Manuel: Es geht um einen Protagonisten, der in einer niederschmetternden Phase seines Lebens ĂŒber die Auswirkungen negativer GefĂŒhle und den Kampf gegen die Leere reflektiert. Auf der Flucht vor den eigenen Ăngsten fĂŒhlt er sich, als wĂŒrde er in ein schwarzes Loch hineingezogen werden. Sicherlich gibt es einen Ausweg, eine Person, die ihm helfen kann â doch werden die beiden sich finden?
Woher stammt die Idee zu dieser Trilogie?
Daniel: Aus den Anfangszeiten der Band. Viele der Songs auf dem Album verbindet ein roter Faden, weshalb das Format einer Trilogie gerade jetzt naheliegend war. Die konkrete Idee haben wir wÀhrend einer Probe zur Festivalsaison 2022 entwickelt und dann an unsere Videoproduzenten Mirko Witzki und Maximilian Beckmann herangetragen.
Mit Mirko Witzki arbeitet ihr schon lÀnger zusammen ...
Steffen: Ja, wir sind ein eingespieltes Team. Jeder unterstĂŒtzt jeden und wir können uns aufeinander verlassen.
Inwiefern wart ihr neben der Idee an dem Prozess involviert?
Daniel: WĂ€hrend der Pandemie haben wir einige Videos gĂ€nzlich in Eigenproduktion gedreht, dies mal waren wir zum GlĂŒck weniger eingebunden. Timo und ich standen in stĂ€ndigem Kontakt mit der Video produktion. Timo durfte auĂerdem vor der Kamera sein schauspielerisches Können unter Beweis stellen. Ansonsten wurden wir gut unterstĂŒtzt: Max von Ten plusone hat die gesamten Set-Gestaltung ĂŒbernom men. Es wurden Requisiten gebaut und riesige WĂ€nde hochgezogen. FĂŒr die Special Effects mit Trockeneis und Feuer haben Gloomworks Department gesorgt. Die Visual Effects kommen von Julian De Manos, der uns schon bei âThrough the nightâ begeistert hat. Kami Zero war fĂŒr die Maske zustĂ€ndig. Zu guter Letzt
fehlten dann nur noch der Schnitt von Mirko â und die ganzen kleinen, nervigen Korrekturen aller Mitglieder der Band.
In Zeiten, in denen die Quoten des Musikfernsehens sinken, dafĂŒr die Streaming Zahlen bei Spotify und Co. steigen, scheinen Musikvideos keine so groĂe Rolle mehr zu spielen wie frĂŒher. Wieso sind sie fĂŒr euch trotzdem ein so relevanter Baustein? Daniel: Leider hast du damit recht. FrĂŒher haben wir nach der Schule âTRLâ auf MTV eingeschaltet und uns inspirieren lassen, egal ob Rock, Pop, HipHop, Dance ... Heute wird alles zu jeder beliebigen Zeit gestreamt und vor allem sehr konsumorientiert vertrieben. GeschmĂ€cker sind ja bekanntlich verschieden, aber wo sind die ganzen Rocksongs im Radio geblieben? Da ist es umso schwieriger, ein neues Musikvideo zu vermarkten. Dennoch finden wir es wichtig, sich Gedanken zu machen, welchen Eindruck man als Band hinterlassen möchte. Mit passenden Videos können wir unseren Songs eine besondere Stimmung verleihen und so zum Nachdenken anregen.
Ihr habt euch schon frĂŒh mit Ăngsten sowie Selbstbewusstsein beschĂ€ftigt, auf âEclipseâ geht es um mentale Krankheiten. Inwiefern habt ihr euch dahingehend persönlich entwickelt?
Timo: Ich denke, der Sprung, den wir mit OUR MIRAGE in den vergangenen Jahren gemacht haben, hat uns allen mehr Sicherheit gegeben â vor allem bei dem, was wir als Band tun. Wir sind erwachsener geworden und das spiegelt sich jetzt auf unserem neuen Album wider. Wir haben durch das gewonnene Selbstvertrauen gewagt, neue Dinge auszuprobieren â das hat sehr gutgetan. Die Geschichten, die wir auf âEclipseâ erzĂ€hlen, basieren aber weniger auf unseren eigenen Erfahrungen als auf denen unserer Fans. Wir bekommen tĂ€glich Zuschriften aus aller Welt, wie unsere Musik Menschen durch schwierige Zeiten hilft, davon haben wir uns inspirieren lassen.
Der Release rĂŒckt nĂ€her: Welche Vorbereitungen habt ihr noch vor euch?
Daniel: Ich verbringe viel Zeit mit der Erstellung von Content fĂŒr unsere Social-Media-KanĂ€le. So ein âOut Now!â-Teaser muss ja beispielsweise in verschiedenen Formaten fĂŒr unterschiedliche Plattformen erstellt werden. AuĂerdem soll neues Merchandise designt und gedruckt werden, auch darum kĂŒmmern wir uns selbst. Und natĂŒrlich bereiten wir uns auf Interviews vor. Da wir alle neben der Band noch in Vollzeitjobs arbeiten, braucht es ein gutes Zeitmanagement. Wir machen so gut wie alles selbst und geben nur wenige Aufgaben in die HĂ€nde anderer.
Jeannine MichĂšle Kock
VON SONNE UND FINSTERNIS. âEclipseâ ist ihr dritten Album in fĂŒnf Jahren: OUR MIRAGE aus Marl zĂ€hlen wohl zu den aktivsten und vielversprechendsten Akteuren des hiesigen Post Hardcore. Wir sprechen mit SĂ€nger Timo, Gitarrist Steffen, Bassist Manuel und Drummer Daniel ĂŒber die neue Platte, ihre Musikvideo Trilogie und die Vorbereitungen zum Album Release.
Foto: Kathi Sterl
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BEHEMOTH
du bedienst dich in deinen Texten gerne altertĂŒmlicher Symbolik und mythologischer Figuren. Dieses Mal hat es zum Beispiel Herkules in einen Songtitel geschafft. Was fasziniert dich daran so?
Nergal,
Ich mag diese Archetypen einfach. Sie stehen fĂŒr Dinge, die allgemeingĂŒltig sind. Egal ob Kopernikus, Cicero, Shakespeare oder Herkules. Neu fĂŒr uns ist aber auf diesem Album, dass wir nicht abstrakt geblieben sind, sondern ich in den Texten versucht habe, FĂ€den in die Gegenwart zu knĂŒpfen und viele Aspekte von heute mit eingewoben habe. Das hatte ich schon lĂ€nger vor und sollte bereits auf den letzten beiden Alben stĂ€rker durchkommen, was mir aber nicht so geglĂŒckt ist.
Wie viel Umstellung bedarf so eine neu definierte Textausrichtung?
Das war die bisher anspruchsvollste Arbeit. Ich habe versucht, viele altmodische Wörter zu benutzen, sprachlich eher in Richtung Shakespeare zu gehen. Mir schwebt auch schon lange vor, altertĂŒmliches Englisch mit modernem amerikanischen Slang zu verbinden, vielleicht setze ich das in der Zukunft noch um.
Auch fehlt ein richtiger Titeltrack, oder? Auf dem letzten Album gab es diesen versteckten, dieses Mal nicht einmal das.
Auf âZos Kia Cultus (Here And Beyond)â gab es gleich zwei, die zusammen den Doppeltitel ergeben haben. âDemigodâ oder âThe Satanistâ hatten einen klassischen Titelsong. Auf âI Loved You At Your Darkestâ gab es âRom 5:8â, der auf das entsprechende Zitat in der Bibel verweist. Nun gibt es eben mal keinen Titeltrack. Wir versuchen immer etwas anders zu machen. Auf dem letzten Album hatten wir zum Beispiel auch âSolveâ als Intro und âCoagvlaâ als Outro. Dieses Mal haben wir âPost-God Nirvanaâ zu Beginn. Das ist aber kein echtes Intro, eher ein richtiger Song mit Gesang. So etwas haben wir bisher nie auf einem Album umgesetzt.
Im Pressetext steht, dass es auf dem Album um den Kampf gegen den aktuellen Zeitgeist geht. AuĂerdem wirst du zitiert: âIch habe ernsthaft mit dest-
ruktiven Tendenzen in der Popkultur gerungen âCancel Culture, Social Media und Tools, die meiner Meinung nach sehr gefĂ€hrliche Waffen in den HĂ€nden von Menschen sind, die nicht kompetent sind, andere zu beurteilen.â Kannst du darauf nĂ€her eingehen?
Das haben sie etwas aus dem Kontext gerissen und auf geblasen. Es geht um viel mehr auf dem Album. Aber natĂŒrlich ist das auch ein Aspekt. Die Grundidee von Can cel Culture mag gut sein, aber wer entscheidet, was rich tig oder was falsch ist? Manche Menschen bekommen mittlerweile durch solche Dinge einfach zu viel Macht. Ich meine, wer noch nie etwas Verwerfliches getan hat, der werfe den ersten Stein. Aber so eine Sache wie mit David Ellefson zum Beispiel. Da taucht ein Video auf, in dem er offenbar einvernehmlichen Sex mit einer Frau hat. Und daraufhin muss er aus seiner Band geworfen werden? Warum? Er hat meiner Meinung nach nichts getan, um das zu rechtfertigen. Ich weiĂ, dass er in einer christlichen Sekte aktiv ist, aber das ist mir vollkommen egal.
tige Situation, dass ich zuerst mit ME AND THAT MAN aufgetreten bin und spĂ€ter mit BEHEMOTH. Wir hatten einen ganz normalen Container und dahinter, durch einen Zaun getrennt, war der luxuriöse BackstageBereich von BEHEMOTH, mit Klimaanlage und allerlei Zeug. ME AND THAT MAN halten mich ein bisschen auf dem Boden. Gleichzeitig ist es aber schön zu sehen, wohin man mit seinem Engagement kommen, was man mit harter Arbeit erreichen kann. Wenn ich mit beiden Bands unterwegs bin, machen wir oft SpĂ€Ăe, ich könnte den falschen Titel anstimmen oder bei ME AND THAT MAN statt den groĂen Hut die BischofsmĂŒtze von BEHEMOTH aufsetzen. Wir haben wirklich viel SpaĂ zusammen und ziehen uns gerne auf.
Hatte ME AND THAT MAN Einfluss auf die letzten BEHEMOTH-Kompositionen?
NatĂŒrlich. In âVersvs Christvsâ gibt es zum Beispiel diesen Klargesang. An den hĂ€tte ich mich ansonsten nie herangetraut. Ich bin ja normalerweise kein konventioneller SĂ€nger. Aber bereits bei ME AND THAT MAN war ich fĂŒr alle Chöre zustĂ€ndig. Ich habe mich also auch bei BEHEMOTH mal in dieser Richtung versucht.
FĂŒr mich wirkt âOpvs Contra Natvramâ weniger wie eine direkte Weiterentwicklung des Stils des letzten Albums âI Loved You At Your Darkestâ. Eher wie eine Alternative dazu, wie es nach âThe Satanistâ auch hĂ€tte weitergehen können. Was meinst du?
Neben BEHEMOTH spielst du mittlerweile noch in deiner Folk-Band ME AND THAT MAN. Die scheint mir, wenn ich das in den letzten Monaten richtig verfolgt habe, ganz schön gewachsen zu sein. So groà sind ME AND THAT MAN gar nicht. Wir können uns aktuell nicht einmal einen Nightliner oder eine Tour leisten. Es gab vor ein paar Wochen in Wacken die lus-
Deine Gedanken gefallen mir! Ich weiĂ, dass âI Loved You At Your Darkestâ deutlich zugĂ€nglicher war. Ich wollte aber nicht in diese Richtung weitergehen, sondern eben eher einen Schritt zu Seite machen. Songs wie âOnce upon a pale horseâ oder âVersvs Christvsâ hat man so noch nie von uns gehört. Hier haben wir uns wirklich nach vorne gewagt. Das fĂ€llt mir nun natĂŒrlich auf die FĂŒĂe. Aktuell proben wir die neuen Lieder und oft frage ich mich, wie ich auf die Idee kommen konnte, so etwas zu schreiben. Ich muss gleichzeitig Gitarre spielen und singen. Auch wenn das Album nicht so wirken mag, ist es ganz schön komplex und die Strukturen nicht so einfach zu lernen.
Manuel Stein
IMMER IN BEWEGUNG. Kein BEHEMOTH-Album klingt wie das nĂ€chste. Den Polen ist es in ihrer gut dreiĂigjĂ€hrigen Karriere stets gelungen, sich auf spannende Weise weiterzuentwickeln. So auch auf ihrem neuesten Werk âOpvs Contra Natvramâ. Wir klingeln diesbezĂŒglich mal bei Frontmann Adam âNergalâ Darski durch.
AKTUELL PROBEN WIR DIE NEUEN LIEDER UND OFT FRAGE ICH MICH, WIE ICH AUF DIE IDEE KOMMEN KONNTE, SO ETWAS ZU SCHREIBEN. ICH MUSS GLEICHZEITIG GITARRE SPIELEN UND SINGEN.
Foto: Grzegorz Golebiowski
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BETWEEN BODIES
ZWISCHEN MENSCHLICH. Auf âElectric Sleepâ, dem DebĂŒtalbum der deutsch-kanadischen EmoPunk-Band, ist die Auseinandersetzung mit sehr persönlichen Begebenheiten zum Thema Tod ein zentrales Thema. Die Bandmitglieder Chris Schmidt und Benni Ricken erlĂ€utern die HintergrĂŒnde.
Kreativer Output wird nicht selten durch einschneidende Erfahrungen genĂ€hrt. Chris hat so eine im Song âStronger than meâ aufgegriffen. Als er Teenager war, fand seine Mutter heraus, dass sein GroĂvater noch ein weiteres Kind gezeugt hatte, zu dem dieser sich nie bekannte. Seine Mutter kĂ€mpfte fortan fĂŒr eine AnnĂ€herung an ihre Halbschwester und wurde dafĂŒr vom Rest der Familie ausgestoĂen. Der ihm nahestehende GroĂvater starb 2019, ohne seinerseits
die Kraft gehabt zu haben, das Thema aufzuarbeiten. âIch weiĂ, dass meine Mutter den Song schon hundertmal gehört hat und er krass wichtig fĂŒr sie ist. Wir haben neulich in meiner Heimatstadt Paderborn gespielt, sie war auch da und ich hatte die Situation extrem unterschĂ€tzt. Als sie vor mir stand und wir das StĂŒck spielten, sind mir die TrĂ€nen gekommenâ, erzĂ€hlt Chris. Sein Bandkollege Benni ergĂ€nzt: âChris ist auch einer meiner engsten Freunde und ich bin froh, dass er einen Ort
hat, wo er Dinge teilt und verarbeitet. Zumal die Texte fĂŒr jeden etwas komplett anderes bedeuten. Ich schreie eine bestimmte Zeile auf der BĂŒhne laut raus, weil ich damit eine eigene persönliche Erfahrung verbinde.â Trotzdem liegt es Chris am Herzen zu betonen, dass fĂŒr ihn der groĂe Ausgleich oder heilende Charakter durch das Schreiben von Texten und Musik ein Mythos sei: âNur die Kommunikation, der Feedbackraum ist die Ebene, in der etwas verarbeitet wird.â Auch in seinem Fall sprach seine Mutter immer wieder bis ins kleinste Detail ĂŒber den Sachverhalt.
Einen Bezug zum Thema Tod haben BETWEEN BODIES auch aus einem anderen Grund. Ein Teil der Gruppe hatte sich zu Schulzeiten ĂŒber eine Kirchenband kennen gelernt, was mittlerweile mit Sarkasmus kommentiert wird. âDas bleibt immer Teil von unserem Leben, aber mit dem Erwachsenwerden haben wir eine starke Politisierung erfahren, ordnen uns alle als progressiv und links ein. NatĂŒrlich fĂ€llt auf, wie viele Dinge in der Kirche ĂŒberhaupt nicht klargehen. Sicher gibt es auch gute Aspekte â meine Mutter ist Gemeindereferentin und macht soziale Arbeit. Die Institution als solche ist aber der letzte ScheiĂâ, so Chris. Benni betrachtet dieses religiöse Umfeld ebenfalls in einer emanzipierten Selbstreflexion: âIn meinen frĂŒhen Zwanzigern hatte ich eine unfassbare Wut auf diese Institution. In den letzten Jahren hat sich eine angenehme Indifferenz eingestellt. Der Hass verfliegt und man beginnt das aus einer erwachseneren Perspektive zu sehen. Wie man Kunst oder eigenes Handeln betrachtet, verĂ€ndert sich. Ich liebe an dieser Platte, dass wir die Themen Sterben und Tod so behandeln. Das ist etwas, womit ich sehr struggle. Durch das christliche Aufwachsen herrschte ein total schrĂ€ges VerhĂ€ltnis dazu.â
Florian Auer
Foto: Instagram.com/herr_steroe
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UNPROCESSED
BREIT GEFĂCHERT. Ob Metalheads, Internet-affine Kids oder Musiknerds â die Band aus Wiesbaden bietet vielen Leuten AnknĂŒpfungspunkte. Eine Situation, die sich durch das vielseitige Repertoire auch als Herausforderung rausstellen kann, so SĂ€n ger und Gitarrist Manuel: âWir können theoretisch genau rauspicken, was wir fĂŒr welches Publikum spielen wollen.â Aber genau darin liegt das Problem, es ist enorm schwer, die passende Setlist fĂŒr das jeweilige Publikum auszuwĂ€hlen, wie Manuel und Bassist David erzĂ€hlen.
Die Zielgruppe der Band erweist sich auch auf ihrer Tour in den USA, wo UNPROCESSED als Support von POLYPHIA gefeiert werden, als gut durchmischt. âEs sind viele sehr junge Menschen auf den Konzerten, aber das Publikum ist sehr diversâ, so David. âEs kommen auch viele Ă€ltere Metalheads, die dann zwischen ZwölfjĂ€hrigen stehen, die mit ihren Eltern mehrere Stunden zu den Konzerten gefahren sind. Es ist einfach schön zu sehen, dass generatio nenĂŒbergreifend Menschen Gefallen an unserer Musik finden.â
UNPROCESSED haben sich dabei ĂŒber die Jahre von einer djentigen Progressive-Metal-Band zu einem Sound entwickelt, den man kaum mit einem einzigen Begriff passend umschreiben kann. Auf einer Grundlage aus modernem Instrumental-Prog liefert die Band eine Mixtur aus Pop, HipHop, R&B und elektronischer Musik, die sich teils virtuosen Metalpassagen fĂŒgen und dabei ĂŒber die 16 Tracks des neuen Albums âGoldâ ein wahres Feuerwerk an Abwechslung abfeuern. Dass âGoldâ so viele verschiedene Aspekte offenbart, liegt laut Manuel auch daran, dass das Songwriting seine Zeit in Anspruch genommen hat. âIn der Entstehungszeit hatten wir alle gefĂŒhlt fĂŒnfzig verschiedene MusikgeschmĂ€cker. DarĂŒber hinaus haben wir in meh-
reren Etappen aufgenommen und stĂ€ndig Dinge an den Songs geĂ€ndert. Das Resultat ist aber eine ziemlich gute ReprĂ€sentation dieser Phase und bildet den Prozess bestens ab.â So ist âGoldâ ein Potpourri an EinflĂŒssen und offenbart Material aus den letzten drei Jahren, wie David hinzufĂŒgt. âEs gibt Songs, die drei Jahre alt sind, wĂ€hrend manche Tracks erst seit zwei Monaten fertig sind, weil sie kurz vor der Deadline geschrieben wurden.â
Auch wenn sich UNPROCESSED auf Ă€sthetischer und teilweise auch auf klanglicher Ebene einem Publikum widmen, das auf den sozialen Medien und insbesondere TikTok aktiv ist, halten sie am Format des Albums fest. âIch mag es einfach, ein Album zu habenâ, so Manuel. âEs fĂŒhlt sich immer hochwertiger an, Musik in eine richtige Form zu bringen. Ob es nun ein physisches Produkt ist oder nicht. Es ist die Sammlung an Songs, die man den Fans als groĂes Paket von einem selbst geben kann, und das macht ein Album fĂŒr mich nach wie vor unfassbar cool.â Auch weil es der Band die Möglichkeit gibt, weit mehr als nur eine Seite von sich zu zeigen, wie David sagt. âWir hoffen, dass fĂŒr jeden etwas auf dem Album dabei ist, und können voller Stolz behaupten, dass es uns als Individuen bestens reprĂ€sentiert.â Zudem findet sich auf âGoldâ mit âBerlinâ erstmals ein
Song, der auf Deutsch geschrieben wurde, was von Manuel bisher immer abgelehnt wurde, wie er schmunzelt. âIch habe immer gesagt, dass ich das nicht machen will, haha.â Experimentell, wie sich die Band seit Beginn zeigt, war es David, der einen deutschen Text schrieb, wobei âBerlinâ jedoch in seiner Einzigartigkeit bestehen bleiben soll und sich so was nicht noch einmal wiederholen wird, so Manuel.
Im Juni 2022 spielte die Band beim Rock am Ring und erreichte damit einen weiteren Meilenstein in der Karriere, so Dave. âDas nĂ€chste Mal wollen wir auf die Mandora Stage, aber auch auf der Orbit Stage war es der absolute Wahnsinn.â Im Oktober werden UNPROCESSED neben einer Tour als Support von PLINI den Freitag des Euroblast Festivals co-head linen. Dabei ist es erst der zweite Auftritt der Band auf dem Szenefestival, bei dem sie 2018 erstmals die HauptbĂŒhne eröffneten. âJetzt als Co-Headliner zu spielen, ist total verrĂŒcktâ, sagt Manuel. âIch weiĂ noch, dass ich mir frĂŒher gesagt habe, dass es mein Ziel ist, einmal ĂŒberhaupt im Line up des Festivals zu stehen.â Mit âGoldâ schreiben UNPROCESSED nun ein weiteres Kapitel ihrer Erfolgsgeschichte, die auch fĂŒr neue Ziele offen ist.
Rodney Fuchs
Foto: quintenquist.com
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THE DEVIL WEARS PRADA
ENTDECKER. Auf ihrem achten Studiowerk âColor Decayâ zeigen sich die US-Amerikaner wieder einmal als GrenzgĂ€nger des Metalcore. Warum ihn die Pandemie ganz besonders motiviert hat, was die gröĂte StĂ€rke des aktuellen Line-ups ist und welche Rolle der christliche Glaube fĂŒr die Band noch spielt, verrĂ€t uns Frontmann Mike Hranica.
ColorDecayâ kommt wieder mit einem sehr vielseitigen und kontrastreichen Sound daher. Inwieweit habt ihr deiner Meinung nach neue Grenzen ĂŒberschritten? Und was ist heute die Essenz eures Sounds?
Wenn wir an Songs arbeiten, sagen wir uns nie: Hey, wir mĂŒssen jetzt mal was machen, was nicht nach TDWP klingt. Wir können doch ohnehin ganz viele verschiedene Stile in unsere Songs einflieĂen lassen. Und warum soll ein Album immer nur aus zwölf Songs mit Metal-Riffs, Breakdowns und Clean-Refrains bestehen? Es gibt so viel mehr zu entdecken, was ein TDWP-Song sein kann. Und ich denke, das ist auch die Essenz dessen, was wir als Metalcore-Band erreichen wollen.
BeitrÀge in den sozialen Medien sollten im Allgemeinen ja mit etwas Vorsicht genossen werden. Dennoch: Die Reaktionen auf die ersten Single-Auskopplungen waren sehr positiv, ja sogar
phasenweise euphorisch. Wie gewichtet ihr dieses Feedback?
Ich denke, was das angeht, hat jeder in der Band seine eigene Haltung. Ich selbst bin eher jemand, der dem Ganzen nicht die ganz groĂe Bedeutung zumisst. Trotzdem registriere ich natĂŒrlich, dass die Videos zu den Songs oft angeklickt werden. Und ich regis triere auch, dass die Reaktionen bei den Shows, die wir aktuell spielen, wirklich absolut ĂŒberwĂ€ltigend sind. Ich freue mich einfach unglaublich auf den Release, den Moment, wenn die Menschen da drauĂen die gesamte Platte hören können. Denn das Album ist nicht nur auf das beschrĂ€nkt, was wir an Songs bisher veröffentlicht haben.
Viele Fans Ă€uĂern in Kommentaren und BeitrĂ€gen vor allem die Hoffnung, dass das derzeitige Lineup zusammenbleibt. Wie ist es um das Kollektiv THE DEVIL WEARS PRADA aktuell bestellt?
In allererster Linie ist das aktuelle Line-up eine Gruppe von Individuen, die ihr ganzes Leben dafĂŒr gekĂ€mpft haben, Musik machen zu können. Keinem von uns wurde dieses Privileg geschenkt. Wir alle brennen einfach dafĂŒr. Somit sind wir eine sechsköpfige Gruppe, die nichts anderes will, als einfach nur Musik zu schreiben und sie live zu spielen. Ich weiĂ, dass das sehr pauschal klingt. Aber ich habe realisiert, dass genau das eine der stĂ€rksten Tugenden unserer Gruppe ist.
âColor Decayâ ist euer achtes Studioalbum. Ist die âmagische Zehnâ ein konkretes Ziel? Und wie fĂŒhlt es sich an, heute auf euer bisheriges Schaffen zu blicken?
Nun, zehn Alben sind schon viel. Allerdings betrachte ich jede Platte fĂŒr sich immer wieder als neue, spannende und aufregende Erfahrung. Jede ist fĂŒr sich besonders. Ich bin da auch nicht so sehr in der Vergangenheit verhaftet, sondern lebe eher im Moment. Und ich will auch nicht zu sehr ĂŒber die Zukunft spekulieren. Das ist so, als wĂŒrde man versuchen, eine BrĂŒcke zu ĂŒberqueren, die noch gar nicht gebaut wurde.
Im November 2012, vor fast genau zehn Jahren, saĂ ich mit eurem damaligen Gitarristen Chris Rubey in Berlin zusammen. Wir sprachen ĂŒber den christlichen Hintergrund von TDWP. Er bezeichnete es damals als einen âKern der Bandâ. Wie wichtig ist das Thema aktuell noch fĂŒr euch?
Wir haben uns mittlerweile tatsĂ€chlich von der kollektiven und individuellen Verbindlichkeit zum Christentum gelöst. Dass wir damals als Band diesen âKernâ hatten und damit gearbeitet haben, war eine wichtige Komponente unserer Jugend und unserer Persönlichkeitsentwicklung. Etwas, das uns moralisch, aber auch in professioneller Hinsicht geprĂ€gt hat. Heute sind wir nun an einem Punkt angekommen, an dem sich unsere Wahrnehmung des christlichen Glaubens verĂ€ndert hat.
Die Pandemie war vor allem fĂŒr KĂŒnstler und Musiker ein schwerer RĂŒckschlag. Was hat dir die Motivation gegeben weiterzumachen? Und mit welchen Zweifeln musstest du dich auseinandersetzen?
In meinem Fall hat mir die Pandemie mehr Motivation gegeben, als ich jemals beschreiben könnte. Ich fĂŒhlte mich zwar eingesperrt, ich fĂŒhlte mich komplett aus dem Spiel genommen, daran gehindert, Musik zu machen und live zu spielen. Aber das hat mich nur noch mehr motiviert, da irgendwie und irgendwann wieder rauszukommen. Was meine persönlichen KĂ€mpfe angeht, war es so, dass ich schon immer gerne mal alleine war, das war nie ein Problem. Aber dieses GefĂŒhl, dass die ganze Welt um dich herum stillsteht, diese Einsamkeit, die daraus entsteht, das waren schon sehr deprimierende und furchteinflöĂende Gedanken.
Anton Kostudis
Foto: quintenquist.com
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DEFLESHED
Wir sind uns dessen bewusst, dass eine be stimmte Anzahl von Leuten immer behaup ten wird, dass frĂŒher alles besser warâ, erwi dert SĂ€nger/Bassist Gustaf Jorde, darauf angespro chen, dass DEFLESHED von etlichen Extrem-Fans als lebende Legenden verehrt werden. âDeshalb werden wir wohl noch ein weiteres Album herausbringen mĂŒs sen, um âGrind Over Matterâ in das Kapitel âfrĂŒherâ zu stellen, haha. Aber macht uns das Angst? Nein, ĂŒber haupt nicht! In erster Linie machen wir das um unserer selbst Willen. Wir hatten das GefĂŒhl, dass wir noch ei nen weiteren Teil des Liedes in uns hatten, der heraus kommen wollte, und hoffen, dass die meisten von de nen, die uns im Laufe der Jahre um eine Reunion ge beten hatten, das neue Album genauso gut finden, wie wir, als wir es komponiert und aufgenommen ha ben. WĂ€hrend des Songschreibens achten wir nicht so sehr darauf, was in der Szene vor sich geht oder wel che extremen Musiktrends gerade kommen oder ge hen. Wir haben unser Konzept und versuchen vor nehmlich, unseren Ohren treu zu bleiben. Das Ergeb nis spiegelt musikalisch also nicht wirklich die Szene wider, wie sie sich heute darstellt. Es ist auch nicht un ser Ziel, die schnellste oder brutalste Band der Welt zu sein. Wir wollen einfach nur intensiven Heavy-Thrash Metal spielen, wie wir ihn selbst gerne hören.â Den drei Schweden geht es um den SpaĂ an der Sache: âAls In dividuen sind wir heute entspannter und nicht mehr so sehr auf Fortschritt oder die ârichtigen Entscheidun genâ fixiertâ, bestĂ€tigt Gustaf. âWir spielen den Ball ein fach so, wie er rollen will, und sehen, wohin er uns fĂŒhrt. Dennoch geben wir mit den uns zur VerfĂŒgung stehen den Mitteln unser Bestes und vernachlĂ€ssigen nicht die Bedeutung der Anstrengung. Gleichzeitig schĂ€tzen wir im Leben aber auch andere Dinge als Metal. Ob sich unsere entspanntere Einstellung zum Leben im Allge meinen auf dem neuen Album bemerkbar macht, ist schwer zu sagen. Ich denke oder hoffe es nicht, da es fĂŒr mich ziemlich wĂŒtend und intensiv klingt. Wir wol len eine akustische Ohrfeige fĂŒr jeden produzieren, der eine will oder braucht â uns selbst eingeschlossen.â
Mit Blick auf den Nachfolger des 2005er Albums âReclaim The Beatâ erweist sich die Arbeit entlang der eigenen Vorlieben als erfolgreich und spannend: âWir sind mehr an unserem eigenen kreativen Fortschritt interessiert, als darauf zu schauen, welchen Weg andere Bands einschlagenâ, erzĂ€hlt der Schwede. âIch glaube an die Vielfalt und bin wirklich begeistert, wie einfach es ist, neue Musik und neue AnsĂ€tze im Kontext der extremen Musik zu finden. DEFLESHED werden nie die extremste Band der Welt sein. Das ist auch nicht unser Ziel. Dennoch bin ich davon ĂŒberzeugt, dass wir uns einen eigenen Sound erarbeitet haben und unsere Musik damit relevant ist.â Das Dreiergespann aus Uppsala meldet sich auf âGrind Over Matterâ prĂ€gnant und verdichtet zurĂŒck: âWenn man auf einen progressiven und melodischen Ritt aus ist, wird man enttĂ€uscht seinâ, weiĂ Gustaf. âDas können andere Bands aber auch und machen das gut, also warum sollten wir das tun? Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass es schwer ist, sich unsere Musik stundenlang anzuhören. Also halten wir die Alben so kurz wie möglich. Diesmal sind es 34 Minuten. Das ist genug. Allerdings streuen wir immer auch ein paar Songs mit gedrosseltem Tempo in den Mix ein, damit die schnelleren StĂŒcke besser zur Geltung kommen. DEFLESHED ist keine Sache fĂŒr jedermann. Wenn es so wĂ€re, wĂ€re unsere Mission gescheitert: extreme Musik fĂŒr extreme Leute.â
WIR WOLLEN ABER KEINE GROSSE BAND SEIN.
DAS IST IRRELEVANT.
Worauf das Trio aus ist, weiĂ der SĂ€nger/Bassist ganz genau: âUns geht es primĂ€r darum, dem Hörer Energie mitzugeben. Wir machen nichts Technisches um des Technischen willen. Im Gegenteil. Wir versuchen viel-
mehr, die Dinge zu vereinfachen und Elemente wegzulassen, die nicht sein mĂŒssen. Soli zum Beispiel. Unsere Songs sind zumeist zwischen zweieinhalb und drei Minuten lang. Da gibt es keine unnötige Ăberfrachtung. Wir fordern uns aber immer in dem Sinne heraus, dass wir versuchen, Dinge zu tun, die wir vorher noch nicht probiert haben, und dem Hörer dadurch hoffentlich etwas Interessantes zu bieten. Wir wollen aber keine groĂe Band sein. Das ist irrelevant.â Die lange Kreativpause ist âGrind Over Matterâ jedenfalls nicht anzuhören: âWir haben 17 Jahre kein DEFLESHED-Album geschriebenâ, erinnert sich der Musiker. âWĂ€hrend dieser Zeit haben wir musikalisch die verschiedensten Dinge gemacht, die wahrscheinlich auch eine Rolle bei der Entstehung dieses Albums gespielt haben. Was das genau ist, lĂ€sst sich nicht so leicht sagen. Doch wir sind auch Ă€lter geworden, im Guten wie im Schlechten. Es fĂ€llt uns schwer, so viel IntensitĂ€t zu erzeugen wie in unseren DreiĂigern, also haben wir ein paar andere Wege und Tricks gefunden, um das gleiche Energieniveau zu erreichen.â Das Comeback-Werk begeistert Gustaf bis jetzt: âNormalerweise bin ich nach der Fertigstellung eines Albums todmĂŒde davonâ, verrĂ€t der Schwede. âDoch diesmal konnte ich einfach nicht genug davon bekommen. Einige der Songs habe ich noch monatelang weitergespielt, nachdem wir das endgĂŒltige Master fertiggestellt hatten. Wie ,Bent out of shapeâ, ,Heavy haulâ und mein Favorit ,Grind over matterâ. Textlich bin ich sehr happy damit, wie ,Dear devilâ geraten ist. Es ist ein spezieller Song fĂŒr mich, bei dem ich mir gar nicht sicher bin, ob der durchschnittliche Metalhead ihn versteht. Er entstand aus Frustration darĂŒber, wie bequem und faul die Menschheit geworden ist. ,One grave to fit them allâ ist ein weiteres zynisches StĂŒck, das ich mir immer wieder anhören kann. Meiner Meinung nach sind alle Songs auf dem Album deutlich besser geworden, als ich es mir jemals hĂ€tte trĂ€umen lassen. Wie es beim Hörer ankommt, liegt nicht mehr in unserer Hand. Wir haben bereits unser Bestes gegeben und hoffen, dass ihr den Wahnsinn genieĂen werdet.â
Arne Kupetz
EINE AKUSTISCHE OHRFEIGE. Der zwischenzeitliche Split wĂ€hrte 17 Jahre. Nun sind die drei Schweden wieder da und prĂ€sentieren sich auf âGrind Over Matterâ gewohnt rasant, aggressiv und rigoros.
Foto: Evelina Szczesik (Ever Vision Art)
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Hippie Trim
Zuletzt
haben wir nach eurer Albumveröffentlichung gesprochen. Was ist in der Zwischenzeit passiert?
Tristan: Wir haben irgendwann gecheckt, dass die gan zen Konzerte, die wir geplant hatten, ausfallen. Dann gegen Winter kam dann so dieser Zustand, dass man sich gar nicht mehr so treffen konnte. Weil wir ja auch zerstreut wohnen und uns im Proberaum treffen, dann Bahnfahren, Lockdown, haste nicht gesehen ... Als es dann ein bisschen besser wurde und wir eine Phase hat ten, wo wir mal proben konnten und uns auch zusam mensetzen und Demos anhören konnten, wollten wir echt wieder was machen. Wir haben uns dann ein biss chen drĂŒber hinweg gesetzt, dass wir fĂŒnf Haushalte sind, und angefangen zu proben, so dass wir ins Stu dio gehen konnten. Der positive Effekt war, dass wir uns die Demos immer wieder angehört haben. Bis irgend wann der Punkt kam: Ich habe die Stelle jetzt fĂŒnfzig Mal gehört, voll scheiĂe. Lass die mal Ă€ndern. Dann hat jeder am Ende noch was dazu beigetragen, dass wir noch Sachen geĂ€ndert haben, und ich glaube dadurch ist das Album vom Songwriting her deutlich besser geworden. Auch wenn der Prozess viel beschwerlicher war und sich ĂŒber einen viel lĂ€ngere Zeitraum erstreckt hat.
Lukas: Aufnehmen war auch so eine Sache, wegen der fĂŒnf Haushalte. Das war auch ein reiner Nervenkitzel eigentlich. Wir kamen uns auch sehr illegal vor. Wir haben uns auch selber so ein offizielles Schreiben ausgestellt, so mit Steuernummer und so. Wir dachten uns, wenn die Vollstreckungsbeamten des deutschen Staates sehen, dass da Steuern flieĂen, wird das schon okay sein. Wir wurden nicht angehalten deswegen. Dann mussten wir uns die Songs schnell draufschaffen. Jeder hat schon echt sein Bestes gegeben. Wir waren alle froh, dass das am Ende so gut geklappt hat.
Tristan: Diesen langsamen Prozess am Ende noch mal beschleunigt hat, dass das Studio, wo wir aufgenommen haben, nach dem Sommer schlieĂen musste. Das ganze GebĂ€ude in Frankfurt wird abgebaggert. Da kommt jetzt eine schöne Parkgarage hin. Das war so ein bisschen die Situation: Ey, wir machen das jetzt oder wir machen halt gar nicht mehr. Dann haben wir uns gedacht: Jetzt mĂŒs sen wir echt die Beine in die Hand nehmen.
Lukas: Jetzt, wo das Ding abgerissen wird, kann man das ja sagen, der Laden war ein ganz schöner Schabentempel. Wir hatten viel mit Ungeziefer zu tun und ich bin stark an meine Grenzen gekommen.
Tristan: Da wird die Stadt Frankfurt sich noch echt in den Arsch beiĂen, dass die mit dem Bauvorhaben den ganzen Schaben ihr Zuhause genommen haben und die jetzt alle durch Frankfurt irren. Die Rache des Schabentempels!
Tristan: Der Style ist derselbe. âCultâ ist ja schon ein vielseitiges Album gewesen und so ist es auch bei âWhat Consumes Meâ. Der Feinschliff ist aber echt bes ser geworden. Der Sound ist authentischer, weil wir viel mehr Effekte analog gemacht haben, statt die spĂ€ter digital auf die fertigen Aufnahme draufzulegen. Und ein krasser Schritt nach vorne ist, dass unser Schlag zeuger Luc bei dem Songwriting und den Aufnahmen dabei war. Bei âCultâ ist er erst fĂŒr die Shows dazuge kommen. Jetzt hat er das Album mitgeschrieben und das hört man einfach.
Lukas: Wir hatten mit âCultâ jetzt auch so ein Beispiel, wie wir klingen können. Mit dem wir eben nicht zu hundert Prozent zufrieden waren, aber das so als Orientierung fĂŒr den eigenen Sound da war.
Tristan: Das wird es auch auf jeden Fall beim nĂ€chs ten Album auch geben, es gibt jetzt schon wieder Parts, bei denen ich denke: Was haben wir denn da gemacht? Das ist ja voll scheiĂe. Das hat sich jetzt schon einge schlichen, dass so ein paar Songs in der Band echt ver hasst sind.
Man liebt das neueste Werk ja oft am meisten. Aber wie wĂŒrdet ihr eure beiden Alben miteinander vergleichen? Was ist neu, besser, anders?
Lukas: Bei âCultâ war es so, das kam 2019 raus, da waren aber auch Songs von 2016 drauf. Dieses Mal waren auch Ă€ltere Demos dabei, da hat sich nicht so viel getan. Aber wir wussten mehr, wo wir hin wollen. Bei âCultâ hat das noch so ein bisschen gewirkt wie zusammengewĂŒrfelt. Wir wollen die-und-die Art von Mucke machen und dann schreiben wir in der Art einen Song. Bei âWhat Consumes Meâ war es jetzt eher so, dass wir alle mehr an einem Strang gezogen haben. Jeder von uns kam ins Studio und konnte seinen ScheiĂ richtig gut runterspielen. Hat auch eigene Ideen da rein gebracht. Das ist einfach mehr ein ganzes Album und da sind mehr gute Songs drauf als auf âCultâ. Man muss ja auch kritisch sein mit seinen alten Sachen. Also da waren schon ein paar gute Songs dabei, aber auf dem neuen Album sind ein paar mehr coole Songs. Da ist mehr Können und Finesse drin.
Jetzt bin ich neugierig. Welchen Song könnt ihr nicht leiden?
Tristan: Von den veröffentlichten gibt es am wenigsten Stellen, die abfucken. Mein persönlicher Abfuck ist bei âFazeâ ... die Lyrics. Warum habe ich im Studio nicht gedacht, du musst hier einschreiten? Das ist meine Nummer, da wĂŒrde ich sagen, da haben wir echt noch Potenzial verschenkt. Aber hinterher hört manâs immer anders. Im Studio waren wir alle dafĂŒr und fanden es geil. Und jetzt ist es ja auch schon wieder ein Jahr her, dass wir das aufgenommen haben. Jetzt zu sagen: Das ist nicht das beste, was wir hĂ€tten machen können, das kann man einfach nicht ausschlieĂen.
Lukas: Wir sind in der Zwischenzeit noch ein bisschen gereift einfach. Bei âFazeâ sehe ich genau so. Und ich wette, das ist wieder so wie beim letzten Album. Da fanden wir âWiccaâ alle richtig scheiĂe. Bei einem Radio lief der die ganze Zeit auf Rotation. Es wird immer Leute geben, die den Song am besten finden. Aber wir finden den auf jeden Fall echt kacke im Vergleich zu den anderen.
Britt MeiĂner
RACHE DES SCHABENTEMPELS. Nach dem Release von âCultâ 2019 wurde es recht ruhig um HIPPIE TRIM. Klar, Corona halt. Das heiĂt aber nicht, dass hinter den Kulissen nichts passiert ist. Gitarrist Tristan BĂ€umer und Bassist Lukas Andrzejewski waren natĂŒrlich dabei und wissen, was los war.
ES WIRD IMMER LEUTE GEBEN, DIE DEN SONG AM BESTEN FINDEN. ABER WIR FINDEN DEN AUF JEDEN FALL ECHT KACKE IM VERGLEICH ZU DEN ANDEREN.
Foto: Simon Veith
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BEWUSSTSEINSVERĂNDERUNG. Aus dem mittleren Westen, dem Heartland der USA, und dem Umfeld von KNOCKED LOOSE kommt Protest gegen die vergifteten VerhĂ€ltnisse in Form einer LiebeserklĂ€rung an den metallischen Straight-Edge-Hardcore der Neunziger. SĂ€nger Tyler Short nennt die Dinge beim Namen.
Ich kann nur von meinen persönlichen EinflĂŒssen sprechen, das war bei der Arbeit an diesem Projekt vor allem der frĂŒhe Victory- und New Age RecordsStuff. Sowohl musikalisch als auch die Einstellung betreffend, die ich damit verbinde. Bands wie STRIFE, MOUTHPIECE, UNBROKEN, CHORUS OF DISAPPROVAL oder ONE KING DOWN.
âUnaltered Perspectiveâ ist ein Konzeptalbum, das sich sehr konkret und aus diversen Perspektiven mit dem grassierenden Opioid-Missbrauch in den USA befasst.
Es ist sicher mehr als nur eine Referenz an Straight Edge und ein drogenfreies Leben. Es geht darum, die eigenen Probleme wie auch die der gesamten Gesellschaft klar sehen zu können. UnverfĂ€lscht durch politische Inter essen und Propaganda oder durch eine verzerrte Sicht auf sich selbst. Es geht um die Wahrheit, oder genauer gesagt natĂŒrlich: meine Wahrheit. Aber es gibt sicher viele Menschen, die wie ich denken, und die sollen wissen, dass sie nicht alleine sind. Ich denke, Straight Edge muss mehr sein als nur Songs ĂŒber Sellouts, davon gab es auf unseren ersten zwei EPs auĂerdem schon genug!
Es fĂ€llt auf, wie âUnaltered Perspectiveâ den Fokus immer wieder von den groĂen Problemen auf ihre direkten Folgen fĂŒr die betroffenen Menschen verschiebt und wie auch das Songwriting diese Stimmungswechsel widerspiegelt.
TatsĂ€chlich hatte ich alle Texte bereits geschrieben und in meinem Kopf vorsortiert, bevor die Songs ĂŒberhaupt standen. Wir diskutierten dann den Flow des Albums und ich musste nicht viel umstrukturieren, es passte sehr schnell alles zusammen. Da hatte ich wohl auch echt GlĂŒck! Ich habe mir jedenfalls gröĂte MĂŒhe gegeben, hier eine Geschichte zu erzĂ€hlen.
In âEpidemicâ sprichst du auch von Hoffnungslosigkeit, und an Krisen mangelt es zur Zeit nicht. Siehst du dennoch einen Hoffnungsschimmer? Ehrlich gesagt nicht sehr viele. Ich sagte ja, dass hin ter âUnaltered Perspectiveâ keine politische Agenda steht, aber ich selbst glaube an ein starkes Klassenbe wusstsein. Die Menschen, besonders hier in den USA, sehen sich selbst lieber so, als seien sie alle zukĂŒnf tige MillionĂ€re mit vorĂŒbergehenden Schwierigkeiten, statt zu erkennen, dass wir in der RealitĂ€t alle einem Leben auf der StraĂe viel nĂ€her sind. Solange sich die ses Bewusstsein nicht Ă€ndert, werden die VerhĂ€ltnisse stets schlechter werden. In den USA gibt es 20 Milli onen MillionĂ€re, zugleich gibt es hier hungernde Kin der. Es ist ekelhaft. Reichtum ist ekelhaft und vergif tet den Planeten. Die einzige Hoffnung wĂ€re, dass die Menschen lernen, mit derselben Leidenschaft auf ein ander zu achten, mit der jeder auf sich selbst achtet âund das möglichst bald!
Ingo Rieser
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INCLINATION LOVE A âą THE FLATLINERS BEACH RATS VIAGRA BOYS THE LINDA LINDAS VIC BONDI COR POPPERKLOPPER ELLIOTT SATOR PUNKROCK HARDCORE ROCKâNâROLL auf der CD: mit cd 163 FLOGGING MOLLY PUNKROCK HARDCORE ROCKâNâROLL auf der CD: THE MONSTERS LĂT JOHN mit cd 159 ALARMSIGNAL ALTE SAU SONDASCHULE âą WONK UNIT âą TURBONECRO CONVERGE âą DER KFC âą SKEEZICKS IDLES Ox-Fanzine #162 PUNKROCK HARDCORE ROCKâNâROLL auf der CD: mit cd 162 MUFF POTTER ALEXISONFIRE LAURA JANE GRACE LIFE FONTAINES D.C. MANTAR TERROR TRIXSI PULLEY SLIME PETROL GIRLS Das Ox im Abo PUNKROCK s HARDCORE s ROCKâNâROLL ___________________ PUNKROCK HARDCORE THRASH METAL auf der CD: mit cd 160 www.ox-fanzine.de BETON COMBO BILLY TALENT COMEBACK KID GRUNDEIS MĂRSER NAKED RAYGUN SLIME ZEAL & ARDOR VOIVOD Ox-Fanzine #161 PUNKROCK HARDCORE ROCKâNâROLL auf der CD: mit cd 161 BUSTER SHUFFLE âą OIRO KMPFSPRT MONCHI âą HELLACOPTERS SNUFF SWEAT âą UNDEROATH âą IGNITE HOT WATER MUSIC Ox-Fanzine #164 PUNKROCK HARDCORE ROCKâNâROLL www.ox-fanzine.de TALCO OFF! 100BLUMEN BAD BREEDING BLACK ANGELS CLOWNS DROPKICK MURPHYS CRO-MAGS FEHLFARBEN LYSCHKO NATHAN GRAY PARKWAY DRIVE DIE NERVEN PRESS CLUB #164 6 Ausgaben 39 Euro 49 Euro im Ausland www.ox-fanzine.de /abo abo@ox-fanzine.de | 0212 - 383 18 28 Das Ox als PDF Fast alle Ausgaben von 1989 bis heute ab 1,99 Euro pro Heft-PDF! shop.ox-fanzine.de
DU SELBST SEIN. SĂ€ngerin Natalie Foster beschreibt die Entstehung des dritten-Albums als aufreibend und anstrengend, umso mehr ein KunststĂŒck, dass es nun gar nicht so klingt. âEndless Motionâ ist vielmehr ein Paradebeispiel fĂŒr unverkrampfte und authentische (Punk-)Rockmusik.
Der gesamte Produktionsprozess war ein unglaubliches Auf und Abâ, berichtet Natalie. âUrsprĂŒnglich sollten wir 2020 im Juni in Ber lin aufnehmen, aber wie wir alle wissen, ging zu dem Zeitpunkt gerade alles den Bach runter und so muss ten sich unsere PlĂ€ne Ă€ndern. Plötzlich hatten wir so viel Zeit, die wir zum Schreiben nutzen konnten.â Da bei erwies sich der geplatzte Studiotermin als GlĂŒcks fall, wie die SĂ€ngerin zugeben muss: âWir hatten so viel getourt, bevor es nach Berlin gehen sollte. Um ehrlich
zu sein, wĂ€re es zu dem Zeitpunkt nahezu unrealis tisch gewesen, dass wir die Produktion hinbekommen hĂ€tten. In Wirklichkeit waren wir insgeheim also sogar erleichtert, dass aus unseren ursprĂŒnglichen PlĂ€nen nichts wurde.â
Trotz der Tatsache, dass die Australier ihr Album nun in Eigenregie aufnahmen und es dementsprechend keinen Zeitdruck gab, sollte das Projekt aber keine Kopfgeburt werden: âNatĂŒrlich wollten wir die Extrazeit nutÂ
zen, um alles besser zu machen. Wir haben uns herausgefordert und schonungslos selbst analysiert. Genauso habe ich mich aber auch dazu ĂŒberwunden, bei meinen Texten und Melodien vieles so zu belassen, wie es mir ursprĂŒnglich eingefallen war.â Laut Natalie bestand die harte Arbeit demnach nicht darin, an jedem Detail zu schrauben, sondern zu erkennen, wie PRESS CLUB wirklich funktionieren: âAls wir mit der Produktion noch am Anfang standen, nahmen wir einen Song und wir versuchten, ihn so hart wie möglich zu pushen, damit er noch besser wird. Dann stellten wir aber fest, dass das nicht funktionieren wird. Musikalische Spielereien machten zunehmend weniger Sinn. SchlieĂlich haben wir StĂŒcke komplett neu, nur um den Text und eine grobe Idee fĂŒr die Melodie aufgebaut.â
Thematisch kreisen sich PRESS CLUB angenehm um sich selbst. Auch hier hat die lĂ€ngere Produktionszeit nicht dafĂŒr gesorgt, dass âEndless Motionâ zu einem ĂŒberambitionierten Konzeptalbum wird, das sich ver krampft an einem Thema abarbeitet. âWenn das Al bum so etwas wie eine Message hat, dann die, dass wir als Band einen groĂen Schritt nach vorne gemacht haben, aber immer noch dieselben Typen sind. Da durch, dass wir sehr DIY unterwegs sind, hat man uns musikalisch vielleicht immer ein wenig unterschĂ€tzt.â Auch zu ihrer Rolle als Frontfrau will Natalie keine gro Ăen Reden schwingen, um nicht darauf reduziert zu werden. âWir haben kein Interesse daran, unser Image darauf aufzubauen, eine Band mit einer Frau zu sein, wir sind einfach nur eine Band mit einer Frau.â Wie schon mit dem Album, haben PRESS CLUB auch hier verstanden, dass es ein viel stĂ€rkeres Statement sein kann, sich nicht in einer Sache zu verrennen, sondern NatĂŒrlichkeit zu demonstrieren.
Christian Biehl
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PRESS CLUB Foto: Karo SchÀfer (cateyephotography.com) FREIRAUM druck info@FREIRAUMdruck.de www.FREIRAUMdruck.de PrÀzise Gestaltung und Druckproduktion von Booklets · Digipaks · Vinyl-Templates · Poster · Flyer · Merchandise⊠E 0152 / 31 78 67 73
ARMOR FOR SLEEP
TheRain Museumâ ist das erste Album von ARMOR FOR SLEEP seit 15 Jahren. Man kann wohl mit Sicherheit sagen, dass viele Leute ĂŒberrascht waren, neue Musik von euch zu hören. Als ihr euch aufgelöst habt, habt ihr da gedacht, dass ihr wieder Musik veröffentlichen wĂŒrdet? Und wie war die Situation damals, als ihr euch getrennt habt? Nein, als wir uns auflösten, dachte ich nie, dass es ein weiteres ARMOR FOR SLEEP-Album geben wĂŒrde. Zu der Zeit war ich von vielen verschiedenen Aspekten des Bandlebens ausgebrannt. Es war das stĂ€ndige Touren, die âAlbumzyklenâ, die Verharmlosung der Musikszene, die uns allen ursprĂŒnglich so viel bedeutet hatte... wir wollten das alles einfach nicht mehr machen. Ich denke, wie bei allem anderen auch hat die Zeit einen Weg gefunden, die rauhen Stellen irgendwann zu glĂ€tten. Im Laufe der Jahre wurden die Stimmen der Leute, die uns fĂŒr Reunion-Shows haben wollten, immer lauter, und das hat uns alle sehr gefreut. Es war eine Art BestĂ€tigung fĂŒr die Jahre unseres Lebens, die wir in die Band gesteckt haben, und diese gute Stimmung hat das Feld fĂŒr dieses Album bereitet.
Du sagtest, dass das Album als Nachfolger von âWhat To Do When You Are Deadâ geplant war âwas ist damals passiert, dass ihr beschlossen habt, diesen Weg nicht weiterzugehen?
Nach âWhat To Do When You Are Deadâ wollte ich die Idee, Konzeptalben zu machen, unbedingt weiterverfolgen. FĂŒr mich war es so viel aufregender, fĂŒr ein Album eine eigene Welt zu erschaffen, als nur einen Haufen zusammengewĂŒrfelter Songs zu haben. Ich wollte
ein Album mit dem Titel âThe Rain Museumâ schreiben, das auf einer Kurzgeschichte basiert, die ich verfasst hatte, und ich wollte das Album zusammen mit einem Buch oder Comic zu dieser Geschichte veröffentlichen.
Zu dieser Zeit beschlossen wir, bei einem Majorlabel zu unterschreiben. Ich habe ihnen die Idee fĂŒr das Album vorgestellt, aber sie haben es ziemlich schnell abgelehnt. Sie wollten, dass wir unseren Sound vereinfachen und ein Album machen, das ein bisschen leichter verdaulich ist. Wir waren alle ziemlich jung und wollten es den groĂen Managern recht machen, die das Sagen hatten, also haben wir die Idee auf Eis gelegt und âSmile For Themâ gemacht. Es ist wenig bekannt. Ich betrachte das Album âSmile For Themâ gerne als subtile Abfuhr fĂŒr das Label, da ich das GefĂŒhl hatte, dass wir einfach nur ihre Marionetten waren und das herausbrachten, was sie von uns wollten.
Obwohl das neue Album ein Science-Fiction-Konzept enthÀlt, gibt es auch viele persönliche Aspekte in der Musik, die von vergangenen Beziehungen und Erfahrungen handeln, die auf realen Ereignissen und Menschen basieren. Wie kamen diese fiktiven und realen Ereignisse hier zusammen?
Es war das Leben, das sich seinen Weg bahnte. Als Corona auftauchte, habe ich mich hingesetzt, um âThe Rain Museumâ wieder aufleben zu lassen, das Album, das ich schon immer veröffentlichen wollte. Ich dachte, es wĂ€re cool, den Sound und die Stimmung von ARMOR FOR SLEEP und diese alte Idee wieder zu beleben, es wĂ€re ein Akt der Nostalgie, aber auch ein Akt, etwas aus der Vergangenheit wieder neu zu machen. Das sollte
mein kleines Pandemie-Projekt werden. UnglĂŒcklicherweise ging fĂŒr mich persönlich genau zu diesem Zeitpunkt nach fast acht Jahren meine Ehe in die BrĂŒche, und damit auch mein ganzes Leben. Aufgrund des Lockdowns, unter dem wir alle zu dieser Zeit standen, konnte ich weder Freunde noch Familie besuchen oder auf irgendeine normale Weise um meine Beziehung trauern. Meine Art, damit umzugehen, bestand darin, mich auf das Schreiben von âThe Rain Museumâ zu konzentrieren. Ich wollte eigentlich nicht, dass das Album so persönlich wird, aber aufgrund dessen, was ich durchmachte, ertappte ich mich dabei, dass ich das, was mich gerade beschĂ€ftigte, ĂŒber das Fundament des Albums schrieb. Irgendwann habe ich darĂŒber nachgedacht, aufzuhören und zwei getrennte Alben zu machen, aber dann kam mir etwas in den Sinn... was ich gerade erlebte... all diese GefĂŒhle, die mit dem Ende meiner Beziehung zusammenhingen und damit, wohin ich als Mensch in Zukunft gehen wĂŒrde... das waren die gleichen Emotionen, die ich einzufangen hoffte, als ich anfing, das Album zu schreiben. Also habe ich weitergemacht. Das Album hat sich zu etwas anderem gewandelt. WĂ€hrend sich der Name âThe Rain Museumâ anfangs nur auf dieses buchstĂ€bliche Museum mitten in der WĂŒste in meiner ursprĂŒnglichen Geschichte bezog, gewann er eine zusĂ€tzliche Bedeutung, da der Name des Albums nun â zumindest fĂŒr mich â bedeutet, dass wir gezwungen sind, die schlimmsten Momente unseres Lebens zu betrachten und uns all der Traurigkeit zu stellen, die damit einhergeht â so schmerzhaft das auch sein mag.
Dennis MĂŒller
15 JAHRE SPĂTER. So lange mussten wir auf ein neues ARMOR FOR SLEEP Album warten. Warum es so lange gedauert hat, erklĂ€rt uns SĂ€nger und Gitarrist Ben Jorgensen
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BEING AS AN OCEAN
EINE DEKADE SPĂTER. âDear G-Dâ ist nach wie vor eines der beliebtesten Alben der kalifornischen Band. Gemeinsam mit SĂ€nger Joel schauen wir auf das Album zurĂŒck, welches dieses Jahr seinen zehnten Geburtstag feiert und neu aufgelegt wird.
DearG-Dâ wird zehn Jahre alt. Wie blickt ihr auf das Album zurĂŒck? Warum ist es etwas Beson deres fĂŒr dich und BEING AS AN OCEAN?
Ich blicke mit viel Liebe auf das Album zurĂŒck. Es zu machen, war mit der gröĂte SpaĂ, den ich je hatte. Alle in der Band waren beste Freunde, seit wir Kids waren, wir sind zusammen aufgewachsen und haben Musik gemacht. âDear G-Dâ war die Krönung der ĂŒber Jahre gewachsenen Chemie, die wir in frĂŒheren Bands aufgebaut hatten, und hunderter gemeinsamer Auftritte. Das Album bedeutete unser aller kollektives Erwachsenwerden, sowohl im Leben als auch in der Musik, die wir machten, und war gleichzeitig unser erster Schritt in die Welt hinaus als Tournee-Act.
Wenn ihr auf die Reise zurĂŒckblickt, die ihr als Band in den letzten zehn Jahren durchgemacht hat â was hat sich eurer Meinung nach verĂ€ndert und was aus der âDear G-Dâ-Ăra ist immer noch gĂŒltig?
Ich denke, dass die Band gewachsen und gereift ist. Uns ging es immer in erster Linie darum, das Herz des Zuhörers zu erreichen und ihn dort abzuholen, wo er sich gerade befindet. Die Band reprĂ€sentiert die Emotionen, die KĂ€mpfe und die Schönheit des Menschseins. Alles, was das Leben an Licht und Dunkelheit zu bieten hat, ist in gewisser Weise in unserer Musik verkörpert. Ich glaube, dass sich diese Haltung durch jede Ăra und jedes Album der Band gezogen hat.
âDear G-Dâ markierte den Beginn eurer Karriere â in der Zwischenzeit gab es Besetzungswechsel und weitere Platten bei verschiedenen Labels. Was waren neben âDear G-Dâ die wichtigsten Momente in der Geschichte der Band?
Einige der wichtigsten Ereignisse bei BAAO waren unsere ersten Europatourneen, das Treffen mit Michael
McGough â der mir in vielen schweren Zeiten in dieser Band treu geblieben ist â und die Warped Tour. Unsere ersten Touren in Europa haben unseren Geist und unsere Herzen auf eine Weise erweitert, die ich nicht hĂ€tte vorhersehen können. Mehr von der Welt zu sehen, hat meine Vorstellungskraft erweitert, und neue Menschen aus so vielen Kulturen und Lebensbereichen kennen zu lernen, hat mir so viel darĂŒber beigebracht, wie man sich mit Menschen auf einer tiefen Ebene verbindet, ganz gleich, woher man kommt. Die Liebe war immer der Wegbereiter. Michael hat der Band und ihrem Sound seit seinem Beitritt im Jahr 2014 eine neue Dimension verliehen. Und als wir 2015 und 2017 auf der Warped Tour spielten, lernten wir so viele unglaubliche Musiker kennen und schlossen Freundschaften mit so vielen Gleichgesinnten. So viel Liebe zu den Menschen in unserer Szene.
EINIGE DER WICHTIGSTEN
wurde, die Spoken Word verwenden, MEWITHOUTYOU zum Beispiel, aber ich glaube, dass ich gelernt habe, wie ich es zu meinem eigenen Mittel machen kann. Spoken Word hat mir geholfen, meine innersten Gedanken auf eine Art und Weise auszusprechen, die mir vor dieser Band normalerweise Angst gemacht hÀtte. Diese Passagen und dieser Stil haben mir geholfen, eine Menge Ehrlichkeit in mir freizulegen. Das liebe ich an gesprochener Poesie.
Gibt es etwas, das du an dem Album Ă€ndern wĂŒrdest, wenn es rĂŒckwirkend möglich wĂ€re?
Ich wĂŒrde gar nichts Ă€ndern. Ich liebe das Album immer noch und ich lerne immer noch neue Dinge ĂŒber das Leben und mich selbst, wenn ich es mir anhöre und wir es jetzt wieder auffĂŒhren.
Auf der neuen Version gibt es einen zusĂ€tzlichen Track. Was kannst du uns ĂŒber diesen Song erzĂ€hlen? Stammt er aus der gleichen Session?
Ich denke, eine Sache, die die Platte damals besonders hervorhob, waren die Spoken-Word-Passagen. Hattet ihr das GefĂŒhl, dass dies einzigartig fĂŒr eure Band war? Hat sich das fĂŒr euch ganz natĂŒrlich in den Sound eingefĂŒgt?
Ich glaube nicht, dass es besonders einzigartig war, es gibt viele KĂŒnstler, von denen ich ĂŒber die Jahre inspiriert
Ich glaube, du beziehst dich auf âThe people who share my nameâ. Ich glaube, wir haben ihn damals als Single auf YouTube veröffentlicht. Es war immer als B-Seite fĂŒr das Album gedacht, aber wir haben uns entschieden, es einfach auf YouTube zu veröffentli chen. Er wurde zur gleichen Zeit wie das ĂŒbrige Album geschrieben, aber wir hatten das GefĂŒhl, dass er aus dem Rest herausstach und nicht ganz zu den ande ren StĂŒcken passte. Es war bei weitem der wĂŒtendste Song, den ich fĂŒr BAAO geschrieben hatte, und wir waren uns nicht sicher, ob das die richtige Stimmung fĂŒr das Album ist, aber seitdem habe ich mehr Songs mit einer wĂŒtenden Tendenz geschrieben, also fĂŒhlten wir uns etwas wohler dabei, ihn fĂŒr die Neuveröffentli chung in den Mix zu werfen.
Dennis MĂŒller
EREIGNISSE BEI BAAO WAREN UNSERE ERSTEN EUROPATOURNEEN.
Foto: Amber Paredes
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FLITTERN
Flittern
WĂ€hrend andere Menschen ab einem gewissen Alter ihren Nachwuchs im Lastenrad transportieren, stechen FLITTERN aus ihrer Peer Group hervor und transportieren ihren Alltag per Musik. Die Band aus Köln hat sich verschiedene Ziele fĂŒr ihre elf DebĂŒtsongs gesteckt. So soll âFlitternâ musikgewordene Therapie, Coming-of-Age-Geschichte und RĂŒckeroberung der kreativen Freiheit sein, lieber nach Trettmann als DIE TOTEN HOSEN klingen, Jugendliche und Mittvierziger begeistern. Und all das gelingt dem Trio! Grunge (âAlman Angstâ) wechselt sich ab mit Pop-Punk (âSattâ), NeunzigerPunkrock (âMTV madeâ, âViva Widerstandâ) und Indie (âDenkmalâ, âStadt aus Flitternâ, âFlaggen auf dem Mondâ). DarĂŒber hinaus gibt es immer wieder Streicher, AutoTune, Synthies und Radiotauglichkeit. FLITTERN tanzen. FLITTERN verbergen nicht ihre melancholische Seite. FLITTERN umgibt sozialkritischer Esprit, der den Alltag in klugen Versen unter die Lupe nimmt. Wenn man DIE ĂRZTE, KRAFTKLUB, HEY RUIN und LOVE A mixt, das Beste aus deren Quintessenzen filtert, entsteht das schlauste deutsche Punk-Album seid âLehnt dankend abâ von FRAU POTZ. Vielen Dank fĂŒr ein so spannendes, breit aufgestelltes, faszinierendes DebĂŒt! Mit Mitte dreiĂig noch eine neue Band starten und dabei auf Gitarrenmusik setzen? Es gibt nichts Smarteres! (Unter Schafen)
Marcus Buhl
REVIEWS
LORNA SHORE
Pain Remains
Vom epischen Intro an bin ich gefangen in der ausladend erzĂ€hlten Geschichte, die von SĂ€nger Will Ramos so unglaublich facettenreich vorgetragen wird. Chöre, Orchestrierung und ein siebenminĂŒtiger Opener. Es wird direkt klar, dass âPain Remainsâ keine kurzweilige und leichte Kost ist. Trotzdem ist man direkt im Geschehen, leidet mit dem Protagonisten des Konzeptalbums und erfreut sich am immensen technischen Können jedes einzelne Bandmitglieds. LORNA SHORE in dieser Besetzung sind eine Offenbarung und eine Bereicherung fĂŒr das komplette Deathcore-Genre. Diese Band geht mutig neue Wege und scheut sich nicht vor groĂen Emotionen und tiefgehenden Geschichten. Dabei kommt es dem Album zugute, dass es brutal, aber alles andere als stumpf ist. Die Songs sind bis ins letzte Detail ausgereift, durchdacht und intelligent. Selten fesselt mich das Gesamtkonzept eines Albums so sehr wie hier. Die ausladenden Songstrukturen, die vielen Experimente, die schiere BrutalitĂ€t und die episch erzĂ€hlte Geschichte verbinden sich zu einem unvergleichlichen Mix aus HĂ€rte, Traurigkeit und einer bittersĂŒĂen Katharsis. Die Songs sind anstrengend, belastend und entfalten mit jedem weiteren Hören neue Facetten. Was sich nach schwer zugĂ€nglichem Material anhört, bedeutet aber die gröĂte StĂ€rke des Albums: âPain Remainsâ geht sehr viel tiefer als die meisten Releases. Es ist ungemĂŒtlich, zerrt an einem und will einfach nicht mehr loslassen. Wo andere Bands auf abgedroschene Phrasen setzen, gehen die Lyrics von Will Ramos weitaus tiefer. Auch musikalisch werden keine Klischees abgespult. âPain Remainsâ erreicht eine beklemmende Stimmung, wie es sonst nur THY ART IS MURDER oder THE ACACIA STRAIN gelingt. Was LORNA SHORE aber von allen Genrevertretern abhebt, sind die unglaubliche Bandbreite, die Will Ramos mit seiner Stimme abdeckt, und das Talent der Band fĂŒr ganz groĂe Songstrukturen. (Century Media)
COUNTERPARTS
A Eulogy For Those Still Here
Ein Song ĂŒber eine Katze ist wohl bei weitem nicht das Absurdeste, das eine Hardcore-Band sich hat einfallen lassen, trotzdem ist es ein Hingucker. Allerdings sollte man keinesfalls der Versuchung unterliegen und âWhispers of your deathâ nicht ernst nehmen. âItâs hard to breathe without you sleeping on my chestâ, schreit Frontmann Brendan Murphy es sich von der Seele. EindrĂŒcklicher kann man VerlustĂ€ngste wohl kaum in einen Song verpacken, besonders wenn auch die musikalische Umsetzung kaum Raum zum Atmen lĂ€sst. COUTNERPARTS sind im Laufe ihrer Karriere zu einem absoluten Sure-Shot gereift, was mitreiĂende Melodic-Hardcore-/ Metalcore-Tracks betrifft, und ihr SĂ€nger weiĂ diese mit Lyrics und Slogans zu fĂŒllen, welche die Fans auch mit Stolz auf unterschiedlichen Körperteilen oder Hoodies tragen. Dabei ist die Band aus Kanada weiterhin absolut kompromisslos, was die HĂ€rte betrifft. WĂ€hrend andere mit den Jahren sehr viel mehr in Richtung Melodie und ZugĂ€nglichkeit schielen, bleiben solche AusflĂŒge bei COUNTERPARTS weiterhin eine Ausnahme. Viel lieber machen sie deutlich, dass Weiterentwicklung auch innerhalb eines Genres möglich ist, ganz ohne Shoegaze oder stumpfe Rock- und Metal-Posen. Es ist eine Freude, eine Band zu sehen, die aus Ăberzeugung wahrhaft emotional und kreativ bleibt. (Pure Noise)
Christian Biehl
PRESS CLUB
Endless Motion Bereits TURNSTILE berichteten, wie die Pandemie ihnen mehr Zeit fĂŒr die Arbeit an ihrem jĂŒngsten Album verschafft hatte. Herausgekommen ist bekanntermaĂen ein karriere- und vielleicht genredefinierendes Meisterwerk. Bei PRESS CLUB waren die Voraussetzungen Ă€hnlich. Anstatt im direkten Anschluss an eine Europatour und nur unzureichend vorbereitet in Berlin ein Album einzuspielen, fand man sich plötzlich zu Hause im strengen australischen Lockdown wieder und hatte ĂŒber viele Monate Zeit, um an Ideen zu feilen. Machen wir es kurz: Herausgekommen ist dabei ein definitives Jahreshighlight fĂŒr die Punkrock-Szene und weit darĂŒber hinaus. Auch wenn die ersten beiden Alben bereits ĂŒberzeugen konnten, setzt âEndless Motionâ, in allen Belangen (Sound, MusikalitĂ€t, Songwriting) noch mal einen drauf, ohne aber die Unmittelbarkeit und die EmotionalitĂ€t vermissen zu lassen, fĂŒr die man die Band schĂ€tzen gelernt hat. Wenn Natalie Foster in âCoward Streetâ voller Inbrunst âGive me a goddamn breakâ singt, dann fĂŒhlt sich das absolut echt und intensiv an und nicht nach dem hundertsten Take in klinischer StudioatmosphĂ€re. Dazu hat die musikalische Untermalung nahezu einen Quantensprung hingelegt. WĂ€hrend Drums und Bass stoisch den Raum fĂŒllen, gelingen Gitarrist Greg Rietwyk HöhenflĂŒge, die man PRESS CLUB so nicht zugetraut hĂ€tte. Begeisternd! (Hassle)
Christian Biehl
STRAY FROM THE PATH Euthanasia
Wucht, Finesse und eine gehörige Portion Wildheit prĂ€gen die letzten Jahre bei SFTP. SpĂ€testens mit dem Einstieg des britischen Schlagzeugers Craig Reynolds hat die Band ihren ureigenen Stil gefunden. Das letzte Album âInternal Atomicsâ war schon nahe an der Perfektion. Mit ihrem zehnten Werk âEuthanasiaâ versucht die Band nun noch ein StĂŒck nĂ€her an diese heranzukommen. Dabei versuchen sie sich in alle Richtungen weiterzuentwickeln. Mit âBread & Rosesâ haben sie eine der softesten Nummern der Karriere geschrieben (inklusive Klargesang von STICK TO YOUR GUNS-Frontmann Jesse). âGuillotineâ erweitert das technische Spektrum der Band und mit âIIIâ oder âLaw abiding citizenâ wagen sich SFTP auch textlich wieder auf dĂŒnnes Eis. Handelt âIIIâ von Polizeigewalt (und Gewalt gegen die Sicherheitsbehörde), ist âLaw abiding citizenâ eine AufzĂ€hlung etlicher moralischer und gesellschaftlicher Verfehlungen in Verbindung mit Selbstjustiz. Die Entwicklung auf âEuthanasiaâ ist logisch. SFTP bauen ihre StĂ€rken aus, bringen jeden Song auf den Punkt und halten dabei stets einen brutalen Breakdown bereit. Drews Rap-Shouts klingen wĂŒtend wie eh und je. SFTP schaffen es, die Zerrissenheit der heutigen Gesellschaft perfekt in ihre Musik zu ĂŒbersetzen. Damit steht âEuthanasiaâ auf einer Stufe mit âInternal Atomicsâ. Dieses Album sollte niemanden enttĂ€uscht zurĂŒcklassen! (UNFD) Manuel Stein
Marvin Kolb
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ARMOR FOR SLEEP
The Rain Museum
Nach mal eben eineinhalb Jahrzehnten Veröffentli chungspause machen AR MOR FOR SLEEP direkt da weiter, wo sie damals aufgehört haben. Und das ist nicht bildlich gemeint. TatsĂ€chlich begann der Schreibprozess zu âThe Rain Museumâ bereits vor 17 Jahren. Aber erst im Corona-Lock down konnte die Idee eines Konzeptalbums ĂŒber eine post-apokalyptische Welt ohne Wasser wie der richtig Fahrt aufnehmen. Ein passendes Thema natĂŒrlich, wenn die Menschheit gerade mit offenen Augen auf ihr Ende zusteuert. ARMOR FOR SLEEPSĂ€nger Ben Jorgensen verarbeitet gleichzeitig aber auch seine gescheiterte Ehe, womit das Werk obendrein eine schmerzhaft persönliche Kompo nente erhĂ€lt und das, man muss es sagen, tut dem Werk sehr gut. Denn die Geschichte und ihre Sym boliken wirken immer wieder wenig originell oder kunstvoll, aber die GefĂŒhle sind echt. Auch musi kalisch ist die RĂŒckkehr von ARMOR FOR SLEEP ein eher zwiespĂ€ltiges Ding. Wer die Band noch von da mals kennt und die alten Werke weiterhin schĂ€tzt, wird definitiv abgeholt. Wer aber jetzt erst in den Bandkosmos einsteigt, dem könnte der Sound ein wenig antiquiert vorkommen. Kein spektakulĂ€res Comeback, wie man es sich nach einer langen Pau se erhofft, aber ein solides. (Rude)
Christian Biehl
THE AXIDS
Kids With An Axe!
Dass sich THE AXIDS selber nicht zu ernst nehmen, machen sie vollumfĂ€nglich deutlich. Wortspiele mit dem eigenen Bandnamen in jedem Songtitel, selbst zugeschriebenes Peter-Pan-Syndrom und âMasters of the Universeâ-Memes in den eigenen sozialen Medien. In ungewohnter Einigkeit preisen dort Skele tor und He-Man den Einklang zwischen beschwing ten Melodien und kehlkopfbelastenden Screams. Damit treffen die beiden den Nagel absolut auf den Kopf. Auf ihrem zweiten Album legen die Hamburger einen Hybrid aus Garage-Rock, Punk und Hardcore vor. Jeder Track lĂ€sst sich als klassischer Punk be zeichnen. Dabei keift der SĂ€nger dermaĂen auf An schlag ins Mikrofon, dass sich vermuten lĂ€sst, er wĂŒr de sich gesanglich auch in einer Black Metal-Band wohl fĂŒhlen. âKids With An Axe!â lĂ€sst ein Bild der Band entstehen, das sie auf einer abgespielten BĂŒh ne irgendwo in einem kleinen, recht versifften Keller club zeigt. Es ist ein authentisches Bild. Kurze Songs, ein paar Melodien, ein SĂ€nger an der Belastungs grenze seiner StimmbĂ€nder. Dazu vor der BĂŒhne Menschen in Bewegung. Es riecht nach verschĂŒtten dem Alkohol. Die Luft ist modrig. Es ist ein wenig eklig. Am Ende klatschen die Leute. Ein paar kaufen Shirts,
andere die LP und manche kommen das nÀchste Mal wieder zur Show. (Squirrel)
Marcus Buhl
BEHEMOTH
Opvs Contra Natvram
Keine Band des Extreme Me tal hatte in den letzten zehn Jahren einen mit BEHEMOTH vergleichbaren Lauf. Nach ĂŒberstandener Krebserkran kung setzten Frontmann Nergal und seine Mitstreiter mit Opulenz und Theatralik zu einem Siegeszug an, der weit ĂŒber die Grenzen ihres eigentlichen Genres hinausgeht. Nach âThe Satanistâ und âI Loved You At Your Darkestâ gilt es nun diesen Run zu bestĂ€tigen. âOpvs Contra Natvramâ geht dabei nicht den einge schlagenen Weg weiter. BEHEMOTH werden mit ih rem zwölften Studioalbum nicht noch zugĂ€nglicher. Ganz im Gegenteil. Mit âOv my Herculean exileâ be findet sich zwar eine getragenes, hymnisches StĂŒck auf der Platte, jedoch sollte man sich nicht davon ir ritieren lassen. Im Vergleich zum letzten Output ha ben BEHEMOTH die HĂ€rteschraube alles in allem ge hörig angezogen. Mit Songs wie âDisheritanceâ, âOn ce upon a pale horseâ oder âVersvs Christvsâ kehren die Polen ungefĂ€hr zu der HĂ€rte zurĂŒck, die die Zwei tausender-Phase der Band geprĂ€gt hat. Kombi niert mit dem neu dazugewonnen Sinn fĂŒr Melodik und einer gewissen Vertracktheit, die den Komposi tionen auf âOpvs Contra Natvramâ innewohnen, er gibt sich so ein Album, welches, im Vergleich zu âI Lo ved You At Your Darkestâ eher einen Schritt zur Seite als einen nach vorne darstellt. Dem Erfolg der Band wird dies kein Abbruch tun, lassen sich doch auch die neuen Lieder vortrefflich mit FeuersĂ€ulen und Bom bast untermalen! (Nuclear Blast)
REISSUE REVIEW
BEING AS AN OCEAN Dear G-D (10th Anniversary)
Der Titelzusatz gibt direkt preis, womit man es zu tun be kommt. AnlĂ€sslich seines zehnjĂ€hrigen Veröffentlichungs jubilĂ€ums gibt es eine Neuauflage von âDear G-Dâ, dem DebĂŒt von BEING AS AN OCEAN. Die Kalifornier haben sich ĂŒber die Jahre mit aufwĂŒhlenden Platten und intensiven Live-Shows in die Herzen vieler Hörer:innen gespielt. BeschĂ€ftigt man sich mit ihrem Schaffen, ist
man vor allem von der GefĂŒhlszentrierung und vorbehaltlos offenen AuthentizitĂ€t aller StĂŒcke beeindruckt. Frontmann Joel Quartuccio, die einzige Konstante im Line-up, bemĂŒht einen Stil zwischen wĂŒstem Geschrei, manischem Gesang und leidenschaftlichem Spoken-Word. Die Texte und ihre Umsetzung sind auffĂ€llig und ein Markenzeichen der Formation, weil sie ungemein viel EmotionalitĂ€t, Zerrissenheit und Suche transportieren. Musik ist bei BEING AS AN OCEAN die oft beschworene Katharsis. In ihrem Fall ist diese Charakterisierung jedoch zutreffender und weitreichender als bei anderen KĂŒnstlern. Stilistisch gibt es ebenfalls eine auffĂ€llige, eigenstĂ€ndige Verbindung von Elementen aus dem PostHardcore, Post-Rock, Emo/Screamo und melodischen Hardcore. Letztlich ist es egal, was genau die MusikalitĂ€t bestimmt. Wichtiger ist der Verweis auf den in jeder Hinsicht tief reichenden, existenziellen Ansatz, dem die Kalifornier verpflichtet sind. âDear G-Dâ war und ist ein Album, das es lohnt, gehört zu werden. Auch jetzt noch. Die JubilĂ€umsauflage kommt mit einem neuen StĂŒck sowie Akustikversionen zweier Albumtracks daher. Auch im entschlackten Gewand zeigt sich, wie ganzheitlich der Ansatz von BEING AS AN OCEAN aufgesetzt ist. Wer das DebĂŒt der Gruppe um Joel Quartuccio noch nicht kennt, sollte sich spĂ€testens jetzt mit diesem beschĂ€ftigen. (Out Of Line)
Arne Kupetz
BETWEEN BODIES
Electric Sleep
In der griechischen Mythologie wurde der Tod als der Bruder des Schlafes dargestellt. âElectric Sleepâ setzt sich auf sehr persönliche Weise mit dem dau erhaften, dem endlosen Schlaf auseinander, der uns Menschen seit jeher beschĂ€ftigt und meistens ver drĂ€ngt wird. Einige Bandmitglieder der deutsch-ka nadischen Emo-Punk-Gruppe haben einschnei dende SchicksalsschlĂ€ge erlebt und transferieren das auf eine gĂ€nzlich unprĂ€tentiöse Weise in mu sikalischen Output. Das Thema Tod und alle seine Konnotationen sind elementare Inspirationsquelle, ohne dem Hörenden die Wahl zu nehmen, seine ei genen Gedanken und Emotionen einzubringen. Um gesetzt wird das in einem Sound, der etwa an ALKA LINE TRIO oder andere in den frĂŒhen Nullern bereits aktive Genrevertreter erinnert. Ein Teil der Musiker hatte sich zu dieser Zeit in einer Kirchenband ken nen gelernt, wobei man sich mit dem Erwachsenwer den deutlich von der Institution Kirche distanzierte und emanzipierte. Neben einer sarkastischen Pers pektive finden sich auf dem DebĂŒtalbum auch eini
ge Ă€sthetische Reminiszenzen an diese Zeit wie bei spielsweise ein Orgelsolo. BETWEEN BODIES ver strömen auf dieser Platte gleichzeitig Wehmut und Hoffnung. In den sich öffnenden Refrains atmen die StĂŒcke eine feierliche AtmosphĂ€re, die unaufdring lich, aber mitreiĂend wirkt. (Krod/I.Corrupt.)
BIRDS IN ROW Gris Klein
Auch auf ihrem dritten Al bum zelebrieren BIRDS IN ROW den emotionalen Ausbruch als kĂŒnstlerisches Pro jekt. Nur wenige Bands sind in der Lage, Dramatik und Rage so authentisch zu verpa cken, dass man nicht eine Sekunde daran zweifelt, dass das hier echt ist. Noch mehr als zuvor weiĂ das französische Trio aber auch Akzente zu setzen und dem Hörer Zeit zum Durchatmen zu geben. Teils sind es nur kurze Momente, wie im Opener âWater wingsâ, wĂ€hrend es bei âTrompe lâoeilâ sogar fast ein halber Song ist. Auch wenn der Begriff Art-Punk ĂŒb licherweise fĂŒr andere Musik herangezogen wird, so passt er bei âGris Kleinâ doch perfekt. Die Musik gibt sich hemdsĂ€rmelig, kann aber doch nicht verbergen, wie perfekt sie arrangiert und technisch versiert sie dargeboten wird. Genauso suggeriert der Gesang Raserei, geht aber tiefer, als man es auf den ersten Blick vermutet. âWir möchten, dass die Leute wirklich wissen, dass sie nicht allein sind und dass sie aufein ander zĂ€hlen könnenâ, sagen BIRDS IN ROW. So ein unerschĂŒtterlicher Optimismus und Glaube an die Menschheit, ist schon allein eine Kunst. Nur die Ant wort, wer oder was Gris Klein ist, bleibt uns die Band schuldig. Aber es gibt ja auch nichts Langweiligeres als ein KĂŒnstler, der seine Kunst erklĂ€rt. Und KĂŒnstler sind BIRDS IN ROW zweifelsohne. (Red Creek)
Christian Biehl
BLUE SKY THEORY
We Are The Sky
Moderne Metal-KlĂ€nge erreichen uns hier mit der zweiten Scheibe der Bremer BLUE SKY THEORY. Die bereits 2014 gegrĂŒndete Band hat sich etwas Zeit gelassen fĂŒr neuen Output, wenn dabei aber so et was wie âWe Are The Skyâ rauskommt, hat sich das Warten doch gelohnt. Es sind vor allem viele kleine Details, auf die die Band Wert legt und die man erst bei genauerem Hinhören bemerkt. Dabei spielen sowohl zahlreiche elektronische Elemente als auch der variantenreiche Gesang eine Rolle. Die neun Songs, die von ihrer Dynamik her stark zwischen laut und leise pendeln, schielen mal in Richtung SHINE DOWN, mal ein bisschen in Richtung RISING INSA NE â behalten jedoch ihre eigene Note. Am stĂ€rks ten sind dabei die StĂŒcke, die straight nach vorne gehen und sich nicht allzu verkopft zeigen, hiervon
Manuel Stein
Florian Auer
56
reviews
dĂŒrfte es gerne noch etwas mehr geben. Weniger ist manchmal mehr und gerade die klassischen MetalMomente stehen der Band mit am besten zu Ge sicht. Vollends stimmig ist dagegen das tolle Cover artwork, das mit seiner Einladung in eine nicht nĂ€ her bestimmte Fantasiewelt den Sound der Band richtig gut unterstreicht. Wer also bereit ist, sich mit den âvermutlich âsymbolhaft fĂŒr die Band stehen den fĂŒnf Gestalten auf dem Cover auf die Reise zu begeben, wird mit Sicherheit belohnt werden. (DIY) Philipp Sigl
BORDERS
Bloom Season
BORDERS? Nein, Gren zen kennen die EnglĂ€nder auf âBloom Seasonâ nicht. Moderner Metalcore, okay. Elektronische Beats hat man auch da auch schon gehört. Dass SĂ€nger Jordan Olifent klar vom HipHop beeinflusst ist, hört man bei ande ren Bands nicht so stark raus. Da gibt es gleich gan ze Parts wie in âFix thissâ, die die Vielseitigkeit der Band prĂ€sentieren, oder Tracks, die zur HĂ€lfte ei gentlich lupenreine Rap-Nummern sind, wie âI get highâ oder âNWWMâ mit einem Feature der DROP OUT KINGS, die starke HipHop-DNA in sich tragen. Auch der kaum zu ĂŒberhörende englische Klang von Jordans Stimme trĂ€gt stark bei zur Authenti zitĂ€t der Band. âBloom Seasonâ ist ein Brett, mo derner Metal, der Grenzen ĂŒberschreitet, aber im mer weiĂ, wo er herkommt. BORDERS schaffen sich ihre eigene Nische in der modernen MetalcoreWelt, ohne dadurch an Relevanz einzubĂŒĂen oder sich zu sehr in âSpecial Interestâ-Ecken zu verlie ren. Am Ende gibt es noch ein Feature mit Elijah Witt von CANE HILL. Viel mehr kann man eigentlich nicht richtig machen. (Arising Empire)
Sebastian Koll
BRUECKEN
Innere Unruhen
Ausgewiesene Experten kennen es: Post-RockBand XY veröffentlicht Post-Rock-Album 123 âund wird als das nĂ€chste, ganz groĂe Ding ange priesen. Nicht selten jedoch entpuppt sich das vermeintliche Meisterwerk leider doch als laue Luftnummer. GlĂŒcklicherweise nicht in diesem Fall. Denn: âInnere Unruhenâ ist â geradeaus gesagt â einfach groĂartig! Und zwar von vorne bis hin ten. Warum? Nicht weil in musikalisch-komposito rischer Hinsicht BĂ€ume ausgerissen werden. Nicht weil irgendwelche Grenzen ĂŒberschritten werden. Nicht weil im Verlauf der sechs Songs und 42 Minu ten und 51 Sekunden die ganz, ganz groĂen Ăber raschungen passieren. Sondern weil es die Olden burger bewerkstelligt haben, ein Album zu schrei ben, das ĂŒber die gesamte Spieldauer einfach nur runtergeht wie Ăl. Wunderbar angenehmes Kopfni cker-Tempo, wunderbar inszenierte Melodien, wun derbare Dynamiken, mitreiĂende Stimmung. Oder einfach mal plastischer erklĂ€rt: BRUECKEN sind eine dieser Bands, wo du dir einfach wĂŒnschst, dass sie nie aufhören zu spielen. Es kann manchmal alles so einfach sein. Klasse Scheibe! (Moment Of Collapse) Anton Kostudis
BRUTUS
Unison Life
Kennt ihr diese Treppen, bei denen die Stufen et was zu schmal sind und auf denen man nicht vor ankommt? Oder diese viel zu tiefen Stufen, bei de nen man komplett aus dem Gehrhythmus fĂ€llt? So ist es manchmal ja auch bei den Entwicklungsstufen von Bands. Entwe der sind die Schritte von Album zu Album so klein, dass man sie kaum bemerkt. Oder aber sie sind so groĂ, dass man damit vielleicht nichts mehr an fangen kann. Und dann gibt es diese perfekten Stufen mit idealer SchrittlĂ€nge, mit denen man super oben ankommt. Und genau so ein Ideal maĂ haben BRUTUS gefunden. Seit der ersten Veröffentlichung 2015 hat sich die Band entwi ckelt, ist gewachsen. Und so auch der Sound der Belgier:innen. Etwas weniger rough, etwas melo discher und mit mehr Gesang erklimmen sie mit âUnison Lifeâ eine neue Stufe. Nicht nur gesang lich hat sich Drummerin und SĂ€ngerin Stefanie
weiterentwickelt und ihr Selbstbewusstsein fĂŒr ruhige Songs wie âVictoriaâ gefunden. Und ge nau dieses gewachsene Selbstbewusstsein und der sich flieĂend entwickelnde Sound von BRUTUS machen âUnison Lifeâ zu einem absolut wĂŒrdigen Nachfolger von âNestâ. (Hassle) Britt MeiĂner
CABAL
Magno Interitus
LORNA SHORE haben der Deathcore-Sparte zuletzt eine Aufmerksamkeit ver schafft, wie es sie lange nicht gegeben hat. Das Umfeld passt und CABAL sind be reit, ihre Chance zu nutzen.
Das Drittwerk hebt den dĂŒster-apokalyptischen An satz der DĂ€nen auf das nĂ€chsthöhere Level. âMag no Interitusâ ist dieser Auslegung folgend als logi scher Nachfolger von âDrag Me Downâ aus dem Jahr 2020 einzuordnen. Das Quintett aus Kopenhagen setzt auf ein reifes Songwriting, das die gebotenen Kontraste konsequent und mutig ausreizt. Die prĂ€zi se Technik ist in einen gröĂeren Bedeutungszusam menhang eingebunden. Noisige, elektronische An reicherungen erweitern die Tiefenwirkung des in jeder Hinsicht dĂŒsteren, unruhestiftenden Spiels von CA BAL. Wie auch bei den US-Kollegen A WAKE IN PRO VIDENCE â oder eben LORNA SHORE â ist es gerade die Verbindung von Deathcore mit latentem Bom bast und zusĂ€tzlicher Orchestrierung, die ein Hö rerlebnis erschafft, das man nicht so schnell wieder vergisst. Die Djent-Akzente der Vergangenheit tre ten auf âMagno Interitusâ eher in den Hintergrund. Am experimentierfreudigen, ergebnisoffenen Vor gehen Ă€ndert sich jedoch nichts. CABAL zeigen sich stets auf der Suche nach dĂŒsteren Extrem-Sounds, die maximal destruktiv und heftig klingen. Das dritte Album der Kopenhagener Band durchlĂ€uft dennoch eine wahrnehmbare Entwicklung und bleibt jederzeit nachvollziehbar. Gerade darin Ă€uĂert sich das Mehr an Reife und VerstĂ€ndnis. Im Deathcore-Segment fĂŒhrt an CABAL kein Weg vorbei. (Nuclear Blast)
Arne Kupetz
CALLEJON Eternia
Zwanzig Jahre Bandge schichte, zehn Alben und kein bisschen mĂŒde. CAL LEJON sind ein verdammtes PhĂ€nomen. Die Leichtigkeit, mit der sie Album fĂŒr Album auf so hohem Niveau veröffentlichen, ist beĂ€ngstigend. Ging der VorgĂ€nger âMetropolisâ noch ein wenig als das Corona-Al bum der Band unter (und auch nur weil Live-Shows dazu kaum möglich waren), sieht die Welt heute ganz anders aus. âEterniaâ ist die logische Konse quenz aus zwanzig Jahren Entwicklung. CALLEJON haben nie davor zurĂŒckgeschreckt, sich weiterzu entwickeln und sich dabei keine Grenzen aufzuer legen. Genau dies zeigt auch âEterniaâ verdammt gut. Auf der einen Seite findet man auf dem neu en Release die wohl hĂ€rtesten Songs der Band geschichte, auf der anderen Seite aber auch die groĂen Melodien, die in den Sound von CALLEJON bereits seit einigen Jahren Einzug gehalten haben. Man hat den Eindruck, dass die Band die perfekte Balance nun gefunden hat, und sie hat mit âEter niaâ einmal mehr GroĂes geschaffen. Abgerundet wird der Gesamteindruck erneut durch das Artwork von Frontmann Bastian Sobtzick (Basti Basti). Das Ă€uĂerst gelungene Zusammenspiel von Sound und Optik lĂ€sst auch beim zehnten Album absolut nichts zu wĂŒnschen ĂŒbrig. Noch immer eine Liga fĂŒr sich. Reinhören! Anspieltipps: âSternenstaubâ, âSilver surferâ und âMary Shelleyâ (Warner) Carsten Jung
THE CALLOUS DAOBOYS
Celebrity Therapist
Jeder Fan von THE DILLIN GER ESCAPE PLAN wird THE CALLOUS DAOBOYS lieben. Direkt zu Beginn von âCele brity Therapistâ gibt es eine volle Ladung wilden Math core auf die MĂŒtze, der mit samt dissonanter Riffs und quietschenden Break downs von der Eskalationsstufe des zweiten Albums
der Band ĂŒberzeugt. Dabei bauen THE CALLOUS DAOBOYS auf einen abwechslungsreichen Sound, der auch Cleanparts enthĂ€lt und um eine Violine auf unĂŒbliche Art ergĂ€nzt wird. Doch was ist schon ĂŒblich, wenn man sich âCelebrity Therapistâ anhört? Als âAd vanced Listening Experienceâ angekĂŒndigt, bietet âCelebrity Therapistâ eine ganze Bandbreite an mu sikalischer Raffinesse, zwischen wildesten Riffs, Nul ler-Mathcore-Charme und anmutigen Momenten der Ruhe, ist das blanke Chaos die beste Beschrei bung fĂŒr den Sound von CALLOUS DAOBOYS. Ob âCelebrity Therapistâ eine Platte ist, die SpaĂ macht, ist stark davon abhĂ€ngig, ab welchem Punkt man Musik als anstrengend empfindet. FĂŒr Freunde von TDEP oder TN12LLY wird sie allerdings eine ergiebi ges Becken voller wahnsinniger musikalischer Ideen sein und sei damit jedem Mathcore-Fan wĂ€rmstens ans Herz gelegt. (MNRK)
Rodney Fuchs
DEAD TIRED
Satan Will Follow You Home
In der Amazon-Serie âThe Boysâ steht die Haupt figur Billy Butcher an der Bar eines herunterge kommenen Clubs. Im Hintergrund spielt eine maxi mal laute und maximal angepisste Band, was But cher die Gelegenheit dazu gibt, im Moshpit eine SchlĂ€gerei anzuzetteln, bei der er selbst letztend lich am meisten einsteckt. Wer bei dieser Adrena lin- und Testosteron-getrĂ€nkten Szene aufgepasst hat, dem dĂŒrfte besonders der SĂ€nger bekannt vor gekommen sein. ALEXISONFIRE-Frontmann Geor ge Pettit hat hier einen Gastauftritt mit seiner Band DEAD TIRED, die sich 2014 grĂŒndete, als âThe On ly Band Everâ gerade pausierte. Nun erscheint, nur kurze Zeit nach dem neuen ALEXISONFIRE-Werk, bereits das dritte Album von DEAD TIRED, als hĂ€tte Pettit geahnt, dass einigen Fans seiner Hauptband aktuell wohl die Punk-Energie zu kurz kommt. FĂŒr die eingangs geschilderte Szene waren DEAD TIRED tatsĂ€chlich die Idealbesetzung, denn man kann sich den betont rĂ€udigen Hardcore-Punk der Band ein
fach perfekt in so einer Umgebung vorstellen. âSa tan Will Follow You Homeâ galoppiert oder es walzt alles nieder. Gleichzeitig haben die Kanadier im Ver gleich zu frĂŒheren Veröffentlichungen aber auch deutlich an Skills und die Kompositionen an Quali tĂ€t gewonnen. Wem die hymnischen Momente von ALEXISONFIRE sowieso schon immer zu cheesy wa ren, der sollte sich das hier geben. (Dine Alone) Christian Biehl
DEFLESHED
Grind Over Matter
Die Reunion der Schweden, die sich 2005 aufgelöst hatten, kam zufĂ€llig zustande. Willkommen ist sie al lemal. DEFLESHED wollten eigentlich nur zwei StĂŒcke fĂŒr ein Vinyl-Boxset aufnehmen. Aus dieser Veröf fentlichung wurde letztlich nichts, doch das Trio hat te Blut geleckt. Die beiden neuen Tracks sind 2021 als âFleshless And Wildâ erschienen. Der ComebackSingle folgt mit âGrind Over Matterâ nun der Voll zeit-Nachschlag. Der sechste Longplayer prĂ€sen tiert die Schweden so, wie man sie in Erinnerung hat: vorwĂ€rtsgerichtet, aggressiv und rĂŒcksichtslos. Der Nachfolger des 2005er âReclaim The Beatâ bietet dazu ausreichend Groove und Extrem-Crossover, um die Spannung und den Druck ĂŒber die volle Spiel zeit zu ziehen. Grindcore sowie Death- und ThrashElemente: an der stilistischen Aufstellung von DEF LESHED Ă€ndert sich nichts. Das Dreiergespann aus Uppsala prĂŒgelt seine elf Tracks in 34 Minuten durch und gut ist. Die Texte drehen sich um den Umgang der Menschheit mit dem Planeten, die SchwĂ€chen des Kapitalismus oder die Schattenseiten der mo dernen Zeit ganz allgemein. âGrind Over Matterâ ent wickelt sich entsprechend heftig, drĂŒckend und des illusioniert. Das finale StĂŒck ist vielsagend âLast nail in the coffinâ betitelt. DEFLESHED melden sich knapp und ruppig zurĂŒck und es ist offensichtlich, dass das Dreiergespann wieder richtig Bock hat. Ob der Re union und dem neuen Album auch Tour-AktivitĂ€ten folgen, steht allerdings noch nicht fest. (Metal Blade) Arne Kupetz
57
reviews
DESTRAGE
So Much. too much.
Dass DESTRAGE keine nor male Band sind, wird schnell klar. Mit ihrem progressi ven Sound zwischen Wahn sinn und SpaĂ liefern die Italiener mit âSo Much. too much.â ihr viertes Album ab und bauen auf einen Sound, der erst mal wenig ĂŒberrascht. Mit einem TripHop-Vibe (âSometimes I forget what I was about to doâ) bauen DESTRAGE eine BrĂŒcke zwischen dem Grunge-beeinflussten âPrivate party, fĂŒr das sie Devin Townsend als GastsĂ€nger gewinnen konnten, und dem groovigen âAn imposterâ, das sich mit polyrhythmischen Elementen teilweise in psychedelische Richtung bewegt. Das Akustikgitarren-Interlude âRimashiâ baut eine BrĂŒcke zwischen den modernen Progressive-Metal-Sounds, die mit Synthesizer-Elementen an PERIPHERY erinnern und sich von einer futuristischen Seite zeigen. Dabei gelingt es DESTRAGE durchweg, eingĂ€ngige Refrains in ihre Musik mit einzubauen, die eine gewisse ZugĂ€nglichkeit gewĂ€hrleisten. DarĂŒber hinaus gibt es Parts, die vor HĂ€rte und Wahnsinn förmlich explodieren und auf fast schon unangenehme Weise mit virtuosen Instrumentals ein Album ergeben, das sich teils ruhig und getragen, aber auch wild und chaotisch prĂ€sentiert. Eine Ăberforderung beim Hören ist förmlich vorprogrammiert, kann aber genau das sein, was DESTRAGE so spannend macht. (3DOT)
Rodney Fuchs
THE DEVIL WEARS PRADA
Color Decay
Liebe Leute, zunĂ€chst eine eindringliche Warnung: Wenn ihr nah am Wasser gebaut seid, wenn euch herzzerreiĂende Lyrics aufs GemĂŒt schlagen, wenn euch ungezĂŒgelt vertonte Emotionen aus der Stim mungsbalance reiĂen â dann ĂŒberlegt bitte zwei mal, wann und ob ihr dieses Album hören wollt. âCo lor Decayâ ist absolut groĂartig, ein Meisterwerk, kei
ne Frage. Aber diese Platte hinterlĂ€sst Spuren. Und es fĂ€llt zweifelsohne schwer, die richtigen Worte fĂŒr das zu finden, was TDWP im Verlauf der zwölf Tracks da mit dem Hörer veranstalten. Ein Versuch der Ver anschaulichung: Fiese Riff-Eruptionen und bruta le Screams (âHallucinateâ), epische Refrains (âSaltâ, âSacrificeâ), packende Dynamik (âTrappedâ) und Textzeilen wie in âCancerâ, die sich unmittelbar und nachdrĂŒcklich in die Gehirnwindungen frĂ€sen (âI ho pe that itâs cancer, and not something elseâ). All das vermengt sich auf âColor Decayâ zu einem mitrei Ăenden GefĂŒhlsspektakel, dem der Wechselgesang zwischen Jeremy DePoyster und Mike Hranica sowie trefflich eingesetzte Samples und Electronics noch die Krone aufsetzen. NatĂŒrlich wird es auch dies mal Menschen geben, die die alte Leier von âfrĂŒher war alles besserâ anstimmen. Und das steht natĂŒr lich auch jedem frei. Fakt ist aber: TDWP klangen nie besser als heute. Und liefern mit ihrem achten Stu diowerk nicht nur das beste Album ihrer Karriere ab, sondern womöglich auch einen Metalcore-Meilen stein fĂŒr die kommenden Jahre. (Solid State)
Anton Kostudis
EMPIRE OF GIANTS
Troposphere
Die Band selbst beschreibt sich als Verbindung des DreilĂ€nderecks zwischen Metal, Rock und Core. Das kann ja erst mal alles und nicht heiĂen. Im Fall von EMPIRE OF GIANTS aus Berlin bedeutet es aber ziemlich genau das, was es aussagt. Die sechs Musiker:innen verbinden einfach sĂ€mtliche Stile miteinander. SĂ€nger Basti kĂŒmmert sich mit Growls und Screams um den harten Teil, wĂ€hrend SĂ€ngerin Kira mit ihrem leicht theatralischen Klargesang, Vi bes von klassischen Metal mit Symphonic-EinflĂŒs sen verbreitet. In der Beschreibung mag das nicht so ganz zusammen passen, zugegeben. Aber EM PIRE OF GIANTS schaffen es, hier ein absolut sym biotisches Paket abzuliefern. Generell ist âTropos phereâ ein ziemlich vielseitiges Album. Mit knapp ĂŒber fĂŒnfzig Minuten ist es zwar sehr lang. was es manchmal aufgrund der KomplexitĂ€t der Musik nicht
ganz leicht macht, jedoch wird es zu keiner Sekun de langweilig. Man hat hier auch nicht wie so oft bei Bands, die verschiedene Genres mixen, das GefĂŒhl, alles schon mal irgendwo anders gehört zu haben. Musikalisch kommen Fans der hĂ€rteren Gangart ebenfalls voll auf ihre Kosten. Auch die Produktion braucht sich nicht zu verstecken. Um ein Album mit diesem Druck in Eigenregie zu erschaffen, braucht man Leidenschaft, Geduld und vor allem fĂ€hige Mit streiter. Dank Bands mit einem Engagement wie EM PIRE OF GIANTS mache ich mir um die Zukunft des modernen Metal wenig Sorgen. (DIY)
Andreas Regler
ESCUELA GRIND Memory Theater
Nach der Veröffentlichung ihres ersten Albums âIn doctrinationâ haben ES CUELA GRIND unter anderem mit INFEST, WORMROT, ACxDC und CLOUD RAT ge tourt. Daran dĂŒrfte sich auch nichts Ă€ndern. Das US-Dreiergespann aus Pitts field prĂ€sentiert sich auch auf seiner neuen Plat te Blast-freudig und in jeder Hinsicht direkt wie rup pig ausgerichtet. Um ihr SelbstverstĂ€ndnis zu umrei Ăen, sprechen die Musiker:innen von Grindviolence, was sowohl vortrefflich passt als auch die Titel zwei er frĂŒherer EPs der Gruppe miteinander kombiniert â âGGRRIINNDDCCOORREEâ und âPPOOWWEERR VVIIOOLLEENNCCEEâ. Das Trio aus Massachusetts gibt sich hinsichtlich seines Auftretens und sei ner Aussage klar und unmissverstĂ€ndlich. Front frau Katerina Economou und Schlagzeuger Jes se Fuentes (ex-KILL THE CLIENT, -HUMANERROR, -CREATOR|DESTROYER) wollen heftig austei len und mindestens genauso viel SpaĂ haben. Das hört man auf âMemory Theaterâ und sieht es auch bei den Shows der Band â etwa aktuellen Mitschnit ten bei hate5six. Wichtig dabei: ESCUELA GRIND blasten nicht ausschlieĂlich, sondern gönnen sich auch brachiale Heavy-Grooves. Eine Punk-AttitĂŒ
de und etwas Hardcore gehören bei ihrem Grindvi olence sowieso mit dazu. Im Abgleich mit dem DebĂŒt von 2020 fĂ€llt insbesondere das deutliche Plus an Struktur und Absicht auf. Vielleicht liegt das ja daran, dass sich Frontfrau Katerina als studierte Architektin hier am Konzept eines Raums abarbeitet, in dem all das zusammenkommt, was man gelernt hat oder ei nem widerfahren ist. Dieses âMemory Theaterâ bildet dann die Grundlage fĂŒr die Zukunft. Im Fall von ES CUELA GRIND bedeutet das: die Gruppe gewinnt an Kontur und Relevanz. (MNRK Heavy)
Arne Kupetz
FLOGGING MOLLY
Anthem
FLOGGING MOLLY wa ren irgendwie schon im mer da. Umso erstaunlicher ist es, dass es sich bei âAn themâ tatsĂ€chlich erst um das siebte Studioalbum der Band handeln soll. Aber es stimmt, ein paar Akustik- und Live-Sessions ausgenommen gab es erst sechs VorgĂ€nger. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass FLOGGING MOLLY seit knapp 22 Jahren so viel getourt haben wie kaum eine andere Band. Ich erinnere mich an Jahre, in denen hat die Gruppe um das Ehepaar Dave King und Bridget Regan gleich mehrmals in meiner Heimatstadt gespielt. Meistens war ich auch da, denn was Live-Shows betrifft, kann man mit FLOGGING MOLLY gar nichts falsch machen. Wenn eine Band es versteht, ihr Publikum auf links zu drehen, dann diese. Das war mit den Alben nicht immer so. Bei âAnthemâ besinnen sie sich aber wieder auf alte StĂ€rken. Der Celtic-Folk steht wie auch bei den VorgĂ€ngeralben mehr im Vordergrund als der Punk, jedoch stört mich das hier deutlich weniger. Auf diesem Album ist ausnahmslos jeder Song tanzbar. Es wirkt alles sehr harmonisch und wie aus einem Gus. Am Ende bleiben es eben FLOGGING MOLLY. Man bekommt genau das, was man erwartet. Ein sehr gutes Folk-Punk-Album von einer irre
58
reviews
guten Live-Band, die ihr Pulver hinsichtlich groĂer Hits einfach schon verschossen hat. (Rise)
GET THE SHOT
Merciless Destruction
Da kommt was angerollt, es donnert und grummelt schon eine ganze Weile. Die Kana dier GET THE SHOT kitzeln uns seit Monaten mit Sing les, Teasern und Videos zum kommenden Album âMerci less Destructionâ. Schon beim ersten Track âDea thboundâ im Mai dieses Jahres fragte man sich: Wie kann man alle Breakdowns eines ganzen Albums in einen einzigen Track packen? Was bleibt da ĂŒb rig? Also, nach Ăbriggebliebenem klingt es jeden falls nicht, was die FĂŒnf aus QuĂ©bec da noch in die anderen zehn Songs gesteckt haben! Wenn man denkt, so, der Track hat nun aber wirklich fertig, der ist jetzt aus, dann schrauben sie noch eine Halftime runter und packen noch eine gegrunzte Boshaftig keit obendrauf. Es hagelt so viele fiese Breakdowns, dass man irgendwann aufhört zu zĂ€hlen und es ein fach genieĂt. Gang Vocals, Call and Response, Fea tures mit Matti von NASTY, Rob von LIONHEART und einigen anderen Schwergewichten â die WundertĂŒte ist mit Hardcore, Beatdown und sogar einer schwer mĂŒtigen Melodie zum Abschluss gefĂŒllt bis zum Rand. Frontmann Jean-Philippe brĂŒllt nicht nur eine Menge Wut, sondern auch handfeste Ansagen her aus. Die Frage, ob das Rad nun neu erfunden wurde oder nicht, braucht man erfreulicherweise gar nicht zu stellen. Denn GET THE SHOT brettern auf Felgen. So wie es sich gehört. (Useless Pride)
Silke HĂ€ndeler
GOATWHORE
Angels Hung From The Arches Of Heaven
Als erste Single hat âBorn of Satanâs fleshâ bereits angedeutet, was von einem neuen GOATWHORE-
Album zu erwarten sei. Die US-Amerikaner prĂ€sentie ren sich auf ihrem achten Studioalbum gewohnt abrasiv und liefern neben Blast beats und Riffs einen Metalsound, der durchweg amerikanisch klingt und sich einer druckvollen Produktion erfreut. Dabei wirkt das Album stellenweise etwas rumpelig, was in keiner Weise negativ ist, sondern die Lebendigkeit der StĂŒcke unterstreicht. Auch melo dische Aspekte kommen im Album nicht zu kurz, wenn auch der klare Fokus auf harter Klangspra che liegt. So enthĂ€lt âVoracious blood fixationâ ein packendes Gitarrensolo, das sich bestens in den thrashigen Kontext des Songs einfĂŒgt, wĂ€hrend der Titeltrack einen melodischen, fast schon eingĂ€ngi gen und anmutigen Ansatz verfolgt. âAngels Hung From The Arches Of Heavenâ ist voll und ganz ein Extreme-Metal-Album, das mit schnellen Riffs und aggressiver Klangsprache von sich ĂŒberzeugt. GOATWHORE gehen in ihrer Musik keine Kompro misse ein und liefern genau das, was man von ei ner solchen GröĂe erwarten kann. Ein rundum soli des Album, das mit einem Mix aus Thrash, Death und Black Metal jeden Fan von lauter, angepisster Gitar renmusik ĂŒberzeugen wird. (Metal Blade)
Rodney Fuchs
GRAUPAUSE
Gestern wird super Kaum ein Genre hat sich in den letzten Jahren so ge macht wie Deutschpunk. Denn schon lange kann man mit schrammeligen Platten und einem âMit Hund in der FuĂgĂ€ngerzone abhĂ€ngenâImage kaum noch jemanden hinter dem Ofen her vorlocken. Ob jetzt Puristen die Professionalisierung im Deutschpunk gutheiĂen, sei mal dahingestellt. Aber Bands wie ZSK, BLAUFUCHS oder PLANLOS zeigen, dass Punk lĂ€ngst im Jahr 2022 angekommen
ist. Die Parolen und Themen haben sich zwar nur ge ringfĂŒgig geĂ€ndert, sind aber auch noch so aktuell wie eh und je. GRAUPAUSE haben das erkannt und hauen mit âGestern wird superâ in eben diese Kerbe. Gut produzierter Punk, wenig Schnörkel, klare Ansa gen und die Erkenntnis, dass es mehr als drei Akkor de gibt. Es gibt also Hoffnung fĂŒr Punk aus Deutsch land, auch wenn es vielleicht manchmal sogar ein wenig mehr âmit Hund in der FuĂgĂ€ngerzoneâ sein darf. (Aggressive Punk Produktionen) Sebastian Koll
HAVE NO HEROES
Letters To Nowhere
Ein weiser Mann hat mir einst gesagt, dass poli tisch schwierige Zeiten immer die besten Punk rock-Platten hervorbringen. Im Umkehrschluss wĂŒrde das ja bedeuten, dass in einer perfekten Welt kein Punk benötigt werden wĂŒrde. Da es ja aktuell so aussieht, als wĂŒrde uns diese RealitĂ€t noch ein wenig verwehrt bleiben, können wir uns mit der zuerst genannten Aussage beschĂ€ftigen. HAVE NO HEROES haben nĂ€mlich tatsĂ€chlich ei nes der besten Punkrock-Alben an den Start ge bracht, das in diesem Jahr â wenn nicht sogar lĂ€nger â erschien. âLetters To Nowhereâ beinhal tet so viel Wut und Frustration, wie es ein Album ĂŒberhaupt vertragen kann. ZusĂ€tzlich allerdings wird uns diese mit einer versteckten Leichtigkeit prĂ€sentiert, die zum Tanzen und SpaĂhaben ein lĂ€dt. Lettland ist, zumindest in meiner Wahrneh mung, nicht gerade fĂŒr Punkrock bekannt. HAVE NO HEROES juckt das allerdings recht wenig. Wer die melodischeren PENNYWISE mag oder gerne zu MILLENCOLIN abgeht, findet hier ganz sicher ein neues Lieblingsalbum. Zumindest fĂŒr dieses Jahr. Gerade Fans der letzteren können hier wie der ein GefĂŒhl erleben, das MILLENCOLIN selbst nicht mehr so wirklich hinbekommen haben in den letzten Jahren. âLetters To Nowhereâ ist un eingeschrĂ€nkt zu empfehlen und sollte diesen Sommer auf keiner Playlist fehlen. (Black Star) Andreas Regler
HIPPIE TRIM
What Consumes Me Drei Jahre nach ihrem De bĂŒtalbum veröffentlichen HIPPIE TRIM mit âWhat Consumes Meâ jetzt ihr zweites Album. Manchmal hilft ja so eine lange Zeit dabei, sich und seinen Sound zu fin den. Dass das klappen kann, zeigt sich bei HIPPIE TRIM. Die Band aus Nordrhein-Westfalen hat eine klare Vorstellung davon entwickelt hat, wie ihr Sound klingen kann und welchen Anspruch sie an sich selbst haben. Seien es kurze OhrwĂŒrmer wie âToothpasteâ, poppigere Songs wie âHooked on Uâ oder Songs wie âDead heatâ â auf âWhat Consumes Meâ wird es nie langweilig. Das war zwar schon auf âCultâ der Fall, allerdings sind die Songstrukturen und das allgemeine Songwriting nun erwachsener, ausgefeilter und abwechslungsreicher, ohne zusammengewĂŒrfelt zu wirken. Die Shouts von Malte und der Gesang von Moritz gehen Hand in Hand, ohne sich einfach nur abzuwechseln. âWhat Consumes Meâ ist keine Kopie von âCultâ, es ist eindeutig eine Fortsetzung. HIPPIE TRIM sind gewachsen, besser, kreativer und selbstbewusster geworden. (Supervillain/Blood Blast)
Britt MeiĂner
HOPE DRONE
Husk
AtmosphĂ€risch und abrasiv, so beginnt âHuskâ, das in seiner musikalischen Sprache schnell konkret wird. Die Australier HOPE DRONE bauen auf einen PostBlack-Metal-Sound, der sich in dystopischer Atmo sphĂ€re windet und mit klassischen Trademarks des Genres schmĂŒckt. Dabei ist es vor allem die organi sche Produktion, die âHuskâ einen Charme verpasst, der zwischen Blastbeats und bestechenden Gitar renriffs (âInexorableâ) auch auf einen bedrĂŒckenden Post-Metal-Aspekt aufbaut (âHuskâ), der von einem NUMENOREAN-esken Ambiente getragen wird. Hin und wieder mischen sich leichte Synthesizer-KlĂ€nge
Andreas Regler
59
reviews Die FUZE Radio-Show! Jede Woche neue Musik mit unter anderem ARCHITECTS, RYKERâS, HOT WATER MUSIC, NORTHLANE, ENTER SHIKARI, BLOOD COMMAND, BE WELL, ALEXISONFIRE, TAKING BACK SUNDAY und viele mehr - Die besten Songs und Geheimtipps, brandneue Tracks und alte Hits, dazu kurze Interviews und Neuigkeiten aus der Szene! Jeden Dienstag eine Stunde neue und alte Musik mit Dennis MĂŒller, bei Spotify und im Radio bei Alternative.fm! radio
in den Sound von HOPE DRONE, die sich perfekt in die musikalische Szenerie einarbeiten. Besonders ist, dass âHuskâ in einem Rutsch zu hören ist, was sich an den ĂbergĂ€ngen der vier Songs bestens feststel len lĂ€sst. HOPE DRONE bauen auf Dramaturgie und kitzeln diese mit einer detaillierten Ausarbeitung ih rer Songs heraus. âHuskâ klingt nie trĂ€ge oder unins piriert, sondern zeigt mit Doom-Aspekten und schön klingenden sowie atmosphĂ€rischen Cleanparts, dass Post-Black-Metal noch nicht auserzĂ€hlt ist, und wird somit zu einem wahren Geheimtipp, den es fĂŒr Fans zwingend anzuhören gilt. (Moment Of Collapse)
Rodney Fuchs
HOT MILK
The King And Queen Of Gasoline
Unverhofft kommt oft. Leider sind HOT MILK bis her völlig an mir vorbeigegangen. Dabei macht das Quartett aus GroĂbritannien bereits seit einigen Jahren so ziemlich alles richtig. Hochmelodischer Pop-Punk mit einer gehörigen Portion Pop-Appeal, der bereits dazu fĂŒhrte, dass man bereits die BĂŒh ne mit den FOO FIGHTERS teilen durfte. Die neue EP
âThe King And Queen Of Gasolineâ macht dabei kei ne Ausnahme. Sechs brandneue Hits zaubern HOT MILK aus dem Hut. Ausnahmslos positiv gestimmt lassen einen die neuen Songs zurĂŒck. Zwar werden natĂŒrlich thematisch auch die beschissenen As pekte des Lebens verarbeitet, doch immer mit die ser âAlles wird besserâ-AttitĂŒde. Das macht riesigen SpaĂ, vor allem wenn drauĂen die Sonne scheint und man endlich wieder Festivals besuchen kann.
Eine absolute Empfehlung fĂŒr den Sommer 2022. Mit âTeenage runawaysâ liefern sie nebenbei auch noch eine absolute Pop-Punk-Hymne ab, deren Refrain man nie wieder aus dem Kopf bekommt und der zumindest hier auf Dauerrotation den Arbeits tag versĂŒĂt. Falls HOT MILK es schaffen, weiterhin Songs auf einem so extrem hohen Niveau zu pro duzieren, werden wir noch einige Jahrzehnte SpaĂ an dem quirligen Quartett haben. Live ist die Band ĂŒbrigens ĂŒber alle Zweifel erhaben. Eine einneh mende und Ă€uĂerst sympathische Truppe, die ger ne die BĂŒhne in Schutt und Asche legt. Im positivs ten Sinne. Dringende Reinhörverpflichtung. (Sony)
Carsten Jung
I PREVAIL
True Power
Etwas, das I PREVAIL direkt zu einem der stĂ€rksten CoreReleases des Jahres werden lĂ€sst, ist die unfassbar clea ne und liebevolle Produkti on. âTrue Powerâ ist produktionstechnisch ein Album, das sich von vielen anderen abhebt und den moder nen Post-Hardcore-Sound von I PREVAIL bestens in Szene setzt. Zwischen wirklich harten Metalcore-
Momenten (âBody bagâ) gibt es Rap-Einlagen (âFa keâ), einen apokalyptischen Vibe (âThereâs fear in let ting goâ) und unfassbar eingĂ€ngige Hooks, die sich unmittelbar ins GedĂ€chtnis brennen. Es ist die Mix tur aus Alternative Rock, Metalcore und einem NuMetal-Einfluss, der so modern prĂ€sentiert wird, dass I PREVAIL durchweg originell klingen, auch wenn sie eigentlich nichts machen, das es so nicht schon ge geben hĂ€tte. Songs wie âThe negativeâ sind catchy, prĂ€gnant und klingen trotz Parallelen zu anderen Bands auch dank der perfekt ausbalancierten Pro duktion frisch. Mit âDoomedâ mischt eine melancho lische Klavierballade in das Repertoire der Band und beendet das Album auf ruhige Art. âTrue Powerâ zeigt die wahre StĂ€rke von I PREVAIL, die darin zu liegen scheint, gute, abwechslungsreiche Songs zu sch reiben und diese bestens zu polieren und davon zu ĂŒberzeugen, dass I PREVAIL zu Recht dort stehen, wo sie sind. (Fearless)
Rodney Fuchs
INGESTED
Ashes Lie Still
Es muss nicht immer bruta ler sein. Das oder etwas Ăhn liches haben sich die Bru tal-Death-Briten INGESTED wohl vor fĂŒnf Jahren gedacht.
Seit ihrer EP âCall From The Voidâ von 2019 baut die mittlerweile auf ein Trio geschrumpfte Truppe immer mehr Melodien in ihr Werk ein. Gelang es auf âWhe re Only Gods May Treadâ noch nicht vollstĂ€ndig, den Geist der EP auf ein Album zu ĂŒbertragen, ma chen INGESTED 2022 ihre Arbeit deutlicher besser. Der eröffnende Titeltrack mit seinem sphĂ€rischen Refrain gibt die Marschrichtung vor. Andere Num mern wie âTides of glassâ oder âScratch the veinâ stehen diesem in Sachen IntensitĂ€t in nichts nach. Dazwischen finden sich mit âFrom hollow wordsâ und âEchoes of hateâ ordentliche Abrissbirnen, die so auch auf den VorgĂ€ngerwerken hĂ€tten sein können. Insgesamt gehen INGESTED so einen kleinen, aber deutlichen Schritt nach vorne. Die Briten entwickeln damit ihren Sound schlĂŒssig weiter, ohne das bisher funktionierende Konzept komplett ĂŒber den Haufen zu werfen. (Metal Blade)
Manuel Stein
THE MARS VOLTA
The Mars Volta
Anfang des Jahrtausends wurden sie von der Mathcore- und Rock-Szene als Frickel-Götter gefeiert, legten mehrere stilprĂ€gende Langspieler vor. Dann wurde es ruhig um die beiden Musik-Genies Cedric Bixler-Zavala (Gesang) und Omar Alfredo Rodriguez-Lopez (Gitarre). Bis jetzt, denn zehn Jahre nach dem bislang letzten Studiowerk âNoctourniquetâ sind THE MARS VOLTA mit ihrem sieb-
ten, selbstbetitelten Album zurĂŒck. Wer nun die nĂ€chsten Griffbrett-Exzesse und Takte-Schachteleien erwartet hat, liegt jedoch falsch. Denn die US-Amerikaner zeigen sich auf ihrem neuen Opus im neuen, reduzierten Pop-Gewand. Statt entfesselt, vertrackt und wild geht es deutlich seichter und aufgerĂ€umter zu Werke. Die 14 Songs, von denen lediglich zwei die Vier-Minuten-Marke knacken, sind behutsam gestrickte Pop-Nummern, bei denen der Spielwitz und das Chaos frĂŒherer Tage nur noch unterschwellig mitschwingen (âQuĂ© Dios Te Maldiga MĂ CorazĂłnâ, âFlash Burns From Flashbacksâ). NatĂŒrlich sind Tracks wie das dynamisch sehr vielschichtige âGraveyard Loveâ dennoch wunderschön inszenierte MusikstĂŒcke, denen auch Hardcore-Fans aus der Vergangenheit einiges abgewinnen dĂŒrften. Prinzipiell gilt jedoch: THE MARS VOLTA haben sich einmal ordentlich geschĂŒttelt âund scheinen zu gĂ€nzlich neuen Ufern aufzubrechen. Spannend! (Clouds Hill) Anton Kostudis
MAXIM MENTAL
Make Team Presents Maxim Mental In Maximalism
WĂ€hrend Max Bemis seine (ehemalige) Band mit dem letzten Album âOliver Appropriateâ wĂŒrdevoll (bis auf weiteres) beerdigt hat, dreht der KĂŒnstler auf seinem ersten Soloalbum so richtig frei. Das Album mit dem sperrigen Titel kommt musikalisch auf den ersten Blick ebenso unĂŒbersichtlich daher, offenbart auf Anhieb aber auch Momente, die nicht nur bei SAY ANYTHING-Fans dafĂŒr sorgen dĂŒrften, dass sie sich in diesem Werk festbeiĂen, bis sie jeden der zahlrei chen groĂartigen Momente fĂŒr sich erschlossen ha ben. Wobei Bemis die Bezeichnung Solo auch di rekt wieder ad absurdum fĂŒhrt, wenn er sich den Na men Maxim Mental verleiht und der Titel suggeriert, dass es sich hierbei um eine Art Projekt des so ge nannten Make Teams handelt. TatsĂ€chlich ist die Be teiligung von Produzenten-Guru Will Yip an diesem Werk wohl nicht zu unterschĂ€tzen. Allein wie schein bar jeder Sound und fast jede Stimme einmal durch den Mixer gedreht wurde, weist auf intensive StudioSessions hin, was allerdings nicht dazu fĂŒhrt, dass Bemis seine StĂ€rken nicht voll ausspielt. Die Melodi en, die ihn und SAY ANYTHING zum Kult werden lie Ăen, machen Tracks wie âEvermore (And the Gram my goes to)â, âSunk âImâ oder âJawbreakerâ zu High lights. Gleichzeitig kanalisieren sie aber auch den Wahnsinn, fĂŒr den man Bemis ebenso immer schon geliebt hat. (Dine Alone)
Christian Biehl
ME ON MONDAY
Far From Over Pop-Punk ist nicht tot zu bekommen. Im Gegenteil, gerade in Deutschland erfreut sich das Genre wie der einer gröĂeren Beliebtheit und auch die hiesi
ge Szene wĂ€chst. Nun wer fen mit âFar From Overâ die Leipziger ME ON MONDAY ihren Hut in den Ring. Da bei bietet die Band eben al les, was man in diesem Genre erwarten kann: Melodien? Check. Midtempo-Balladen? Check. Mitsing-Ref rains? Check. Hier wird wenig falsch gemacht und ein paar Features von FLASH FORWARD, ATTIC STORIES oder ANNISOKAY-SĂ€nger Rudi sorgen zusĂ€tzlich fĂŒr Abwechslung. Warum bleibt dann das Album trotz dem nur kurz im Ohr? Vielleicht, weil man dann doch vieles so oder zumindest sehr Ă€hnlich schon mal ge hört hat. Das hat alles Hand und FuĂ, allein der letzte Kick fehlt noch. Wenn es ME ON MONDAY hier schaf fen, sich noch ein wenig mehr selber zu finden und ihren Sound stĂ€rker von dem abzuheben, was man erwartet, steht der Band nur wenig im Wege. (DIY) Sebastian Koll
NO TRIGGER
Dr. Album
NO TRIGGER gibtâs noch! Oder wieder â die Band hat ihr letztes Album vor zehn (!) Jahren veröffentlicht und meldet sich mit âDr. Albumâ jetzt endlich wieder zurĂŒck. Darauf gibt es knapp 35 Mi nuten lang die volle Ladung Oldschool-Pop-Punk (im Sinne von BLINK-182 in den Anfangstagen âja, das ist fĂŒr mich oldschool). Direkt der Opener âAntifantasyâ dĂŒrfte Fans des frĂŒhen Zweitausender-Pop-Punk an die gute alte Zeit zurĂŒckdenken lassen. Neben entspannten Vibes, schnellen Gitarren und der gewohnt gequĂ€lten Pop-Punk-Stimme gibt es auch teils politische Themen verpackt in Gute-Laune-Musik. Das hohe Energielevel hĂ€lt die Band nicht das ganze Album ĂŒber durch, zum Schluss gibt es auch das eine oder andere ruhige StĂŒck (âWater by the beer canâ, âEuro cokeâ). Der RausschmeiĂer âTotally digitalâ ist dann mein persönliches Highlight und bringt das Album zu einem wĂŒrdigen Schluss. Durch und durch Zweitausender-Pop-Punk â was will man mehr? (Red Scare) Isabel Ferreira de Castro
NUKING CROWNZ
Kein Applaus fĂŒr ScheiĂe
Die Kombo aus Wuppertal macht keinen Hehl daraus, was sie prĂ€gte â Neunziger-Jahre-Sounds, H-BLOCKX, SUCH A SURGE, Crossover. Mit Rap, Metal, Samples sowie Scratches geht es hernach durch ein DebĂŒtalbum, das 13 abwechslungsreiche Songs enthĂ€lt. Auf âKein Applaus fĂŒr ScheiĂeâ stehen eindeutig die Texte im Vordergrund. Diese sind nicht immer so spaĂig-absurd wie bei THE BUTCHER SISTERS oder so zielgenau wie bei
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reviews
GWLT oder KAFVKA. DafĂŒr bemĂŒhen sich NUKING CROWNZ um metaphorischere Bilder. Diese machen deutlich, dass sie mit Köpfchen geschrieben wurden (âOhne Feigenblattâ, âAmbrosiaâ, âSpielverderberâ). Musikalisch ist âKein Applaus fĂŒr ScheiĂeâ oft groovy (âAlles Endeâ), ab und an auch Moshpit-tauglich (âMangelwareâ). Das DebĂŒt erinnert oft, und das ist möglicherweise die gröĂte und schönste Ăberraschung, an E. TOWN CONCRETE, manchmal auch an TAMAS. Ăber die Produktion und den Sound der Songs werden sich die Geister scheiden. Manche werden behaupten, dass hier noch Luft nach oben ist, wĂ€hrend andere vielleicht schĂ€tzen, dass sich NUKING CROWNZ authentisch dem Sound des vorvorletzten Jahrzehnts annĂ€hern. In einer Zeit, in der viele Bands im ĂbermaĂ ausproduzierte Songs herausbringen, die oft zwischen Progressive, Djent, Post-Hardcore und -core wabern, veröffentlichen NUKING CROWNZ ein unrundes und doch rundes, eigenstĂ€ndiges Album, einen Gegenentwurf. (DIY)
Marcus Buhl
OAKMAN
SCP
Das Trio aus Lyon legt seine dritte EP vor. Deren sechs StĂŒcke â âNightâ, âMurderâ, âFantasyâ, âSCPâ, âLucky charmâ und âAll the way upâ â sind allesamt als Singles auskoppelbar und stehen jeweils ĂŒberzeugend fĂŒr sich selbst. Bei OAKMAN folgt ein Ohrwurm auf den nĂ€chsten. Marine Lan zillotta (voc, gt), GĂ©rĂ©mia Gayaud (bs) und Jessie Gayaud (dr) setzen alles daran, jeden ihrer Songs maximal poppig aufzuladen und dennoch nicht beliebig zu klingen. âSPCâ belegt, dass die Fran zosen mit diesem Ansinnen erfolgreich sind. Der Alt/Indie-Pop/Rock des Dreiergespanns kommt mit einem Achtzier-Jahre-Synthie-Einschlag da her. Allen Liedern der EP sind zudem eine leben dige Lockerheit und ein immenser Nachhaltig keitswert zuzusprechen. Wer Lizzy Farrall schĂ€tzt, wird auch mit OAKMAN viel SpaĂ haben. Was die kĂŒnstlerische Grundhaltung und die Adressierung der StĂŒcke anbelangt, scheint vieles vergleich bar. Das französische Trio geht nur noch mehr in Richtung Pop. Die breite KompatibilitĂ€t, die dar aus folgt, lĂ€sst sich daran ablesen, dass die Grup pe aus Lyon bereits fĂŒr ENTER SHIKARI, ZZ TOP, BASEMENT und BUKOWSKI eröffnet hat. Dass die generellen, anmutigen und eingĂ€ngigen Tracks von OAKMAN vor jedem Publikum bestehen, ist keine Ăberraschung, sondern kann gar nicht an ders sein. Selbst die nach innen gerichteten Mo mente der MusikalitĂ€t des Trios wirken an Ende immer noch schön. (Rude)
Arne Kupetz
OFF! Free LSD
BLACK FLAG! So, ich habe es gesagt. Denn wie könn te irgendeine Besprechung auch ohne den Hinweis ĂŒber die BĂŒhne gehen, dass es sich hier eben um die âneueâ Band von Keith Morris han delt. Mittlerweile weiĂ man, was man bekommt, die ses âmit Mitgliedern vonâ hat sich ein wenig abge nutzt, auch wenn man es doch immer erwĂ€hnen muss. Das ist ein schon fast Pawlowâscher Reflex. So gibt es nun zwanzig (!) neue Tracks, die natĂŒrlich immer zwischen kurzen sechzig Sekunden und epi schen fast drei Minuten durchballern. Hier verstehen sie ihr Handwerk, haben es von verinnerlicht, und verdammt, eben mit erfunden. Ob es aber die âFâ, âLâ âSâ oder âDâ betitelten musikalischen Drogentrips gebraucht hĂ€tte - ich weiĂ es nicht. Am Ende hĂ€t ten es die 16 âechtenâ Tracks auch getan. So rich tig will sich am Ende die Begeisterung nicht einstel len und nicht wenige werden dann doch lieber wie der eine BLACK FLAG-Platte auflegen. (Fat Possum) Sebastian Koll
OUR MIRAGE
Eclipse
Es wird wieder dĂŒster. Das dritte Studioalbum von OUR MIRAGE befasst sich wie gewohnt mit Verlust, Ăngsten und mentaler Belastung âtrĂ€gt aber den fĂŒr die PostHardcoreler aus Marl typi schen Hoffnungsschimmer in sich. Dabei kommt âEclipseâ in Form eines Konzeptalbums daher: Einige Songs erzĂ€hlen eine zusammenhĂ€ngende Geschichte, so die Trilogie âBlack Holeâ, âHelp me out!â und der Titeltrack âEclipseâ. Doch noch bevor es so richtig losgeht, irritiert erstmal der Opener âAwakeningâ mit Nu-Metal-Anmutung und standesgemĂ€Ăen Rap-Passagen. Ein erster Hinweis darauf, dass sich OUR MIRAGE an neue Elemente wagen. Der weitere Verlauf von âEclipseâ folgt aber dem gewohnten Profil. Das HerzstĂŒck ist eine nahezu unschlagbar cleane Melodik, die berĂŒhrt, bewegt und sich in den Köpfen festsetzt. Und sonst? OUR MIRAGE sind in ein tieferes Tuning gerutscht und probieren sich an einer neuen HĂ€rte, die sie mehr oder weniger offensichtlich in den zwölf Tracks der Platte verbauen. So klingt âEclipseâ voluminöser als noch seine VorgĂ€nger, was nicht zuletzt auch an der Produktion liegt, die erneut SĂ€nger Timo Bonner ĂŒbernommen hat. Auch elektronische Momente und ein bedĂ€chtiges Interlude finden ihren Platz. OUR MIRAGE haben, sich treu bleibend, ihren Sound stimmig weiterentwickelt und einen Safe Space fĂŒr ihre Fans geschaf-
fen â unerwĂŒnschte Ăberraschungen gibt es hier nicht. (Arising Empire) Jeannine MichĂšle Kock
PABST
Crushed By The End Of The World Schon ein wenig verwun derlich, dass Besprechun gen zu PABST oftmals auf Nerd-Talk hinauslaufen. Na tĂŒrlich beherrscht die Band eindrĂŒcklich ihre Instrumente, genau wie ihre Effekt gerĂ€te, und das neue Album ist wirklich hervorra gend produziert, aber was die Berliner wirklich be sonders macht, ist doch die Tatsache, dass sie sich nicht auf ihren Skills ausruhen, sondern auch noch verdammt gute Songs schreiben. Wie selbst verstĂ€ndlich laufen hier die OhrwĂŒrmer vom Band, ohne auch nur im Entferntesten Gefahr zu laufen, dass auf Twitter jemand behauptet, das Trio sei je mals nicht mehr real. PABST wirken auf ihrem dritten Langspieler wie eine Band, die nicht stĂ€ndig nach links und rechts schaut, um zu sehen, was die an deren so machen, sondern sich allein dem eigenen (guten) Geschmack verschrieben hat. Das Ergebnis sind Tracks wie das riffstarke âMercy strokeâ, nach dem sich jede Hype-Garage-Band der Nuller Jah re mittlerweile die Finger lecken dĂŒrfte, aber auch das emotionale Highlight âLocker roomâ, das gewiss jede Rockband gerne in ihrem Repertoire hĂ€tte. All das Lob gibt es wohlgemerkt ohne die vernichtende EinschrĂ€nkung âfĂŒr eine deutsche Bandâ. Die hiesi ge Musiklandschaft wird dieses Jahr wohl nur weni ge vergleichbar hochwertige Indie-Alben wie dieses hervorbringen, daher bitte einmal den Hype und den Erfolg da, wo sie hingehören. (Ketchup Tracks)
Christian Biehl
PARASITE INC.
Cyan Night Dreams
Vier Jahre ist es her, dass PARASITE INC. mit ihrem letz ten Studioalbum fĂŒr Furo re gesorgt haben. Seit 2007 schreddert sich die Band durch die europĂ€ische Me tal-Landschaft. Support von SzenegröĂen wie CHILDREN OF BODOM oder IN SOMNIUM muss man sich schlieĂlich erst mal er spielen. So haben sich PARASITE INC. bereits ei niges an Live-Erfahrung erarbeitet, bevor es jetzt zu Album Nummer drei kam. âCyan Night Dreamsâ ist das Ergebnis einer konstanten Weiterentwick lung. AtmosphĂ€risch dichter Death Metal, bei dem es an jedem Ende groovet. Dabei machen die Her ren aus Aalen vieles verdammt richtig. Sie nehmen sich an den passenden Stellen etwas zurĂŒck, lassen Midtempo-Riffs und sogar stellenweise Cleangesang
zu. Wie schon bei den VorgĂ€ngern fĂŒgen sich elekt ronische Spielereien perfekt abgestimmt in den Hin tergrund ein, was dem Ganzen noch den modernen Touch verleiht, den das etwas angestaubte Genre Death Metal dringend nötig hat. Alles in allem haben PARASITE INC., eine Band, die ab sofort jedes Festival bespielen kann und muss, mit âCyan Night Dreamsâ ein Metal-Album aufgenommen, das jedem Fan des Genres in Zukunft ein Begriff sein sollte. (Reaper)
Andreas Regler
PIANOS BECOME THE TEETH Drift
Das Covermotiv spiegelt den Eindruck, den das Album zunĂ€chst macht, perfekt wi der. In gleichmĂ€Ăigen Wel len bewegt sich âDriftâ voran.
Das fĂŒnfte Werk von PIANOS BECOME THE TEETH hat den Begriff HomogenitĂ€t fĂŒr sich gepachtet und wer nicht allzu viel Acht gibt, schaut dem Meer einfach dabei zu, wie es sich stoisch bewegt. Wer sich aber, trotz der niedrigen Temperaturen, darauf einlĂ€sst und hineingeht, wird von einem faszinierenden Sog erfasst, der einen nach zwar unten zieht, aber auch gleichzeitig in die Arme schlieĂt. Nach allen VerĂ€nderungen der vergangenen Jahre sind die Musiker und ihr SĂ€nger Kyle Durfey zu Meistern darin gereift, Songs mit einer unverkennbaren AtmosphĂ€re auszustatten. WĂ€hrend der Schmerz und die Angst auf dem Post-Hardcore-Klassiker âThe Lack Long Afterâ noch absolut unmittelbar und konkret waren, stehen diese GefĂŒhle heute zwar immer noch im Mittelpunkt, aber man hat gelernt, mit ihnen zu leben und sich nicht mehr von ihnen kontrollieren zu lassen. Somit hat âDriftâ faszinierende (âGenevieveâ) und erhebende (âPairâ) Momente, alles macht Sinn, hat seinen Platz und ist obendrein mit groĂartigen Sounds gefĂŒllt. Nur lasst doch diesen Vergleich mit RADIOHEAD sein, der zur Zeit immer wieder an den Haaren herbeigezogen wird. DafĂŒr ist die Band einfach viel zu sehr sie selbst. (Epitaph) Christian Biehl
POLAR Everywhere, Everything POLAR aus UK haben sich mit jedem Album bisher et was weiter in eine durchdach tere, atmosphĂ€rischere Rich tung des Metalcore entwi ckelt. Die Tage der roughen und chaotischen Sounds von âIron Lungsâ sind lange vorbei, und doch erkennt man die Band auch auf dem neuen Album durch aus wieder. Denn auch frĂŒher fand diese man bei nahe chorartige Singalongs wie hier direkt im Ope
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ner âWinds of changeâ. POLAR haben ihren eige nen Sound auch in zwei Jahren Funkstille wĂ€hrend der Pandemie nicht verloren, sondern weiterentwi ckelt. Ich vermisse allerdings den Stil der alten Al ben ein bisschen. Der Titeltrack lĂ€sst mich etwas zu sehr an ARCHITECTS denken, das haben POLAR gar nicht nötig. Doch was mir sehr positiv auffĂ€llt, diese Band verĂ€ndert ihre Sound-Produktion wirklich nur marginal. Seit dem ersten Album wirkt der rauhe Ge sang von Adam Woodford wie eingeflochten, nichts drĂ€ngt sich zu sehr in den Vordergrund und alles er gibt ein rundes Gesamtbild, was fĂŒr mich den Sound dieser Band auch ausmacht. Und was zu ihrer Art als Band, die immer zusammenhĂ€lt und ein GefĂŒhl von Gemeinschaft ausstrahlt und auf die BĂŒhne bringt, gut passt. Das wird vor allem live vermutlich einigen SpaĂ machen. (Arising Empire)
Christina Kiermayer
REVOCATION
Netherheaven
Ging es mit dem letzten Album âThe Outer Onesâ in die Weiten des Alls, steigen REVOCATION mit Nummer acht in die Tiefen der Hölle hinab. Musikalisch Ă€ndert sich bei den Amerikanern dadurch wenig. Noch immer spielen sie melodischen Death Metal, der durch seine thrashige Schlagseite aufgelockert wird. Schon in der Vergangenheit litten REVOCATION â trotz aller musikalischer Klasse â an einer gewissen Austauschbarkeit. Auch dieses Mal könnte man David Davidson und seinen Mitstreitern eine solche vorwerfen. Im Grund genommen enthĂ€lt âNetherheavenâ auch nur tolles Liedgut. Abwechslungsreich, mit starken Riffs und ausdrucksstarkem (Growl-)Gesang. AuĂer bei dem epischen âStrange and eternalâ oder dem Instrumental âThe 9th chasmâ können Momente und Melodien jedoch zu selten verfangen. Kennt man Death Metal ein bisschen, so hat man nahezu alles schon einmal gehört, was REVOCATION hier prĂ€sentieren. Doch sollte diese Kritik nicht zu schwer wiegen. âNetherheavenâ ist ein starkes, von Jens Bogren klasse in
Szene gesetztes Death-Metal-Album. Gerade in diesem ĂŒberlaufenen Genre gehören REVOCATION zum oberen Quartil der Bands. Dieses Werk ist Zeugnis dessen. (Metal Blade)
Manuel Stein
SLEEPING WITH SIRENS Complete Collapse
Sie können es noch! SLEE PING WITH SIRENS bewei sen auf ihrem neuen Album âComplete Collapseâ, dass sie an den Erfolg ihrer frĂŒ heren Alben durchaus an schlieĂen können. WĂ€h rend die Band rund um Frontmann Kellin Quinn in den letzten Jahren musikalisch deutlich ruhiger geworden ist, legen sie auf ihrem siebten Album wieder eine ordentliche Schippe drauf. Es geht back to the roots, ohne nostalgisch zu werden: SWS besinnen sich zurĂŒck auf den Sound, der ihnen am besten steht â melodische Hooks, gepaart mit Breakdowns und schnellen Gitarren. Eine ordentliche Portion Post-Hardcore also. Ein bisschen Nost algie gibt es vielleicht doch, wenn die Band so wohl textlich (âFamily treeâ) als auch visuell (âCrossesâ) auf Klassiker anspielt. Das Album ist von vorne bis hinten gelungen und es lohnt sich, die Songs auch in der vorgegebenen Reihenfol ge zu hören. Zum Abschluss sind sich SLEEPING
WITH SIRENS ĂŒbrigens nicht zu schade, mit âGra veâ doch noch ein ruhiges StĂŒck auf das Album zu packen. (Sumerian)
Isabel Ferreira de Castro
SLIPKNOT
The End, So Far
Ich spreche es direkt am Anfang aus: Nein, eine neue âIowaâ istâs nicht. Aber muss es das ĂŒber haupt sein? DarĂŒber hat Bassist Alex im Inter view gesprochen. Jetzt aber zu âThe End, So Farâ.
Hat man sich einmal durch das ruhige âAdde rallâ gekĂ€mpft, folgen die drei vorab veröffentlichten Songs âThe dying song (Time to sing)â, âThe chapeltown ragâ und âYenâ. âThe chapeltown ragâ war mit Abstand der hĂ€r teste Song der Singles. Insge samt spiegeln diese drei Songs aber bereits ziemlich gut wie der, was einen auf âThe End, So Farâ erwartet. Es gibt viele me lodische Refrains mit cleanem Gesang, dĂŒstere Lyrics, etwas altbekannte HĂ€rte und Cha os. Wer sich die jugendliche Energie von SLIPKNOT zurĂŒck wĂŒnscht, wird damit vermut lich nicht glĂŒcklich sein. Wer mit dem letzten Album âWe Are Not Your Kindâ gut klar kam und noch ein paar mehr STONE SOUR-artige Gesangs passagen von Corey Taylor to leriert, sollte mit âThe End, So Farâ gut leben können. Das ist wohl das âSlipknottigsteâ, das wir nach all den Jahren Band geschichte und der musikali schen und persönlichen Ent wicklung der Mitglieder erwar ten können. (Warner) Britt MeiĂner
STAKE
Love, Death And Decay
Wie klingt ein Album, auf das eine Band laut eigener Aus sage all ihre inneren DĂ€mo nen abgeladen hat? Wild! âLove, Death And Decayâ ist ein forderndes Werk zwischen Post-Rock, Sludge Metal und ein bisschen Grunge, mit dem man so einige Höhen und Tie fen durchlebt. Vorherrschen de Disharmonie, chaotische Strukturen, unbarmherzig ver zerrte Gitarren und Screams âdiese Platte ist so eigenwillig wie ihre VorgĂ€nger. STAKE aus
dem belgischen Wevelgem ordnen sich nirgends ein und schon gar nicht unter. Ihr Geheimrezept: Die Emo tionalitĂ€t des Mystik-lie benden Frontmanns Brent Vanneste und der eiskal te Realismus von Gitarrist Cis Deman formen ei ne individuelle Symbiose, die zugleich voller Viel falt ist. Dass STAKE detailverliebt sind, zeigt auch ihr Ansatz, die Songreihenfolge von der physi schen zur digitalen Version des Albums anzupas sen. So liefert âDream cityâ analog einen wunder bar sphĂ€rischen Auftakt, wĂ€hrend es digital den Ausklang bildet. Aufreibend und aggressiv kommt â wie könnte es anders sein â âF*ck my anxietyâ daher. Der wohl spannendste, weil abwechslungs reichste Track dĂŒrfte âDeliverance danceâ sein: ZunĂ€chst groovy und tanzbar, mĂŒndet er in ei nem tosenden Finale mit IRON MAIDEN-esker Heavy-Metal-Anmutung und reichlich Geschrei. Die Besonderheit: SĂ€nger Brent prĂ€sentiert hier sein allererstes Gitarrensolo, wenn auch nur kurz â und die DĂ€monen drehen frei. (Hassle)
Jeannine MichĂšle Kock
THICK
Happy Now
Es ist Sommer. Wir schwit zen. THICK versorgen uns mit guter Laune. Musika lisch stimmt das (âHappi nessâ, âTell myselfâ). Gara ge-Rock in angenehmem Midtempo kennzeichnet den GroĂteil des Albums (âHer chapstickâ, âMon trealâ). An anderen Stellen zeigt das Trio auch seine Vorliebe fĂŒr Punk (âLoserâ, âSomething went wrongâ). Der mehrstimmige Gesang erinnert öfter an PETROL GIRLS. Doch die angesprochene Fröhlichkeit stellt auf dem zweiten Album der New Yorkerinnen nur die Fassade dar. Das Innenleben der elf Songs bildet ein viel breiteres GefĂŒhls spektrum ab. Zwei Jahre nach â5 Years Behindâ singen Gitarristin Nikki Sisti, Bassistin Kate Black und Schlagzeugerin Shari Page ĂŒber Selbsthass, Selbstliebe (âI wish 2016 never happenedâ) und Selbstheilung (âYour gardenâ). Sie schildern, wie es sich anfĂŒhlt, tagelang zu weinen oder seine belastenden GefĂŒhle zu unterdrĂŒcken. Gitarristin Sisti beschreibt das Schaffen ihrer Band als âle bendiges Tagebuchâ. Sie betont, âdass es in Ord nung ist, ein ganzes Spektrum von Emotionen zu fĂŒhlenâ. Beim Schreiben des zugleich schwermĂŒ tigen und beruhigenden âDisappearâ zitiert Sis ti zum Beispiel direkt aus ihrem Diary, um zu er zĂ€hlen, wie es ist, âjemanden zu lieben, der sich in seinem eigenen Kopf verliert, und wie schmerz haft das sein kannâ. âHappy Nowâ ist Schwermut im Heiterkeitspelz. (Epitaph)
Marcus Buhl
UNPROCESSED
Gold
Mit ihrem vierten Album vergolden UNPROCESSED ihren Sound, der sich mitt lerweile zwischen djentigen Prog-Metal-Elementen, HipHop-Beats und R&Bbeeinflusstem Pop bewegt. Dabei verlieren die Wiesbadener jedoch nie den Fokus und bleiben durchweg groovy und catchy. Songs wie âThe longingâ werden auch Fans der ersten Stunde vom Sound der Band im Jahr 2022 ĂŒberzeugen, wĂ€hrend âBerlinâ erstmals einen deutschen Text offenbart. Auch an instrumen taler VirtuositĂ€t gibt es auf âGoldâ viel zu entde cken, wie âRedwineâ beispielsweise frĂŒh unter Be weis stellt. Dass UNPROCESSED dabei stets vol ler Spielfreude sind, zeigen Tracks wie âOceanâ, die trotz ihrer musikalischen KomplexitĂ€t einen natĂŒrlichen Groove und Flow haben, der fĂŒr gro Ăen HörspaĂ sorgt. âGoldâ ist ein Album, das vie le Facetten besitzt und so beweist, dass sich UN PROCESSED keine Grenzen setzen. Wer den Me talsound der Band liebt, wird nur nuanciert damit in BerĂŒhrung kommen, stattdessen ist es ein gro Ăes Potpourri an MusikalitĂ€t, das auf âGoldâ ge boten wird und sich in 16 starken Tracks wider spiegelt. (Airforce1)
Rodney Fuchs
UTTER SILENCE
The Terror
Wabernde und atmosphĂ€rische KlĂ€nge kĂŒndigen Unheilvolles an auf der neuen 3-Track-EP von UTTER SILENCE aus Wuppertal, bis schlieĂlich âThe terrorâ ĂŒber die Hörer:innen hereinbricht.
Die sechsköpfige Truppe zeichnet sich durch einen zermĂŒrbenden Mix aus Doom und Death Metal aus, verliert aber nie das Wesentliche aus den Augen. Die beiden nach dem Intro folgenden Tracks sind durch kluges Songwriting gut ausbalanciert â eine Mischung aus an AMON AMARTH erinnernden Death-Metal-Groove auf der einen Seite und langsamen, doomigen Passagen Ă la MY DYING BRIDE auf der anderen. Dazu kommt noch ein wirklich gelungenes Coverartwork, gerne in Zukunft mehr davon! (DIY)
Philipp Sigl
ROCKY VOTOLATO
Wild Roots
Die mehrjĂ€hrige Veröffent lichungspause von Rocky Votolato ist beendet. Der in Seattle lebende Musiker legt mit âWild Rootsâ ein Konzeptalbum ĂŒber seine Familie vor â oder fĂŒr diese. Je nachdem, wie man es sieht. Seine Lieder und die BeschĂ€ftigung mit seinem persönlichen Be zugsrahmen helfen dem Singer/Songwriter da bei, auch schwierige Geschehnisse zu verarbeiten â etwa den Unfalltod seines Sohnes. Der IndieFolk-Rock des Albums ist generell und organisch angelegt. Es kann auch gar nicht anders sein. Al les klingt intim, nah und verletzlich. Rocky Voto lato hat âWild Rootsâ selbst aufgenommen, pro duziert und gemixt. Jede Sekunde hört und spĂŒrt man, dass ihm dieses Album eine Herzensange legenheit ist. Dass neben der Akustikgitarre auch Gastmusiker und zusĂ€tzliche Instrumente zum Einsatz kommen, mag der Fall sein, doch es fĂ€llt erst auf den zweiten Blick auf. Sie vertiefen den Klangraum und erweitern die Stimmung. Gitar re und Stimme sind im Zweifel aber schon genug, weil man den Anekdoten und Ăberlegungen, mit denen man sich meist schnell identifizieren kann, konzentriert folgt und sich emotional investiert. Das Klavier, die Streicher, das Schlagzeug und die Percussion sowie die E-Gitarre werden zudem nur unterstĂŒtzend und defensiv eingesetzt. Rocky Votolato und seinen persönlichen Texten fĂ€llt die volle Aufmerksamkeit zu. Alle StĂŒcke sind schön, aber mitunter auch melancholisch oder gar trau rig. âWild Rootsâ ist ein musikalischer Spiegel des (Familien-)Lebens. (Thirty Something)
Arne Kupetz
THE WONDER YEARS
The Hum Goes On Forever
Es gibt sie einfach noch, diese Bands, auf die du dich verlassen kannst. Bei denen Experimente nicht ĂŒber handnehmen und die Ent wicklung fanfreundlich ver lĂ€uft. Im vorliegenden Fall ist das verdammt gut und richtig so. THE WONDER YEARS spielen ihre StĂ€rken auf Album Nummer sieben so geschickt und atmosphĂ€risch dicht aus, dass man sofort wieder in den Bann dieser Band gezogen wird. Eindringlich und emotional und dabei den Tanz auf der Rasierklinge in Perfektion ausfĂŒhrend, was Verletzlichkeit und Trotz angeht. Alles kann ruhig scheiĂe sein, aber irgendwie geht es trotzdem immer weiter. Musikalisch kann man THE WONDER YEARS irgendwo im groĂen Kosmos des Pop-Punk und Emo verorten. Diese beiden Schubladen reichen allerdings nur bedingt aus, um das Songwriting der Band zu beschreiben. Frontmann Dan Campbell beackert Themen, mit denen wir uns wohl alle identifizieren können. Was frĂŒher Teenage Angst war, ist heute wohl die Midlife Angst, ohne gleich in eine Krise ausarten zu mĂŒssen. âThe Hum Goes On Foreverâ ist ein kompaktes und sehr gut funktionierendes Album mit vielen kleinen und groĂen Perlen. Nebenbei haben sie mit âLow tideâ noch einen der ganz groĂen Hits der Bandgeschichte aus dem Ărmel geschĂŒttelt. Der Herbst kann kommen, THE WONDER YEARS werden ihn ertrĂ€glich machen. (Hopeless)
Carsten Jung
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