6 minute read

Von Keksen und anderen Liebschaften

16 |

Sabine Burtscher und Xavier Le Guennec backen nicht nur nachhaltige Kekse. Mit ihrer (positiv gerichteten) Wut setzen sie Ideen um, während andere noch überlegen, ob man davon leben kann. Ein Besuch in Raggal bei „Sabine + Xaver“ über französische Inspiration und Großmutters Rezepte.

Advertisement

Text: Christina Vaccaro Fotos: Bettina Bohne

Von Keksen & anderen Liebschaften

Sabine verbringt in ihrer Kindheit viel Zeit mit ihrer Großmutter, die sie mit in den Garten nimmt, mit ihr kocht und bäckt und ihr viel traditionelles Wissen mitgibt. Hinter „Sabine“ steckt Sabine Burtscher, in Raggal aufgewachsen, der Vater von Ludescherberg, die Mutter aus Stuttgart. Früh weiß sie, dass sie später einmal entweder mit der Natur oder dem Menschen arbeiten will. Nach der Matura möchte die heranwachsende Frau Biologie studieren, doch das Studium ist ihr zu technisch-theoretisch. „Ich habe mich mehr als Forscherin im Urwald gesehen und hatte so Ideen im Kopf“, erinnert sich Sabine Burtscher und lacht dabei. In Salzburg lernt sie dann die Ergotherapie kennen und lieben. Sie absolviert eine Ausbildung in Oberösterreich, kehrt anschließend zurück nach Vorarlberg und arbeitet 20 Jahre lang hauptberuflich als Ergotherapeutin sowohl mit Erwachsenen als auch mit Kindern. Nebenberuflich macht sie die Ausbildung zur Yogalehrerin und beginnt zu unterrichten. Dem nicht genug, kommt später noch eine Kräuterpädagogik-Ausbildung dazu, „weil das meine Leidenschaft ist und ich nach wie vor noch mehr wissen möchte“. 1200 Kilometer entfernt führt Xaver „ein ganz normales Leben“ in der kleinen Küstenstadt Saint-Brieuc in der Bretagne. „Xaver“ heißt eigentlich Xavier Le Guennec, ist ein Vielgereister und gleichzeitig noch immer leidenschaftilcher Bretone. Dennoch verschlägt es den jungen Xavier nach dem Gymnasium in den Süden Frankreichs nach Toulouse, wo er Mathematik und Statistik studiert, später auch ein wenig Betriebswirtschaftslehre. Für den Einstieg ins Berufsleben zieht er in die Landeshauptstadt, denn „Wie jeder Mensch in der Bretagne muss man irgendwo beginnen, und zwar in Paris, dem Zentrum der Welt.“ Xavier Le Guennec sagt das mit leicht ironischem Unterton; Paris hat ihn nie angezogen. Er beginnt bei Ford, obwohl er „wirklich keine Leidenschaft für Autos“ hat. Es ist eine gute Gelegenheit, Dinge über Produktionsprozesse zu lernen, doch nach einem Jahr braucht er eine Pause und geht auf Reisen. Was danach passiert, im Schnelldurchlauf erzählt: Xavier Le Guennec möchte unbedingt Produkte aus der Bretagne fördern, denn „durch ein Produkt kann man auch eine Kultur verbreiten“. Er fragt sich, wieso die Iren so gut ihre Pro-

dukte am europäischen Markt verbreiten, und gründet eine eigene Firma in Irland, wo er beginnt, bretonische Produkte zu verkaufen. Es läuft gut, doch einer seiner wichtigsten Lieferanten lässt ihn im Stich. Le Guennec gibt sein Unternehmen auf, arbeitet zunächst in London im Headquarter bei Kraft Foods, später in Zürich. Absolviert noch einen Master of Business Administration.

Walsertal trifft Bretagne

Der unerwartete Kreuzungspunkt zweier sehr unterschiedlicher Leben – und die Wende für beide – war ein großes Geburtstagsfest in Brand. Dort lernten sich Sabine Burtscher und Xavier Le Guennec kennen. Zu einer Zeit als die langjährig als Ergotherapeutin tätige Sabine mit dem Gedanken spielt, sich als Yogalehrerin selbstständig zu machen und der seit zehn Jahren beim Kraft Food Konzern beschäftigte Xavier eine Veränderung sucht. „Sabine hat viel über Yoga und einen anderen Aspekt des Lebens gesprochen. Für mich war das wirklich Chinesisch – etwas Neues, Interessantes, eine neue Perspektive“, erinnert sich Le Guennec. „Es war interessant und spannend. Ich bin jemand, der offen ist für Neues, gerne dazu gelernt. Wir haben uns überlegt: Was könnte man Tolles machen in Vorarlberg? Wir haben Butter, Eier, Milch, Mehl – da war es naheliegend, dass wir Kekse machen“, erinnert sich Burtscher. Ihr Lebensgefährte ergänzt: „Lebensmittel sind nicht nur etwas zu essen und zu genießen. Es gibt eine Philosophie, eine Botschaft zu teilen. Das war die Idee. Mittlerweile hat Le Guennec die Ausbildung zum Patissier in Frankreich absolviert. 2016 starten die beiden Schritt für Schritt, trotz anfänglicher Schwierigkeiten. Sabine Burtscher erzählt offen: „Manchmal hatte ich Zweifel und meine Familie hatte viele Zweifel. Es waren Widerstände da – was wollen wir da Verrücktes machen? Viele Fragezeichen. Gerade im Walsertal, wo es vor allem Käse gibt und es quasi nichts anderes geben kann.“ Xavier Le Guennec fügt hinzu: „Ich komme von Außen, da waren die Leute sozusagen neugierig, was ich machen möchte. Sie konnten nicht wirklich verstehen, warum ich hier bin. Wir haben aber auch Leute kennengelernt, die uns unterstützt haben. Leo Simma, beispielsweise. Wir konnten unsere Kekse bei ihm verkaufen und er hat auch Energie ins Projekt eingebracht.“

Ursprünglich wollen sie mehr Partnerschaften im Tal, finden jedoch nur schwierig die richtigen Kontakte. Dennoch merken die beiden Mutigen: Ihre Kekse kommen an, die Leute mögen sie. Die Entscheidung fällt, es zu wagen und von der Produktion bis zum Verkauf alles selbst in die Hand zu nehmen. Bald wird Raggal zu klein und es zieht sie in den Bregenzerwald, doch nicht lange. Das ehemalige Sportgeschäft von Sabines Mutter im Dorfzentrum soll aufgegeben werden. Das Thema steht im Raum, zu Weihnachten steht fest: Es soll zur Produktionsstätte und zum Laden der Bio Gourmet Manufaktur Sabine + Xaver werden. Anfang März 2020 wird die Holzdecke herausgenommen, am 9. März kommt der erste Lockdown. Während der Umbauten lernt Sabine Burtscher in Graz Konditorei (Quereinstiegerlehrgang) und absolviert die Prüfung erfolgreich.>>

„Ich glaube, die Veränderung muss von privaten Initiativen kommen.“

Xavier Le Guennec

| 17

18 | Von Mut und Wut

„Wir dachten: Oh je, was kommt hier auf uns zu? Keine Gäste und Touristen, die bei uns einkaufen. Vielleicht hätten wir das Projekt nicht in die Hand genommen, wenn wir das gewusst hätten“, beschreibt Sabine Burtscher den kritischen Moment. Von über 20 geplanten Besuchen bei Themenmärkten kann lediglich einer stattfinden. Im Direktverkauf läuft wenig, dafür werden online Kekse bestellt – in ganz Österreich und darüber hinaus in München, Düsseldorf, Wangen und Wiesbaden in Deutschland.

Vielleicht sei es naiv, doch wo er herkomme, würde man nicht fragen, ob man von so etwas leben kann, sagt Xavier Le Guennec. Man würde sagen: Es ist toll, mach es. Probier es! Für Veränderung brauche man viel Wut, so der Bretone. Wut sei eine negative oder positive Energie, die – wenn sie gut kanalisiert ist – eine gute Energie zur Veränderung wird. „Die Leute sprechen ständig über Veränderung, doch die Veränderung ist nicht sichtbar. Wir wollten sofort etwas tun und nicht zuwarten. Die Zeit läuft. Der Klimawandel passiert. Unser Motto ist: Yes we do!“

Heute werden in der 900-Seelen-Gemeinde am Taleingang des Großen Walsertals Bio-Kekse und Bio-Bergkäsesnacks gebacken. Mit Butter, Dinkel, Eier, Milch und Käse aus Vorarlberg. Auch die Verpackungen stammen aus dem Ländle, die Logistik darauf bedacht, Kilometer zu sparen, das Hygienemanagment darauf, den Wasserverbrauch zu minimieren. Noch sind Sabine + Xaver zu zweit, doch es ist geplant, zu erweitern. Neben ihrer Keks-Produktion engagiert sich inbesondere Sabine für Biodiversität im Dorf und hat ein Blumenwiesen-Projekt in Raggal initiiert. Es gibt eine Kunstausstellung im Keksladen über Schmetterlinge und in Zusammenarbeit mit der inatura ist ein Vortrag geplant. Mit Schulgruppen ist eine Revitalisierung von Gemeindewiesenstücken, die „Insekten-paradiesisch“ werden sollen für Mai vorgemerkt. Die Stimmen der Zweifler und Kritiker verstummen. Der Mut hat sich gelohnt.

28. Mai, 18 Uhr im Laden der Bio-Keks Manufaktur: Vortrag über Schmetterlinge von der inatura sowie Illustrationsworkshop Schmetterlinge für Jugendliche mit Bettina Bohne. sabineundxaver-gourmet-manufaktur. com/ausstelung-2/

Endlich Frühling in der Luft Fenster auf! ein süßer Duft strömt rein ins Zimmer Freiheit wird erhofft doch wieder spricht das C uns an es fragt, WO und WAS man kaufen kann Viele Läden sind geschlossen andere Geschäfte lassen zeitweise offen Leere Räume klagen an wer hat uns das angetan? Voraussichtlich wird's nicht besser reichen müssen Löffel, Gabel, Messer sparen, verzichten, einteilen, rationieren niemand soll sich jetzt operieren wenn man sich der Situation anpasst und Altes neu erfindet und erfasst verwertet und verwendet Bastler unterstützt und Kleidung ändert Ähnliches war schon mal da auch diesmal sagen wir dazu „Ja!“ Man hilft einander wo's nur geht und freut sich, wenn was Neues entsteht.

Margot Menardi, marie-Leserin (78 Jahre, aus Bregenz)

This article is from: