Marburger Magazin Express 48/2020

Page 6

MR-6-15 Themen.qxp_MR-Themen 6-11.qxd 23.11.20 11:55 Seite 6

Wo Verschwörungen gedeihen 25 bis 33 Prozent der Deutschen glauben an Verschwörungstheorien Nach einer weit verbreiteten Verschwörungstheorie hat es die Mondlandung nie gegeben. Foto: NASA

D

ie CIA steckt hinter dem Anschlag auf das World Trade Center, die FlĂŒchtlinge werden durch eine globale Finanzoligarchie gelenkt, um Deutschland zu islamisieren, und das Coronavirus gibt es gar nicht. Prof. Michael Butter von der UniversitĂ€t TĂŒbingen ist ein gefragter Experte fĂŒr Verschwörungstheorien. Der 43-jĂ€hrige Amerikanist leitet ein Netzwerk mit 160 Wissenschaftlern, das die Forschung zum Thema aus dem Blickwinkel von unterschiedlichen Disziplinen und mehr als 40 europĂ€ischen LĂ€ndern zusammenfĂŒhrt. Sein Bestseller – „Nichts ist, wie es scheint“ – erlebt gerade die vierte AuïŹ‚age. Die Zahl der Interviews zum Thema hat er schon nicht mehr gezĂ€hlt. Absehbar war dies nicht. Begonnen hat er mit den Untersuchungen nĂ€mlich lange vor Corona. 1999 – zum 30-jĂ€hrigen JubilĂ€um der Mondlandung – stolperte er in einer UniversitĂ€tszeitung zum er-

6

sten Mal bewusst ĂŒber eine Verschwörungstheorie: Sehr seriös wurde da geschildert, dass es die Mondlandung nie gegeben habe. Und zumindest fĂŒr einige Minuten – solange, bis er zur nĂ€chsten Seite mit der AuïŹ‚Ă¶sung umgeblĂ€ttert hatte – glaubte Butter dies auch. Nach dem Studium in Freiburg und Norwich und der Promotion in Bonn und Yale habilitierte er sich 2012 ĂŒber amerikanische Verschwörungstheorien. Das war lange vor Trump, dem Brexit und der FlĂŒchtlingskrise. Noch 2015, als er das von der EuropĂ€ischen Union geförderte Forschungsprojekt Compact gemeinsam mit Peter Knight von der Uni Manchester startete, stellte sich die Frage, ob dieser Schwerpunkt ihn ins Abseits katapultiere. Doch gemeinsam mit seinen Kollegen wollte er mit gĂ€ngigen Mythen aufrĂ€umen – etwa dem, dass Verschwörungstheorien heute populĂ€rer seien als je zuvor. TatsĂ€chlich gibt es zwar einen leichten

Aufschwung durch die Coronakrise, bis in die 50er und 60er Jahre hinein waren Verschwörungstheorien aber viel einïŹ‚ussreicher und mĂ€chtiger als heute. Winston Churchill glaubte an die jĂŒdische Weltverschwörung. Thomas Mann machte Freimauer und Illuminaten fĂŒr den Ausbruch des Ersten Weltkriegs verantwortlich. Und Abraham Lincoln glaubte an ein groß angelegtes Komplott der Sklavenhalter. Anfang MĂ€rz veröffentlichte Butter gemeinsam mit Peter Knight das „Handbook of conspiracy theories“. Auf der Webseite des Compact-Projekts erschien ein Leitfaden, der kurz und verstĂ€ndlich das Wichtigste zusammenfasst, was die Forschung ĂŒber Verschwörungstheorien weiß. Inzwischen ist er auch auf deutsch, spanisch, arabisch und weiteren Sprachen zu lesen. Er richtet sich ausdrĂŒcklich auch an Laien – LehrkrĂ€fte, Politiker, Journalisten. Dazu gibt es sechs Podcasts, die inzwischen

von mehr als einer Million Menschen auf der Welt gehört wurden (https://conspiracytheories.eu/). Darin wird erst einmal erklĂ€rt, was eine Verschwörungstheorie – auch im Unterschied zu Fake News

Der abgewĂ€hlte US-PrĂ€sident Donald Trump ist nach Butters Überzeugung eher ein Politiker, der Verschwörungstheorien strategisch etwa im Wahlkampf einsetzt. Foto: White House/Shealah Craighead


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.