10 | Fokus Mobiler Boom Das Smartphone ist die Fernbedienung des Lebens. Auch seine Bedeutung als Verkaufskanal steigt rasant.
Gewinnbringer Smartphone Jorgos Brouzos, Andreas GĂŒntert und Tim Höfinghoff
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ark Furrer weiss, wie er seine Kunden zufrieden macht: Mit einer App zur theoretischen FahrprĂŒfung. Furrer hat keine Fahrschule und ist kein Fahrlehrer, er verkauft aber mit «Fahrlehrer24» eine der beliebtesten Apps der Schweiz. Das Lernprogramm fĂŒr 19.80 Franken können Nutzer auch als PC-Programm kaufen. Doch Furrer verkauft das Programm zu 70 bis 80 Prozent via App. Das GeschĂ€ft mit Inhalten fĂŒr mobile GerĂ€te wie das Smartphone laufe gut, er verdiene damit Geld â auch wenn Unternehmer Furrer die Einnahmen mit Konzernen wie Apple und Google teilen muss. Sie stellen die Plattform fĂŒr Apps bereit. Das Smartphone ist nicht nur zur Fernbedienung des Lebens geworden, um Mails zu verschicken, Nachrichten zu lesen, Bilder auf Facebook zu posten und die Musikanlage im Wohnzimmer per App zu steuern. Die mobilen GerĂ€te sind zum wichtigen Absatzkanal geworden. Der Mensch von heute fĂŒhrt den Kauf-Knopf stĂ€ndig bei sich. Und drĂŒckt ihn. Das Smartphone wird zum Umsatz- und Gewinnbringer. GemĂ€ss dem Beratungshaus Carpathia werden in der Schweiz jĂ€hrlich Waren und Dienstleistungen fĂŒr 1 bis 2 Milliarden Franken via Smartphone umgesetzt. Dabei wachse einerseits der Mobilanteil bei EinkĂ€ufen in klassischen Webshops, sagt CarpathiaGeschĂ€ftsfĂŒhrer Thomas Lang, doch ebenso begehrt seien Services jeglicher Art: «Als starke Treiber sehen wir Bahn-, Flug- und Konzerttickets sowie Hotelbuchungen.» Und es hĂ€ufen sich sogenannte In-AppKĂ€ufe: Leute, die auf ihren Handys spielen, können innerhalb der Games fĂŒr ihre Spielfiguren Eigenschaften hinzukaufen und so ihre KĂ€mpfer stĂ€rken. Hier 1 Franken, dort 50 Rappen fĂŒrs mobile Heldentum â da lĂ€ppert sich etwas zusammen.
Bei Zalando schlĂ€gt Mobile den Desktop Die Relevanz des MobilgeschĂ€fts zeigt sich beim Online-Versender Zalando. «Dieser Kanal ist sehr wichtig und wĂ€chst rasant», sagt Christian Drehkopf, Mobile-Chef von Zalando (siehe Interview): «Im ersten Quartal 2015 fanden mit 52,6 Prozent erstmals mehr Zugriffe auf die Zalando-Website ĂŒber mobile EndgerĂ€te als ĂŒber Desktop-Computer statt. Wir denken, dass noch ordentlich Luft nach oben ist.» Offen bleibt, ob Zalando-User ihr Smartphone lediglich zum Stöbern nutzen oder ob sie damit auch wirklich einkaufen. Konkrete Zahlen dazu gibt Zalando nicht preis. Offener ist der Schweizer OnlineSupermarkt LeShop von Migros: «Mit einem durchschnittlichen Warenkorb von 248 Franken liegen Smartphone-Bestellungen ĂŒber solchen von Desktop-Computern mit 240 Franken», sagt Chef Dominique Locher. Die Mobilbestellungen â also ĂŒber
Smartphones und Tablets â machen bereits knapp 40 Prozent aller EinkĂ€ufe aus. Kunden nutzen das Smartphone nicht nur im Tram, Bus oder Zug zum Einkaufen. Sie setzen die GerĂ€te auch in den eigenen vier WĂ€nden fĂŒr Bestellungen ein. «Aus Kundenbefragungen wissen wir, dass viele Leute das Smartphone zu Hause quasi als Post-it-Zettel benutzen», sagt Locher. «Sie stellen sich vor den KĂŒhlschrank, checken die BestĂ€nde und ordern fehlende Positionen gleich sofort.» Der Einsatz der Smartphones ist bei jĂŒngeren, technikaffinen Menschen besonders beliebt, aber Ă€ltere Konsumenten holen auf. So heisst es beim LeShop-Konkurrenten coop@home, dass sich der Mobile-Kundenkreis erweitert: «Gerade bei den sogenannten Silver Surfern, also Konsumenten, die Ă€lter als 55 Jahre sind, tut sich punkto Smartphone-Einkauf viel», sagt GeschĂ€ftsleiter Philippe Huwyler: «Sie haben einfacheren Zugriff, weil Apps und GerĂ€te attraktiver und ĂŒbersichtlicher geworden sind.» Smartphones gewinnen auch beim MedienhĂ€ndler Ex Libris stark an Gewicht. GeschĂ€fsfĂŒhrer Daniel Röthlin sagt: «Die Investitionen in den mobilen Ka-
«Bei den Silver Surfer, also Konsumenten, die Àlter als 55 Jahre sind, tut sich punkto Smartphone-Einkauf viel.» Philippe Huwyler coop@home
nal zahlten sich fĂŒr uns schnell aus.» Die App von Ex Libris wurde insgesamt ĂŒber 780 000 Mal heruntergeladen. Jede Woche kommen ein paar 100 Downloads hinzu. «Hinter jedem Download steht ein potenzieller Kunde», sagt Röthlin. Bei Ex Libris ist allerdings der Umsatz pro mobilen Aufruf des Webshops etwas tiefer als derjenige an einem stationĂ€ren Computer. Derzeit erfolgen 30 Prozent des Online-Umsatzes ĂŒber mobile GerĂ€te. Dieser Anteil wĂ€chst: «Filme und BĂŒcher vermitteln Emotionen, wir mĂŒssen dort sein, wo die Emotion stattfindet. Das ist nicht nur zu Hause», sagt Röthlin und erklĂ€rt, dass Kunden sich nicht einen Buchtitel merken wollten, bis sie daheim am Computer seien, sondern das Buch sofort kaufen möchten.
Wertvolle Datenspur der Konsumenten Das Smartphone hat aus Sicht vieler HÀndler auch deshalb eine immense Bedeutung, weil die Technik es möglich macht, die Kunden besonders gut zu analysieren: Wenn diese Smartphone oder Tablet benutzen, gibt das Anbietern wie coop@home wertvolle Hinweise zum Kaufverhalten der Konsumenten. Hohe Smartphone-Zugriffe registriert coop@homeGeschÀftsleiter Huwyler, wenn viele Pendler im Land
unterwegs sind: «Es ist dann, wenn die Schweiz in Bewegung ist, also zwischen 7 und 9 Uhr und zwischen 17 und 20 Uhr. Nach 20 Uhr kommt zu Hause auf der Couch eher das Tablet zur Anwendung.» Anhand der digitalen Spuren, die SmartphoneShopper hinterlassen, lassen sich Nutzerprofile erstellen. So ist der Online-Reiseanbieter Kayak in der Lage, weitreichende Analysen der Reisewilligen zu erstellen. Apple-JĂŒnger, so die Kayak-Erkenntnis, reisen teurer, suchen gerne mittwochs und auch lĂ€nger nach dem passenden Trip. Nutzer des Google-Betriebssystems hingegen widmen sich eher dienstags ihren ReiseplĂ€nen, suchen nach tieferen Preisen und fixieren Trips frĂŒher als die iPhone-User. Der Trend zum mobilen GeschĂ€ft wird auch dadurch unterstĂŒtzt, dass die Smartphones immer besser und die mobile Verbindung zum Internet immer verlĂ€sslicher wird. «Das mobile GeschĂ€ft ist eine der grössten Revolutionen der vergangenen Jahre», sagt Manuel Nappo, Leiter des Center for Digital Business an der HWZ Hochschule fĂŒr Wirtschaft ZĂŒrich. «Immer und ĂŒberall ins Internet zu kommen, wenn es einem gerade in den Sinn kommt, kurbelt das GeschĂ€ft fĂŒr viele HĂ€ndler an.» Es gibt aber auch EinschrĂ€nkungen: Gerade in Sachen Banking zögern viele Konsumenten. Sie sind zwar offen gegenĂŒber Online-Banking. Doch ihre Transaktionen machten sie lieber daheim ĂŒber ihren Desktop-Computer, so Nappo â auch wenn das nicht unbedingt viel sicherer als eine Transaktion ĂŒber das Smartphone sei. Die Bankenbranche setzt dennoch voll auf den Mobile-Trend. So starteten kĂŒrzlich UBS und ZKB zusammen mit dem Finanzdienstleister SIX eine Banking-App, mit der sich Kunden mit wenigen Klicks Geld ĂŒberweisen können. Auch Swisscom, Postfinance oder Migros arbeiten daran, aus dem Smartphone eine digitale Brieftasche zu machen.
Mobiles Angebot ist oft nicht benutzerfreundlich Bei aller Mobile-Euphorie: FĂŒr Firmen bleibt es eine Herausforderung, ihren Kunden ein unkompliziertes Erlebnis zu bieten: «Viele Unternehmen haben noch nicht verstanden, dass es nicht ausreicht, lediglich eine mobiloptimierte Internetseite zu haben», sagt Nappo. «Bei vielen Firmen ist die Benutzerfreundlichkeit ihrer mobilen Angebote noch verbesserungswĂŒrdig.» Die grössten MĂ€ngel macht Nappo beim Thema Intuition aus: «Wenn das mobile Angebot nicht mit wenigen Klicks zum gewĂŒnschten Ziel fĂŒhrt, wird es kaum erfolgreich sein.» Dies klinge zwar simpel, doch viele Firmen hĂ€tten nicht verstanden, dass die NutzerwĂŒnsche anders seien, wenn sie mobile GerĂ€te nutzten, als wenn sie einen Computer daheim gebrauchten. «Bei einem Online-Kauf eines Reisetickets von zu Hause verzeihen die Kunden vielleicht das mehrfache Eintippen von Namen und Kreditkartennummer, doch bei mobilen GerĂ€ten wird das schnell zu kompliziert.»
ïœ Zeiterfassung, Kommunikation und Kennzahlen
71%
Ferien-Job. 71 Prozent der Schweizer nutzen ihre Smartphones in den Ferien. Oft fĂŒr die Arbeit, wie Kuonis «Ferienreport 2014» ergab. In der Spitzengruppe glĂŒhen die Tools: 23 Prozent der Befragten sagten, sie seien wĂ€hrend der HĂ€lfte der Ferien tĂ€glich «on duty». Top-Tasks: Mails lesen und schreiben, Telefonieren.
Die mobile Steuerzentrale fĂŒr Firmen
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obile GerĂ€te taugen nicht nur zum Einkaufen, sie können auch helfen, die AblĂ€ufe in Unternehmen effizienter zu machen. Das Smartphone verĂ€ndert damit den Weg, wie Unternehmen und Mitarbeiter Âinteragieren. So liefert der St. Galler Infor matikÂanbieter Abacus fĂŒr Tausende Schweizer Unternehmen eine Buchhaltungssoftware. Nun arbeitet das Unternehmen daran, die Buchhaltung schlanker und produktiver zu machen. Denn in Zukunft soll jeder Mitarbeiter seine Abrechnungen, Spesen, Belege und Arbeitszeiten mit der App «AbaClik» selbst erfassen. Die App ist kostenlos. Abacus setzt darauf, dass Unternehmen sich fĂŒr die kostenpflichtige Profi-Lizenz entscheiden. Diese kostet 5 Franken pro Monat und Mitarbeiter. Dann ist es möglich, die Leistungen der Mitarbeiter direkt in der Buchhaltung des
Unternehmens zu erfassen. Noch ist allerdings nicht ausgemacht, ob diese Idee fĂŒr Abacus langfristig ein gutes GeschĂ€ft werden wird. Das Produkt ist noch jung und die Downloadzahlen sind mit rund 4000 Installationen noch zu niedrig, um den Erfolg abzuschĂ€tzen. Immerhin heisst es bei Abacus, dass die Firma einige Kunden in der Pipeline habe, die schon im September auf das System setzen wollen.
Mehr Unternehmen setzen auf Apps Das Beispiel zeigt, dass sich viele Firmen damit beschĂ€ftigen, wie sie Smartphones fĂŒr eine höhere ProduktivitĂ€t nutzen können. Andrej Vckovski, Firmenchef des ZĂŒrcher ITUnternehmens und App-Experten Netce tera, stellt ein grosses BedĂŒrfnis nach mobilen Lösungen fest. FĂŒr Netcetera ist der Trend klar: Mehr Firmen setzen mobile Anwendungen fĂŒr ihre Mitarbeiter ein. Zudem
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verschwinden die Grenzen zwischen den einzelnen Applikationen. Es macht fĂŒr viele Menschen keinen Unterschied mehr, ob sie per App eine Rechnung bezahlen oder als Aussendienstmitarbeiter mit dem Arbeit geber interagieren. Die Grenzen verschwinden. «In fĂŒnf Jahren wird man nicht mehr von mobilen Apps sprechen, der Computer ist grundsĂ€tzlich mobil und mit dem Internet verbunden», so Vckovski. Auf dem GerĂ€t befinden sich dann alle wichtigen persönlichen Anwendungen und auch die Firmenprogramme.
Firmenumsatz auf der Apple Watch Ein Trend, der fĂŒr viele Experten erst am Anfang steht. Denn die Smartphones können viel mehr, als sich ihre Hersteller ausmalen können â und die mobilen GerĂ€te sind viel persönlicher als stationĂ€re Rechner, schon bevor sie sich in der Form der Apple
Watch noch nĂ€her an uns schmiegen. Auch dieses Gadget bahnt sich bereits einen Weg in Schweizer Unternehmen. Die neuste Lösung Sage Life, welche es bisher in den USA und in Grossbritannien gibt, unterstĂŒtzt die Apple Watch. So können Firmenchefs sich den Umsatz ihrer Firma auf die Uhr holen. Und beispielsweise beim Businesslunch vor dem Dessert mal eben kurz die aktuellen Verkaufszahlen ĂŒbers Handgelenk huschen lassen. Auf den ersten Blick ein Gimmick, aber die Nutzer gewöhnten sich sehr schnell da ran, erklĂ€rt Jean-Jacques Suter, Chef von Sage Schweiz. In der Schweiz gibt es unter anderem zu Sage 50 Extra den mobilen Service Sage Reports, mit welchem sich Finanzdaten in Echtzeit via Cloud auswerten lassen. «Wir lassen die Kunden die Funktion zwei Wochen ausprobieren, danach wollen sie sie nicht mehr hergeben.»