Umschrieben wird ein einzelnes Schriftzeichen. Können Sie herausfinden, welches?
A 曲 B 晶 C 皂
Unser Tipp: Denken Sie um die Ecke, nehmen Sie ruhig alles wörtlich und vor allem: Immer mit Geduld!
Die Lösung finden Sie auf Seite 81.
七 十二 小 时
qīshí’èr xiǎoshí
Wörtlich: zweiundsiebzig Stunden
Vielfalt gewünscht
In diesem Magazin wird die Inklusion aller Geschlechter angestrebt und zugleich soll die deutschsprachige Realität unterschiedlicher Formen des Genderns abgebildet werden. Den Autorinnen und Autoren bleibt es überlassen, ob und wie sie gendern.
Das Magazin Konfuzius Institut gibt’s auch auf WeChat zu lesen. QR-Code scannen und los geht’s:
»Nach oben schauen und nach unten beobachten«
, Yijing, Xici I, 4
Oben und unten, Himmel und Erde: Im alten China verstand man es als kosmisches Grundprinzip, dass alle Erscheinungen aus dem Zusammenspiel gegensätzlicher Kräfte entstehen, deren wechselseitige Einwirkung eine zyklische, wellenförmige Bewegung erzeugt und den Lauf des Universums bestimmt.
Angesichts wachsender globaler Unsicherheiten scheint diese Idee wieder neue Resonanz zu finden. Menschen wenden sich alten Erzählungen, Symbolen und Mythen zu, um Orientierung zu gewinnen – nicht als objektive Wahrheiten, sondern als verdichtete Bilder kollektiver Erfahrungen, die unser Verhältnis zur Welt deuten helfen. Mythen verbinden Mensch und Kosmos und geben dem Unerklärlichen Form.
Du lieber Himmel! Wo soll man da anfangen? Dieses Heft widmet sich den Mythen Chinas – jenen Erzählungen, die zwischen Himmel und Erde oszillieren, zwischen Geschichte und Dichtung, Erinnerung und Neuschöpfung. Mythen stiften Ordnung im Chaos, sie erklären die Geburt der Welt und der Zivilisation. So deutete Konfuzius alte Erzählungen um und integrierte sie in ein historisches Weltbild. Auch der frühe Chronist Sima Qian historisierte Legenden: Beide schrieben Geschichte, indem sie mythische Ursprünge mit beleg-
ten Dynastien verbanden – so verschwimmen die Grenzen zwischen Mythos, Erinnerung und Geschichtsschreibung.
Von den heiligen Bergen Kunlun und Buzhou, die als Achsen zwischen Himmel, Erde und Gottheiten galten, bis zu den Wandmalereien in den Höhlen von Dunhuang – überall zeigt sich der Versuch, das Göttliche im Sichtbaren zu verankern. Chiara Bocci widmet sich dem ältesten Mythenwerk Chinas, dem Shanhaijing –dem »Buch der Berge und Meere« – und stellt fünf seiner zentralen Gestalten vor. In Shanxi begegnen wir den hölzernen Tempeln, in denen sich Mythen und Architektur verschränken, während Huang Xueyin den geheimnisvollen Han-Gräbern des Marquess von Haihun nachspürt, in denen sich eine mythische Vorstellung des Jenseits spiegelt. Gemeinsam mit Viktor Kalinke erkunden wir die daoistischen Ursprünge bei Laozi und Zhuangzi; und in Fujian folgen wir den alten Schlangenkulten, die dort bis heute lebendig sind.
Auch die Mythen selbst wandeln sich: Nezha – einst ein buddhistischer Schutzgott, dann ein rebellischer Knabe in der Fengshen Yanyi, heute ein Sinnbild für Unabhängigkeit und Selbstbestimmung auf der Kinoleinwand. Mit Architekt Ma Yansong blicken wir in den Himmel, wo die alten Sternbilder Chinas erneut zu leuchten beginnen. Und unsere Rezeptserie erweitern wir von »Haochi!« auf »Chīhaˇ o hēhaˇ o!« – mythologisch inspiriert lassen wir uns in der ersten Folge auf Flaschengeister ein.
Mögen die Weisen des Altertums uns beistehen, während wir weiterweben an jenem großen Netz von Mythen.
Straßeninterview: Wer ist deine Heldenfigur aus den chinesischen Mythen und Sagen?
街头采访:你心中的中国神话英雄是谁?
Titelstory: Chinesische Mythen gestern und heute: »Das Buch der Berge und der Meere« – Aus dem Altertum in die heutige Popkultur
专题报道:中国神话的今昔:《山海经》——从远古 传说到当代流行文化
Chiara Bocci
15
19
24
Steckbriefe: Wichtige chinesische Gottheiten
资料卡:中国经典神话人物
Philosophie: Wo das Tiefe am tiefsten ist –Mythologische Wurzeln der daoistischen Philosophie
哲学:玄之又玄——道家哲学的神话根源
Viktor Kalinke 开临可
Unterwegs: Auf den Spuren von »Black Myth: Wukong« – Historische Architektur in Shanxi entdecken 路上:跟着《黑神话:悟空》打卡山西古建筑
A Li 阿离
31
Zeitgenössische Kunst: »Dunhuang Con-stella-tion« – Zwischen Sternenatlas und Zivilisation
当代艺术:“敦煌·共熠”――在星图与文明之间
Atelier Alter Architects 时境建筑
34
Film: Cao Cao: »Wer die Kunst fördert, dem gehören die Herzen der Menschen« 电影:曹操:“周公吐哺,天下归心”
Jan Patrick Bantel 扬·帕特里克·班特尔
38
42
Tradition: Die Mogao-Grotten von Dunhuang – Ein Kunstschatz der chinesischen Zivilisation 传统:敦煌莫高窟――中国古代文明的艺术宝库 Wu Jingjing 吴晶晶
Kultur: Signalfeuer und Wolfsrauch –Die Weisheit der antiken Informationsübermittlung
文化:烽火狼烟——古代信息传递的智慧
Rong Hongmei 荣红梅
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50
Reportage: Ta’er-Kloster – Ein künstlerisches Juwel des tibetisch-buddhistischen Heiligtums
报道:塔尔寺――藏传佛教圣地的艺术瑰宝
Cui Gaohao 崔高浩
Archäologie: Dem Geheimnis des Markgrafentums Haihun auf der Spur –Kostbarkeiten aus Gräbern der Han-Zeit:
Von der Ausgrabung bis ins Museum
考古: 揭开海昏侯国的神秘面纱——从发掘现场到 博物馆的汉墓遗珍
Huang Xueyin 黄雪寅
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Unterwegs: In Fujian wird die Schlange wie eine Gottheit verehrt
路上:闽地敬蛇如神
Jiang Rong 江榕
Trend: Die Metamorphose der Nezha-Figur –Mythos-Neudeutung und ZeitgeistReflexion in den letzten fünfzig Jahren 趋势:哪吒形象的蜕变――近五十年的神话重构 与时代精神共鸣
Wu Yueran 武悦然
61
Hintergrund: Nezha und der Himmelskönig – Ein Vater-Sohn-Drama entlang der Seidenstraße 文化背景:哪吒与天王――丝绸之路上的父子情仇
Tian Zhaoyuan 田兆元
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72
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Chinesisch als Fremdsprache: Meine Taiji-Lehrkurse am Konfuzius-Institut 国际中文教育:我在孔院教太极
Shang Ying 尚莹
Ohrwurm: »Wage zu fragen, wo es langgeht« –Der Weg beginnt unter deinen Füßen 耳虫:《敢问路在何方》――路在脚下
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Impressum 版权说明 81
High Five aus der Wüste
Als 2013 erstmals Bilder aus der Wüste Gobi mit »Buddhas Hand« im Internet auftauchten, entfachten sie wilde, fantasievolle Diskussionen über deren Herkunft und Bedeutung. Ist es ein Zeichen vergangener Zivilisationen, ein Symbol aus dem legendären Kung-Fu-Film »Buddha’s Palm« oder möglicherweise gar nicht auf der Erde aufgenommen? In der endlosen Weite der Grassteppe nahe Erenhot (二连 浩特 ) in der Inneren Mongolei formt sich die Hand in strengen Linien aus schwarzem Stein. 40 000 m² – etwa sechs Fußballfelder groß ist die Struktur, ein Mensch füllt nicht einmal die Fingerkuppe des kleinen Fingers. Trotzdem sind viele gekommen, die Touristenzahlen in der Region haben sich in der vergangenen Dekade vervierfacht. Insofern war das lokale Kunstprojekt der Stadt eine lohnende Investition. Ein Jahr lang wurde die Hand von einem Team lokaler Künstler und Künstlerinnen gebaut. Hunderte Laster brachten den schwarzen Basalt aus der Wüste Gobi. Manche sehen in ihr eines der berühmten Handzeichen Buddhas: das Abhaya Mudra. Diese Geste der Furchtlosigkeit steht für Schutz, Frieden und das Vertreiben von Angst. 当 2013 年“佛手”的照片第一次从戈壁沙漠传到网络上时, 立刻引发了人们对其来历与意义的各种奇思妙想。或许它是 远古文明遗留下的印记,是经典功夫片《如来神掌》的象征, 还是这根本就不是在地球上拍摄的?在内蒙古二连浩特辽 阔无垠的草原上,这只“手”以黑色岩石的冷峻线条庄严地 舒展开。它的规模宏大——足有四万平方米,相当于六个足 球场大小,当一个人伫立其中,连小指指尖的一点点空隙都 填不满。然而,它还是吸引了众多游客前来参观——过去十 年里,这一地区的游客数量增长了四倍。因此,这个地方性 的艺术项目成了一笔值得的投资。整整一年,这只“手”由一 个本地艺术家团队建造而成,数百辆卡车从戈壁运来了黑色 玄武岩。在许多人眼中,它更像是佛陀手印之一——施无畏 印。这种手势代表着无畏,寓意庇护、宁静,以及驱散恐惧。
WER IST DEINE HELDEN FIGUR AUS DEN CHINESISCHEN MYTHEN UND SAGEN?
Han Zhirong, 11 Jahre, Schüler aus Peking 韩知融,11岁,北京人,小学生
Meine Lieblingsf gur ist Nezha. Obwohl Nezha sehr frech ist und immer Quatsch macht, ist er auch sehr mutig und hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Bei meinen Klassenkameraden sind japanische und amerikanische Anime-Figuren wie Conan und Spider-Man sehr beliebt, aber in den letzten zwei Jahren sind viele großartige Animationsf lme mit Helden aus der chinesischen Mythologie erschienen, wie zum Beispiel »Ne Zha« und »Der Afenkönig Sun Wukong«. China hat also auch eigene Helden! Natürlich wünsche ich mir, dass auch für Nezha, Sun Wukong und so weiter Vergnügungsparks wie von Universal Studios gebaut werden, damit Kinder dort spielen können.
Die Figur aus der chinesischen Mythologie, die mich am meisten beeindruckt hat, ist wohl Yu Gong. Ich weiß nicht, ob er zu den legendären Figuren oder Helden zählt, aber als ich jung war, war die Erzählung von »Yu Gong versetzt Berge« ziemlich berühmt. Mao Zedong hatte einen Aufsatz zu dieser Fabel geschrieben, in dem er die Leute aufrief, von Yu Gong zu lernen, sich Ziele zu setzen und diese beharrlich zu verfolgen. Ich denke, er hat nicht nur für mich, sondern auch für unsere Nation eine positive Rolle gespielt.
Anmerkung: Yu Gong ist die Hauptfgur aus der alten Fabel »Yu Gong versetzt Berge«. Die Fabel erzählt von einem Greis, der entschlossen die Berge vor seinem Haus abträgt. Obwohl er dafür ausgelacht und als »Yu, der Verrückte« bezeichnet wird, besteht er darauf, dass seine Söhne und Enkel das Projekt erfolgreich zu Ende führen werden. Die Fabel symbolisiert Durchhaltekraft und wurde von Mao Zedong zitiert, um die Massen zu inspirieren.
Chen Yanjun, 67 Jahre, Rentner aus Zhangjiakou, Provinz Hebei 陈彦军,67岁,河北张家口人,退休职工
Text / 文 : Hu Yue 胡月 Fotos / 图 : Wei Yao 魏尧
Aus dem Chinesischen / 德文翻译 : Maja Linnemann 马雅
Liu Jia, 42 Jahre, Angestellte im Medienbereich aus Tangshan, Provinz Hebei 刘佳,42 岁,河北唐山人,媒体职员
Ich bin in einer ziemlich abgelegenen Gegend aufgewachsen und habe keine Kinderbücher lesen können. Dafür habe ich im Fernsehen die Serie »Reise in den Westen« gesehen, die immer in den Sommerferien ausgestrahlt wurde. Ich habe nie eine Folge ausgelassen. Wie viele aus meiner Generation der 1980er hatte ich Sun Wukong zu meinem Idol erkoren, wegen seiner besonderen Fähigkeiten und wegen seines Mutes, seine Ideale zu verfolgen. Aus Sicht einer Erwachsenen, und wenn man Sun Wukong im Umfeld der heutigen Arbeitswelt bewertet, weist sein Verhalten in Bezug auf Gesellschaft und Arbeit einige Mängel auf. Andererseits macht das die Figur komplexer.
Für mich ist Kuafu der romantischste unter den Helden der chinesischen Mythologie. Schon als kleiner Junge gefel mir die Geschichte von »Kuafu jagt die Sonne« besonders gut, auch wenn ich sie nicht ganz verstanden habe. Aber je älter ich wurde, desto mehr habe ich begonnen, die Beharrlichkeit zu schätzen, die in der Fabel zum Ausdruck kommt. Voller Herausforderungen beschreibt sie den Forscher- und Kampfgeist der Menschheit angesichts der Natur sowie Unbeugsamkeit gegenüber dem Schicksal.
Anmerkung: »Kuafu« ist ein Riese aus der chinesischen Mythologie, der sein Leben damit verbrachte, der Sonne hinterherzujagen, und dessen Körper sich nach seinem Tod in Berge und Flüsse verwandelte. Diese Geschichte verkörpert den Willen des Menschen, die Natur herauszufordern.
Huangfu Tieyuan, 41 Jahre, Angestellter in einem Staatsbetrieb aus Tieling, Provinz Liaoning 皇甫铁元,41岁,辽宁铁岭人,国企员工
Ren Minghao, 20 Jahre, Studentin aus Kunming, Provinz Yunnan 任明皓,20岁,云南昆明人,大学生
Meine Lieblingsf gur aus der chinesischen Mythologie ist Chang’e, wobei ich nicht weiß, ob sie als Heldin gilt. Viele mögen sie nicht, sagen, sie sei egoistisch, aber ich f nde, sie strebt nach Unabhängigkeit und will nicht das Anhängsel eines Mannes sein! Ich studiere Französisch und möchte meinen Master später in Frankreich machen. In mancher Hinsicht kommt es mir vor wie der Mondflug von Chang’e, wenn ich unabhängig meinen eigenen Idealen folge.
Anmerkung: In der chinesischen Mythologie ist Chang’e die Göttin des Mondes. Sie lebt dort allein im Mondpalast, weil sie einst das Elixier der Unsterblichkeit gestohlen hatte und damit zum Mond geflogen war. Ihre Geschichte wird oft mit dem Mittherbstfest in Verbindung gebracht und symbolisiert Einsamkeit und weibliche Unabhängigkeit.
Chinesische Mythen gestern und heute: Aus dem Altertum in die heutige
»Das
︽ 山 海
as »Buch der Berge und der Meere« (山海经 Shānhaˇijīng ) ist bei weitem das »pyrotechnischste« Werk des alten China: eine wahre Explosion von seltsamen Kreaturen und Legenden, welche Mythen-Liebhaber:innen nicht umgehen können. Geheimnis- und wundervoll wirft dieses Buch immer noch Fragen auf: Wer hat es geschrieben, und wann? Vermutlich von vielen Händen, in der langen Zeitspanne vom 4. bis zum 1. Jahrhundert v. u. Z. verfasst, stellt das Shanhaijing eine fantastische Kosmografe dar und ist gleichzeitig eine Sammlung der bekanntesten chinesischen Mythen.
SHANHAIJING , »DAS BUCH DER BERGE UND DER MEERE«
Das Besondere an diesem Werk ist außerdem seine Langlebigkeit und seine Präsenz außerhalb der verstaubten Bücherregale der Sinolog:innen. In seiner über zweitausend Jahre langen Geschichte, hat das Shanhaijing stets Literaten und Künstlerinnen inspiriert, wie den Lyriker Tao Yuanming 陶渊明 (365–427), der ihm eine Serie von Gedichten widmete, oder Lu Xun 鲁迅 , den bekanntesten chinesischen Intellektuellen des zwanzigsten Jahrhunderts. In seiner »Kurzen Geschichte der chinesischen Romandichtung« (unverändert seit 1930) stellt er die These auf, dass das Shanhaijing und andere mythische Werke die Anfänge der chinesischen Romandichtung darstellen.
Auch heute hört solch ein uraltes Werk nicht auf, seine Faszination in unterschiedlichen Formen auszuüben, wie seine Präsenz in der chinesischen Kinder- und Jugendliteratur, in Comics und auch noch im Theater und Film aufweist. Man könnte es sogar als Urahn aller japanischen Pokémons betrachten, dieses großen Pop-Phänomens, das die Welt erobert hat!
EIN KURZER BLICK
IN DEN AUFBAU: UND VON XINGXING BIS XIWANGMU
Die überlieferte Version des Shanhaijing teilt sich in achtzehn Kapitel, die wiederum in zwei Großsektionen eingruppiert sind. Der erste Teil, »Berge der fünf Zentralregionen« ( 五臧山经), stellt vor allem eine Orographie des alten China dar: Berge, Namen der Gipfel, ihre Entfernungen voneinander mit Meilenangaben, Flüsse, ihre Quellen und Mündungen, Produkte des Territoriums wie Metalle, Pflanzen und Tiere. Letztere verfügen über seltsame Eigenschaften, einige sind wahre Chimären mit Tier- und Menschmerkmalen, und kündigen häuf g Glück oder Unglück an: Dürre, Seuchen, Missernten, Krieg oder aber üppige Ernten, Frieden etc.
Von diesen Wunderwesen wird hier eine kleine Auswahl aus der Fauna des ersten Kapitels präsentiert:
— Ein Tier mit weißen Ohren, welches einem Afen ähnelt. Es läuft nach vorne gebückt, und geht wie ein Mensch. Sein Name ist 狌狌 xīngxing , wer von ihm isst, soll zu einer:m guten Läufer:in werden.
Seit über 2000 Jahren inspiriert das »Buch der Berge und Meere« zu fantasievollen Neuinterpretationen. Ausgabe des Shanhaijing aus dem 18. Jahrhundert.
— Dunkle Schildkröte, mit Vogelkopf und Schlangenschwanz. Ihr Name ist 旋龟 xuánguī und ihr Ruf soll dem Geräusch beim Holzspalten ähneln. Wer einen Teil davon am Gürtel trägt, könne Taubheit fernhalten. Sie sollen auch gegen Hornhaut wirken.
— Ein Tier mit Menschengestalt, aber mit Schweineborsten. Es soll in einer Höhle leben und Winterschlaf halten. Sein Name lautet 猾褢 huáhuái und seine Erscheinung würde großes Chaos im Umkreis bedeuten.
Die Kapitel sechs bis achtzehn stellen bekannte Mythen der chinesischen Tradition vor: Wie die Göttin Nüwa ( 女娲) den Himmel reparierte, wie Yu der Große (Da Yu 大禹) geboren wurde und die Flut besiegte, und viele andere. Unter diesen ikonischen Figuren, die jeder in China kennt, muss man die Königinmutter des Westens (Xiwangmu 西王母) besonders erwähnen, die sogar an drei Textstellen auftaucht, immer mit unterschiedlichen Merkmalen. In ihrer ältesten Beschreibung (in Kapitel 2) sieht sie aus wie eine Furie: Sie besitzt Tiermerkmale (Tigerzähne und Leopardenschwanz) und, nach einer Interpretation dieser obskuren Passage, herrscht sie über Seuchen und Katastrophen, womit sie die Menschheit bestraft. Der Tradition nach lebt sie in einer Höhle auf dem mythischen Berg Kunlun (昆仑山) und verfügt sogar über ein Elixier der Unsterblichkeit (ein Kraut oder ein Pf rsich). An einer anderen Stelle (Kapitel 12) erscheint sie sanfter und weiblicher, sie lehnt sich anmutig an einem niedrigen Tisch und wird von grünen Vögeln gefüttert. Diese zentrale Figur der chinesischen Mythologie, die ihre Bedeutung vor allem dem erwähnten »Medikament der Unsterblichkeit«
( 不死之药) verdankt, wird auch in anderen klassischen Quellen erwähnt, wo sie Könige empfängt oder besucht. In der »Geschichte von König Mu« ( 穆天子传), trefen sich zwei Majestäten am Jaspis Teich und unterhalten sich bei Wein und Gesang.
WEM WACHSEN DER MUND AUS DEM BAUCHNABEL UND DIE AUGEN AUS DEN BRUSTWARZEN?
Als Gegenstück zur Ehrfurcht einflößenden Königinmutter des Westens steht der hof nungslose Held Xingtian ( 刑天): Ein altchinesischer Don Quijote, der, anstatt gegen Windmühlen zu kämpfen, sich mit dem mächtigen Gelben Kaiser (Huangdi 黄帝) anlegt und den eigenen Kopf im Kampf verliert. Ihm wachsen der Mund aus dem Bauchnabel und die Augen aus den Brustwarzen; der kopflose Xingtian schwingt weiterhin Axt und Schild und veranstaltet einen Kriegstanz. Er ist der wahre Prototyp eines tragischen Helden, der den Niederschlag nicht akzeptiert und weiterkämpft, obwohl er am Ende doch sterben muss. Es ist kurios, wie die gleiche Figur auch in der westlichen Tradition anzutrefen ist; mittelalterliche Bestiarien und fantastische Kosmografen aus der Renaissance beschreiben die Erscheinung der Blemmyer auf identischer Weise (s. Sebastian Münster: »Cosmographia Universale«, 1575). Ob diese Mythen einen gemeinsamen Ursprung haben mögen, bleibt noch zu beweisen.
Interessante Parallelfiguren finden sich in der europäischen Weltbeschreibung »Cosmographia Universalis« Mitte des 16. Jahrhunderts.
Diese Gottheiten faszinieren die Menschen seit Jahrtausenden, weil sie unsere Tugenden und Makel verkörpern, ähnlich wie die berühmten griechischen Götter: Sie sind jähzornig oder gutmütig – und auch sie fürchten sich vor dem Tod. Der mythische Bogenschütze Yi ( 羿), der Ehepartner der Mondgöttin Chang’e ( 嫦娥 ), zum Beispiel, unternimmt eine gefährliche Reise bis zum Gipfel des Berges Kunlun, um sich das Medikament der Unsterblichkeit zu besorgen. Leben und Tod, Strafe oder Belohnung, das sind alles Themen, mit denen wir uns identif zieren können, und es sind spannende Geschichten zu erzählen, in unterschiedlicher Form.
Erstaunlicherweise schaffen die mythischen Figuren aus dem Shanhaijing mit Leichtigkeit den Sprung in die Gegenwart – wie im beliebten Animationsfilm »Goodbye Monster«. 令人惊叹的是,《山海经》中的神话角色竟能如此轻盈地跃入现代 时空——正如热门动画电影《再见怪兽》中所呈现的那样
2013 adaptierte der Regisseur Liang Zhimin 梁志民 das Shanhaijing als Rockmusical, basierend auf dem Theaterstück »Aus dem Buch der Berge und der Meere« (山海 经传 Shānhaˇijīng zhuàn). In diesem hat etwa die mythologische Figur der Königinmutter des Westens im Biker- Look einen starken Auftritt. Die Hand lung des 2022 erschienenen Animationsf lm »Shanhaijing : Good bye Monster« (山海经之再见怪 兽, Regie: Huang Jianming 黃健明) dreht sich um die Figur eines mythischen Arztes Namens Baize (白泽, »Weißer Teich«), der aber im überlieferten Text des Shanhaijing gar keine Rolle spielt – allerdings wird er von einigen der berühmten Figuren aus dem Shanhaijing begleitet, so ist der kopflose Kämpfer Xingtian Teil der Truppe. Der gute Baize begibt sich auf eine rettende Mission, um den bösen »Schwarzen Geist« zu besiegen. Der Film vermittelt ein Gefühl der Hof nung. Wie der Regisseur in einem Interview erklärt, soll der Film die Zuschauer:innen anregen, Schwierigkeiten mit Mut zu bewältigen – mit beachtlichem Publikumserfolg.
2016 fand in Paris, im Kaufhaus Le Bon Marché, eine große Ausstellung mit Figuren aus dem Shanhaijing in Riesengröße statt. Diese Figuren in konkrete Kunstwerke aus Holz und Seide umzuwandeln, ist eine andere Art, ihre Geschichten zu erzählen und ihr Erbe am Leben zu halten.
Es gibt unzählige beliebte, vom Shanhaijing inspirierte Kinderbücher, aber auch Publikationen für Erwachsene sind vorhanden, wie das Manga »Guideways through Mountains and Seas« (2011) vom Künstler Chen Moqian 陳陌阡, welches ebenfalls auf dem Shanhaijing zhuan basiert.
Auch der Künstler Chen Moqian wurde für sein Manga »Guideways through Mountains and Seas« vom chinesischen Mythenepos inspiriert.
同样地,艺术家陈陌阡在其漫画作品《山海经传》 的创作中,也汲取了中国神话史诗的灵感源泉
Zahlreiche Ausstellungen, Theaterstücke, Filme und andere Genres greifen das Shanhaijing auf und versetzen es in einen gegenwärtigen Kontext, konform oder nicht: Diese Mythen sind ein wichtiger Teil der chinesischen Identität, sie gehen über Grenzen hinaus und verbinden Menschen von chinesischer Abstammung in der ganzen Welt; mit Sicherheit haben alle als Kinder die eine oder andere Geschichte gehört. Das sind also Themen, die vereinen und die gesellschaftliche Kohäsion fördern. Ein Ende der Popularität des Shanhaijing und seiner Monster ist nicht absehbar – diese Figuren, in ihren seltsamen Erscheinungen, werden die nachfolgenden Generationen mit Sicherheit weiterhin inspirieren und unterhalten.
Was erzählen uns die Gottheiten? Das fragt auch das chinesische Wort für »Mythos«: 神话 shénhuà. Wörtlich bedeutet es »die Rede der Gottheiten« – zusammengesetzt aus 神 shén für Gottheit, göttlich, heilig und aus 话 huà für Rede.
Warum lesen wir Geschichten, wenn nicht als die Erweiterungen unserer Möglichkeiten? Und was sind Mythen anderes als Erklärungsversuche unserer Ursprünge? Mythologische Erzählungen aus China sind so vielfältig wie das Land selbst. Neben denen anderer ethnischer Minderheiten weisen auch die han-chinesischen Überlieferungen über die Jahrtausende hinweg ganz unterschiedliche Traditionslinien auf. Meist jedoch begegnen sie uns mit den folgenden Bestandteilen – hier in einer Auswahl zu Kernthemen über Ursprung und Ordnung.
Am Anfang war das Chaos, eine urzeitliche chaotische Formlosigkeit, deren Inhalt dem eines Hühnereis glich. Aus dieser Vorstellung heraus muss es wundersamerweise ein kosmisches Ei gegeben haben. In diesem wuchs das Urwesen Pangu heran, das sich, so sein Name wörtlich, in dem Fossil herumrollte. 18 000 Jahre lang wand er sich und wuchs und formte dabei Himmel und Erde. War es dann, war es zuvor, dass er sich einmal strecken wollte und damit die Eierschale zerbarst – woraufhin das Eiweiß zum Himmel und das Eigelb zur Erde wurden? Und Pangu selbst als große Stütze zwischen den beiden. Seine Meisterleistung vollbrachte er im Tode: Sein Körper wandelte sich ins Universum, sein Atem wurde der Wind, seine Stimme der Donner, sein linkes Auge die Sonne, das rechte der Mond, sein Leib bildete die vier Pole (die Erde ist wohl noch flach) und die fünf Hauptgebirge, sein Blut die Flüsse, seine Venen, sein Fleisch, Haar und Bart, seine Haut und Zähne und Knochen, sein Knochenmark, sein Schweiß – sie alle trugen zur Schaffung unserer Welt bei. Mancherorts ist gar zu lesen, dass die verschiedene Insekten auf seinem Körper auf den Wind reagierten und sich in Menschen verwandelten. Da das der nächsten Legende widerspricht, erzählen wir lieber diese …
Redewendung 成语 开天辟地 Kāi tiān pì dì Himmel und Erde trennen
Nüwa, die Große Urmutter der Menschheit. Während ein Gott auf der einen Seite der Erde Adam aus Staub erschuf und ihm sein Odem einhauchte, aus dessen Rippe Eva hervorholte und damit die Menschheit in Gang setzte, geht die chinesische Schöpfung der Menschen von Nüwa aus. Sie knetete ihre Kinder aus Lehm und brannte sie dann in einem Ofen halbgar bis knusprig. Ein weiterer Mythos zwang sie zur Himmelsreparatur. Wegen eines Streits zwischen Gonggong (共工 ), dem Geist des Wassers, und Zhurong ( 祝融 ), dem Geist des Feuers, herrschten Kämpfe in allen Regionen der (chinesischen) Welt – hier war bereits einiges los. Gonggong erwies sich als der Schwächere und rannte in seiner Verzweiflung mit seinem Schädel gegen den Berg Buzhou (不周山) im Nordwesten des Kunlun Gebirges. Buzhou, eine der vier Himmelsstützen, war zusammengestürzt und der Himmel hing schief. Um Erde, Himmel, ihre Menschen und das Gleichgewicht zu retten, sammelte Nüwa bunte Steine zusammen und flickte damit die Löcher der Himmelsdecke. Dazu hackte sie einer Riesenschildkröte ihre Pfoten ab, um sie als Pfeiler des Himmelsgewölbes an den vier Enden der Welt aufzurichten. Auch Schildkrötenstumpen scheinen unregelmäßig zu wachsen, jedenfalls wurde die südöstliche Säule niedriger als die anderen, weshalb die Flüsse Chinas alle gen Südosten fließen.
Huangdi gilt als mythohistorisch, also als Gott, der später historisiert wurde – seine Regentschaft wird ins 3. Jahrtausend vor unsere Zeitrechnung behauptet, manch einer Sage zufolge wurde er 300 Jahre alt. Er symbolisiert die Gelbe Erde und den Gelben Fluss: Er soll das Land vereint haben – Staat, Heer und Kunst. Zunächst aber musste er seine Vorherrschaft erkämpfen, seine Widersacher waren sein Bruder Yandi (炎帝), dessen Feuer er Wasser entgegensetzte; und der Kriegsgott Chiyou (蚩尤), der Drachen und Dämonen ins Feld schickte. Er
überwältigte das einbeinige Monster Kui ( 夔 ), mit dessen Haut als Trommel er die Welt beherrschte; und er bezwang die Vier Kaiser (四帝), die Oberhäupter der vier Himmelsrichtungen. Gewonnen hat er aber vor allem auf lange Sicht: Er gilt als Begründer der Schrift, der Landwirtschaft, der Medizin und der Astrologie, als Erfinder von allem, was man zum Leben braucht, Waffen, Brunnen, Kleidung und Häuser sowie das Fußballspiel und die Musik, und er wird als Ahne aller Chinesinnen und Chinesen betrachtet, zumindest der Han. Andere Legenden verehren die unterschiedlichsten Gottheiten für diese Erfindungen, doch er kann als zentralisierender Kulturträger verstanden werden. Als allegorische Figur steht Huangdi für Einheit, Kontinuität und kulturelle Identität.
In einem offeneren Verständnis von Mythen soll hier die buddhistische Göttin der Barmherzigkeit, Bodhisattva Avalokiteśvara, aufgenommen werden. Ihr Name steht für diejenige, »die die Klänge der Welt erhört« ( 观世音 ), seit der TangDynastie, mit Belegen im 9. Jahrhundert, ist sie in China in der Kurzform Guanyin und als weiblich bekannt. Ihre Attribute sind Mitgefühl, Schutz, Hilfe in Notlagen und Erlösung, und damit verkörpert sie den Idealzustand der Barmherzigkeit in vollendeter Form. In ihrer Fähigkeit, auf die Rufe der leidenden Wesen zu hören und ihnen zu helfen, wird sie als »Retterin der Welt« weithin verehrt und ist längst auch im Daoismus aufgegriffen. Häufig wird sie als anmutige weibliche Gestalt dargestellt, stehend oder sitzend auf einer Lotosblüte, oft mit Vase und Weidenzweig, manchmal mit tausend Armen oder mit elf Köpfen und zahlreichen Augen – damit sie all das Leid der Welt sehen und helfend eingreifen kann. In der »Reise in den Westen« ist sie etwa die Vermittlerin zwischen Buddha und den Pilgern und repräsentiert damit die Macht des Buddhismus. Bis heute wird sie in Tempeln und in alltäglichen Glaubenspraktiken angerufen – als tröstende, schützende Figur in Zeiten des Leids und der Hoffnung. Der wichtigste Pilgerort ihrer Verehrung findet sich auf der Insel Putuoshan.
shuıˇ yuè Guānyīn wörtlich: Guanyin von Wasser und Mond Bedeutung: Mitgefühl zeigen
verkörpert Yama das Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit: Keine Handlung bleibt ohne Konsequenz, kein Leben ohne Prüfung. Es ist also kein Zufall, dass sich eine heutige Hackergruppe nach ihm benannt hat: Yanluowang – ein moderner Richter über digitale Schattenreiche.
DER HERRSCHER
DER UNTERWELT:
幽冥主宰:
Wir haben das Ursprungschaos angesprochen; Mächte, gegen die angekämpft werden muss; dazu gelten Naturkatastrophen wie Dürren und Fluten als Anzeichen, dass irgendetwas nicht stimmt im Staate. Doch natürlich existiert auch in der chinesischen Vorstellung eine Unterwelt – und ihr Herrscher ist König Yanluo, in der Transkription aus dem Sanskrit auch Yama genannt, der Totengott, Richter über die Seelen und Symbol für das jenseitige Ordnungssystem. Doch herrscht er nicht nur über eine Hölle (地狱 ): Im buddhistischen Glauben durchläuft jeder Mensch nach dem Tode die Acht Höllen, bevor er den Weg zur Wiedergeburt aufnimmt. Traditionelle chinesische Jenseitsvorstellungen beschreiben gar zehn oder auch achtzehn Ebenen dieses Reichs der Toten als einen unterirdischen Irrgarten und Gerichtshof. Und König Yama waltet über das Gesetz von Ursache und Wirkung. Dem zyklischen Weltbild von Licht und Dunkel entsprechend,
命丧黄泉 mìng sàng huángquán das Leben an die Gelben Quellen (das Totenreich) verlieren
YAMA 阎罗王
玄 之 又 玄
道 家 哲 学 的 神 话 根 源
Mythologische Wurzeln der daoistischen Philosophie
Wo das Tiefe am tiefsten ist
Text / 文 : Viktor Kalinke 开临可 Aus dem Deutschen / 中文翻译 : Wang Pan 王盼
en Anspruch, ein Stück die Pforte zu dem zu öf nen, »wo das Tiefe am tiefsten ist«, verheißt das berühmte Daode jing ( 道德经) am Ende des ersten Kapitels dem Leser und der Leserin. Wenn wir über daoistische Philosophie reden, kommen zuerst die Namen ihrer beiden wichtigsten Verfechter in den Sinn: Laozi und Zhuangzi. Aus dem Blick gerät schnell, dass ihre beiden Kernbegrife – 道 dào und 德 dé , häuf g behelfsweise übersetzt etwa mit »Weg« und »Tugend« – kosmologisch und mythologisch eingeordnet sind in einen fließenden Zusammenhang, der Himmel, Erde und Mensch vertikal durchdringt und die Grundlage bildet für die Dialektik von Yin und Yang, Glück und Unglück, Nichtstun und Geschäftigkeit, Entstehen und Vergehen. So heißt es im ersten Kapitel des Huainanzi (淮南子):
In tiefer Urzeit empf ngen zwei Kräfte (oder Herrscher) die Macht des Dao und rückten ins Zentrum allen Geschehens.
Das Werk »Meister Huainan« ( 淮南子 Huáinánzı ˇ ), 139 v. u. Z. unter dem Patronat von Liu An 刘安 dem Thron eingereicht, entwickelt in Sprachbildern und Mythologie eine utopische Ordnung der Natur im Einklang zwischen dem weisen Herrscher ( 圣人), dem Kosmos und der Fünf-Elemente-Lehre (五行学说).
Laozi und Zhuangzi, die wichtigsten daoistischen Denker Chinas, sind sich nie begegnet. Laozi soll im 6. Jahrhundert v. u. Z. gelebt haben und Zhuangzi entwickelte dessen Lehren rund 200 Jahre später weiter.
Den mythologischen Erklärungen der Entstehung der chinesischen Welt gemeinsam ist die Vorstellung, dass im Anfang Chaos herrschte. Im Buch »Zhuangzi« trägt das urzeitliche Chaos den Namen Hundun (混沌), der Bedeutung nach trüb, vermengt, unklar, wirr – Hundun erscheint als buntes Durcheinander. Manchmal wird es als kopfloses Wesen mit sechs Beinen und vier Flügeln dargestellt. Doch bereits Kaiser Jianwen (简文, reg. 550–551) schrieb ihm laut Lu Deming (陆德明, 550–630) die Qualitäten der Einheit und der Harmonie als Resultat des Handelns durch Nichthandeln oder absichtslosen Handelns ( 无为) zu.
Nach einem Mythos bildete sich aus dem ursprünglichen Chaos ein riesiges Ei, in dem mit Eiweiß und Eigelb zwei Entitäten, Yin und Yang, angelegt waren. Ihm entschlüpfte Pangu ( 盘古, s. Steckbriefe S. 15), der mit einer befreienden Bewegung die Schale zerbrach, sodass Eiweiß und Dotter herausflossen: Himmel und Erde trennten sich voneinander. Als dann Nüwa ( 女娲) das Spielfeld betrat, die Menschheit schuf und den Himmel reparierte (s. Steckbriefe S. 16) – stellten sie und ihr Bruder, Fuxi (伏羲 ), nichts anderes dar als die menschlichen Gestalten von Yin und Yang.
Tatsächlich schufen Nüwa und Fuxi die Ordnung in der Welt, indem sie dem Dao und seiner Wirkkraft De folgten. Nüwas schiefe Aufrichtung des Himmels verkörpert das mythologische Fundament der Philosophien Laozis und Zhuangzis und ist ein beliebtes Motiv in der altchinesischen Kunst: Aus Unvollkommenheit erwächst Beständigkeit.
Hundun (混沌), das kopflose Chaos, steht in der chinesischen Mythologie als Sinnbild für die Welt vor der Trennung von Himmel und Erde als ursprüngliche Einheit jenseits aller Gegensätze und Bewer tungen. Hier koloriert nach dem »Buch der Berge und der Meere« (山海经 Shānhaˇijīng).
Heute wird Laozi von maßgeblichen Gelehrten als der erste originäre Philosoph Chinas angesehen. Welcher Platz gebührt diesem Weisen zufolge dem Menschen im Universum? In den Augen Laozis genießt der Mensch keine bevorzugte Stellung in der Natur. In Zeiten von Naturkatastrophen erkannte Laozi in der Natur das Primat (»Laozi«: 5). Die mythischen Heldinnen und Helden des Altertums versuchten, das Gleichgewicht der Kräfte wie derherzustellen, doch es gelang ihnen nicht vollkommen. Diese Unvollkommenheit ist die Welt, die wir vorf nden – mit den Worten von Gottfried
Wilhelm Leibniz, einem frühen Bewunderer der Grundlagen des chinesischen Denkens: die beste aller möglichen Welten.
Das Werk »Laozi« (老子 La ˇ oz ı ˇ , auch der »Klassiker des Weges und der Tugendkräfte«, 道德经 Dàodé jīng) gilt als Grundschrift des Daoismus und entstand vermutlich zu Beginn des 3. Jahrhunderts v. u. Z.
Zhuangzis Begriff der natürlichen Bestimmung
Nüwas und Fuxis Erkennungszeichen waren Zirkel und Winkelmaß – Zhuangzi sah darin Symbole der Zivilisation und Künstlichkeit, der Entfremdung des Menschen von der ursprünglichen Natur. Die Erfndung von Ackerbau, Viehzucht, Landbesitz, Winkelmaß, Zirkel und Fünf-Ton-Musik sei demnach nicht durchweg positiv zu bewerten.
So f nden wir bei Zhuangzi den wichtigen Begrif der »natürlichen Bestimmung« (性命), die zu erkennen und der zu folgen die Selbstwerdung der Lebewesen ausmacht. Darin steckt der Keim der Selbstentfaltung. Sie ist für jedes Lebewesen an spezif sche Voraussetzungen gebunden. Zhuangzi traut dem Menschen die Fähigkeit zu, seine individuelle Bestimmung zu erkennen und sie zu berücksichtigen, also ein Bewusstsein für sich selbst zu entwickeln. Und darüber hinaus: Wer den Kontakt zu seiner natürlichen Bestimmung bewahrt, erkennt daran auch das Glück anderer Lebewesen, sich ihrer Natur entsprechend entfalten zu können:
Die Verbindung der göttlichen Wesen Nüwa und Fuxi symbolisiert die Vereinigung von Yin und Yang, von Himmel und Erde, von Ordnung und Schöpfung.
女娲与伏羲这两位神祇的交合,象征着阴阳二气的交 融、天地秩序的贯通,以及宇宙法则与创世伟力的统一
»Meines Erachtens hat Begabung nichts mit dem zu tun, was Menschlichkeit und Rechtschaffenheit genannt wird, sondern mit der Begabung, seine Lebenskraft zu entfalten, und damit genug.« (»Zhuangzi«: 8.3)
Zhuangzi spricht vom Eintreten in die Nutzlosigkeit, gleichsam ins Grenzenlose, in die Freiheit vom Zwang, nützlich für andere sein zu müssen. »Alle kennen den Nutzen des Nützlichen, aber keiner kennt den Nutzen des Nutzlosen.«, heißt es in »Zhuangzi« (4.9). Das ist ein Gedanke, der wirklich überrascht. Wohin dagegen gutgemeinte, fortschrittliche Maßnahmen führen können, die an vermeintlichen Normen und Standards, was gesund und normal sei, orientiert sind, schildert Zhuangzi in der berühmten Allegorie von Hundun, dem kopflosen Fabelwesen, das das Chaos verkörpert: Sie beschreibt nicht nur den Aufstieg der Ordnung und Zivilisation, der den Tod von Hundun voraussetzt, sondern auch den Verlust an ursprünglicher Natürlichkeit und Friedfertigkeit.
Damit schließt sich der Kreis. Zhuangzi betrachtet den Menschen nicht bloß als Kopf auf zwei Beinen. Seine Lebenskunst ist ganzheitliche Praxis: Erst im Handeln zeigt sich, ob es der Mensch tatsächlich versteht, der Natur zu folgen, das heißt sich dem natürlichen Prozess anzuvertrauen und den selbstgerechten Wunsch, die Kontrolle auszuüben, fallen zu lassen.
Viktor Kalinke studierte Psychologie und Mathematik in Dresden, Leipzig und Peking, lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Leipzig – zwei seiner Übersetzungen f nden Sie in den Lektüreempfehlungen.
Sie können den Autor am 29.10. live am Konfuzius-Institut Leipzig treffen. Anhand von Textbeispielen aus den Büchern »Laozi« und »Zhuangzi« gibt Viktor Kalinke ein lebendiges Bild, in welcher Form den übersetzerischen Herausforderungen begegnet werden kann. Im Kontrast dazu schildert er die Besonderheiten eines rund tausend Jahre jüngeren Textes, des Kapitels »Fangnei« aus dem berühmten Ishinpo, einem japanischen Medizin-Kompendium des 10. Jahrhunderts, das auf chinesischen Quellen basiert. Es beschreibt altchinesische Konzepte der körperlichen Liebe und enthält zahlreiche anatomische Begriffe, für die es in der deutschen Sprache keine Entsprechung gibt.
开临可曾在德累斯顿、莱比锡和北京学习心理学与数学,现居莱比锡, 从事写作与翻译工作。
Lektüreempfehlungen
Anne Birrell: Chinesische Mythen. Stuttgart: Reclam 2002.
安妮·比瑞尔《中国神话》, 斯图加特:雷克拉姆出版社 2002 年德文版
Yang Lihui und An Deming: Handbook of Chinese Mythology.
New York: Oxford University Press 2005. 杨利慧、安德明《中国神话手册》, 纽约:牛津大学出版社 2005 年英文版
Viktor Kalinke (Hg.): Laozi: Daodejing. Gesamttext und Materialien.
Leipzig: Leipziger Literaturverlag 2022.
开临可编译《老子道德经全本及研究资料》, 莱比锡:莱比锡文学出版社 2022 年德文版
Zhuangzi: Das Buch der daoistischen Weisheit. Gesamttext, aus dem Chinesischen von Viktor Kalinke. Stuttgart: Reclam 2019.
开临可译《庄子:道家智慧全书》, 斯图加特:雷克拉姆出版社 2019 年德文版
推
Auf den Spuren von »Black Myth: Wukong«
Historische Architektur in Shanxi entdecken
跟 着 ︽ 黑 神 话 ︰ 悟 空 ︾ 打 卡 山 西 古 建 筑
Als »Black Myth: Wukong« mit seiner atemberaubenden östlichen Ästhetik die globale Gaming-Welt begeisterte, waren die spektakulären antiken Architekturszenen keineswegs reine Fantasie. Die meisten von ihnen stammen aus Shanxi – dem »Schatzhaus der alten chinesischen Baukunst«. Hier sind noch heute echte architektonische Wunder erhalten, die sogar die Spielwelt übertreffen: jahrtausendealte lächelnde BuddhaStatuen; schwebende farbenprächtige Skulpturen aus der Ming-Dynastie; Holztempel, die die Baugeheimnisse der Tang-Dynastie bewahren und Pagoden, die vor über tausend Jahren ohne einen einzigen Nagel erbaut wurden und die Zeit unbeschadet überdauert haben. Folgen wir den Spuren von Wukong und entdecken wir die legendären Geschichten hinter diesen historischen Bauwerken!
Text / 文 : A Li 阿离 Aus dem Chinesischen / 德文翻译 : Thomas Zimmer 司马涛
Die
Grotten von Yungang:
Tausendjähriges Lächeln in Stein
Kennen Sie die beeindruckende Szene unter der Brücke im Spiel »Black Myth: Wukong«? Die majestätischen buddhistischen Skulpturen haben ihr Vorbild in den Statuen der Yungang-Grotten. Dieses »Buddhistische Königreich in Stein« beherbergt Chinas älteste »Lächelnde Götterelite«.
Im Jahr 460 u. Z. ordnete Kaiser Wencheng der Nördlichen Wei-Dynastie an, am südlichen Fuß des Wuzhou-Berges in Datong, Shanxi, Grotten in den Fels zu treiben. Unter der Leitung des Mönchs Tanyao entstanden fünf gewaltige Buddha-Höhlen – der Beginn der Yungang-Grotten. Die »Fünf Höhlen des Tanyao« bargen ein Geheimnis: Die Gesichter der BuddhaStatuen trugen die Züge der Kaiser der Nördlichen Wei-Dynastie. Das entsprach der damaligen politischen Vorstellung, die lautete: »Der Kaiser ist der Buddha«. Demzufolge war der Kaiser nicht nur ein irdischer Herrscher, sondern eine inkarnierte Manifestation des Buddha.
Im Wandel der Jahrhunderte sind 45 Hauptgrotten bis heute erhalten geblieben, dazu über 1100 kunstvolle Nischen und mehr als 59 000 buddhistische Figuren. Zusammen mit den Mogao-Grotten in Dunhuang und den Longmen-Grotten in Luoyang zählen die YungangGrotten zu den »Drei Großen Grotten Chinas«.
Allerdings weisen die Yungang-Grotten im Vergleich zu den beiden anderen großen Grotten deutliche eigene Merkmale auf. Wenn man sagt, dass die Dun -
huang-Grotten stark von Motiven aus Musik und Tanz geprägt sind und die Longmen-Grotten durch ihre majestätische und würdevolle Erscheinung, so sind die Buddha-Statuen der Yungang-Grotten meist mit einem Lächeln dargestellt: Der große, freistehende Buddha in Höhle 20 mit seinen leicht erhobenen Mundwinkeln wirkt wie ein weiser Mensch, der das Leben durchschaut hat; die »buddhistische Gottheit mit gefalteten Händen und lächelndem Gesicht« in Höhle 8 zeigt sogar ein Grübchen und erinnert an ein »süßes Mädchen der Nördlichen Wei-Dynastie«. Und dann gibt es noch die »östliche Venus« an der Außenwand von Höhle 5, deren geheimnisvolles, flüchtiges Lächeln das der Mona Lisa um tausend Jahre vorwegnimmt. Diese von irdischer Lebensfreude erfüllten Kunstwerke gelten als klassische Meisterwerke der buddhistischen Bildhauerkunst im alten China.
Die Skulpturenkunst der Yungang-Grotten vereint auf perfekte Weise die ästhetischen Vorstellungen des zentralchinesischen Kernlands mit dem Stil der westlichen Regionen. Die Buddha-Statuen hier besitzen nicht nur die markanten, plastischen Nasen griechischer Figurenskulpturen, sondern auch die elegant fließenden Gewandfalten der traditionellen zentralchinesischen Kunst. Sogar persisch inspirierte Flammenmuster sind zu f nden.
Man kann nicht umhin, die Handwerker der Nördlichen Wei-Dynastie zu bewundern. Mit ihren Meißeln brachten sie es nicht nur zustande, dem kalten, harten Gestein Töne eines warmen Lächelns zu verleihen, sondern sie beherrschten auch gekonnt die kulturelle Stilmischung.
Kennen Sie den klassischen Satz des Gelben Augenbrauen-Patriarchen aus dem Spiel: »Da ihr die Zukunft schon seht, warum verbeugt ihr euch nicht?« Nachdem dieser Satz viral ging, wurde schnell der Drehort dieser Szene bekannt –Xiaoxitian im Kreis Xi in der Provinz
Shanxi. Dieser Ming-zeitliche Tempel, dessen Fläche nur etwa zwei Basketballfeldern entspricht, hat mit seinen wandfüllenden Hängeskulpturen ein »schwebendes Buddha-Reich« geschaffen, das die Gesetze der Schwerkraft zu brechen scheint.
Am bekanntesten in Xiaoxitian sind die hängenden Skulpturen in der Haupthalle, der »Halle des Großen Helden«. Ohne Stahlbeton und moderne Maschinen wie Kräne schufen die Handwerker der Ming-Dynastie
dieses Wunderwerk allein mit Holz, Stroh und Lehm. Sie schlugen zunächst Gerüste in die Wände und modellierten dann in schwindelerregender Höhe freihändig schwebende Gewänder, göttliche Vögel mit ausgebreiteten Schwingen, Miniaturpaläste und sogar musizierende fliegende Apsaras, das heißt himmlische Tänzerinnen.
Wenn man die Hallentür öf net, erblickt man Folgendes: fünf majestätische Buddhastatuen, umgeben von über 3000 farbenprächtigen Skulpturen – darunter drei Meter hohe Himmelskönige, nur daumengroße
大雄 dàxióng , Großer Held, ist ein Ehrentitel für den historischen Buddha Shakyamuni ( 释迦牟尼), weil er durch Weisheit und Mitgefühl die Welt erlöst.
fliegende Apsaras, bunte Pfauen und sich schlängelnde Glückswolken. Blickt man nach oben, erscheint das gesamte Dach wie ein »dreidimensionales Buddha-Reich«. Noch erstaunlicher ist, dass diese farbigen Skulpturen mit natürlichen Mineralpigmenten bemalt wurden und auch nach vierhundert Jahren noch so lebendig leuchten wie eh und je.
Der Foguang-Tempel: Die »Muskelspiele« der Tang-Architektur
Der geheimnisvolle Steinstūpa aus »Black Myth: Wukong« hat sein architektonisches Vorbild im FoguangTempel, versteckt in den Tiefen des Wutai-Gebirges in Shanxi. Dieser besterhaltene Holzbau aus der TangZeit in China bewahrt die reinsten Merkmale der TangArchitektur.
Stūpa: Ein buddhistisches Bauwerk, meist eine Kuppel- oder Hügelstruktur, die Reliquien des Buddha oder wichtiger Mönche beherbergt.
1937 fanden die Eheleute Liang Sicheng und Lin Huiyin den Foguang-Tempel nach gefährlicher Suche, inspiriert durch die Hinweise in Dunhuang-Malereien »Karte des Wutai-Gebirges«. Als sie die gewaltigen Dougong-
Konsolen (Stützbalken) der Osthalle mit ihrem Durchmesser von 1,2 Metern sahen, erkannten sie sofort: Dies war eine seit tausend Jahren verloren geglaubte Holzkonstruktion der Tang-Zeit! Diese Entdeckung widerlegte die damalige Behauptung, dass es in China keine originalen Holzbauten aus der Tang-Dynastie mehr gebe.
Der Foguang-Tempel gilt als ein Meisterwerk der »Kraftästhetik« der Tang-Architektur. Die Dachkonsolen der Osthalle sind keine bloßen Verzierungen, sondern wahre »Kraftträger«. Der Teil des Dachvorsprungs, der über das Tragwerk hinausragt, misst fast vier Meter, und der Querschnitt der Konsolen ist zehnmal so groß wie bei Gebäuden aus der späten Qing-Dynastie. Aus der
Ferne betrachtet, wirkt die große Halle wie ein riesiger Adler mit ausgebreiteten Schwingen. Gerade diese Konstruktion hat es ermöglicht, dass der Tempel über tausend Jahre Naturkatastrophen unbeschadet überstanden hat und bis heute in perfektem Zustand steht.
Aus der Sicht von Liang Sicheng vereint die Osthalle des Foguang-Tempels die »vier Meisterwerke« der Kunst der Tang-Dynastie: eine perfekte Holzkonstruktion, 35 farbenprächtige Skulpturen im Tang-Stil, Wandmalereien aus der Tang-Zeit in den Zwickeln, die den Stil des »Heiligen der Malerei« Wu Daozi widerspiegeln, sowie Bauinschriften unter den Dachbalken. Erst wenn man vor der Halle steht, kann man das sogenannte »Flair der Blütezeit der Tang-Dynastie« wirklich spüren.
Ein tausendjähriges Meisterwerk der Zapfenverbindung
Wen der achteckige Holzturm im Spiel bereits die Knie weich werden lässt, den wird seine reale Version südlich von Datong umso mehr beeindrucken! Die 67 Meter hohe Holzpagode von Yingxian – ein Bauwerk, das ohne einen einzigen Nagel, allein durch präzise Zapfenverbindungen zusammengehalten wird, ist wahrhaftig der »Superheld der Holzkonstruktion«.
Im Jahr 1056 errichteten Handwerker der LiaoDynastie diesen gigantischen Turm mit über 2600 Tonnen Holz. Aus der Ferne scheint er nur fünf Stockwerke zu haben, doch sobald man eintritt, entdeckt man versteckte Zwischenebenen, die sich jeweils zwischen zwei sichtbaren Etagen bef nden – tatsächlich besteht der Holzturm also aus neun Ebenen. Jede Ebene beherbergt Buddha-Statuen, doch am beeindruckendsten ist eine 11 Meter hohe Statue von Shakyamuni Buddha im Erdgeschoss.
Am erstaunlichsten an der Holzpagode von Yingxian ist seine »Überlebensfähigkeit«. Seit fast tausend Jahren hat der Turm zahlreiche Erdbeben überstanden und sogar den Beschuss durch Artilleriefeuer im Jahr 1926 unbeschadet überlebt. Der Turm verwendet 54 Arten von Dougong-Konsolen. Wenn starke Winde oder Erdbeben auftreten, bewegen sich diese Holzkonstruktionen wie in einem Tanz und absorbieren geschickt die Erschütterungen. Aufgrund dieser fortschrittlichen erdbebentechnischen Konzepte werden die Holzpagode von Yingxian, der Schiefe Turm von Pisa und der Eiffelturm gemeinsam als ›drei außergewöhnlichste Türme der Welt‹ bezeichnet.
Die nordchinesische Holzpagode von Yingxian wurde 2016 als die älteste Holzpagode der Welt ins Guinness-Buch der Weltrekorde aufgenommen.
Von den lächelnden Statuen der Nördlichen Wei-Dynastie bis zu den hängenden Skulpturen der Ming-Zeit, von den Dachkonsolen der Tang-Dynastie bis zu den Holzverbindungen der Liao-Zeit – diese authentischen antiken Bauwerke haben schon viel früher als jedes Videospiel atemberaubende östliche Fantasiewelten erschafen. Während wir in Spielen »dem Schicksal ins Auge blicken«, lohnt es sich, nach Shanxi zu reisen und diese realen »epischen Dungeons« selbst zu erleben.
→ Siehe für das Videospiel »Black Myth: Wukong« auch den Artikel »Ein Gigant nimmt Anlauf – Vom Aufstieg der Gaming-Industrie in China« in unserer Ausgabe »Spielen«, Nr. 3, 2025.
Auf der 19. Biennale in Venedig stellte der Chinesische Pavillon unter dem Motto »CO-EXIST« zwölf bedeutende Kunstwerke aus, darunter auch eine multimediale Installation von Atelier Alter Architects: »Dunhuang Con-stella-tion« untersucht die fundamentale Frage nach der gegenseitigen Abhängigkeit und dem harmonischen Zusammenleben unterschiedlicher Zivilisationen.
Im Jahr 366 wurden die Mogao-Grotten von Dunhuang in die Sandsteinfelsen am östlichen Fuße des Mingsha-Berges geschlagen. Die wohl repräsentativste Grotte Nr. 285 dieses buddhistischen Höhlentempels stammt aus der Zeit der Westlichen Wei-Dynastie (535–557). Sie gilt als Inbegrif der Vereinigung alter Zivilisationen: Griechische Bildhauerkunst, persische Ornamente, indisch- buddhistische Bildwelten und traditionelle chinesische Ästhetik verschmelzen hier zu einer perfekten Einheit. Wie das innerste Herz eines Sterns, eingebettet in Raum und Zeit erglänzt dieses Bild als ein Ganzes und sendet seine leuchtenden Strahlen in alle Richtungen aus.
Hier stehen indische Lotosthrone in engster Verbindung mit persischen Fischschuppenmustern; sogdische Gottheiten und Apsaras tanzen gemeinsam über denselben Himmel. Schriftzeichen des Sanskrit, Sassanidischen und Chinesischen teilen sich die Schriftrollen, nur ein Flüstern im Wind, still wie Sterne. Die Kuppel der Grotte Nr. 285 gleicht einem Spiegelbild des Universums. Sie ist ein geistiger Raum, gebaut aus der Resonanz von Gottheiten, Glaube und Rhythmus, geschafen aus Farbe und Linien, ist es Wandmalerei und zugleich auch eine Sternenkarte.
Der »Sternenatlas von Dunhuang« stammt aus der Zeit der Tang-Dynastie (618–907) und zeigt mit verblüfender astronomischer Genauigkeit die Himmelserscheinungen über Chang’an – es ist die bildhafte Darstellung einer Datensammlung früher chinesischer Kosmologie. Diese Fusion verschiedener Kulturen in den MogaoGrotten von Dunhuang korrespondiert mit unserem heutigen topologischen Verständnis eines nicht linearen Universums. Davon ausgehend entstand unter künst lerischer Hand ein Atlas der kulturellen Begegnungen: Aus vier Sternennebeln, die in Dunhuang aufeinandertrefen – buddhistische Kontemplation, sogdische Handelswege, persisches Schattenspiel und griechische Pose – lässt sich eine fluide Bibliothek der Zivilisationen errichten.
Mit einer Ausstellungsfläche von 12 × 8 × 6,5 Metern übersetzt die Installation »Dunhuang Con-stella-tion« des Ateliers Alter Architects den »Sternenatlas von Dun huang« in eine dreidimensionale Kunstsprache: Moderne Materialien wie Metallsphären, Netze und bunte Acrylplatten formen ein abstraktes System von Sternennebeln. Fünf große Sternbilder steigen so am Nordhimmel empor, durchdrungen von Sternenstaub, sind sie Farbpigmenten gleich, die von den Pinseln der Kunsthandwerker:innen in Dunhuang rieseln. Damit greift dieses Werk den Gedanken architektonischer Konstellation und Vernetzung der venezianischen Biennale auf und weckt in der jahrtausendelangen Stille um Dunhuang das Echo seiner Kunsttradition.
In dieser topologischen Komposition trif t Etrurien wie durch Zufall auf die Sternbilder des Orients und die daraus entstehenden Augenblicke der Resonanz
überschreiten Zeit, Raum und Kultur. Auf eindringliche Weise verdeutlicht das Werk, was hinter der wahren Verschmelzung von Zivilisationen steht: kein bloßes Nebeneinander von Stilen, sondern schöpferische Transformation und Neugestaltung kultureller Gene im langen Strom unserer Geschichte. So wie die Darstellung von Menschen ferner Länder in den Wandgemälden nach und nach auch Züge der Einheimischen annahm, oder auch wie der Einfluss der Verbreitung buddhistischer Schriften auf die sogdische Sprache, so ist jede einzelne Kollision kulturellen Sternenstaubs die Geburt einer neuen Karte im Atlas der Zivilisationen.
Im Aufeinandertrefen der Mobilität des Digitalzeitalters mit der Ofenheit der Kunst von Dunhuang ofenbart sich auch das tiefere Geheimnis menschlicher Zivilisation: Der wahre Sinn kultureller Überlieferung liegt nicht darin, sich an die Ursprünge zu klammern, sondern vielmehr in beständiger Begegnung, Vereinigung und Erneuerung. Mit seinem einzigartigen Formenvokabular öf net »Dunhuang Con-stella-tion« dem zeitgenössischen Publikum einen neuen Blick auf den Austausch und den Dialog der Kulturen.
Fotografie: Demone, Mint, Atelier Alter, Li Chunchao, Suhenda Demir
Wuxia: Im Kampf für Gerechtigkeit und gegen Unterdrückung
Cao
Cao:
»Wer die Kunst fördert, dem gehören die Herzen
der Menschen«
iegessicher und hochfahrend richtet sich Cao Cao mit diesen Worten in einem Gedicht anlässlich eines prunkvollen Banketts feierlich an seine Untertanen. Er, der charismatische Kanzler und glorreiche Feldherr, ist mit einem gewaltigen Truppenkontigent an Soldaten, Reitern und Schifen nach Süden gezogen, um die verbliebenen Widersacher seiner himmelhohen Ambitionen in einem letzten entscheidenden Waffengang zu unterwerfen. In dieser Nacht wartet am anderen Ufer die zahlenmäßig deutlich unterlegene Heldenschar der Geschichte auf den unvermeidlichen Beginn dieser schicksalsbestimmenden Schlacht: Liu Bei, Guan Yu, Zhang Fei, Zhuge Liang und Sun Quan. Über das Wasser hinweg vernehmen sie den Jubel der Soldaten, die Cao Caos formvollendeten Selbstinszenierung gebannt folgen und sich von den silberzüngigen Zeilen seiner kunstvollen, tiefgründigen, mitnichten unaufrichtigen Poesie mitreißen lassen. Ein durch und durch von sich selbst überzeugter Tyrann, der um die Macht der Inszenierung und der
Worte weiß – während er nur wenige Stunden zuvor kaltblütig und kalkulierend die Todesopfer einer unter seinen Soldaten grassierenden Typhusfeber-Epidemie pietätlos auf Booten über das Gewässer ins Lager seiner Feinde geschickt hat, um ihrer Moral einen erheblichen Schlag zu versetzen. Unterdessen er und seine Männer nun ausgelassen feiern, kümmern sich Liu Beis und Sun Quans Leute aufopferungsvoll und respektvoll um die Bestattung der gegnerischen Soldaten.
Auf der einen Seite steht der übermächtige Despot, dem keine Hinterlist zu niederträchtig, keine Taktik zu grausam und manipulativ ist, um sein Machstreben zu verwirklichen. Auf der anderen Seite sehen wir die sich und ihren Idealen unerschütterlich verpflichteten Recken, die unter großen Opfern bereit sind, für die gerechte Sache einzutreten und den Schwachen und Hilflosen beizustehen. Bei John Woo sind Liu Bei, seine Schwurbrüder, Zhuge Liang und selbst Cao Cao als kontrastierender Antagonist in der Tat f lmische Repräsentationen der reinsten Gewandung des Wuxia-
Mythos ihrer literarischen Vorbilder. Auf der Seite der Helden sind es überragende Kämpfer, die ganze Bataillone im Alleingang aufmischen, derweil sie abseits des Schlachtfelds die edelste Gesinnung zur Schau tragen. In ihren Taten und mehr noch in ihrem Gebaren sind sie wie in kaum einer zweiten Adaption von Luo Guanzhongs Klassiker »Die Geschichte der Drei Reiche« (von 1522) den Idealen der Wuxia-Heroen verpflichtet. Demgegenüber gibt Cao Cao den zwar kultivierten, führungsstarken Antagonisten, der trotz alledem verabscheuungswürdig in seiner Machtversessenheit und Skrupellosigkeit erscheint und ohne den Hauch des Respekts vor 武德 wu ˇ dé, den kämpferischen Tugenden eines Xia, agiert.
Woos Plädoyer richtet sich gegen Tyrannentum. Seine Helden und Heldinnen kämpfen nicht allein gegen Cao Cao, sie verteidigen die Menschlichkeit gegen das Despotische und Spalterische. Der künstlerische Rückgrif auf das Gerüst des Wuxia-Mythos kommt daher nicht von ungefähr – so, wie der Dichter Cao Cao die Macht der Worte nutzt, nutzt der Regisseur Woo die mythischen, pathetischen Qualitäten des Genres und die Poesie des bildgewaltigen Kinos, um über die Herzen seiner Zuschauenden zu regieren, um sie zu berühren und aufzurütteln.
Die Genrebezeichnung Wuxia
So etwa für 武侠小说 wu ˇ xiá xia ˇ oshuō und 武侠片 wuˇxiá piàn , für Ritter- und Abenteuerromane und -filme –kam in den 1920er Jahren über Japan zurück nach China. Als Genre existiert Wuxia unter anderen Gattungsbegrifen seit der Zeit der Streitenden Reiche (476–221 v. u. Z.), die neue Bezeichnung etablierte sich erst im 20. Jahrhundert vor allem durch moderne Wuxia-Romane und -Filme. Die legendären Helden und Heldinnen sind die Xia, 侠 xiá , manchmal auch Youxia, 游侠 yóuxiá , wandernde Ritter, genannt.
Wuxia – 武 wuˇ : kriegerisch, kämpferisch, 侠 xiá : ritterlich, tugendhaft – greift konfuzianische, daoistische und buddhistische Einflüsse auf und kam während der Tang-Zeit (618–907) in den 传奇 chuánqí , den »überlieferten Merkwürdigkeiten«, zu einer ersten Blüte. In diesen Novellen überschreiten ihre Protagonist:innen bisweilen die Grenzen des Menschenmöglichen, erlangen übernatürliche Stärke, Geschwindigkeit und Reflexe. Nicht selten begegnen sie Gottheiten, Dämonen und Unsterblichen. Den Kern der Geschichten bilden hingegen weniger die Kampfkünste ihrer Held:innen, sondern ihr Charakter: Die Xia zeichnen sich durch Prinzipientreue, Rechtschafenheit und einen starken Gerechtigkeitssinn aus. Sie sind stets bereit, für Schwächere oder eine gerechte Sache einzutreten und gegen böswillige Widersacher zu kämpfen. Heimatlosigkeit und Wanderschaft sind ebenso Tropen des Genres, wie Kampf, Gewalt und Racheschwüre.
ie Mogao-Grotten von Dunhuang liegen rund 25 Kilometer südöstlich der Stadt Dunhuang in der Provinz Gansu und erstrecken sich über eine Länge von mehr als 1700 Metern entlang der NordSüd-Achse. Heute sind noch 735 Höhlen erhalten, die sich durch insgesamt 45 000 Quadratmeter Wandmalereien und über 2400 farbig gefasste Skulpturen auszeichnen. Den Überlieferungen zufolge wurde mit dem Bau der Mogao-Grotten bereits im Jahr 366 u. Z. begonnen. Über die Dauer von zehn Dynastien hinweg wuchs hier ein monumentales, inhaltlich ungemein reiches Schatzhaus buddhistischer Kunst heran.
Die Mogao-Grotten sind selbst ein einzigartiges Kunstwerk, das von Künstlern des alten China geschaffen wurde, indem sie die Kultur der traditionellen HanZivilisation mit den vielfältigen Traditionen Zentralund Westasiens verschmolzen. Als strahlendstes Juwel der Seidenstraße bewahren die Mogao-Grotten ein reiches Bildgedächtnis aus allen Epochen der chinesischen Geschichte: Architektur, Musik, Tanz, Alltags -
Mogao-Grotte Nr. 420 aus der Sui-Dynastie (581–618).
leben, Technik, Verkehr und Kleidung sind hier in zahllosen Darstellungen überliefert. In der berühmten Bibliothekshöhle wurden zudem über 50 000 sogenannte »Dunhuang-Handschriften« sowie zahlreiche Manuskripte in alten zentralasiatischen Sprachen entdeckt, die Themen wie Geschichte, Geografe, Religion, Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft umfassen. Diese enorme Fülle an Materialien bildet das solide Fundament für die wissenschaftliche Erforschung der Mogao- Grotten.
HÖHLENARCHITEKTUR UND FARBEN FROHE SKULPTUREN DURCH DIE EPOCHEN
Die Mogao-Grotten bestehen aus einem Südbereich (mit 487 Grotten) als historischem Zentrum buddhistischer Aktivitäten mit kunstvollen Skulpturen und Wandmalereien sowie einem Nordbereich (mit 248 Grotten), der als klösterliches Wohn- und Meditationsareal diente. Funktionell unterteilen sie sich in fünf Typen: Meditationsgrotten, Klosterzellen, Stupa-Pfeiler-Grotten, Tempelgrotten und Kolossal-Buddha-Grotten – letztere beherbergen Meisterwerke wie den 35,5 Meter hohen Buddha der Höhle 96 (frühe Tang-Dynastie) und die 26 Meter hohe Statue in Höhle 130 (Hoch-Tang).
Die farbigen Skulpturen ( 彩塑 ca ˇ isù) der MogaoGrotten wurden in Lehmbauweise gefertigt und haben über Jahrtausende hinweg ihre Schönheit bewahrt. Jede Epoche brachte dabei ihren eigenen künstlerischen Ausdruck hervor: Von den Sechzehn Staaten (304–439) bis in die Frühzeit der Nördlichen Dynastien (386–581) zeichnen sich die Figuren durch kraftvolle,
monumentale Formen aus, die Einflüsse sowohl aus dem chinesischen Kernland als auch aus dem Westen vereinen. In der Zeit der Westlichen Wei (535–557) wurde der sogenannte »anmutig-schlanke Stil« populär, der die Figuren mit langen, eleganten Körpern darstellt. Während der Nördlichen Zhou (557–581) hingegen dominieren große Köpfe, langgestreckte Oberkörper und kurze Beine das Erscheinungsbild. Die Skulpturen der Sui-Dynastie (581–618) schlagen eine Brücke zwischen den Stilen: Die Figuren wirken noch etwas kopflastig
und lang im Oberkörper, doch die Faltenwürfe der Gewänder sind bereits feiner und detailreicher ausgearbeitet. In der Tang-Dynastie (618–907) erreichte die Kunst der farbigen Skulptur ihren Höhepunkt: Die Figuren sind meisterhaft proportioniert, die Farben leuchtend und ausdrucksstark. Ein herausragendes Beispiel ist die 15,8 Meter lange liegende Buddha-Statue in Grotte 158, die den friedvollen Eintritt des Buddha ins Nirwana eindrucksvoll darstellt. Die Skulpturen aus der Zeit der Fünf Dynastien (907–960) und der frühen Song-
Mogao-Grotte Nr. 158 aus der mittleren Tang-Zeit: 15,8 Meter lange Nirwana-Statue.
Dynastie (960–1279) knüpfen im Wesentlichen an den Tang-Stil an, doch sind nur noch wenige Werke aus dieser Zeit erhalten. Aus der Zeit der Westlichen Xia (1038–1227) und der Yuan-Dynastie (1271–1368) sind farbige Skulpturen kaum noch vorhanden. Insgesamt spiegeln diese Plastiken lebendig die Entwicklung der buddhistischen Kunst in China wider.
VIELFÄLTIGE THEMEN
DER WANDMALEREIEN
Die Wandmalereien der Mogao-Grotten sind außergewöhnlich reichhaltig und decken eine große Bandbreite an Motiven ab – darunter Stifterf guren, traditionelle Mythen, Landschaften, Tiere, dekorative Muster sowie Darstellungen buddhistischer Geschichten und Sutren. Die Entstehung vieler Höhlen steht in engem Zusammenhang mit den einflussreichen Familien und lokalen Adelshäusern der Region, die als »Stifter« (供养人 gōngya ˇ ng rén) bezeichnet werden: Sie f nanzierten Bau und Unterhalt der Grotten und wurden dafür mit Porträts und Berichten über ihre Verdienste in den Höhlen verewigt.
Die Wandmalereien zeigen nicht nur Stifterfguren, sondern spiegeln auch das wirtschaftliche Leben der Antike wider – darunter Szenen aus Landwirtschaft, Handwerk und Handel. Darüber hinaus sind auf den Fresken auch das militärische Leben mit Soldaten in Aktion, Wafen und Ausrüstung sowie sportliche Aktivitäten wie Reiten, Bogenschießen, Pferdesport und Sumo-Ringen dargestellt, was die Lebenseinstellung der Menschen jener Zeit eindrücklich veranschaulicht.
Mogao-Grotte Nr. 217 aus der Blütezeit der Tang-Dynastie (618–907): »Szenen aus dem Amitayus-Sutra«.
莫高窟盛唐第 217 窟《观无量寿经变》
Im Bereich Musik und Tanz sind die Wandmalereien der Mogao-Grotten besonders vielfältig: In über 200 Höhlen f nden sich musikalische Motive mit mehr als 500 Musikensembles und über 40 verschiedenen Instrumententypen – insgesamt sind mehr als 4500 einzelne Instrumente dargestellt, was sich mit den Funden aus der Bibliothekshöhle belegen lässt. Die dargestellten Tanzszenen umfassen Stile aus Zentralasien, dem Volksleben, dem kaiserlichen Hof und der Welt der Unsterblichen und bieten damit einen unschätzbaren Schatz für die Erforschung der Musik- und Tanzkultur des alten China.
Die Wandmalereien bewahren zudem eine Fülle an architekturhistorischen Informationen: Sie zeigen zahlreiche Bautypen von den Sechzehn Staaten bis zur Westlichen Xia-Dynastie, darunter buddhistische Tempel, Stadtmauern, Paläste sowie architektonische Elemente und Verzierungen wie Dougong-Kragsteine, Pfeilerportale, Türen und Fenster. So spiegeln sie die Stilvielfalt und die charakteristischen Merkmale der traditionellen chinesischen Architektur wider.
Die Mogao-Grotten von Dunhuang sind nicht nur ein Kunstschatz der chinesischen Zivilisation, sondern auch ein bedeutendes Archiv für die Erforschung der buddhistischen Kunst, des gesellschaftlichen Lebens sowie der Wirtschafts- und Alltagskultur des alten China. Sie bieten uns einen ausführlichen Überblick über die Entwicklung der chinesischen buddhistischen Kunst und gewähren einen authentischen Einblick in das Leben vergangener Jahrhunderte – so wird Geschichte für uns auch nach tausend Jahren lebendig und greifbar.
Im heutigen Zeitalter des Internets hat sich die Art und Weise der Informationsübermittlung tiefgreifend verändert und beeinflusst unser Leben in nahezu allen Bereichen. Ob durch Textnachrichten auf dem Handy, E-Mails oder Sprach- und Videoanrufe – diese praktischen Kommunikationsmittel ermöglichen uns, in Sekundenschnelle miteinander in Verbindung zu treten und Informationen nahezu augenblicklich zu übermitteln. Doch wie gelang es den Menschen im alten China, Nachrichten schnell und präzise weiterzugeben?
In der Antike, insbesondere in Kriegszeiten, als es hieß »Signalfeuer brannten über drei Monate« ( 烽火连三月 fēnghuo ˇ lián sānyuè), entwickelten die Menschen rafnierte Methoden, um Feindesangrife zu melden. Dabei nutzten sie geschickt das Gelände, errichteten Wachtürme zur Sichtung von Signalfeuern und etablierten ein strukturiertes System, um die Genauigkeit der Informationsweitergabe zu gewährleisten. Diese Signaltürme waren zugleich zentrale militärische Einrichtungen für die tägliche Beobachtung und zur Alarmbereitschaft an den Grenzen.
Die Grundform des Signalfeuer-Systems bestand darin, an strategisch wichtigen Orten oder Grenzregionen Signalwachtürme zu errichten. Bei feindlichen Angrifen entzündete man von Turm zu Turm Feuer, dessen Flammen sichtbare Warnsignale verschickten. Der Vorteil dieser Methode war ihre Schnelligkeit und Unmittelbarkeit: Die Signale konnten in kurzer Zeit weit entfernte Truppen und Bewohner erreichen. Bereits in der Zhou-Dynastie (ca. 1045–221 v. u. Z.) ist das berühmte Beispiel »Mit Signalfeuern die Fürsten zum Narren halten« ( 烽火戏诸侯 fēnghuo ˇ xì zhūhóu) überliefert. In der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen (770–476 v. u. Z.) sowie der Streitenden Reiche (475–221 v. u. Z.) begannen die Fürstentümer, zum Schutz ihrer Grenzen zahlreiche Signaltürme zu errichten. Nach der Reichseinigung der Qin-Dynastie (221–207 v. u. Z.) wurden unter Qin Shihuang die Große Mauer massiv ausgebaut
und das Signalfeuer-System optimiert. Dieses System blieb bis in die Han-Dynastie (202 v. u. Z.–220 u. Z.) hinein erhalten.
In den 1970er Jahren wurde im Gebiet Juyan in der Inneren Mongolei das Han-Dokument »Vereinbarung für Signalfeuer« (《塞上烽火品约》Sàishàng fēnghuo ˇ pıˇn yuē ) entdeckt. Es enthält detaillierte Vorschriften für das Abbrennen von Signalfeuern, einschließlich die Anzahl und Entfernung der anrückenden Feinde – und je nach ihrer Anzahl und Entfernung wurden unterschiedliche Kombinationen von Signalen festgelegt, um die feindlichen Aktivitäten präzise zu übermitteln. Das Dokument zeigt, dass das Signalfeuer-System bereits zu jener Zeit standardisiert und theoretisch fundiert war.
DIE WAHRHEIT HINTER DEM »WOLFSRAUCH« 狼烟 lángyān
Das Entzünden von Feuern war die primäre Alarmierungsmethode bei Feindkontakt: Sobald feindliche Truppen gesichtet wurden, entzündeten die Wachen auf den Signalwachtürmen nacheinander ein spezielles Brennmaterial. Der dabei entstehende Rauch stieg senkrecht in den Himmel, um für entfernte Truppen sichtbar zu sein und sie zur Vorbereitung auf den Kampf zu veranlassen. Dieser Rauch wurde traditionell »Wolfsrauch« genannt – doch bestand dieser Rauch wirklich aus brennendem Wolfskot?
In Dunhuang sind über 100 Signaltürme aus der Han-Zeit erhalten geblieben. Archäolog:innen haben diese Orte intensiv untersucht, konnten jedoch weder
oben auf den Türmen noch im Umfeld der Bauwerke Spuren von Wolfskot f nden. Auch ist es unwahrscheinlich, dass Menschen den Kot beim Verlassen der Stätten mitgenommen haben. Schriftzeugnisse der HanDynastie erwähnen ebenfalls nicht, dass Wolfskot gesammelt wurde. Die Verdauung von Wölfen ist äußerst ef zient, was zu einer nur geringen Menge an ausgeschiedenem Kot führt. Experimente zeigen zudem, dass Wolfskot schwer entflammbar ist und keinen stabilen, windresistenten Rauch erzeugt – somit eignet er sich nicht als Brennmaterial für Signalfeuer.
Warum also spricht man dennoch von »Wolfsrauch«? Eine Theorie besagt, dass »Wolfsrauch« metaphorisch gemeint war: Feinde wurden als »Wölfe« bezeichnet, ihr Eindringen als das »Herannahen der Wölfe« (狼来了 láng lái le). Der Ausdruck »Wolfsrauch steigt ringsum auf« (狼烟四起 lángyān sì qı ˇ ) beschreibt so das Ausmaß der Warnsignale und deutet auf Unruhen an der Grenze hin. Eine andere Theorie verweist auf den Ursprung der Signale als Maßnahme gegen die nördlichen Nomadenvölker, deren Totem oft der Wolf war und die sich selbst als »Wolfsstamm« bezeichneten. Die zum Schutz vor diesen Angrifen entzündeten Signale wurden daher »Wolfsrauch« genannt.
SIGNALFEUER UND BOTENREITER – EIN ANTIKES »HOCHGESCHWINDIGKEITS« -KOMMUNIKATIONSNETZ
Das Absetzen von Signalfeuern war von größter Bedeutung und musste schnell sowie präzise erfolgen. Laut
jia ˇ n) konnten Signalfeuer mit erstaunlicher Geschwindigkeit weitergeleitet werden – bis zu 100 Li ( 里) innerhalb einer Zeitstunde (in der Westlichen Han-Dynastie, 206 v. u. Z. –9 u. Z., galt eine Zeiteinteilung mit 18 Stunden pro Tag). Ein Li entspricht etwa 400 Metern, also rund 40 Kilometern pro Zeitstunde (also: 30 km/h). Innerhalb eines Tages konnten so bis zu 1800 Li (etwa 720 km) überwunden werden. Das Dokument beschreibt auch die Übermittlung zwischen Juyan und Lude ( 觻得 Lùdé, ein Landkreis aus der Han-Zeit, gelegen im Nordwesten der heutigen Stadt Zhangye in der Provinz Gansu): Ein Ochsenkarren benötigte über 20 Tage, während das Signalfeuer nur etwa zehn Stunden brauchte. Vor 2000 Jahren war dies zweifellos eine Art antikes »Hochgeschwindigkeits«-Kommunikationssystem.
Das Botenreitersystem (驿传制 yìchuán zhì) ergänzte das Signalfeuer-System und vervollständigte das Kom munikationsnetz. Während das Reitersystem größere und detailliertere Informationen übermitteln konnte, war es langsamer als die visuelle Alarmierung per Feuer. Deshalb nutzte man im Krieg vor allem Signalfeuer für dringende Warnungen und kurze Befehle, während Reiterbotschaften für komplexere Mitteilungen oder Dokumente eingesetzt wurden.
Insgesamt gelten Aufbau und Weiterentwicklung des Signalfeuer-Systems als bedeutender Fortschritt in der militärischen Kommunikation des alten China. Es spielte eine zentrale Rolle bei der Sicherung des Landes und war von entscheidender Bedeutung für die Verteidigung der Grenzen.
Text / 文 : Cui Gaohao 崔高浩 Aus dem Chinesischen / 德文翻译 : Peter Ren 任斌 Fotos / 图 : Ma Mingyan, Chinanews, Tuchong
und 25 Kilometer südwestlich von Xining, der Hauptstadt der Provinz Qinghai, erhebt sich das Ta’er-Kloster – eines der sechs großen Heiligtümer der Gelug-Schule des tibetischen Buddhismus. Errichtet am Geburtsort des Meisters Tsongkhapa, Gründer des Gelbmützen-Ordens, zählt das Kloster aufgrund seiner immensen religiösen, kulturellen und historischen Bedeutung zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der nordwestchinesischen Provinz.
Ursprung des Klosters
Tsongkhapa wurde 1357, im 17. Jahr der Zhizheng-Ära der Yuan-Dynastie, im heutigen Kreis Huangzhong, Provinz Qinghai geboren – einer Gegend, die auf Tibetisch »Tsong-kha« heißt. Im Alter von sieben Jahren trat er in das Xiaqiong-Kloster ein, wurde dort zum Novizen ordiniert und erhielt den Ordensnamen Lobsang Dragpa. Mit 16 Jahren reiste er nach Zentraltibet, um bei den Meistern verschiedener buddhistischer Schulen zu studieren. Der junge Lama vertiefte sich in das Studium zahlreicher Sutras sowie Kommentare und widmete sich intensiv seiner spirituellen Praxis, wodurch sein Ansehen stetig wuchs. Im Alter von 38 reformierte Tsongkhapa die religiösen Traditionen seiner Zeit und begründete die Gelug-Schule, wodurch er auch ihr bedeutendster Meister wurde. 1419, im 17. Regierungsjahr des Kaisers Yongle der Ming-Dynastie, verstarb der Mönch. Der Name des Klosters, Ta’er, leitet sich vom chinesischen Wort für Stupa ab, 塔 ta ˇ (heute verwendet für: Pagode, Turm), denn am Anfang seiner Geschichte stand auf dem Gelände ein solcher Stupa, der erst spä-
ter um Tempelanlagen erweitert wurde. Der Legende nach wuchs an dem Ort, an dem bei Tsongkhapas Geburt das Blut seiner Nabelschnur auf die Erde tropfte, ein wundersamer weißer Sandelbaum. Dieser im Buddhismus als heilig verehrte Baum soll hunderttausend Blätter getragen haben, von denen jedes auf natürliche Weise das Abbild des »Löwengebrüll-Buddhas« zeigte. Jahre nachdem Tsongkhapa seine Heimat verlassen hatte, sandte ihm seine bekümmerte Mutter eine Strähne ihres weißen Haares und einen Brief mit der Bitte,
zurückzukehren. Doch der große Lama, intensiv in seine buddhistischen Studien versunken, schlug die Bitte ab. Er antwortete mit einem Selbstporträt sowie einem Bildnis des Löwengebrüll-Buddhas und schrieb: »Wenn an meinem Geburtsort ein Stupa aus dem heiligen Baum und dem Bildnis des Löwengebrüll-Buddhas errichtet würde, wäre es so, als würdet ihr mich leibhaftig sehen.« Daraufhin ließen seine Mutter und andere Gläubige im folgenden Jahr ein Lotos-Stupa erbauen –dies war der Grundstein für das heutige Kloster.
Im Jahr 1577, dem fünften Regierungsjahr des Kaisers Wanli während der Ming-Dynastie, wurde die MaitreyaHalle des Ta’er-Klosters fertiggestellt, wodurch das Kloster seine erste bauliche Gestalt erhielt. In der darauffolgenden Qing-Dynastie (1644–1911) erfuhr das Kloster ein bemerkenswertes Wachstum und seine Anlagen wurden stetig erweitert. So avancierte es schließlich zu einem der sechs Hauptklöster der Gelug-Schule.
Ruyi, 如意 rúyì, bezeichnet ein S-förmiges Glückssymbol und wird heute als guter Wunsch ausgesprochen: 万事如意 wànshì rúyì, Viel Glück!
Ein markantes Wahrzeichen des Ta’er-Klosters sind die acht Ruyi-Stupas, die sich auf dem Vorplatz aneinanderreihen. Bekannt als die »Acht Edlen Glückverheißenden Stupas« oder »Acht Stupas des Tathagata«, erheben sie sich auf Sockeln aus grünen Ziegeln, und ihre Körper sind mit weißem Kalk verputzt. An der Südseite
birgt jeder Stupa eine Nische mit einer Buddhastatue, während der untere Teil reich mit farbenfrohen Mustern und Sutras verziert ist. Im hellen Sonnenlicht strahlen die acht Stupas in einem blendenden Weiß. Sie sind nicht nur ein begehrtes Fotomotiv für Besucher, sondern auch ein spiritueller Anziehungspunkt für Pilgernde, die sie im Gebet ehrfürchtig umrunden.
Tritt man auf das Klostergelände, fängt ein Ensemble eindrucksvoller Bauten den Blick ein. Besonders hervorzuheben ist die Kleine Goldene Halle, die auch als Schutzgott-Halle bekannt ist. Wie von einer Festung umgeben, beherbergt sie im Inneren Gebäude mit goldenen Dächern. In den Arkaden sind Tierpräparate von Wildrindern, Schafen, Bären und Afen ausgestellt, die den Sieg der Gottheiten über alle Dämonen und Geister symbolisieren.
Von der Kleinen Goldenen Halle aus wandert der Blick weiter zum hoch aufragenden, ehrwürdigen Kalachakra-Stupa, der in traditionellem Stil reinweiß leuchtet. Einen reizvollen Kontrast hierzu bildet die benachbarte Halle der Gebete um Langlebigkeit mit ihren grünen Mauern und Dachziegeln. Besonders auf allend ist der ausladende Sandelbaum, in dessen Nähe ein historisch bedeutender Stein liegt. Es war der Rastplatz, den die Mutter Tsongkhapas während des täglichen Wasserschöpfens nutzte.
Kalachakra, häufig mit »Rad der Zeit« übersetzt, ist eine tantrische Meditationspraxis. Mit dem Namen Kalachakra wird sowohl die tantrische Gottheit bezeichnet als auch das Wurzeltantra, auf dem ihre Verehrung basiert.
Wenn man den Pfad hinter der Langlebigkeits-Halle entlanggeht und durch den engen Bogen streift, sieht man überall zahlreiche Gebetsmühlen stehen. Mit jedem Schritt enthüllt sich eine bezaubernde Symbiose han-chinesischer und tibetischer Baukunst, die den Blick magisch anzieht.
Die Große Sutra-Halle ist ein zentraler Ort für die Lamas, wo sie meditieren und Sutras rezitieren. Mit einer Grundfläche von rund 2000 Quadratmetern stellt sie das größte Bauwerk des Klosters dar. Getragen von 168 mächtigen Säulen, beherbergt das Innere eine Statue, die Tsongkhapa in seinen Jugendjahren zeigt. Farbenprächtige Gebetsfahnen erstrecken sich von der Decke bis zum Boden, während die Wände mit kunstvollen Butterschnitzereien, Thangka-Fresken und Gosthang – in Seide gewebte oder gestickte Thangkas –verziert sind. All dies verleiht dem gesamten Raum eine Aura von erhabenem und prachtvollem Glanz.
Thangkas sind Rollbilder des tantrischen Buddhismus – sie werden gos-thang genannt, wenn sie in Seide gestickt oder gewebt sind.
Genau im Zentrum der Klosteranlage erhebt sich die Große Halle mit ihrem goldenen Dach. Beim Betreten des Inneren fällt der Blick auf den 12,5 Meter hohen Silberstupa, der die Geburtsstätte von Tsongkhapa markieren soll. Sein Fundament aus massivem, vergoldetem Silber funkelt im Licht der Edelsteine, die ihn zieren. Dutzende Schichten weißer Khatas, der traditionellen Gebetsschals, hüllen den Stupa als Ausdruck höchster Ehrerbietung ein. An seiner Spitze wacht eine kunstvolle Statue des verehrten Meisters.
Das Ta’er-Kloster ist berühmt für seine drei meisterhaften Künste: Butterschnitzereien, Fresken und Gos-thang. Die Butterschnitzereien werden aus handgefertigter Yak-Milchbutter hergestellt. Dafür werden verschiedene Mineralpigmente in die elfenbeinfarbene Masse gemischt, aus der lebhafte Buddha-Statuen, menschliche Figuren, Landschaften sowie eine detailreiche Tier- und Pflanzenwelt samt Pavillons und Pagoden modelliert werden.
Überall im Kloster schmücken farbenfrohe Fresken die Wände und Balken. Selbst nach langer Zeit strahlen ihre Farben dank der mineralischen Pigmente noch mit ungebrochener Kraft. Die Motive, die primär tief in der Welt des tibetischen Buddhismus verwurzelt sind, zeugen vom unverwechselbaren künstlerischen Stil des Klosters.
Gos-thang ist eine traditionelle Kunstform, die insbesondere im Ta’er-Kloster zu f nden ist. Bunte Seidenstofe werden dabei kunstvoll zugeschnitten und zu Gestalten von Buddhas, Menschen, Blumen sowie Tieren zusammengefügt. Durch eine Füllung aus Wolle oder Baumwolle und feine Stickereien treten die Motive plastisch hervor und erhalten eine faszinierende dreidimensionale Tiefe.
Das Ta’er-Kloster ist nicht nur eine Stätte von historischer Bedeutung, sondern auch ein heiliger Ort des tibetischen Buddhismus. Es verkörpert die harmonische Integration der Architektur- und Kunststile aus der tibetischen und han-chinesischen Kulturtradition Chinas und entfaltet so seinen einzigartigen kulturellen Reiz.
Dem Geheimnis des
Markgrafentums Haihun
auf der Spur
Kostbarkeiten aus Gräbern der Han-Zeit:
Von der Ausgrabung bis ins Museum
ei der vom chinesischen Kulturerbe-Portal
China Cultural Relics Net (www.wenwuchina. com) im Jahr 2015 initiierten Online-Wahl zu den »Zehn bedeutendsten archäologischen Ereignissen Chinas« belegte die Ausgrabung der Grabstätte des Markgrafen von Haihun in Jiangxi den ersten Platz und avancierte damit zum einflussreichsten archäologischen Fund des Jahres. Über Nacht rückte das Han-zeitliche Grab des Markgrafentums Haihun ins Scheinwerferlicht, wurde zum Gegenstand intensiver Berichterstattung und breit geführter öfentlicher Diskussionen. Die Menschen blickten gespannt auf die Enthüllung des geheimnisumwobenen Markgrafentums und seines Grabherrn Liu He.
Entdeckung und Ausgrabung
Im Jahr 2011 wurde in der Gemeinde Datangping des Stadtbezirks Xinjian in Nanchang, Provinz Jiangxi, ein antikes Grab entdeckt, das von Grabräubern beschädigt worden war. Expertenuntersuchungen legten nahe, dass es sich um eine Grabstätte von hoher Bedeutung handelt – möglicherweise mit Bezug zu Liu He, dem Markgrafen von Haihun aus der Han-Dynastie. Liu He war einst kurzzeitig Kaiser, wurde jedoch abgesetzt und erhielt im Jahr 63 v. u. Z. den Titel »Markgraf von Haihun«. Seine Familie residierte in dieser Region über vier Generationen hinweg.
Von 2011 bis 2015 organisierte die Provinz Jiangxi umfassende archäologische Grabungen in der umliegenden Gegend. Das untersuchte Areal umfasste eine
2015年中国文物网发起的“中国十大文物事件
网络评选”活动中,“江西海昏侯墓葬考古成果发
掘”高居榜首,成为中国年度最具影响力的文物 事件。海昏侯汉墓一夜之间被推到了镁光灯下,成为媒体记者
和广大民众热议的对象,人们期待揭开海昏侯国和墓主人刘 贺的神秘面纱。
发现与发掘
2011年,江西南昌新建区大塘坪乡发现一座古墓被盗。
经专家勘查,判断该墓规格较高,可能与汉代海昏侯刘贺有关。
刘贺曾为皇帝后被废,公元前63年封为海昏侯,其家族在此 延续四代。
2011至2015年,江西省组织考古队对周边区域展开系
Fläche von einem Quadratkilometer. Dabei wurden zahlreiche bedeutende Relikte freigelegt, darunter die Ruinen der alten Hauptstadt, der sogenannten »purpurgoldenen Stadt« ( 紫金城 Z ı ˇ jīnchéng), die Grabanlage des Markgrafen von Haihun sowie Bestattungsstätten von Adligen und der einfachen Bevölkerung. Die Grabstätte des Markgrafen und seiner Gemahlin folgen der rituellen Anordnung eines gemeinsamen Grabhügels mit getrennten Kammern, errichtet auf einer erhöhten Plattform. Das gesamte Gräberfeld erstreckt sich über 4000 Quadratmeter.
Diese Ausgrabungen zeichnen ein vollständiges historisches Erscheinungsbild des Markgrafentums Haihun.
Archäologische Funde
Das Grab des Markgrafen von Haihun ist eine außergewöhnlich gut erhaltene Grabanlage eines Adeligen aus der mittleren bis späten Westlichen Han-Zeit (206 v. u. Z. –9 u. Z.). Zwar war die innere Grabkammer bereits früh eingestürzt und mit Wasser geflutet worden, doch blieb die Stätte glücklicherweise von Grabräubern verschont. Bei der Ausgrabung förderten Archäologen über 10 000 kostbare Fundstücke zutage – darunter über zehn Tonnen Wuzhu-Münzen (geschätzt etwa zwei Millionen Stück) und 378 Goldobjekte, darunter zahlreiche hufeisenförmige Goldbarren (马蹄金 ma ˇ tíjīn ) und sogenanntes »Qilin-Huf-Gold« ( 麟趾金 línzhı ˇ jīn). Diese Goldobjekte waren keine gewöhnlichen Zahlungsmittel, sondern Belohnungen, die zur Zeit von Kaiser Wu der 统发掘。勘探面积达100万平方米,发现包括紫金城遗址、海 昏侯墓园及贵族平民墓地在内的多处重要遗迹。其中,海昏 侯与夫人墓为同茔异穴的礼制性高台建筑,墓园总面积4000 平方米。这次发掘完整揭示了海昏侯国的历史面貌。
Jadegürtelhaken mit Drachenkopf im Chi-Dekor.
螭纹龙首玉带钩 Jadesiegel mit der Inschrift »Liu He«.
“刘贺”玉印 Bronzene Douxin-Lampe mit Inschrift der Ära »Changyi«.
带有“昌邑”年号铭文青铜 豆形灯
Großes Hufeisengold mit der Aufschrift »Shang«. “上”字大号马蹄金 Inschrift der Ära »Changyi« auf der bronzenen DouxinLampe.
青铜豆形灯上的“昌邑”年 号铭文
Textile Baldachinhaken aus dem Grab des Markgrafen von Haihun, Liu He.
海昏侯刘贺墓纺织品帷帐钩
Han-Dynastie eigens im Zeichen günstiger Himmelszeichen gegossen wurden. Der Überlieferung zufolge ließ Kaiser Wu, nachdem ihm glückverheißende Wesen wie das weiße Qilin (白麟 báilín) und das Himmelsross ( 天马 tiānma ˇ ) erschienen waren, das sogenannte QilinHuf-Gold – Symbol für den Fuß des Qilin – sowie das hufeisenförmige Gold – Symbol für den Huf des Himmelsrosses – anfertigen. Diese sollten das Erscheinen himmlischer Segenszeichen deuten und wurden als Ehrengaben an die Markgrafen des Reiches verteilt, verbunden mit dem symbolischen Hinweis, sie könnten dem Kaiser auf seinem Weg zur Unsterblichkeit folgen. Die im Grab Liu Hes gefundenen Goldstücke deuten womöglich auf einen Bezug seiner Familie zu jenen Glückszeichen der Epoche Kaiser Wus hin und spiegeln zugleich das Streben des Han-zeitlichen Adels nach Unsterblichkeit wider. Besonders bemerkenswert ist zudem eine bronzene Lampe mit der Inschrift »Nanchang« – dem bislang frühesten bekannten materiellen Zeugnis des Namens der Stadt Nanchang.
Die im Grab entdeckten originalen Wagen- und Pferdeopfergruben sowie vollständige Sätze von Musikinstrumenten – darunter Bronzeglocken ( 编钟 biānzhōng) und Klangsteine (编磬 biānqìng) – veranschau-
lichen lebendig das Ritual- und Musiksystem eines Markgrafen der westlichen Han-Dynastie. Gefäße mit der Inschrift »Chen He« (wörtlich »Untertan He«, die Selbstbezeichnung Liu Hes gegenüber dem Kaiser, Anm. d. Ü.) sowie das im Sarg gefundene Jadesiegel mit der Gravur »Liu He« belegen zweifelsfrei, dass es sich beim Grabherrn um den ersten Markgrafen von Haihun handelt. Diese kostbaren archäologischen Funde bieten nicht nur ein vollständiges Bild der Han-zeitlichen Vorstellung vom Totenkult – dem Grundsatz »die Toten wie die Lebenden ehren« –, sondern stellen mit ihrer außergewöhnlichen Fülle und exquisiten Qualität zugleich einen neuen Meilenstein in der Archäologie von Han-Gräbern dar.
Ausstellung und Vermittlung
Archäologische Funde gelangen in der Regel erst nach Abschluss der wissenschaftlichen Auswertung in die museale Präsentation. Doch das Grab des Markgrafentums Haihun zog aufgrund seines besonderen Werts schon früh breite öfentliche Aufmerksamkeit auf sich. Um der Erwartung der Bevölkerung gerecht zu werden,
konzipierten das Hauptstadtmuseum Peking und die archäologischen Fachstellen der Provinz Jiangxi im März 2016 gemeinsam eine innovative Ausstellung mit dem Titel »In schillernden Farben erstrahlend – Archäologische Entdeckungen aus dem Han-zeitlichen Markgrafentum von Haihun bei Nanchang«. Damit wurde ein neues Ausstellungsformat etabliert, das Grabungsprozess und Ausstellung erstmals parallel zueinander stattf nden ließ.
Die Ausstellung wählte den archäologischen Fundort als erzählerischen Ausgangspunkt und präsentierte mit zahlreichen Grabungsfotos und Originalfunden anschaulich das prunkvolle, vom Leitgedanken »die Toten wie die Lebenden ehren« geprägte Begräbniswesen der westlichen Han-Zeit. Besonders hervorzuheben ist der erstmalige Einblick in die Anwendung moderner archäologischer Technologien – etwa multispektrale Analyseverfahren und konservatorische Methoden – als Teil der Ausstellung. Das Kuratorenteam setzte auf durchgehende Glasvitrinen, inszenierte eine atmosphärische, die Han-Kultur nachahmende Umgebung und schulte die Vermittler eigens in archäologischem Fachwissen, um die über zweitausend Jahre ruhende Geschichte des Markgrafentums Haihun lebendig erfahrbar zu machen. Diese wegweisende Ausstellung löste nach ihrer Eröf nung einen wahren Besucheransturm aus: Das sogenannte »Hauptstadtmuseumsfeber« wurde zu einem Höhepunkt des damaligen kulturellen Lebens in Peking. Es erfüllte nicht nur das gesellschaftliche Bedürfnis nach kultureller Teilhabe, sondern setzte zugleich neue Maßstäbe für die Präsentation archäologischer Forschungsergebnisse.
Im Jahr 2021 wurde auf dem archäologischen Gelände das Museum der archäologischen Stätte des Han-zeitlichen Markgrafentums Haihun in Nanchang feierlich eröf net. Der architektonisch markante Museumsbau erstreckt sich über eine Fläche von 118 802 Quadratmetern und verfügt über eine Gesamtbaufläche von 39 250 Quadratmetern, verteilt auf zwei oberirdische und eine unterirdische Ebene. Die Dauerausstellung umfasst nahezu zehntausend Exponate.
Ergänzend dazu wurde auch ein digitales Museum zur Stätte des Markgrafentums Haihun eingerichtet. Es ermöglicht eine unmittelbare, anschauliche und ortsunabhängige Erkundung der Architektur, Lebenswelt und Kultur des Han-zeitlichen Markgrafentums – und ist für das interessierte Publikum jederzeit einsehbar.
ie chinesischen Schriftzeichen haben sich teilweise aus Piktogrammen entwickelt. Das Zeichen 闽 Mıˇn für die Provinz Fujian zeigt in der Siegelschrift der Qin-Zeit (221–207 v. u. Z.) eine Schlange (虫) im Tor (门). Der Gelehrte Xu Shen aus der Östlichen Han-Zeit (25–220) erläuterte in seinem Werk Shuowen jiezi ( 《说文解字》): »Min, südöstlich von Yue, das Volk der Schlangen« – ein Verweis auf den Schlangenkult der Region.
DIE URSPRÜNGE DES SCHLANGENKULTS
Die bergige, dicht bewaldete Provinz Fujian mit ihrem subtropischen Klima, bietet ideale Lebensbedingungen für zahlreiche Schlangenarten. Besonders das WuyiGebirge im Westen ist so reich an Schlangen, dass es als »Königreich der Schlangen« gilt.
Die frühe Bevölkerung des Minyue-Gebiets entwickelten eine diferenzierte Beziehung zu diesen Tieren. Zunächst fasziniert von ihrer lautlosen Fortbewegung, ihrer Fähigkeit zur Häutung sowie ihrer Wendigkeit an
Land und im Wasser, entdeckten sie bald, dass Schlangen nicht nur Menschen und Tiere verletzen, sondern sogar wilde Tiere töten oder verschlingen können. Dies flößte ihnen Angst ein und bald wuchs daraus der Glaube an übernatürliche Kräfte. Aus Angst wurde Ehrfurcht – man begann, Schlangen als göttliche Wesen zu verehren.
Archäologische Funde aus der neolithischen Stätte Baofengshan bei Zhanghu belegen diesen Kult: Auf Tonscherben entdeckte man schlangenähnliche Muster, Schuppenabdrücke und stilisierte Schlangenköpfe.
DER SCHLANGENKULT HEUTE –GELEBTE RITUALE
Archäologische Funde bezeugen den Schlangenkult in Fujian, der auch heute noch in Volksbräuchen lebendig ist.
Jedes Jahr am siebten Tag des siebten Monats des chinesischen Mondkalenders feiern die Bewohner von Zhanghu einen jahrtausendealten Brauch zu Ehren des Schlangengottes – ein lebendiges Zeugnis traditioneller Volksreligion.
Im Vorfeld des Festes ruft die Tempelgemeinschaft des Schlangengott-Tempels (蛇王庙 shéwáng miào) die Dorfjugend dazu auf, Schlangen – vorzugsweise größere Exemplare – zu fangen und in den Tempel zu bringen. Dort werden die Tiere von erfahrenem Personal in speziellen Tonkrügen (鲜龙瓶 xiānlóng píng) versorgt.
Am Festtagsmorgen holen Dorfbewohner große Pythonschlangen und die Schlangengottheit »Liangong«
aus dem Tempel. Gemeinsam ziehen sie durch die Straßen, um Regen, reiche Ernte und ein harmonisches Familienleben zu erbitten. Besonders eindrucksvoll: Jeder Teilnehmer in dem Prozessionszug trägt dabei eine eigene Schlange.
Entlang der Route zollen die Haushalte den Tieren mit Feuerwerk und Räucherstäbchen Respekt. Manche Familien stellen sogar Wasser zur Abkühlung bereit.
Alle Schlangen werden nach der Prozession in einem nahegelegenen Stausee freigelassen. Um Wilderei zu verhindern, wird der Ort geheim gehalten. Ältere Dorfbewohner erzählten, dass die Schlangen sich nach ihrer Freilassung dreimal umdrehen. Sie schwimmen
eine Strecke, kehren zum Boot zurück, nicken den Menschen zu und entfernen sich dann wieder. Dies wiederholen sie noch zweimal, bevor sie endgültig davonschwimmen.
Ein weiterer Brauch ist der »SchlangenlaternenUmzug«, der um das Laternenfest (15. Tag des ersten Mondmonats) herum stattf ndet. Vom 6. bis zum 21. Tag des ersten Monats im chinesischen Mondkalender ziehen leuchtende Umzüge durch die Dörfer der Region Zhanghu. Die Reihenfolge richtet sich nach Dorf, Straße oder Familienname. In dieser festlichen Zeit laden die Bewohner einander zu Festmahlen ein – je zahlreicher die Gäste, desto größer das Ansehen der Gastgeber.
Die Schlangenlaterne besteht aus Kopf, Körper und Schwanz. Kopf und Schwanz sind mit Bambusgestellen geformt, mit buntem Papier überzogen und mit Schuppenmustern bemalt. Der Körper setzt sich aus einzelnen Platten zusammen, auf denen jeweils drei Lampenschirme mit brennenden roten Kerzen angebracht sind. Schöne Scherenschnitte mit Glückssprüchen wie »Frieden und Wohlstand« oder »Reiche Ernte« schmücken die Lampenschirme, an deren Herstellung fast jede Familie beteiligt ist.
Begleitet von Feuerwerkskörpern schlängelt sich der Laternenzug langsam durch die Gassen. Der hochragende Schlangenkopf und der leuchtende Körper wirken wie eine riesige Feuerschlange – ein eindrucksvolles Schauspiel. Nach dem Umzug nehmen die Teilnehmer Papierschnitzel vom Kopf oder Schwanz der Laterne als Glücksbringer mit nach Hause.
SCHLANGEN IN VOLKSERZÄHLUNGEN
Der Schlangenkult in Fujian bietet viel Stof für Volkserzählungen. Weit verbreitet ist die Geschichte von Li Ji, dem Mädchen, das die Riesenschlange tötete.
Der Sage nach lebte in den Bergen von Min eine riesige Schlange, die die Menschen in der Umgebung in Angst und Schrecken versetzte. Um sie zu besänftigen, opferte man ihr jedes Jahr im August ein junges Mädchen. Die mutige Li Ji bot sich als Opfer an. Mit einem Schwert und einem Jagdhund betrat sie die Höhle, in der sich die Riesenschlange aufhielt. Mit Honigreisku-
chen lockte sie das Tier hervor. Der Hund stürzte sich sofort auf sie und Li Ji tötete das Biest. Der König, beeindruckt von ihrer Tapferkeit, machte sie zur Königin und belohnte ihre Familie großzügig. Seither wurde diese Gegend von keinem Ungeheuer mehr heimgesucht. Bis heute lebt diese Geschichte im Volkslied weiter. Sie ist Ausdruck von Respekt vor der Natur und vor mystischen Kräften und für den Mut, Naturgewalten zu bezwingen.
In der Provinz Fujian genießt die Schlange einen besonderen Status: Vielerorts wird sie wie eine Gottheit verehrt. Die lebendigen Bräuche und Geschichten zeugen von einer tief verankerten Kultur, die das harmonische Miteinander von Mensch und Natur hochhält und eine Vision respektvollen Zusammenlebens mit der Umwelt vermittelt.
Die Figur des Nezha tauchte erstmals in Texten der Tang-Dynastie (618–907) auf, wobei ihr Ursprung auf den buddhistischen Schutzgott Nalakuvara aus Indien zurückgeführt werden kann. Mit der Verbreitung des Buddhismus in China wurde diese Gottheit allmählich sinisiert und entwickelte sich zu einem Schutzgott des Daoismus. In literarischen Werken entstand schließlich das Bild eines in China weithin bekannten jugendlichen Helden mit einem Feuerspeer in der Hand und Wind-Feuer-Rädern unter den Füßen.
Nezha im Wandel:
Traditionelle und moderne Interpretation eines chinesischen Mythos
Im Jahr 1979 produzierte das Shanghai Animation Film Studio den Animationsf lm »Nezha bringt das Meer in Aufruhr«. Als Chinas erster farbiger Breitwand-Animationsf lm gelten viele seiner Handlungsstränge und Dialoge als Klassiker und sind zu Kindheitserinnerungen zahlreicher Chinesen geworden. Dieser Animationsf lm vereint Elemente der chinesischen Neujahrsbilder mit der Tuschästhetik der chinesischen Malerei und integriert außerdem traditionelle chinesische Opernelemente sowie die Klangefekte der Glocken des Marquis Yi aus der Zeit der Streitenden Reiche
(476–221 v. u. Z.) in die Filmmusik. Er ist eines der repräsentativen Werke der chinesischen Animations ästhetik und wurde zudem als erster chinesischsprachiger Animationsfilm für die Filmfestspiele in Cannes ausgewählt.
Die 2025 erschienene Fortsetzung »Nezha 2« greift in vielen Details wie Charakterdesign und Szenenbild Elemente des Klassikers »Nezha bringt das Meer in Aufruhr« auf, um dem Meisterwerk Tribut zu zollen. Doch 46 Jahre später haben sich die Kernaussagen und Wertevorstellungen der beiden Filme grundlegend verändert. In »Nezha bringt das Meer in Aufruhr« wird die Geschichte von Nezha in vier Abschnitten erzählt: Geburt, Tod, Wiedergeburt und der Kampf gegen das Meer. Nezhas Geburt ist außergewöhnlich: Die Frau von Li Jing, dem Militärgouverneur vom Chentang-Pass, bringt nach einer Schwangerschaft von drei Jahren und sechs Monaten einen fleischigen Ball zur Welt, der mit Hilfe des Daoisten Taiyi Zhenren menschliche Gestalt annimmt und den Namen Nezha erhält. Mit sieben Jahren erkennt Nezha, dass der Clan des Drachenkönigs im Ostmeer die Menschen unterdrückt, und leistet
Widerstand. Dabei tötet er den grausamen und arroganten dritten Sohn des Drachenkönigs, Ao Bing. Der zur Rache herbeigeeilte Drachenkönig droht, den Chentang-Pass zu überfluten, und zwingt Li Jing, Nezha auszuliefern. Um die Bevölkerung zu schützen, wählt Nezha den Freitod. Später erschaf t Taiyi Zhenren ihm aus Lotosblumen und frischen Lotoswurzeln einen neuen Körper. Nach seiner Wiedergeburt besiegt Nezha den Drachenkönig und beendet dessen Unterdrückung des Volkes. »Nezha bringt das Meer in Aufruhr« erweckte die Figur Nezha aus der chinesischen Volkssage erneut zum Leben und prägte zugleich sein Bild als Held in der Vorstellung der Chinesinnen und Chinesen.
Der in diesem Jahr erschienene Film »Nezha 2« setzt die subversive Erzählweise von »Nezha 1« fort und schreibt gemeinsam mit diesem einen neuen Mythos der modernen Zeit – durch Nezhas Ausspruch »Mein Schicksal bestimme ich selbst, nicht der Himmel« wird der Geist des Widerstands gegen das vorbestimmte Schicksal in die alte Legende eingebracht; der Drachenprinz Ao Bing, der in »Nezha bringt das Meer in Aufruhr« noch der Bösewicht war, wird hier zu einer komplexen Figur, die das Schicksal seiner Familie trägt; Taiyi Zhenren verliert seine göttliche Aura und verwandelt sich in einen gewöhnlichen Onkel aus der Nachbarschaft; die neu hinzugekommene Figur Shen Gongbao stammt aus dem Dämonenvolk und trainiert hart, um die Vorurteile des Himmels zu durchbrechen. Durch die Entwicklungslinie von Nezha und Ao Bing, die von Gegnerschaft zu gemeinsamen Kämpfen führt, thematisiert der Film Fragen wie »Vorurteile«, »Identität« und »Selbstf ndung«.
Zeitenspiegel: Die Figur Nezha im Blick des Publikums und der Wandel der Wertevorstellungen
Für Zuschauer unterschiedlicher Altersgruppen tragen die beiden Versionen der Nezha-Werke völlig unterschiedliche Emotionen und Gedanken in sich. Herr Wu Haiping und Menschen aus der Generation, die in den 1970ern geboren sind, erinnern sich bis heute an die Erschütterung, die der Film »Nezha bringt das Meer in Aufruhr« von 1979 bei ihm auslöste. In jener Zeit wurde die Figur des Nezha, der sich in kindlicher Gestalt gegen die Autorität auflehnte, zu seiner persönlichen Initialzündung des Heldentums. Als er jetzt die neue Version sah, fel ihm besonders die Veränderung der Figur Li Jings auf: »Vom strengen Vater zum liebevollen Beschützer – genau dieser Wandel spiegelt die Fortschritte im modernen Erziehungskonzept wider.«
Frau Sun Xing, die der Generation der nach 1985 Geborenen angehört, hat noch komplexere emotionale Erfahrungen gemacht. Sie meint: »Die Widersprüche und inneren Kämpfe von Li Jing in der alten Version wirken authentischer. Das väterliche Bild in der neuen Version ist zwar warmherzig, aber es fehlt etwas an menschlicher Komplexität.«
Die jungen Zuschauer richten ihr Augenmerk verstärkt auf die Nebenf guren. Die Studentin Wang Huijing schwärmt besonders für Shen Gongbao: »Er ist wie ein Spiegelbild der heutigen Jugend – kämpft gegen Vorurteile, bleibt sich aber selbst treu.« Die tiefgehende Gestaltung dieser Figur verleiht den traditionellen Mythen eine neue zeitgemäße Resonanz.
Net den »Jahresbericht der meistgenutzten Begriffe in Chinas internationaler Kommunikation 2024«, in dem »Black Myth: Wukong« prominent vertreten war. Wenn man die Top 10 der chinesischen Kulturschlagwörter für 2025 wählen würde, stünde die NezhaMythologie mit großer Wahrscheinlichkeit auf der Liste. Doch was genau heißt eigentlich Mythologie? Lassen wir den Ethnologen Tian Zhaoyuan zu Wort kommen.
Mythen sind ideale Erzählungen, die es gibt, seit die Menschheit existiert. Sie bilden eine der Daseinsgrundlagen des Menschen. Die Form des Mythos nutzt die alte Zeit als Hülle, doch enthalten ist darin das Ideal der Zukunft. Daher besitzen Mythen stets Gegenwärtigkeit. Und da sich Ideale ständig mit der Realität weiterentwickeln, bef nden sich Mythen in einem kontinuierlichen Prozess der Weitergabe, Neugestaltung und Umdeutung. Das ist es, was ihnen Lebendigkeit und den Charakter von etwas Fließendem verleiht.
Doch weder der Afenkönig Sun Wukong noch Nezha sind sogenannte ursprüngliche chinesische Mythengestalten. Vielmehr handelt es sich um eine neue Form der chinesischen Mythologie mit starken fremden Elementen, die sich seit der Sui- und Tang-Dynastien (581–907) entwickelt hat. Die Verbreitung solcher mythologischen Geschichten in China ist eines der anschaulichsten Beispiele für den wechselseitigen
Austausch und die innovative Entwicklung menschlicher Zivilisation.
Die Geschichte von Nezha soll angeblich aus buddhistischen Schriften stammen, doch dafür gibt es keinerlei Belege. Die Legende von Nezha ist ein mythologisches Narrativ, das sich allmählich durch kulturellen Austausch und Begegnungen zwischen China und anderen Regionen entlang der Seidenstraße herausgebildet hat.
In buddhistischen Texten tauchen zwar Namen auf, die dem heutigen Nezha-Mythos ähneln, doch haben diese mit der chinesischen Nezha-Geschichte wenig gemein. Erst in der Tang-Dynastie (618–907) entstanden auf chinesischem Boden konkrete Erzählungen über Nezha. Die Novelle »Bericht von einer himmlischen Ofenbarung« von Zheng Qi aus der Tang-Zeit erzählt, wie der Mönch Xuanlü vom Ximing-Tempel eines Nachts auf einer Treppe stolperte und fast gestürzt wäre, hätte ihn nicht plötzlich jemand am Fuß festgehalten, sodass er unversehrt blieb. Als Xuanlü sich umsah, erblickte er einen jungen Mann. Und Xuanlü fragte: »Was treibt dich mitten in der Nacht hierher?« Der Junge antwortete: »Ich bin kein gewöhnlicher Mensch, sondern Prinz Nezha, Sohn des Königs Vaiśravan a. Zum Schutz des Dharma habe ich Euch, ehrwürdiger Mönch, schon lange behütet.« Die Tang-zeitliche Quelle beschreibt eine erste intensive Begegnung zwischen einem Menschen und Nezha. Demnach ist Nezha ein äußerst aufmerksamer Beschützer des Dharma. Dass der Mönch Xuanlü ins Stolpern geriet und der Prinz ihm schützend die Hand reichte, wurde später ein beliebtes Motiv in der Malerei.
Aber in der Tang-Dynastie war Nezha noch nicht so berühmt wie sein Vater, dessen Ruhm er seinen weitreichenden Einfluss in China verdankte.
Während der Han-Dynastie (206 v. u. Z. –220 u. Z.) war die westliche Region (西域 Xīyù) ein Schmelztiegel der Kulturen, wo chinesische und ausländische Einflüsse aufeinandertrafen. In diesem Gebiet verehrte man einen mächtigen Gott – den berühmten buddhistischen Himmelskönig des Nordens, Vaiśravan . a (北方天 王毗沙门 běifāng Tiānwáng Píshāmén). Zur Zeit der Tang-Dynastie richtete die Zentralregierung das Protektorat Anxi ein. Als der Mönch Xuanzang in den Westen aufbrach, um den Buddhismus in Indien zu studieren und durch diese Region kam, fand er heraus, dass sich die Menschen dort als Nachkommen des Himmelskönigs Vaiśravan . a betrachteten. In einem historischen Text aus der Tang-Zeit mit dem Titel »Rituale des Vaiśravana« ( 《毗沙门仪轨》Píshāmén yíguı ˇ ) wird folgende Begebenheit beschrieben: Während der Tianbao-Ära (742–756) der Tang-Dynastie wurde Anxi von Feinden belagert. Der zweite Sohn Vaiśravanas, Dujian, führte eine Armee von Himmelskriegern an, um Anxi zu befreien. Als der Sieg errungen war, erschien Vaiśravana selbst auf dem Nordtor der Stadtmauer – und dieser Vaiśravan . a war niemand anderes als Nezhas Vater. Daher erlebte der Vaiśravan . a-Glaube in der TangDynastie eine Blütezeit, und es gab bildliche Darstellungen zu seiner Verehrung. Der dritte Sohn des Himmelskönigs, Prinz Nata (Nezha), trug stets einen Pagodenstupa und begleitete den Himmelskönig. Während der Tang-Zeit verkörperte Nezha einen pflichtbewussten und gehorsamen Beschützer des Dharma, der in
harmonischer Verbindung mit seinem Vater, dem Himmelskönig Vaiśravan . a, stand. Während der Hanund der Tang-Dynastien bildete die Seiden straße den kulturellen Pfad, über den Nezha in die zentralchinesischen Gebiete gelangte. Auf diesem Weg löste er sich allmählich von seinem einst folgsamen Begleiterimage und entwickelte eine eigenständige, markante Persönlichkeit.
Mit der Song-Dynastie (960–1279) änderte sich die Darstellung radikal. In der Nördlichen Song-Zeit verlagerte sich das kulturelle Zentrum Chinas allmählich nach Osten, und die Erzähler der Nezha-Geschichten stammten nun nicht mehr ausschließlich aus dem Nordwesten und der Zentralebene von Shaanxi. In den Erzählungen dieser Periode verwandelte sich Nezha in eine dreiköpf ge, sechsarmige Gestalt, und sein Verhältnis zu seinen Eltern wurde zunehmend angespannt.
Warum erzählen buddhistische Geschichten von der Beziehung zu den Eltern? Dies hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass der Buddhismus bei seiner Verbreitung in China mit den traditionellen chinesischen Kulturwerten in Konflikt geriet. Im Buddhismus müssen sich Anhänger den Kopf rasieren und Brandmale setzen lassen, was als Verletzung des Körpers gilt. Die konfuzianische Kultur hingegen betont, dass Körper, Haare und Haut von den Eltern vererbt sind und geschützt werden sollten, nicht verletzt. Nezhas Geschichte, in der er seine Knochen dem Vater und sein Fleisch der Mutter zurückgibt, spiegelt die buddhistische Haltung zum physischen Körper wider und ist eine narrative Darstellung buddhistischer
Ideale. Dadurch wird jedoch auch die Vater-SohnBeziehung völlig zerstört. Eine solche Geschichte war für Chinesen unannehmbar.
In der Yuan-Dynastie (1279–1368) wandelte sich die Erzählung über Nezha von einer buddhistischen Predigt zu einer daoistischen Kulturgeschichte, wobei der Inhalt noch reicher wurde. »Die umfassende Darstellung der Ursprünge der Drei Lehren« ist ein wichtiges Dokument der multikulturellen Integration Chinas.
Im Kapitel »Prinz Nezha« wird berichtet: Da die Welt von Dämonen beherrscht worden sei, habe der Jadekaiser ihn auf die Erde gesandt, wo er durch die Frau des Himmelskönigs Li Jing wiedergeboren worden sein soll.
Die späteren Werke »Die Reise in den Westen« und »Die Investitur der Götter« enthalten die heute allgemein bekannten Geschichten. Diese Erzählungen leiten sich im Wesentlichen von der »Prinz Nezha«Geschichte aus der »Umfassenden Darstellung der Ursprünge der Drei Lehren« ab.
Die »Investitur der Götter« schildert anschaulich den Konflikt zwischen Vater und Sohn: Als Vater zerstört Li Jing den Nezha-Tempel, was zu einer dramatischen Verfolgungsjagd führt, in der Nezha seinen Vater töten will. Um die Würde des Vaters zu wahren, sagt Muzha, der älteste Sohn Li Jings: »Unter dem Himmel gibt es keine Eltern, die Unrecht haben.«. Schließlich bezwingt ein daoistischer Meister den wilden Nezha und drängt ihn, sich zu verbeugen und seinen Vater anzuerkennen. Dieser Konflikt wird also durch den Daoismus gelöst. Doch was Nezha wirklich von seinem aufsässigen Verhalten abbringt, ist seine Teilnahme an den großen historischen Umwälzungen während
des Übergangs von der Shang- zur Zhou-Dynastie (um 1025 v. u. Z.). Aus einem kleinen Kind wird eine Verkörperung der Gerechtigkeit. Nezhas Geschichte wird in die große gesellschaftliche Erzählung eingebettet, sodass der Vater-Sohn-Konflikt angesichts der historischen Ereignisse in den Hintergrund tritt.
Hier sehen wir eine ganz und gar kreative Konstruk tion der Nezha-Mythologie in der chinesischen Kultur: eine Geschichte voller Liebe, Hass und Konflikten zwischen Vater und Sohn.
Der Zauber von Mythen liegt in ihrer ständigen Neuschreibung und Umdeutung. Mit dem Film »Ne Zha« (auf Chinesisch: 哪吒之魔童降世, Der Teufelsjunge Nezha steigt zur Erde hinab; 2019) des Regisseurs Jiaozi entstand im neuen Zeitalter der Animationserzählung eine Version, in der die Konflikte zwischen Buddhismus und Daoismus der Vergangenheit angehören. Der Kampf zwischen Selbstbestimmung und Schicksal ist das zentrale Thema, das unsere Zeit bewegt. So wird der Sohn des Drachenkönigs Nezhas bester Freund. Im zweiten Teil »Ne Zha 2« (auf Chinesisch: 哪吒之魔童 闹海 , Der Teufelsjunge Nezha sucht das Meer heim; 2025) scheint die Animationsgeschichte einen Mythos der globalen Harmonie zu erzählen. Die bezauberndste Szene zeigt die Familie Li – Nezha und seine Eltern –, wie sie gemeinsam Jianzi, das schönste Spiel der Kindheit, spielen: Federball mit den Füßen.
Eins ist sicher: Das Leben geht weiter, die Träume hören nicht auf – und auch die Mythen bleiben lebendig. Die spannende Geschichte zwischen Li Jing und Nezha, Vater und Sohn, wird also noch lange weitererzählt werden.
Die HSK-Prüfung (Hanyu Shuiping Kaoshi 汉语水平考试 ) ist die offizielle internationale Standardprüfung zum Nachweis der Chinesischkenntnisse von Nicht-Muttersprachlern. Die HSKK- Prüfung (Hanyu Shuiping Kouyu Kaoshi 汉语水平口语考试 ) ist dagegen eine rein mündliche Prüfung.
KI Düsseldorf
HSK 1–6, HSKK alle Stufen: 15.11.
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KonfuziusInstitute
Weltweit gibt es mehr als 550 KonfuziusInstitute. Das erste wurde 2004 in Seoul eröffnet. Seit 2006 gibt es sie auch im deutschsprachigen Raum. Die Konfuzius- Institute widmen sich der Vermittlung der chinesischen Sprache und Kultur.
WIEN
MYTH I SCH E E MPFEHLUNG EN
Labubu
Skandinavische Trolle sollen sie inspiriert haben, heute sind die Sammelf guren ein wachsender Trend – auf Chinesisch unter dem Schlagwort 潮玩 cháowán , trendiges Spielzeug (Kurzform für: 潮流玩具). Ihr Name Labubu ist f ktiv. Erschaffen wurden diese Wesen 2015 von dem Hongkonger Illustrator Kasing Lung 龙家升 für seine Bilderbuchserie »The Monsters«. 2019 brachte die Pekinger Spielzeugf rma Pop Mart 泡泡 玛特 die Figuren als Blindbox-Kollektionen heraus – und auf einmal baumelten sie weltweit an Taschen von Prominenten. Aus Plüsch und Plastik fletschen sie grinsend ihre neun Zähne und schwanken zwischen niedlich und hässlich. Der Film »Ne Zha 2«, das Game »Black Myth: Wukong«, die Sammelfgur Labubu: China kann inzwischen auch globale Popkultur.
Das Vielfraß Taotie
饕餮
In China scheint man etwas gruselige Charaktere mit spitzen Zähnen und Ohren zu mögen. Die Kreatur des Taotie begegnet einem seit über zweitausend Jahren – in zahlreichen Versionen, häufg als dekoratives Element auf Gefäßen. Nicht immer mit Körper, aber stets mit großem Maul und aufgerissenen Augen, gilt er mal als mythologisches Ungeheuer oder auch als gieriger Mensch. Dann ist er eine moralische Warnung vor Völlerei und Maßlosigkeit. Mal gilt er auch als dämonenabwehrend und erscheint in dieser Funktion insbesondere auf Ritualgefäßen – von dort aus soll er mit den Ahnen kommunizieren oder die spirituelle Ordnung wiederherstellen.
Marina Rudyak:
Dialog mit dem Drachen
Wie uns strategische Empathie gegenüber China stärken kann? China kennt uns viel besser, als wir China kennen. Je mehr wir das Land als Rivalen sehen, desto weniger wollen wir mit ihm zu tun haben. Das ist nicht strategisch gedacht, sagt die Sinologin Marina Rudyak, die lange in China gelebt und gearbeitet hat. Sie zeigt etwa die Positionen Chinas auf und die Rolle Europas im Beziehungsdreieck mit den USA. Ihr Buch enthält zentrale Handlungsanweisungen, um im aktuellen geopolitischen Konflikt auf Augenhöhe agieren zu können und die europäische Außenpolitik und Wirtschaft auf lange Sicht voranzubringen. Wir brauchen Chinakompetenz!
Sachbuc h
Marina Rudyak: Dialog mit dem Drachen. Frankfurt a. M.: Campus 2025.
→ DRACHEN
Henkelamphore (Tang-Dynastie, 618–907)
Der Drache (龙 lóng) ist aus der chinesischen Kultur nicht wegzudenken. In der TangDynastie, einer frühen Blütezeit Chinas, waren sie zentraler Bestandteil des Repertoires. Auf dieser Amphore finden sich an den Henkeln gleich zwei davon.
Famille Verte Teller (Qing-Dynastie, Kangxi Periode 1662–1722)
5 Mythen im Leipziger GRASSI Museum für Angewandte Kunst
Handwerker und Kunstschaffende bedienen sich seit eh und je der Mythen und Sagen, sei es als Dekor oder um der Symbolik willen. So finden sich viele der mythischen Wesen aus China in den Museen der Welt wieder – etwa im Grassi Museum in Leipzig. sammlung.grassimak.de
→ QILIN
Yixing-Kanne (QingDynastie, 18. Jahrhundert)
Hier sehen wir gleich drei Fabelwesen in einem Alltagsgegenstand: Der Ausguss ist als Qilin (麒麟 qílín) gestaltet, ein glückverheißendes Wesen. Der Deckelknauf ist als Löwe geformt, ein Symbol für Schutz und Stärke. Und der Körper der Kanne ist mit Drachen verziert.
Ebenfalls legendär wurden Figuren aus dem Historienroman »Die Geschichte der Drei Reiche« (三国演义 Sānguó yǎnyì). Die Szene hier behandelt die Intrige um die schöne Diao Chan, die den Kriegsherrn Lü Bu und seinen Stiefvater Dong Zhuo gegeneinander aufbringt.
→ SIEBEN WEISE
Balustervase (Qing-Dynastie, Anfang 18. Jahrhundert)
Die »Sieben Weisen vom Bambushain« (竹林七贤 zhúlín qī xián) waren eine Gruppe von Gelehrten des 3. Jahrhunderts, die sich aus Protest gegen die korrupte Politik der Zeit in einen Bambushain zurückzogen. Als historische Figuren wurden sie zu legendären Gestalten.
Benjamin Creutzfeldt ist Geschäftsführer des KonfuziusInstituts Leipzig. Er übernimmt mit dieser Ausgabe die Leitung des Magazins und zeigt uns ein paar seiner Lieblingsobjekte im Leipziger Grassi Museum.
Mythen und Machtsymbolik in der Prachtrobe eines Kronprinzen: Neun fünfklauige Drachen sind kombiniert mit Fledermäusen als Glücksbringern, Lotosblüten als buddhistischen Symbolen und Wolken als Verbindung zwischen Himmel und Erde. Der Ozean mit Felsen und Bergen am unteren Saum symbolisiert die kosmische Ordnung.
Chīhaˇo hēhaˇo!
Der Mixologe unserer Serie für geistreiche Getränke ist Matthias Heger. Er ist Mitgründer von Ming River Baijiu, dem Wegbereiter der internationalen BaijiuBewegung. Als Joint Venture mit Chinas ältester Destillerie Luzhou Laojiao ( 泸州老窖) verbindet Ming River jahrhundertealte Tradition mit moderner Barkultur und dem Anspruch, Baijiu in Europa und den USA in den Mainstream zu bringen. Alles begann in den Hutongs von Peking, wo Heger 2013 mit Freunden die erste Baijiu-Bar Capital Spirits eröfnete. Was als Untergrundprojekt startete, brachte Baijiu bald in die Barszene von New York und London – und machte ihn dort zum Trend. Heute lebt Heger in Berlin und treibt die globale Mission der Baijiu-Bewegung mit unermüdlicher Leidenschaft weiter voran.
Wir beginnen eine neue Serie: Zu einem guten Essen gehört auch ein gutes Getränk – und somit erweitern wir Haochi! um Chihao hehao! Dafür holen wir in dieser Folge den Geist aus der Flasche und entmystif zieren …
Baijiu: Mehr als nur »Klarer Alkohol«
干杯!Gānbēi! Für viele Ausländer:innen – und nicht wenige Chines:innen – ist dieser Ausruf, begleitet von randvoll gefüllten Schnapsgläsern, ein traumatisches Erlebnis. Die Luft vibriert vom Alkohol – und von Aromen, die eher an Stallgeruch erinnern als an einen edlen Tropfen. Die Rede ist natürlich von Baijiu (白酒 báijiu ˇ ), Chinas Nationalspirituose – geliebt, gefürchtet, missverstanden. Baijiu gilt als soziales Schmiermittel –kein Geschäftsessen, keine Hochzeit, kein Neujahrsfest ohne ihn. Er verbindet, löst Zungen und zeigt Respekt: Wer einschenkt, ehrt. Wer trinkt, auch. Doch genau dieses Trinkritual, bei dem oft Moutai – der komplexeste Stil – gereicht wird, hat Baijiu im Westen einen zweifelhaften Ruf eingebracht.
Rezept & Text /食谱与文: Matthias Heger 何骏 Fotos / 图: Ming River 明江
• 30 ml Baijiu mit starkem Aroma (zum Beispiel Ming River)
• 30 ml süßer roter Wermut
• Tonic Water zum Auffüllen
• Eiswürfel
• Zitronenzeste als Garnitur Eiswürfel in ein Highball-Glas geben. Baijiu und Wermut darüber gießen, vorsichtig mit Tonic Water auffüllen. Kurz umrühren und mit einer Zitronenzeste garnieren.
• 30 ml Baijiu mit starkem Aroma (zum Beispiel Ming River)
• 30 ml roter Wermut (zum Beispiel Carpano Antica, Cocchi di Torino)
• 30 ml Campari
Alle Zutaten in ein Rührglas mit Eis geben und etwa 20 Sekunden kalt rühren.
In ein mit Eis gefülltes Tumblerglas abseihen. Mit einer Orangenzeste oder einem getrockneten Orangenrad garnieren.
General Ming Baigroni (Negroni mit chinesischem Twist)
Baijiu ist die Oberkategorie: In China existieren über ein Dutzend Stile – die vier wichtigsten unterscheiden sich so stark wie Gin von Whisky:
Leichtes Aroma (清香型 qīngxiāng xíng) – zart und floral, passt zur nordchinesischen Küche, die salzig, fleischlastig und sojasoßenbetont ist (zum Beispiel Fenjiu)
Starkes Aroma (浓香型 nóngxiāng xíng) – kräftig, fruchtig, ideal zu scharfer Sichuan-Küche mit Chili, Sichuan-Pfefer und öligem Charakter (zum Beispiel Luzhou Laojiao)
Soßiges Aroma (酱香型 jiàngxiāng xíng) – erdig, würzig, perfekt für die sauer-scharfe Küche Südwestchinas, besonders in Guizhou (zum Beispiel Moutai)
Reisaroma (米香型 mı ˇ xiāng xíng) – süßlich, mild, ideal zur leichten südchinesischen Küche mit Fisch und Gemüse (zum Beispiel Guilin sanhuajiu)
Trotz dieser Vielfalt läuft alles unter einem Namen: Baijiu. Was genau man trinkt, wissen viele oft nicht – den Zugang erleichtert dies nicht gerade. Baijiu wird meist aus Sorghumhirse gewonnen, unter Zugabe natürlich in der lokalen Atmosphäre vorkommender Mikroorganismen fermentiert und traditionell destilliert. Nach der Reifung werden verschiedene Chargen sorgfältig miteinander vermählt. Wer möchte, darf aber auch mal mit der Tradition brechen: Baijiu eignet sich hervorragend für kreative Cocktails – besonders in Kombination mit tropischen Früchten, Bitter oder als Twist klassischer Drinks wie Negronis. Neues Terrain für ein uraltes Getränk.
CHINESISCH
神 神
shén
Gottheit
Text / 文: Panda Read 熊猫嘟嘟
Aus dem Chinesischen / 德文翻译 : Yelin 叶林
CHINESISCHERKLÄRTEINFACH
Im ersten Zeichenlexikon der chinesischen Schriften ( 《说文解字》Shuōwén jiězì) wird 神 shén als »Himmlischer Geist, der alles hervorbringt« erklärt. Es besteht aus 示 shì als Bedeutungszeichen und 申 shēn als Lautzeichen.
Das Schriftzeichen 神 shén weist eine Links-rechts-Struktur auf und tauchte als erstmals in der Bronzeinschrift der Westlichen Zhou-Dynastie (bis 770 v. u. Z.) auf. Es setzt sich zusammen aus dem linken Teil 示 shì (der einen Altar darstellt) und dem rechten Teil 申 shēn (der für Blitz und Donner steht). Dies spiegelt die Vorstellung der Alten wider, Naturphänomene wie Donner, Regen oder Wind zu personif zieren und als göttliche Wesen mit übernatürlichen Kräften zu verehren. 申 shēn dient sowohl als Lautträger als auch als Hinweis auf die ursprüngliche Bedeutung. Daher ist 神 shén sowohl ein zusammengesetztes Ideogramm als auch ein Phonogramm.
Das erste Verb drückt häufg Bedeutungen wie Befehl, Bitte oder psychische Einstellung aus (zum Beispiel: 让 ràng , lassen; 叫 jiào, rufen; 请 qı ˇ ng , bitten; 派 pài , beauftragen/ schicken; 命令 mìnglìng , befehlen; 要求 yāoqíu , verlangen; 希望 xīwàng , hofen; 禁止 jìnzhı ˇ , verbieten; 鼓励 gu ˇ lì , ermutigen; 喜欢 x ı ˇ huan , mögen, 讨厌 ta ˇ oyàn , nicht leiden können, nerven usw.).
唐僧叫孙悟空去前方探路。
Tángsēng jiào Sūn Wùkōng qù qiánfāng tànlù. Xuanzang befahl Sun Wukong, er solle vorausgehen und den Weg auskundschaften.
王母娘娘派仙女去摘仙桃。
Wángmǔ Niángniang pài xiānnǚ qù zhāi xiāntáo. Die Königinmutter des Westens beauftragte eine Fee, Pfirsiche der Unsterblichkeit zu pflücken.
他讨厌弟弟乱扔垃圾。
Tā tǎoyàn dìdi luàn rēng lājī. Es nervt ihn total, dass sein Bruder ständig Müll achtlos wegwirft.
例句
Beispiele
shàng’àn
CHINESISCHER NETZJARGON
Zum Netzjargon gehören Wörter und Formulierungen, die im Internet entstanden sind, aber nicht nur im virtuellen Raum benutzt werden. Sie spiegeln häufig die soziale, politische und wirtschaftliche Entwicklung eines Landes oder einer bestimmten Region wider und sind unter jungen Menschen, also den Digital Natives, besonders beliebt.
Wortwörtlich bedeutet 上岸 shàng’àn : vom Wasser an Land zu gelangen. Im übertragenen Sinne beschreibt es den Übergang von einer belastenden, instabilen Situation in einen sicheren und stabilen Zustand – und hat auch die Bedeutung von »dem Meer des Leidens zu entkommen«. Wer zum Beispiel eine Beamtenprüfung oder eine andere wichtige Prüfung besteht und dadurch Sicherheit erlangt, spricht von 上岸 shàng’àn . Ebenso sagt man 上岸 shàng’àn , wenn sich jemand durch eigene Anstrengung aus Schulden oder einer schwierigen Lebenslage befreit und nun ein ruhiges Leben führen kann.
Liǎng gè yuè de shíjiān zhǔnbèi HSK sì jí hé HSKK zhōngjí kǎoshì, yào duō nǔlì cái néng shàng’àn ya?
Wie viel Mühe muss man sich wohl geben, um mit nur zwei Monaten Vorbereitung die HSK 4-Prüfung und die mittlere Stufe des HSKK zu schaffen?
他太幸运了,第一次考研就顺利上岸。
Tā tài xìngyùn le, dì yī cì kǎoyán jiù shùnlì shàng’àn. Er hatte wirklich Glück: Schon beim ersten Versuch der Aufnahmeprüfung zum Master hat er erfolgreich den sicheren Hafen erreicht.
Nachdem sie die letzte Rate ihres Hauskredits abbezahlt hatten, atmete das Ehepaar tief durch: »Endlich haben wir es geschafft, finanziell auf festem Boden zu stehen!«
CHINESISCH ALS FREMDSPRACHE
Meine Taiji-Lehrkurse am Konfuzius-Institut
我在孔院教太极
Das Konfuzius-Institut an der Universidade do Estado do Pará in Brasilien ist für seine KungfuKurse bekannt und zieht deswegen jedes Jahr viele einheimische Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer zum Kennenlernen dieser traditionellen chinesischen Kampfkunst an. Als einzige männliche Lehrkraft am Konfuzius-Institut, die Taijiquan ( 太极拳 tàijíquán), auf Deutsch: Schattenboxen, systematisch studiert hat, habe ich mich verpflichtet gefühlt, die Verantwortung für Taiji-Lehrkurse zu übernehmen.
Ich erinnere mich heute noch an meinen allerersten Kurs, wo ich vor lauter motivierten Kursteilnehmenden meinen Faden verlor. Zum Glück hatte ich die Institutsleiterin an meiner Seite. Sie war nicht nur fachkundig im Taiji, sondern auch eine sehr erfahrene Pädagogin. Sie vermittelte mir ihre persönlichen pädagogischen Erfahrungen und unterstützte mich zusätzlich im Kurs, indem sie die kompletten Taiji-Bewegungen in einzelne Demonstrationshandlungen aufteilte, damit die Kursteilnehmenden die Regeln besser verstehen und beherrschen konnten. Auch ihrer sorgfältigen Anleitung habe ich die deutliche Qualitätsverbesserung meiner nachfolgenden Taiji-Kurse zu verdanken. Die Kursteilnehmerinnen und -teil-
nehmer konnten von ihrer anfänglichen Befangenheit befreit werden und den Charme dieser uralten chinesischen Sportart genießen.
Ein Teilnehmer, der schon seit langer Zeit unter Rückenschmerzen litt, erzählte mir, dass seine Symptome deutlich nachgelassen hatten, seit er Taiji praktizierte. Ein weiterer Teilnehmer, Fan der argentinischen Mannschaft und gern im Argentinien-Trikot, berichtete einmal in unserer Taiji-Chatgruppe, dass seine Angstzustände infolge des anstrengenden Studiums merklich gelindert waren, seit er Taiji praktizierte.
Ein Trainer für brasilianisches Jiu Jitsu (巴西柔术 bāxī róushù) in meinem Taiji-Kurs hat mich nachdenklich gestimmt. Er ist ein begeisterter Fan des chinesischen Taiji. Einmal hat er mich zu seinem Jiu-Jitsu-Kurs eingeladen, damit ich seine brasilianische Variante der Nahkampfkunst, die ursprünglich aus Japan stammt, näher kennenlernen konnte. In einem eingehenden Gespräch haben wir gemeinsam feststellen können, dass das chinesische Taiji und das brasilianische Jiu Jitsu zwar in ihrer Technik unterschiedlich sind, aber in ihren Kerngedanken dieselbe Weisheit aufweisen: »Sanftmut bezwingt Härte« und »Stille überwindet Bewegung.«
Meine Taiji-Kurse fanden in der Regel in einem ofenen Bereich auf dem Campus statt, wie eine bewegende Kulturdarbietung. Es kam häuf g vor, dass Leute, die gerade vorbeikamen, anhielten und unsere Übungen beobachteten.
Manche von ihnen bemühten sich, meine Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer nachzuahmen und die eigenen Arme und Beine langsam zu bewegen; manche informierten sich über eine Anmeldung für meine Taiji-Kurse. Diese spontanen Interaktionen verstand ich als innigste Anerkennung meiner Arbeit.
Jedes Mal, wenn ich sehe, wie meine Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer von ihren Taiji-Übungen mit Gesundheit und Spaß proftieren, fühle ich mich stärker zu Taiji hingezogen. In diesem Fall erinnere ich mich ständig, noch härter zu arbeiten und meinen Kursteilnehmerinnen und -teilnehmern eine noch bessere Ausbildung anzubieten.
Ohrwurm 耳虫
Als sich in der Mitte der 1980er Jahre die sogenannte »Reform und Öfnung« Chinas vertiefte, erlebte auch die Musikindustrie einen Aufschwung.
»Bitte sag mir, wo der Weg ist« ist das Schlusslied der TV-Serie »Reise in den Westen«, die 1986 erstmals im chinesischen Zentralfernsehen CCTV ausgestrahlt wurde und auf dem gleichnamigen Roman von Wu Cheng’en aus der Ming-Dynastie basiert. Regie führte Yang Jie. Es handelt sich um die erste chinesische Fantasy-Serie, in der reale Filmaufnahmen mit Spezialefekten kombiniert wurden. Die Handlung erzählt von dem Afen Sun Wukong, dem Eber Zhu Bajie, der Sandmönch Sha Wujing und dem weißen Drachenpferd, die ihren Meister, den Mönch Tang Seng auf seiner Reise nach Westen (im heutigen Indien) begleiten, um die heiligen Sutren des Buddhismus nach China zu holen. Auf ihrem Weg müssen sie viele Schwierigkeiten überwinden und Dämonen bekämpfen, bis sie schließlich ihr Ziel erreichen und die Schriften in den Händen halten. Sowohl die Fernsehserie als auch das Lied wurden schnell zu einem landesweiten Hit.
Der markante Satz »Wir wandern auf dem beschwerlichen Weg, bis er zu einer breiten Straße wird« stand damals ganz im Einklang mit dem Pioniergeist der Anfangsphase der Reform- und Öf nungspolitik, als Chinesen und Chinesinnen »nach den Steinen tastend den Fluss überquerten«. Die Zeile wurde so zu einem kulturellen Symbol, das eine Generation dazu inspirierte, sich den neuen Herausforderungen zu stellen. Darüber hinaus ist die Melodie des Liedes eingängig und leicht mitzusingen. In der Komposition trif t das durch Synthesizer erzeugte galaktische Gefühl von Weite auf den volkstümlichen Charakter der dreisaitigen Langhalslaute Sanxuan, was einerseits die Idee der »interstellaren Reise« des Mönches auf der Suche nach den buddhistischen Schriften widerspiegelt und andererseits einen Bezug zur traditionellen chinesischen Musik herstellt. Die erste Version des Songs wurde 1984 von der Sängerin Zhang Baomo gesungen, für die Ausstrahlung im TV wurde dann die Version mit Jiang Dawei gewählt. »Bitte sag mir, wo der Weg ist« hat zahlreiche Preise gewonnen und erfreut sich bis heute allgemeiner Beliebtheit.
Sòngzo ˇ u wa ˇ nxiá und verabschieden die Abendröte.
踏平坎坷
Tàpíng ka ˇ nkě
Wir wandern auf dem beschwerlichen Weg,
成大道
Chéng dàdào bis er sich zu einer breiten Straße weitet.
斗罢艰险又出发
Dòu bà jiānxia ˇ n yòu chūfā Bewältigen Gefahren und gehen weiter …
又出发
Yòu chūfā Immer weiter.
Hier scannen und das Lied anhören!
啦啦 啦啦啦啦啦啦啦啦
Lālā lālālālālālālālā Lalalalalala …
一番番春秋冬夏
Yīfānfān chūnqiū dōngxià Im Kreislauf der Jahreszeiten, Jahr um Jahr,
一场场酸甜苦辣
Yīcha ˇ ngcha ˇ ng suāntián ku ˇ là durch die Höhen und Tiefen des Lebens.
敢问路在何方
Ga ˇ nwèn lù zài héfāng
Wage zu fragen, wo es langgeht …
路在脚下
Lù zài jia ˇ oxià
Der Weg beginnt unter deinen Füßen.
Wiederholung dieser Zeilen
你挑着担
N ıˇ tiāozhe dàn Du trägst die Last,
我牵着马
Wo ˇ qiānzhe ma ˇ ich führe das Pferd.
翻山涉水
Fānshān shèshu ıˇ
Über Berge und durch Flüsse,
两肩霜花
Lia ˇ ngjiān shuānghuā
Raureif bedeckt unsere Schultern.
风云雷电任叱咤
Fēngyún léidiàn rèn chìzhà Sturm und Regen, Blitz und Donner.
一路豪歌向天涯 向天涯
Yīlù háogē xiàng tiānyá xiàng tiānyá Mit heldenhaftem Gesang ziehen wir in die Ferne, in die Ferne.
敢问路在何方
Ga ˇ nwèn lù zài héfāng
Wage zu fragen, wo es langgeht …
路在脚下
Lù zài jia ˇ oxià
Der Weg beginnt unter deinen Füßen.
Text / 作词: Yan Su 阎肃 Musik / 作曲: Xu Jingqing 许镜清 Gesang / 原唱: Jiang Dawei 蒋大为 Aus dem Chinesischen / 德文翻译 : Maja Linnemann 马雅
6.–8.11. Filmfest 拆 CHAI-Filmfestival
9.11.
12.11.
bis 30.11.
Das Motto lautet Wandel, 蜕变 tuìbiàn: Sechs Langfilme und drei Kurzfilme zeigen alternative Lebensstile und soziale Umbrüche in der chinesischen Gesellschaft – es geht um Selbstfindung und Rückzug oder den Wandel traditioneller Normen. Darunter »Chinatown Cha-Cha« (女人世界, Regie: Luka Yuanyuan Yang 杨圆圆, 2024): Eine 92-jährige ehemalige Nachtclubtänzerin geht gemeinsam mit ihrer Senior:innentanzgruppe ein letztes Mal auf Tournee und sie schlagen eine Brücke zwischen den einst isolierten chinesischen Gemeinschaften in den USA, Kuba und China.
Ein Souvenirstand am Wegesrand, im Vorbeigehen kurz fotografiert – nichts Besonderes, oder? Jahre später fällt plötzlich auf, dass dahinter gut dreieinhalb Jahrtausende Geschichte und Kultur stecken, bis hin zur Gegenwart: Schrift und Religion, Architektur und Städtebau, Politik und Glückssymbolik, Porzellan und Jade, Fengshui und Orakel, Seidenstraße, Lebenskunst und etliches mehr. Am Ende fügen sich die Beobachtungen zu einem ganzen Chinapanorama. Was eigentlich macht China aus? Worin findet sich seine Identität?
Prof. Wolfram Elsner: Chinas neue Stellung in der Welt
Es geht um: Chinas Anti-Hegemonialismus, das Verständnis von Multipolarität, internationale Kooperation und die Prinzipien der Friedlichen Koexistenz, um Chinas Stellung in der UNO und in Südostasien, Chinas Globale UNO-Initiativen für Sicherheit, Entwicklung und Zivilisation, BRICS und die Shanghai-Kooperations-Organisation SCO, um die Lage im Südchinesischen Meer und um die Neuen Seidenstraßen, China in Afrika und in Eurasien sowie um die grundlegende Umgestaltung der Handels- und Investitionsstrukturen und den globalen Wandel im Verhältnis China-USA-Russland-EU.
Ort: Zoom und Haus der Wissenschaft, 4/5 Sandstraße, Bremen Zeit: 18:30–20 Uhr
www.konfuzius-institut-bremen.de/events-list
Ausstellung – letzte Möglichkeit 亞歐堂 meet asian art: Der Erwachte
Die Kabinett-Ausstellung zeigt Bildwerke aus China, Thailand, Tibet und Korea, die anderthalb Jahrtausende buddhistischer Kunst in Asien repräsentieren und seit bis zu achtzig Jahren im Museum Angewandte Kunst aufbewahrt werden. Gezeigt werden Steinskulpturen und Bronzeplastiken, lebensgroßen Bildnisse und Fragmente. Zu sehen sind dazu Altäre im Miniaturformat aus der Sui- (581–618) und Tang-Zeit (618–907) sowie kleine, manchmal nur luftgetrocknete Votivtafeln aus Ton, die bis heute an sakralen Orten abgelegt werden.
Ort: Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main Zeit: 4.12.2024–30.11.2025 www.museumangewandtekunst.de/de/besuch/ausstellungen/meet-asian-art-der-erwachte
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Vom Stein zum Pixel 从石版到帧
Steinabreibungen sind Reproduktionen der dargestellten Texte und Bilder durch das Abreiben mit Tusche auf Papier und damit eine der ältesten Techniken der Vervielfältigung. Die Berliner Künstlerin Wu Yimeng greift die sen Prozess auf und fügt den exakten Reproduktionen ihrer Linolschnitte als gegenwärtige Dimension eine animierte Erzählperspektive mit Augmented Reality hinzu. Eine Auswahl davon war im Leipziger Museum für Druckkunst zu erleben. Wir zeigen in den Ausgaben 2025 einige ihrer Werke, in die Sie per QR-Code wiederum digital einsteigen können..
Feitian oder Apsaras sind in der buddhistischen Mythologie halb menschliche, halb göttliche Frauen und gelten ähnlich den griechischen und römischen Nymphen als Naturgeister der Wolken und Gewässer. Das vierte Werk, das wir Ihnen hier vorstellen, ist die »Aspara mit Lotosblume« (莲花飞天 liánhuā fēitiān). In der turbulenten Zeit der Südlichen und Nördlichen Dynastien (420–581) schenkte der Buddhismus spirituellen Trost, und es entstanden dekorative Motive wie unsere Feitian. Lange Schals und Röcke umspielen sie und ihre ganze Körperhaltung zeigt sie in fliegender Schwebe. Häufig sind sie mit Musikinstrumenten dargestellt – oder mit einer Lotosblume: Einem wichtigen Symbol des Buddhismus, das sich durch den Schlamm und Schlamassel unseres Alltags in blütenweißer Reinheit öffnet. Hier sehen Sie sie noch mit der Lotosknospe in der Hand, die Wu Yimeng in ihrer Version der erweiterten Realität erblühen und farblich erstrahlen lässt.
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