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und seiner Reinlichkeit. Die geschäftsmäßige Verabreichung des Trunkes, die Vorherrschaft scharfer geistiger Getränke, das unbedachtsame, hastige Hinuntergießen des starken Stoffes, die ganze Inhaltlosigkeit des Ortes, der nur daraufhin eingerichtet ist, möglichst große Quantitäten in möglichst kurzer Zeit umzusetzen, die Menge herumstehender, den Schanktisch belagernder Menschen, welche keine Zeit haben, ihren Trunk in Ruhe zu genießen und sich dazu niederzulassen, das alles macht die amerikanische Bar zu einem sehr wenig einladenden Ort. Der biedere Deutsche würde seine ganze Abneigung dagegen in dem einen urdeutschen Worte »ungemütlich« zusammenfassen. Ich stimme vollständig mit Ihnen, Herr Bischof, überein, wenn Sie den »Saloon« nicht sehen können. Auch finde ich es gerechtfertigt, daß die Bundesregierung infolge des zunehmenden Umsatzes von geistigen Getränken den Verkauf von Alkohol in irgendwelcher Form an die Indianer verbot. Es ist viel in dieser Hinsicht gesündigt worden.
Warum aber dies drakonische Gesetz auf die vernünftige weiße Bevölkerung der Vereinigten Staaten erstreckt werden soll oder schon wurde, ist mir nicht verständlich. In den Neu-Englandstaaten, wo das puritanische Element besonders stark ist, wurde schon früh in einzelnen Gemeinden unter dem Druck der strengen Kirche der Ausschank von berauschenden Getränken magistratlich verboten. Aber dann kam der Staat Maine als erster, der für absolutes Verbot von Spirituosen innerhalb seiner Grenzen stimmte. Der starke Rum, der von Westindien nach Maine exportiert wurde und dort viel Unheil anrichtete, hat im Jahre 1846 Anlaß zu einem bittern Wahlkampf gegeben, der mit dem scheinbaren Sieg der Alkoholgegner endigte. Im Jahre 1851 trat darauf das Gesetz in Kraft, welches das Spirituosenverbot innerhalb des Staates Maine proklamierte. Das war der Anfang der Prohibition. Dem Beispiele folgten ein Jahr später die Nachbaarstaaten Massachusetts, Rhode Island und Vermont. Die beiden ersteren Staaten sahen jedoch sehr bald ein, wie wenig ratsam es für die Regierung sei, sich mit derartigen Gesetzen abzugeben, und sie überließen das Verbot des Ausschanks den örtlichen Behörden oder den Verwaltungen der Kreise, falls diese es
wünschen sollten, den Alkohol aus ihrer Mitte zu verbannen. So entstanden die »Localoption«- und »Countyoption«-Gesetze. Jeder Gemeinde oder jedem »County« war es somit anheimgestellt, den Verbrauch von geistigen Getränken nach eigenem Gutdünken und Bedürfnis zu dulden, zu regeln oder zu unterdrücken. Die feigen Landesväter dachten sich dadurch aus der Verlegenheit zu helfen, gerieten aber nun in die Lage eines zärtlichen Familienvaters, der eine Prügelei zwischen seinen Sprößlingen nicht dämpfen kann, weil er nicht weiß, wer im Rechte ist, und aus Angst, er könnte den Unschuldigen züchtigen, die Buben den Streit unter sich entscheiden läßt und ein Auge dazu zudrückt. – Nicht wahr? –
So nahm die Geschichte ihren Anfang. Bald erging vom Lager der Temperänzler aus ein Ruf an die ganze amerikanische Nation zwecks Gründung und Organisation einer politischen Partei, deren Hauptbestreben die Unterdrückung der Fabrikation und des Verkaufs von geistigen Getränken in den gesamten Vereinigten Staaten bilden sollte. Man hatte nämlich eingesehen, daß die großen führenden politischen Parteien sich niemals für die Alkoholfrage interessieren würden. So wurden am 1. September 1869 in Chicago die AntiAlkohol-Partei unter dem Namen »National Prohibition Party« von den Gesinnungsgenossen auf eigene Faust gegründet. Wenn aber in einem zivilisierten und politisch organisierten Lande eine neue Partei ihren neuen Ansichten und Zielen Raum und Anerkennung verschaffen will, so muß sie Stimmen haben. Die Prohibitionisten wußten aber auch, ganz genau, daß sie bei vernünftig denkenden Männern mit ihren Ideen nicht durchdringen würden. – Bitte, Herr Bischof, lassen Sie mich weitererzählen. – Darum verschanzten sie sich hinter die Röcke der Weiber. In der ersten Nationalversammlung der neuen Partei am 22. Februar 1872 zu Columbus, Ohio, wurde von den Prohibitionisten der Entschluß gefaßt, für Frauenwahlrecht in den Vereinigten Staaten aufzutreten, da man dringend der weiblichen Stimmen in der Alkoholfrage bedurfte. Das ganze weibliche Element sollte hysterisch gemacht werden. Man begann die schrecklichen Verheerungen, die der »Teufel Alkohol« in den Familien anrichten soll, in den glühendsten Farben zu schildern.
In den darauffolgenden Jahren waren die Stimmresultate der neuen Partei alle noch sehr bescheiden. Sie wuchs nur mäßig. Den Prohibitionisten schien aber kein Gedanke zu schlecht zu sein, um sich neue Anhänger für ihre Partei zu verschaffen. Sie kitzelten die brennenden Fragen im amerikanischen Leben, wie die der Einwanderung, und suchten durch eine schäbige Politik der Beschränkung und Erschwerung der europäischen Einwanderung die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und dadurch mehr Anhänger anzuwerben. Gleichfalls wurde die Forderung für das Frauenwahlrecht aufrecht erhalten.
Mit wechselndem Glück wuchs die neue Partei. In den letzten fünf Jahren jedoch hat sich eine wahre Panik des Prohibitionistenlagers bemächtigt. Seit dieser Zeit hat sich eine nervöse Tätigkeit entfaltet, so fieberhaft, daß man glauben sollte, der jüngste Tag sei nahe, um die Menschen für ihren Hang zum Alkohol zur Rechenschaft zu ziehen. Die verschiedenen großen Temperanzgesellschaften, fünf oder sechs an der Zahl, sowie eine unübersehbare Menge verschiedenster Sekten und Kirchengemeinden wurden plötzlich von Reue und Zerknirschung ergriffen und vereinigten sich zum Feldzug gegen ihre Sünden und die ihrer Mitmenschen. Dieses plötzliche, ruckartige Erwachen des nationalen Gewissens ist anscheinend ein ganz unerklärliches Phänomen. Aber alles hat seinen Grund. –
Die Gegner der Spirituosen hatten es nämlich vor zehn bis fünfzehn Jahren zustande gebracht, sich der Schulbücher zu bemächtigen. Im Laufe der Jahre wurden nun systematisch den Schulkindern Lügen und Verdrehungen der Wahrheit eingeimpft, indem man die Schulbücher mit prohibitionistischer Propaganda, mit Flüchen gegen den Alkohol anfüllte. Die Schulkinder sind nun inzwischen zum Teil oder ganz erwachsen und haben den Keim der engherzigen Lehren in sich aufgenommen, von deren Wirkungen sie sich nicht mehr befreien können. Sie sind in der Jugend geistig entmannt oder verstümmelt worden. Und bei jeder neuen Wahl tritt nun am Ballotagekasten die geistige Impotenz drastisch zutage. –Bitte, bitte. – Der Same, der gesät wurde, trägt nun reiche Früchte.
Unendliche Massen von Papier wurden verschwendet, die der lesewütigen Frauenwelt alle Schrecken des Alkohols gratis und franko vor Augen führten. Schade um die Tannenwälder, welche zur Herstellung dieser Gebirge von Makulatur ihr unschuldiges Leben lassen mußten. Immer und immer wieder wurden dieselben bombastischen Reden, die alten abgedroschenen Phrasen und Kanzelweisheiten in echt melodramatischer Weise wiederholt und von hinten aus unsichtbaren Quellen gespeist und verstärkt. Jeder erdenkliche Tamtam, alle Heilsarmeemethoden, für die das Gemüt des Durchschnittsamerikaners so wunderbar empfänglich ist, wurden angewandt, die Gewohnheitssäufer zu Reue und Leid zu veranlassen und die simplen Herzen der Jugend von der Verwerflichkeit des Trinkens zu überzeugen. – Wie, ich sei ungerecht! – Ich kann der Prohibitionspartei leider kein einziges vernünftiges Argument nachrühmen, so gern ich es täte. Die ganze Kampagne besteht aus einer endlosen, hysterischen Rezitation absurdester Geschmacklosigkeiten, von einer hartnäckigen, teuflisch ausgerechneten Appelation an die Stupidität der biederen Landbevölkerung, die das größte Kontingent der amerikanischen Nation stellt. Kein Mittel schien der Partei zu stupide, zu lächerlich, zu lügnerisch zu sein, um die Stimme des ungebildeten Farmers zu erbetteln, zu erschmeicheln oder zu erdrohen, der nota bene noch durch die Abgabe seiner Stimme an die Prohibition seine Existenz untergräbt.
Der beliebte Gedanke und Ausgangspunkt der Prohibition nämlich, daß der Alkohol so viele traute Heime ruiniere, ist unvernünftig und grundfalsch. Aber dieser Gedanke wird gehegt und gepflegt und gemästet. Bis zur Überdrüssigkeit wird er dem Volke immer wieder aufgetischt. – Gewöhnlich ist es nicht der Mann, der als Trinker sein Heim zerstört, sondern es ist das Heim, welches den Mann zerstört und in die Wirtschaft jagt. – Die Anschuldigung, daß der Alkohol Armut schaffe, ist falsch. Es ist nachgewiesen, daß das jährliche Einkommen des amerikanischen Arbeiters durchschnittlich 768 Dollars und 54 Cents beträgt. Davon gibt er jährlich durchschnittlich 12 Dollars und 44 Cents für Spirituosen aus. Für Tabak bezahlt er
fast genau so viel. Wenn die Nation verarmt, so ist es also nicht die Schuld des Alkohols. Da muß die Ursache in einem anderen Übel gesucht werden. Wenn die Heime der Menschen ruiniert werden, so geschieht dies einzig und allein durch die Menschen selber. Wenn ein Mensch herunter kommt, so ist es sein Naturell. Welchen Anteil hat der Alkohol an einem Menschen, der durch übermäßiges Trinken zugrunde geht!? Alkohol schafft nicht Wahnsinn – Wahnsinn sucht Alkohol.
Nach den Grundsätzen der Prohibition müßte man das Weib für nahezu alle Übel und Unglücke aller Zeiten und auf der ganzen Welt verantwortlich machen. Wir müßten das weibliche Geschlecht prinzipiell aus der Welt schaffen. Und die Frauen müßten das männliche Geschlecht auszurotten suchen.
Die Menschen müssen immer eine Art Sündenbock für ihre Leidenschaften und Sünden haben. Und wenn es auch nur eine dumme Ausrede ist. Sie richten andere auch meistens nur nach ihren eigenen Beschaffenheiten. Wenn ein Schwachkopf zum Beispiel unter dem Banne der Trunksucht oder irgendeines anderen Lasters steht, so setzt er von der ganzen übrigen Menschheit das gleiche voraus. Wenigstens glaubt er, die anderen müßten unter demselben Drucke stehen, die Leidenschaften müßten die gleiche Wirkung auf sie haben, die sie auf ihn ausüben. Es ist aber nur seine Unvernunft, die ihm solches einredet. Ein Säufer klagt nicht sich, sondern den Trunk an, ein Dieb nicht sich, sondern das verführerische Geld, das er nicht liegen lassen kann, ein Liebeskranker nicht sich, sondern die Leidenschaft, der er nicht widerstehen kann. Das alles ist Unvernunft. – Wenn ein Säufer sich gesteht: »Ja, ich bin schuldig, ich habe zu viel getrunken, ich will mich aber der Mäßigung befleißigen, weil ich nicht viel vertragen kann, und will denen, über die der Trunk keine Macht hat, den Genuß desselben nicht wegnehmen,« so erinnert diese Sprache an das, was wir in der menschlichen Gesellschaft gewöhnlich als Vernunft bezeichnen. Einem solchen Säufer ist vielleicht noch zu helfen. Er hat sich und die dämonische Gewalt seiner Leidenschaft
erkannt. Wer aber weder sich noch die Gewalt seiner Leidenschaft kennt, der ist unrettbar verloren.
Warum hat die Prohibition fanatische und hysterische Frauenzimmer hervorgebracht, welche mit Äxten und gefährlichen Wurfgeschossen bewaffnet, unbehindert umherziehen und das Eigentum der Wirte, an deren Lokalen sie gerade vorbeikommen, willkürlich auf scheußliche Weise zerstören können? – Diese Megären werden von der Prohibition aufrechterhalten und als Heilige oder Heroinen dargestellt. Solche Glorifizierung steigt den armen, bedauerlichen Wesen natürlich derartig zu Kopfe, daß es des unsinnigen Scherbenmachens kein Ende gibt. Ein religiöser, orientalischer Fanatiker ist ein Amateur im Vergleich mit einem solchen Weibchen. Die Polizei sieht wunderbar gleichgültig zu, wenn die Axt, von einem frommen Stoßgebet oder einem heiligen Fluche begleitet, zwischen den zerbrechlichen Gläser- und Flaschenbestand der Wirte saust oder von wohlgedeckter Stellung auf der Straße aus in die ahnungslosen Spiegelscheiben des Lokals prasselt. Das liebe Publikum hat sein Vergnügen an solchen Freivorstellungen. Die Zeitungen bringen ihre verherrlichenden Bilder dazu. Überall, wo es Scherben gibt, reibt sich der Nachbar die Hände, wenn nur sein Eigentum unbeschädigt bleibt. – Und was sagen die Wirte zu ihren Feinden? – Haben sie bisher nicht stets einen wunderbaren Takt besessen, sich nicht an einer solchen Megäre zu vergreifen? Haben Sie nicht meistens stillschweigend den oft in die Hunderte gehenden Schaden getragen? –
Die irdische Rentabilität der Agitation gegen die wohlhabende Spirituosenindustrie ist unverkennbar. – – Bitte, bitte – ich bin noch nicht zu Ende ... – Jede Agitation ist profitabel und erfolgreich, wenn sie auf die Beschränktheit der Massen gemünzt ist. Hier ist sie doppelt erfolgreich. Die ganze Prohibitionsbewegung scheint im Grunde nichts anderes zu sein als eine unter dem Deckmantel der christlichen Liebe versteckte perpetuelle Schröpfung der wohlhabenden Brauereien und verwandten Interessenten. Weil eine derartige Operation im kolossalen Stil betrieben wird, ist sie zulässig.
Große Räubereien werden staatlich und gesellschaftlich sanktioniert, denn man ist ihnen machtlos gegenüber. Außerdem sind sie rentabler wie die kleinen.
Die Spirituosen-Interessenten haben durch ihre anfängliche Untätigkeit und Sorglosigkeit bei der Abwehr ihrer Angreifer viel versäumt. Die leidige Brüderschaft, die viele Saloonwirte während der Wahlen mit den Tausenden und aber Tausenden von korrupten Politikern schließen, verleitet durch Aussichten auf gute Geschäfte von Seiten der betreffenden politischen Parteien und gutes Einvernehmen in bezug auf die Gesetzgebung, hat der Sache der Spirituosen-Interessenten auch viel bei dem gerecht denkenden Publikum geschadet. Denn die Saloons sind oft die Wiegen von korrupten, politischen Strohkönigen, stellen sich dadurch in sehr schlechtes Licht und haben manchen gegen sich erbittert, der sonst vielleicht nichts gegen ihr Dasein einzuwenden hätte. Diese Tatsache ist von den Prohibitionisten gleichfalls mehr als reichlich breitgetreten und ausgebeutet worden, denn eine solche Unvorsichtigkeit kommt ihnen gut zustatten.
Wie wackelig aber im Grunde das Gebäude der Prohibition steht, beweist die fieberhafte, hysterische Note, die aus allen Stimmen der Antialkoholiker herausschrillt. Die skrupellosen Übertreibungen und Verdrehungen von Tatsachen, der nervöse, neurasthenische Ton ihrer Sprache erinnert wirklich an einen Bösewicht, der seine Schliche und Absichten um jeden Preis durchsetzen will, oder an einen eigensinnigen, hartnäckigen Dummkopf, der einen im Eifer begangenen Unsinn eingesehen hat, denselben aber mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln zu verfechten und aufrechtzuerhalten sucht. Die Prohibitionisten haben nicht den geringsten Respekt vor der Gerechtigkeit, der sie geradezu ins Gesicht schlagen. Der unberechenbare Materialschaden, den sie der Nation zufügen, gilt ihnen nichts. Die Frage, wie es um die hochgepriesene und nur noch künstlich erhaltene Freiheit im Lande stehe, sobald ihre Ansichten durchgesetzt werden, beantworten sie nicht.
Die Sprache der Spirituosen-Interessenten ist meistens eine durchaus ruhige und vernünftige. Sie steht wenigstens in wohltuendem Kontrast zu den leidenschaftlichen Ausbrüchen ihrer Gegner. Sie widerlegt ruhig und sachlich die vielen Übertreibungen, entmäntelt und beweist klar und deutlich mit Hilfe von statistischen Ziffern die Unwahrheiten der Anschuldigungen und wehrt die Angriffe sachgemäß ab. Ein solches Verhalten sollte zum mindesten die rapide Verbreitung der Prohibition doch etwas aufhalten und die vernünftigeren Bürger zum Nachdenken veranlassen.
Aber sonderbarerweise gewinnt die Prohibition immer mehr Grund. Auf mehr als zwei Drittel des Gebietes der ganzen Nation ist das Haus, wo es etwas zu trinken gibt, dem Erdboden gleich gemacht worden; auf dem letzten Rest des Landes ist es von gierigen Feinden belagert, die auf seinen Sturz warten. Acht oder neun Staaten der Union sind jetzt schon vollständig »trocken« gelegt, mit anderen Worten: der Verkauf, die Fabrikation, der Versand von geistigen Getränken in diesen großen, weiten Gebieten ist zu einer verbrecherischen Handlung gestempelt worden und wird gerichtlich verfolgt. Trinken darf man in diesen trockenen Staaten, denn das Trinken ist nicht als verbrecherische und strafwürdige Handlung im Kodex erwähnt worden. O ihr bösen Prohibitionisten! –Wenn ein Hausmütterchen sich aus Heidelbeeren, Johannisbeeren oder Trauben einen Saft bereitet, denselben auf Flaschen zieht und gären läßt, so macht es sich damit zur Verbrecherin! Der Prohibitionist, der sich auf irgendeine Weise seinen Whisky verschafft und ihn heimlich genießt, ist unschuldig wie ein neugeborenes Lamm!!
Die Musterstaaten, welche ihren Millionen von Einwohnern den Genuß von geistigen Getränken irgendwelcher Art vollständig entzogen haben, welche die einschlägigen Industrien und Interessenten als Verbrecher gebrandmarkt und mit Gewalt ihre Existenz und Lebensunterhalt zerstört und die Unglücklichen ihres Heimatbodens verwiesen haben, ohne ihnen ein Äquivalent für den zugefügten Schaden zu bieten, sind in chronologischer Ordnung:
Maine, Kansas, North Dakota, Georgia, Oklahoma, Alabama, Mississippi, North Carolina, Alaska, und nun reiht sich auch noch der Staat Tennessee der würdigen Galerie an. Rund fünfzehn Millionen Menschen wohnen in diesen Staaten. Zu dieser Zahl von Tranklosen treten noch die Eingeborenen und Passanten der einzelnen Landbezirke, Städte und Ortschaften der anderen Staaten hinzu, denen durch die »Local option«-Gesetze der stärkende Trunk entzogen worden ist. Die Zahl dieser unglücklichen vertrockneten Länderstriche betrug Ende 1908 fünfhunderteinunddreißig und die Zahl der bedauernswerten Städte und Ortschaften im ganzen Lande (außerhalb der Prohibitionsstaaten, wohlverstanden) war zur gleichen Zeit zehntausendeinhundertzweiundfünfzig. Darunter befinden sich dreihundert Städte mit je fünftausend Seelen und neunzig Städte mit je zehntausend Seelen und mehr. Worchester in Massachusetts, eine Stadt von zirka einhundertfünfzigtausend Einwohnern, ist total »trocken«. Die ganz genaue Summe der Einwohner der von der Prohibition gedeckten Bezirke im ganzen Verbände der Nation läßt sich schwer feststellen. Man beziffert diese Summe auf zirka fünfundzwanzig Millionen Menschen. Demnach wären zusammen mit den Einwohnern der Prohibitionsstaaten ungefähr vierzig Millionen Menschen, also fast die Hälfte der Einwohner der Vereinigten Staaten auf zwei Drittel der Fläche des Landes unter dem Zwange der Prohibition.
Die Agitation wird wütend weiterbetrieben. In neun weiteren Staaten tobt der Kampf für die gänzliche Vertilgung der geistigen Getränke, selbstverständlich auch Vernichtung jeder Möglichkeit und Mittel zum Ersatz derselben. Und es sieht ganz danach aus, als ob die Gegner des Alkohols in den nächsten Jahren siegreich daraus hervorgehen würden. Ist es nicht sonderbar, daß die Prohibition erst wirklich Fuß faßte, als die Spirituosen-Interessenten im Jahre 1904 anfingen, ihre Sache ernstlich zu verteidigen? Seit diesen fünf Jahren gewann die Prohibition fünf resp. sechs Staaten mit zwölf Millionen Einwohnern. Außerdem gewann sie in anderen Staaten durch Local option-Gesetze einhundertundfünfzig neue Städte, Hunderte von Counties und Tausende von neuen Ortschaften und Dörfern. Im
ganzen rund zwanzig Millionen Menschen, also in fünf Jahren genau so viel, wie in dem vergangenen halben Jahrhundert ihres früheren Bestehens zusammen. Erst durch die Verteidigung der SpirituosenInteressenten hat der Kampf begonnen und die Aufmerksamkeit der Presse auf sich gelenkt, welche mit bemerkenswertem Instinkt die wachsende Zahl der Prohibitionisten erkannte und natürlich in deren Lager überging, in das Schlachtgeheul mit einstimmte und die bahnbrechenden Siege verherrlichte. Denn man hält sich gern mit der Übermacht. – Die Zeitungen sind Blätter. Die Blätter drehen sich je nachdem, wie der Wind geht. Geht der populäre Wind nach Norden, so zeigen sie mit ihren Spitzen nach Norden. – Die Zeitungen sind die Wetterfahnen der Zeit. Sonst gar nichts. Nichts mehr und nichts weniger. Die Nützlichkeit einer Wetterfahne stellen wir dabei nicht in Frage. Es scheint aber doch, als ob die größten Gedanken zu einer Zeit geboren wurden, da es noch keine Zeitungen gab. – Da nun der populäre Wind durch die Aktivität der Spirituosenhändler entfacht, nach Prohibition blies, so wandten sich die Zeitungen mit. Tritt eine Reaktion ein, welche, nebenbei gesagt, unausbleiblich ist, so werden die Zeitungen diese unterstützen.
Die wirtschaftlich und moralisch verderblichen Spuren der Prohibition machen sich schon allenthalben bemerkbar. Nicht nur im Staate Maine, wo durch mehr als fünfzigjähriges Bestehen der Prohibition die Gesetze des Landes zu einer elenden, lächerlichen Farce geworden sind und von keinem Menschen heilig gehalten, sondern auf alle erdenkliche Weise heimlich und öffentlich umgangen und übertreten werden, sondern auch in den jüngeren Prohibitionsstaaten wird das Ansehen des Gesetzes und des gesetzgebenden Körpers in den Schmutz gezogen. Wie kommt es, daß die Trunkenheit in den Prohibitionsstaaten zugenommen hat, seit man den Einwohnern die Gelegenheit zum Trinken nahm? – Die Bürger wissen sich schon ihren Trunk zu verschaffen. Daß sie dies aber wie die Diebe bei Nacht tun müssen, ist eine Schande. Es ist unglaublich, wie erfindungsreich die bedauernswerten Bürger der trockenen Staaten werden, wenn es gilt, ihren Durst zu löschen. –Die Apotheken, welche jetzt Spirituosen als »Medizin« verkaufen,
machen Bombengeschäfte, denn die »Medizin« darf in solchen Fällen nur in Literflaschen verkauft werden. Überall werden Gesöffe ausgeschänkt, die man für »alkoholfrei« erklärt, und wenn man sie näher untersucht, sind sie nichts als purer Whisky oder Bier, manchmal eine geradezu gesundheitsschädliche Mischung von allerhand scharfen Flüssigkeiten. – Freunde und Bekannte handeln frei ohne Lizenz mit Spirituosen untereinander. Die Gesetzgebung und der Staat ist machtlos. Sie kennen doch die genialen Methoden, die vor kurzem im Staate Georgia entdeckt wurden. Wer sich eine Flasche Whisky verschaffen wollte, ging in ein Hotel und verlangte ein Zimmer. Je nach dem Preise, den er bezahlte, fand der Gast auf dem Tische in seinem Zimmer eine Flasche, welche den ersehnten Trunk – Whisky, Wein, Bier, oder was es gerade war, enthielt. Diese Flasche steckte der Gast in sein Köfferchen, »reiste« sofort wieder ab, und das Zimmer wurde gleich darauf neu »besetzt«. So kam es vor, daß ein und dasselbe Zimmer oft hunderte Male an einem Tage »besetzt« wurde. Die Trunkenheit nahm überhand, das Gesetz wurde öffentlich verhöhnt. – Ein eifriger, leitender Prohibitionist war hinter diese Schliche gekommen und »mietete« sich auch einmal ein Zimmer in einem Hause, wo er nicht bekannt war, zwecks Überführung des Wirtes. In der gewohnten Weise eignete sich der Fromme die verhängnisvolle Flasche an, um sie bei der Anklage als Korpusdelikti zu benutzen. Der Wirt aber strengte ganz kaltblütig eine Gegenklage wegen Diebstahls gegen den eifrigen Spirituosenfeind an, der nicht das Recht habe, Gegenstände, welche sich in Hotelzimmern befinden, daraus zu entwenden. Und unter allgemeinem Gaudium und Gegröle aus tausend feuchten Kehlen wurde der Ärmste als ein gemeiner Dieb verdonnert. – Dem Wirte konnte nicht nachgewiesen werden, daß er Spirituosen verkaufte. Er ging frei aus.
Solche Komödien in verschiedenster Art und Weise kommen täglich vor. Es ist schon nicht mehr amüsant, es ist lächerlich. – Man denke sich einen Soldaten ohne Bier oder Wein! – In Amerika, wo bekanntlich alles möglich ist, ist auch solch ein undenkbarer Vaterlandsverteidiger möglich. Seit einigen Jahren hat man sämtliche
Kantinen in der amerikanischen Armee abgeschafft. Das Resultat ist, daß im Februar 1909 ein Armeebefehl erlassen wurde, wonach alle Flaschen, Behälter und Gefäße in der Armee, welche denaturierten Spiritus enthalten, mit der abschreckenden Aufschrift »Gift« versehen werden müssen, da die Soldaten in vielen Fällen, um ihren Durst zu stillen, zur Spiritusflasche gegriffen hatten, in dem guten Glauben, Spiritus habe nur die wünschenswerten Eigenschaften eines starken Whiskys. Natürlich kamen viele Erkrankungen und auch Todesfälle vor.
Die Prohibitionisten haben sich auch eine unpassende Zeit zur Purifikation des Menschengeschlechtes gewählt, welche auf Kosten vieler Tausender von ehrlichen Arbeitern stattfinden soll. Gerade zu unserer heutigen Zeit, wo Arbeitsmangel und Stellenlosigkeit in allen Industrien überhand genommen hat, gilt es, alte Industrien, die seit Jahrtausenden existieren, nicht mehr zu zerstören, als bisher schon durch die unabwendbare Ebbe und Flut der Zeit geschehen ist, sondern es gilt, neue Industrien ins Leben zu rufen, die den Millionen von hungernden Familien in allen zivilisierten Ländern Brot geben.
Ich glaube nicht, daß das amerikanische Volk der Arbeiter sich mit der mutwilligen Vergrößerung seines an sich schon bedenklichen Notstandes einverstanden erklären wird. Die direkten und indirekten ökonomischen Verluste, die die Prohibition mit sich bringt, sind ganz unberechenbar. Das ganze immense Kapital der Brauerei-, Destillations- und Weinbauindustrien in Amerika steht auf dem Spiel; zahllose, davon abhängige Industrien und Gewerbe sind bedroht. Was würde die Landwirtschaft allein an Hopfen, Gerste usw. jährlich verlieren! Im Staate Kentucky allein, wo man gegenwärtig auf absolute Abschaffung der Spirituosen drängt, steht ein Kapital von 192 Millionen Dollars auf dem Spiel, welches durch den Sieg der Prohibition rettungslos verloren gehen würde.
So hat die Prohibition seit mehr als einem halben Jahrhundert ihres Bestehens genau das Gegenteil von dem bewirkt, was sie versprach. Sie hat weder die Verbrechen vermindert, noch die
korrupten Politiker vertrieben. Sie hat auch nicht die Trunkenheit abgeschafft, sondern dieselbe indirekt gefördert. Sie hat die Bürger aber zu Sklaven erniedrigt und auf die gemeinste Stufe gestellt, welche ein zivilisiertes Volk einnehmen kann. Sie hat sie zur Menschenfurcht und Heuchelei gezwungen. Sie hat den ehrlichen Bürger, der eines Glases Bier oder Wein zu seiner Erholung bedarf oder dessen nicht entbehren will, zur Überschreitung und Mißachtung der Gesetze des Landes veranlaßt.
Jawohl, Herr Bischof, die Kirchen des Landes haben viel zur Förderung der Sünden beigetragen. Aber darum will ich gerade die Stellungnahme der römisch-katholischen Kirche zum Trinkverbot lobend hervorheben. Seit ihren ersten Zeiten hat diese Kirche (von einigen einzelnen Fällen abgesehen) einen versöhnlichen Standpunkt gegen die uralte Frage eingenommen und nur Mäßigung anempfohlen. Das wirklich großzügige und weitsichtige Urteil, welches der würdige Repräsentant der katholischen Kirche in Amerika, der Kardinal Gibbons, über die wachsende Prohibition vor einigen Jahren abgab, verdient verewigt zu werden. Es hat seinerzeit dem Kardinal volle Anerkennung und Beifall der vernünftigen Welt zu beiden Seiten des Atlantiks eingebracht. – Was aber war die Folge? –Sieg der Dummheit der Prohibition selbst in der Diözese des Kardinals.
Die Aussichten der Anhänger des Bacchus in Amerika sind also vor der Hand sehr trübe. Blinde, Enttäuschte, Glücksritter, Neugierige, Ignoranten von europäischer Herkunft haben in unermeßlichen Schwärmen die Küsten Amerikas bestiegen und sich bald wieder abgewandt, als sie das Gold nicht auf der Straße liegen sahen. Diese Leute haben es auf dem Gewissen, daß Amerika bei uns als ein entsetzlich nüchternes Land, ohne Inspiration, ohne geistiges Leben und ohne Ideale, weil nur auf Gelderwerb bedacht, verschrien ist. –Aber Amerika hat Ideale. Der Beweis für das Vorhandensein von Idealen in kruder Form ist die Prohibition selber. Die junge Riesennation muß ihre Kämpfe, muß ihre Zweifel und Torheiten der Jugend durchmachen. Sie hat alle Zeichen des jungen Idealisten an
sich. Sie torkelt von einer Maxime in die andere. Der junge Idealist wird alles über den Haufen werfen, wenn es gilt, seine Ideale zu verfechten. Am nächsten Tage wird er die teuer erworbenen Ideale ablegen, wie man einen Rock ablegt, der zu eng geworden ist ... Der Rock mag noch schön und neu sein, aber der Jüngling freut sich über sein Wachstum und holt sich einen passenden Rock. Diese Häutungen muß jeder Mensch und folglich auch jede Nation in ihrer Jugend durchmachen.
Eine der amüsantesten amerikanischen Jugendtorheiten ist der Superlativ. Freilich, für uns Europäer etwas unangenehm, ja widerlich. Manch alter Griesgram mag im Superlativ eine gefährliche Krankheit sehen, aber wir, die wir jung bleiben wollen, wollen uns darüber köstlich freuen! Die amerikanischen Superlative sind bekannt: das reichste, das größte, das höchste, das schnellste, das längste in der Welt. So heißt es, wenn von irgend etwas die Rede ist. Der Amerikaner spricht im Superlativ, lebt, schläft, träumt darin: er besitzt ihn, sucht ihn, verlangt ihn, betet ihn an. – Sein Land hat ihn in Ausdehnung, in Naturschönheit, in natürlichem Reichtum, ja selbst im Wetter und im Klima. So schafft sich das Volk seinen Superlativ im Verkehrswesen, im Geschäftsleben, in der Arbeit, in Gebäuden, im Reichtum und in Armut, in Religionen und Lastern, in Bigotterien und Gemütsroheiten, in Verbrechen und in öffentlichen Wohltaten.
So wenden auch die Prohibitionisten den Superlativ in der Anklage gegen Bacchus und seine Freuden an. – Aber Bacchus, der Milde, wird dem jungen Amerika verzeihen. An der Hand der Geschichte wird er Amerika leiten und ihm zeigen, was er aus seinem Feinde gemacht hat.
Tausend Jahre vor Christi Geburt tobte ein kaiserlicher Sohn des Himmlischen Reiches der Mitte gegen die Macht des Weines. Er ließ alle Weinstöcke entwurzeln. Wo ist der Kaiser jetzt? Tot, sehr, sehr lange tot. Die Reben blühen noch immer. So sehr tot ist die armselige, bezopfte Majestät, daß man schon gar nicht mehr weiß, welcher Dynastie sie angehörte. Die Reben blühen weiter. Tausend persische Fakire und Pfaffen grölten in der Mitte des elften
Jahrhunderts die verderbliche Macht des Weines an. Als Gegengabe schenkte uns Persien zur selbigen Zeit einen einzigen Omar – Omar Chajjam. – Das Lachen eines einzigen Omars war tausendmal wuchtiger als das Gezeter und Geheul von tausend Derwischen und Priestern zusammen. Alle tausend Schreihälse sind tot. Sehr, sehr lange tot. Man kennt ihre Namen gar nicht. Man hat sie nie gekannt. Und nie kennen wollen. – Omar lebt weiter. Seine Rubaiyat, sein Lachen macht heute noch alles Gezeter stumm. –
Was ist aus Indien, dem uralten Lande der Wunder, der tiefsten Denker, der jungfräulich herrlichen Poesie geworden? Was ist Arabien und die anderen Länder, denen Buddha und Mohammed den Wein verbot? Unzählige Beispiele wird Bacchus bringen, wo er seine Gegner in die Lächerlichkeit zog, sie dem Spott der Welt preisgab. Er wird die Dichter und Denker aller Zeiten und aller Völker kommen lassen, um Zeugnis für ihn abzulegen. Sollte ihm dann noch die Tür gewiesen werden, so wird er sich nicht darob grämen. Dann wird er ruhig das Land verlassen und es meiden. Und wo er auszieht, da zieht orientalische Apathie, Trägheit und Lasterhaftigkeit ein und legt sich wie ein böser Traum auf das Gemüt des Volkes. – Dann wird die Statue der Freiheit die größte Lüge und Karikatur, die jemals von den Menschen errichtet wurde. Sie wird dann zum verlockenden Aushängeschild an der Tür zum Despotismus des Pöbels, der Plutokratie, der Pfaffenwirtschaft und Heuchelei.
Ich weiß, der wirkliche Amerikaner ist mit solchen Zuständen nicht einverstanden. Was kann aber die vernünftige Minderheit gegen die blinde Mehrheit machen? Die Heiligkeit des Gesetzes darf nicht verletzt, nicht in Frage gestellt werden. Die Heiligkeit des Gesetzes hat nichts zu tun mit dem Blödsinn, den das Gesetz oft vertritt, fördert und beschützt. Wenn ein Unwürdiger die Priesterweihe erhält, so ist nicht die Weihe entehrt, sondern der Unwürdige selber. Wenn das Gesetz einen Blödsinn sanktioniert, so ist nicht das Gesetz anzugreifen, sondern der Blödsinn. Ein Untertan, geschmückt mit dem Purpur und den Regalien des Königs, darf sich höchstens in einer komischen Oper sehen lassen. Wenn er sich aber ernst nimmt,
so kann man ihn mit gutem Gewissen für geistesgestört halten und ihn einsperren.
So kann man auch den Blödsinn in das würdige Gewand des Gesetzes kleiden, aber er wird immer ein Blödsinn bleiben. Daß er so in monumentalster Weise angebetet wird, daß Millionen und Abermillionen vor ihm auf die Knie sinken, ändert gleichfalls nichts an der Tatsache, daß er ein Blödsinn ist.
Mit der Autorität der Stimmenmehrheit war es von jeher, überall und zu allen Zeiten eine eigenartige Sache. In einem Schwarm von Spatzen hat eine Nachtigall nichts zu sagen. Wer unter den Wölfen ist, muß mit ihnen heulen. In Rom tut man, was die Römer tun. Und in Amerika bei der Übermacht der Prohibitionisten muß man tun, was diese Leute tun: nämlich im geheimen trinken oder Kokain nehmen und fromm drein schauen. Aber die Heiligkeit des Gesetzes ist unantastbar. – Bevor ich mich aber hiermit einverstanden erklärte, würde ich mich betrübt von Amerika abwenden und das schöne große Land betrauern, das dem Schicksale Indiens und Arabiens entgegengehen soll. Ich würde mich nicht wohl fühlen in einem Lande, wo man sich an einem toten Sonntage Inspiration aus Gefrorenem und Limonaden mit Strohhalmen in die öden, müden Schädel einsaugt und sich einen Sodawasserenthusiasmus antrinkt, damit man wieder mutig den Stürmen des mühevollen Lebens am Montag entgegentreten kann. Nein, wenn ich an der Tafel und beim Wein sitze, dann fühle ich Erdgeborener mich den ewigen Göttern gleich und will nichts, aber auch absolut gar nichts verachten und entbehren, das die schöne Erde mir bietet, wenn ich es haben und in schöner Freude genießen kann. – Und mein Kellner ist dann mein Ganymedes, und mag er noch so verzweifelt irdisch drein- und ausschauen. Dann will ich seine und die eigene Weltlichkeit vergessen. – Aber vierzig Millionen Menschen ohne einen Tropfen Wein! – Ein schallendes, anakreontisches Gelächter dafür! – – Nun, Herr Bischof? – –
So!? – Hm ... Warum ich nicht lache, warum ich plötzlich so ernst dreinschaue? – Eingesehen? – Nein, gar nichts habe ich eingesehen!
Aber hör' mich an, alter Freund! – Ich habe dir noch etwas zu sagen. – Du zitterst! – –! – Ja – du tust mir leid! – – Bitte, laß mich reden! Nur noch ein paar vernünftige Worte will ich zu dir sprechen: – –Bitte, laß mich reden, sag' ich! Nimm doch noch einmal deine frühere Vernunft zusammen. Und dann will ich dich hören, was du zu sagen hast. – Also du behauptest, das Ausschänken von Spirituosen hat einen verderblichen Einfluß auf das Seelenleben des Kellners! – Mein Kellner macht sich zum Mitschuldigen an meinen Sünden, am Untergang der Säufer und der Schlemmer! – Das sagst du mir!? Nun höre, was ich dir zu sagen habe:
Mögen fromme Menschen, die sich um das Seelenheil anderer bemühen, ihrem lieben Herrgott danken, daß sie nicht so sind wie der Kellner, der seine Kräfte in die Dienste des entsetzlichen Dämons Alkohol stellt; mögen die frommen Leute ihm sein Brot abnehmen; mögen sie ihn in Grund und Boden verdammen, über diesen Fluch, über sein Unglück hilft die Philosophie den freundlichen Ganymed hinweg. Muß der Soldat nicht, durch die Umstände gezwungen, Menschen töten, die er niemals zuvor gesehen hat, Menschen, die ihm nicht das geringste Leid zugefügt haben? – Und je mehr er von diesen unschuldigen Menschen abmordet, um so ein besserer Soldat ist er! – Man wird mir doch nicht sagen wollen, daß ein Soldat mit Freude, Mut und Tapferkeit zur Schlacht auszieht! Ein solcher Soldat wäre doch eine wahre Bestie. – Nein, es ist die Furcht und der Fluch der Notwendigkeit, welche die Kugeln aus den Läufen heraustreibt. Es ist die selbstgemachte Notwendigkeit, welche die Menschheit zu solcher Sklaverei erniedrigt, die Notwendigkeit, welche dich und mich und auch den Kellner macht. Darum, je mehr Alkohol der Kellner verkauft, um so ein besserer Kellner ist er und folglich ein um so besseres Mitglied der menschlichen Gesellschaft. – Welch eine Jammergestalt von einem Soldaten, der in die Luft schießt aus Furcht, er könnte dem unschuldigen Menschen, den er abmurksen soll, ein Leid zufügen. Welch ein miserabler Kellner, der nicht einschenkt aus Furcht um das Seelenheil des Gastes!
Darum drauf los, ihr Jünglinge, die ihr Soldaten und Kellner spielen müßt! Laßt die Gewehre und die Pfropfen knallen, was das Zeug halten kann! Macht so viele Feindes- und Bierleichen, wie ihr könnt! Dann habt ihr eure Pflicht getan! – Darum drauf los, ihr Schriftsteller und Theologen, ihr Künstler und Juristen, drauf los alle ihr, die ihr im Namen unserer Zivilisation lügen, betrügen, heucheln, schön tun, rauben, morden, stehlen, plündern, faulenzen, euch wegwerfen müßt! Und wer müßte es nicht unter euch zivilisierten Menschen!? – Selbst der Unschuldigste unter euch, der Rentier, sündigt. Er faulenzt auf Kosten des Gemeinwohls. Wer unter euch frei von Schuld ist, der mag einen Stein aufheben und die Flasche in des Kellners Hand zertrümmern!
Die Sauferei und Schlemmerei verabscheuen die guten Kellner und Wirte ebensosehr wie ihre Antipoden, die Prohibitionisten. Vielleicht noch etwas mehr als diese. – Denn sie sind es, die den Schmutz wegräumen müssen; sie sind es, die die Schlemmer in ihrer tiefsten Erniedrigung sehen. Diese sehen sich nicht selber. Sie schlafen den tiefen, traumlosen Schlaf, den die Erinnyen bewachen. – Niemand weiß besser, was Trunkenheit ist, als der Kellner, niemand weiß besser, was der Tod ist, als die Totengräber. Wer es nicht glaubt, befrage Shakespeare.
Wenn die Menschen aus allem, was sie sehen, Lehren für sich und ihr Leben zögen, so stünde vieles besser um sie. Wenn die Kellner dies täten, so würde aus ihnen ein gewaltiges Geschlecht entstehen, wie die Welt noch keines gekannt hat, dagegen sich die größten Satyriker als armselige Kläffer verkriechen müßten. Sie würden stärker und machtvoller werden als die biblischen Propheten, die beim Anblick eines versumpften Volkes nichts als weinen oder schlechtes Wetter prophezeien konnten. Jerusalem, Babylon, Ninive, wieviel Gutes müßt ihr noch in euch geborgen haben, da man noch Lamentationen und Tränen an euch verschwendete! – Es werden aber diejenigen kommen, die nicht predigen, nicht weinen und nicht prophezeien, sondern nur schauen, mit kalten, ruhigen Augen schauen, darinnen alles Mitleid erstarrt ist, starke Geister, die das