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Vorwort von Oliver Kobold
VORWORT
Wenn man vom Teufel spricht, dann… ja, was eigentlich? Dann kommt er? Aber er ist doch längst schon da. Beileibe nicht als „man of wealth and taste“, sondern als der, der er immer war. Nach dem Rauswurf aus Eden übernahm Mephisto. Diabolisch, nichts anderes meint das griechische Wort, handelt, wer die Dinge durcheinandergeraten lässt, die Tatsachen leugnet, die Wahrheit beugt. „Gott fragte: Wo kommst du her? Der Satan antwortete dem Herrn und sprach: Ich habe die Erde hin und her durchzogen.“ Was er dabei gesehen hat, dürfte ihm gefallen haben. Heinz Ru dolf Kunze nennt es „die unendliche Beerdigung namens Gegenwart“, und in diesen Texten ist er ihr Chronist. Kein nüchtern-bilanzierender allerdings. Die Zeiten sind nicht danach, den Rädern gelassen beim Rollen zuzusehen. Worum geht es? Ums Spucken von Gift und Galle. Ums Beschimpfen, Klagen, Haare-Raufen. Ums Deuten auf den Verfall, häufig in lustvoller Drastik, manchmal aber auch einfach nur fassungslos. Die umschreibenden Bezeichnungen für den Teufel, früher noch wirksamer Abwehrzauber, funktionieren mittlerweile so umstandslos wie Klarnamen, heißen Trump oder AfD. Kunze verschriftet die Gegenwart. Er kehrt den Sprachschutt, der sich zum Himmel türmt, zusammen und macht aus ihm Collagen des alltäglichen Irrsinns. „Mimesis ans Verhärtete und Entfremdete“ (Adorno) oder: Willkommen im Erlebnispark Alltag – Terror, Hetze, Dummheit,
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Unfähigkeit, Verrohung, Sprachverhunzung, Trash-TV, Gesamtschulwetter und die Irrwege politischer Korrektheit inklusive. Freilich bleibt es nicht beim bloßen Abbild. Das Gefundene wird mit Subjektivität aufgeladen und dadurch verwandelt. Dem Ich, das in diesen Texten laut wird, steht ein ganzes Arsenal an Formen zur Verfügung, wenn es darum geht, den Stoff zu bändigen. Der Gattungsbezeichnung zum Trotz: Es sind eben nicht nur Zeitgeschichten. Neben sie tritt Gereimtes, in Strophen und Rhythmus Gebrachtes und kühn Gesetztes, mithin lyrisches Sprechen, mithin Zeitgedichte. Penibel ist dabei jedem Text der Tag seiner Entstehung mitgegeben. Im Datum findet das in Sprache Gefasste seine Signatur, gibt sich zu erkennen als zugehörig zu einem ganz bestimmten Tag. Das könnte zum nachfor schenden Blick in den Kalender verleiten. Warum entstand wann was? Doch wird man dem konkreten Schreibanlass wohl nur selten auf die Spur kommen. Viel gewonnen wäre dadurch ohnehin nicht. Es bliebe ein Lesen, das die Macht poetischen Verschiebens und Verfremdens verkennte. Literatur hat ihre eigene Zeit und ihr eigenes Recht oder sie ist keine. Nur Banausen ficht das nicht an. Die werden wie je Zeilen aus allem Zusammenhang reißen, sie als Beute präsentieren und dabei entweder „Jawohl!“ oder „Verrat!“ krakeelen, je nachdem, wie es ihnen in ihren trüben, abgestandenen, weltanschaulichen Kram passt.
Lange schon haben Kunzes Bücher den Charakter von Lied-Sammlungen abgelegt. Wer in ihnen Songtexte sucht, wird nicht mehr fündig. Und doch hat sich dadurch die Engführung beider Ausdrucksformen nicht erledigt. Platten und Bücher verweisen aufeinander, ergänzen sich und funktionieren als wechselseitiger Kommentar, ohne dabei jedoch ihre Unabhängigkeit preiszugeben. Fast könnte man von einem Gesamtwerk sprechen, von einem Textgeflecht auf alle Fälle. In ihm rückt das Ferne plötzlich wieder nah, erläutert das Neue ein Früher, das wiederum die Zukunft bereits vorweggenommen hat. Kein KunzeHörer, der beim Lesen von „Gegend und Heimat“ nicht an den Song „Vertriebener“ von 1985 denkt. Und „Lisa mit a“ evoziert das (fast) gleichnamige Lied von Kunzes erstem Live-Album und bestätigt so, dass all die Zeit tatsächlich noch etwas unerledigt geblieben ist. Dass das mit Lisa eben doch Liebe war. Von Cohen besungene, von Nietz sche bespöttelte, wunderbare, unerfüllte Liebe. So einige der in diesem Buch enthaltenen Texte wur den in den vergangenen Jahren schon vor Publikum vorgetragen. Keineswegs sind sie als bloße Einleitung, als schnöde Ansage gar zum im Konzert jeweils folgenden Lied misszuverstehen. Stattdessen verhalfen sie ihm zu mehr und häufig auch zu anderer Bedeutung – und umgekehrt. So wenn bei den vorerst letzten Auftritten mit Band die Verwünschungsorgie „Gar nicht“ den Doo Wop des anschließenden „Komm mit mir“ fast schon hörbar machte. Oder der Song „Der Vogel, der nach Süden zieht“
durch das vorausgeschickte „Sprachen verstehen“ ins Hoffnungsvolle gewendet wurde. Und auf einmal hielt man es doch wieder für möglich, dass es einen Aufschub geben kann. Dass der Winter und das Vergessen noch etwas auf sich warten lassen. Kunzes Schreiben kann als bannendes begriffen werden. Indem es dem Schrecken nicht ausweicht, hält es ihn stets um ein Winziges in Schach. Gerade in der Absage an alle Patentrezepte zur Weltenrettung deutet es auf das, was fehlt. Der Utopie, alles könne sich noch fügen, wird die Treue gehalten. So werden Texte, poetische zumal, zum „Abwehrkampf gegen die Bestialität“, so bieten sie der „Zernichtung die Stirn“. In den Lücken, die der Teufel lässt – schon Alexander Kluge wusste das –, wohnen die Menschen und tun, was sie können, um Antworten auf die alten, die großen Fra gen zu finden: das Leben, die Liebe, das Altern, den Tod. Ihnen sind einige der ergreifendsten Texte dieses Buches gewidmet. Etwa die gar nicht so sachliche Romanze „Das Bad im Meer“. Oder das Vergänglichkeits-Schwarzbild „Die Nacht aushalten“. „Lebensfeldweg“ spricht gar von den allerletzten Dingen: Am Ende der einem zugedachten Zeit wird der Horizont nur noch kriechend erreicht. Aber davor, immer wieder, „momenthafte Wärmeschübe von Glück“. Ein Licht, das von weit her kommt und die Dinge in ihrer Schönheit erst sichtbar macht. Snapshots des fraglosen Gelingens, auch das sind diese Texte. Manchmal wird die Wand, hinter der man ausgeharrt hat, gläsern,
und es kommt zu der Begegnung, nach der man sich lange gesehnt hat. Im vergangenen Jahr hat Kunze einhundert Songs von Bruce Springsteen ins Deutsche übertragen, darunter auch „This Hard Land“. Dessen Schlusszeilen „Stay hard, stay hungry, stay alive“ tauchen nun noch einmal auf, ins Eigene gewendet. Als Version mit Brille. Der Glaube an die deutende, oft auch heilende Kraft der Literatur hört niemals auf: „Seid klug. Seid belesen. Seid gelassen.“ Vielleicht hat der Teufel doch nicht die besten Lieder.
Oliver Kobold