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Du bist nicht ich

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Also ich finde

Also ich finde

„Kann schon sein“, grinst der blinde Photograph. „Bitte recht freundlich, aber ohne zu lächeln. Stell dir einfach vor, du bist ein Entführer.“ Ich weiß nicht, was es ist, und fühle mich eher wie der Entführte. Und ich schäme mich so, weil so viele Englän der schlechte Zähne hatten nach dem letzten Krieg, denn es gab keine Orangen, sagt der blonde, nein, der blinde Photograph, der aus London stammt. Und schuld daran waren irgendwie wir Deutschen. Also an den Orangen, beziehungsweise an den keinen Orangen. Nicht daran, daß er aus London stammt. Und am meisten schäme ich mich, weil ich gar keine Orangen mag, nie mochte und nie mögen werde. Vielleicht ist es das. 27.08.2016

Du bist der Jäger, der loszieht, um ein Reh zu schießen, und heimkehrt mit einem Tiger. Du bist der Prediger, der glaubt, nur einen Größeren anzukündigen. Doch deine Hörer wissen: Du bist es selbst. Du bist das Prickeln auf der Haut beim Anblick einer nackten jungen Frau, die nichts zu befürchten, nichts zu erdulden, nichts zu be reuen hat. Du bist genau das, was ich suche. Du bist nicht ich.

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Du bist der Käpt’n in der Südsee, der sich die Meuterei zu eigen macht und anführt. Du bist der Einsiedler im Pack eis, der, wenn er seinen Fluchtpunkt verlassen würde, der mächtigste Mann der Welt sein könnte. Du bist alles das, was ich ersehne. Du bist nicht ich. Du bist der Slide-Gitarrist, der Robert Johnson, Elmore James und Brian Jones vergessen läßt und den Blues neu über die Erde ausgießt. Wie einen Heiligen Geist. Du weißt, wie man die Lebensform der Familie ins nächste Jahrtausend retten kann. Wie man Warzen bespricht und wie die europäische Idee nicht sterben müßte. Du bringst jeden Terroristen zum Lachen. Du bist genau das, was ich brauche. Das, was wir alle brauchen. Du bist nicht ich. Du würdest niemals eine Rasierklinge an den Himmel halten, denn die Wolken könnten Blut verlieren. Und du würdest niemals bezweifeln, daß selbst das kleinste Ding auf der Welt einen Namen hat und eigentlich verdient, daß man ihn kennt und nennt. Eine Aufgabe, die das Menschenmögliche übersteigt. So wie alles Wertvolle. So wie du, der ich nicht bin. Denn ich bin nur der, der ich bin. 01.09.2016

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