KÖNNEN UND WOLLEN Früher wollten wir, daß der Spaß zur Pflicht wird. Heute wollen wir, daß die Pflicht Spaß macht.
Früher schlugen wir uns den Bauch voll und hatten
keinen. Heute haben wir den Salat und haben einen.
Früher näherten wir uns schockierend der Schallgrenze
und waren Fußball-Ultras. Heute nähert sich uns der Ver-
trauensarzt mit der Glitschcreme und dem Kolben der Ultra schalluntersuchung, der aussieht wie ein E lektroschocker.
Früher stellten wir uns die Nachrichtensprecherinnen
nackt vor. Heute sehen wir keine Nachrichten mehr.
Früher war die Selbstbefriedigung ein warmes Gefühl
in der rechten Hand. Heute lassen wir sie kühl links liegen. Früher waren wir überzeugt von jedem Wetter. Heute
haben wir immer den Verdacht, daß der Sonnenschein trügt und daß das Blaue am Himmel gelogen ist.
Früher schnupften wir den Schnee, als gäbe es kein
Morgen. Heute ist er der von gestern.
Früher waren wir hinterher völlig hin. Heute sind wir
schon vorher meistens weg. Und dabei immer diese fast
schon schmerzhafte Gewißheit, daß es gerade die Löcher in unserem Gedächtnis sind, in denen sich etwas Drittes verbirgt, das den Unterschied ausmachen könnte zwi-
schen früher und heute auf der einen Seite und etwas ganz anderem.
Eigentlich möchte man fließend rückwärts sprechen
können, um sich all das Entschwundene wiederzuholen.
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