ausgabe 12 | April 2025
ein fachmagazin des studiengangs digital marketing & kommunikation der fh st. pölten
ausgabe 12 | April 2025
ein fachmagazin des studiengangs digital marketing & kommunikation der fh st. pölten
Du interessierst
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• Digital Business Communications
• Digital Marketing & Kommunikation
• Digital Management & Sustainability
FH-Prof. Ing. Dr. Harald Wimmer (r)
Studiengangsleiter Digital Marketing & Kommunikation (MA) Studiengangsleiter Digital Media Management (MA) Stellvertretender Studiengangsleiter Marketing & Kommunikation (BA)
>> Editorial
01 Politik auf Augenhöhe: Kann Social Media die Bürger*innenähe auf Gemeindeebene stärken?
03 Auch durch positiven Content kann man auf TikTok Erfolg haben
05 Dialog fördern, Demokratie stärken
07 Der Ton in der Politik wird immer rauer
09 Wie man einen modernen Wahlkampf führt
11 Der Ton macht die Musik: Wie Jugendliche für Politik begeistert werden können
13 Krisen als Wendepunkt
15 Ein lustiger Wahlkampf mit ernsten Zielen
17 Politische Kommunikation im Kleinen
19 Politische Werbung neu gedacht – wie Agenturen die Gen Z begeistern wollen
21 Wie Künstliche Intelligenz die politische Kommunikation verändert
23 Vom Journalisten zum Spin-Doctor
25 Manipuliert durch Worte: Wie politische Kommunikation unsere Gedanken lenkt
27 Die Grünen und ihr roter Faden
29 Unser Ansatz ist bodenständig und menschlich
Liebe Leserin, lieber Leser!
Politische Kommunikation ist heute mehr als das bloße Übermitteln von Botschaften – sie ist eine Kunst, die Taktik, Timing und ein Verständnis für das Publikum erfordert. Die Aufmerksamkeitsspanne junger Wählerinnen und Wähler im Internet ist im letzten Jahrzehnt auf wenige Sekunden gesunken und immer weniger Menschen suchen aktiv nach politischen Informationen, sondern lassen sich von den Tagesnachrichten berieseln, die ihnen Social Media-Algorithmen auf ihren Smartphones präsentieren. Für politische Kommunikator*innen bedeutet das, dass sie die passenden Instrumente finden müssen, um ihre Botschaften zu platzieren. Dabei stellt sich eine Frage immer häufiger: Wie erreicht man Wähler*innen nicht nur oberflächlich, sondern vermittelt Wichtiges möglichst effektiv?
In dieser Ausgabe von PRaktivium widmen wir uns der Frage, wie die Politik mit dem Volk kommuniziert. Unsere Interviews geben Einblicke in die Welt der Spielarten dieser politischen Kommunikation. Da geht es etwa um Framing – die Kunst, Themen so zu präsentieren, dass sie bei den Zielgruppen die gewünschte Wirkung entfalten. Einerseits kann diese Strategie helfen, komplexe Sachverhalte verständlich zu machen, andererseits birgt sie aber auch das Risiko, die Wahrnehmung zu verzerren und zu polarisieren. Vom Framing ist es auch nicht mehr weit zum Negative Campaigning. Ist es wirklich sinnvoll, den politischen Diskurs auf Kosten der Integrität und des Respekts voreinander zu führen?
Politiker*innen und Kommunikator*innen aller Couleur lassen uns (ein wenig) hinter die Kulissen ihrer Arbeit blicken.
Die Studierenden des Masterstudiengangs Digital Marketing & Kommunikation des Departments Digital Business und Innovation der Fachhochschule St. Pölten haben diese Interviews für Sie geführt. Das Layout dieser Ausgabe gestalteten die Studierenden der Masterklasse Grafikdesign des Master Studiengangs Digital Design aus dem Department Medien und Digitale Technologien unter der professionellen Leitung von Teresa Sposato.
Beim Produktionsteam bedanke ich mich genauso wie bei allen Redakteurinnen und Redakteuren sowie unseren Expertinnen und Experten, die für die Interviews zur Verfügung standen und uns so einen spannenden Einblick in die Welt der politischen Kommunikation ermöglichten. Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, wünsche ich viel Spaß bei der Lektüre und hoffe, dass Ihnen die neue PRaktivium-Ausgabe neue Informationen und auch Denkanstöße für Ihre tägliche Arbeit und zukünftige Strategie liefert. Außerdem freue ich mich über Ihr Feedback zur Ausgabe. Ihr
Harald Wimmer, Studiengangsleiter harald.wimmer@fhstp.ac.at
Markus Feigl, Chefredakteur lbfeigl@fhstp.ac.at
David Bergsmann, Bürgermeister von Hagenberg (OÖ), spricht über die Nutzung sozialer Netzwerke in der politischen Kommunikation auf Gemeindeebene.
Welche Plattformen nutzen Sie am häufigsten für die Kommunikation mit Bürger*innen?
David Bergsmann: Seit meinem Amtsantritt vor fünf Jahren nutze ich Instagram und Facebook am häufigsten. Auf Instagram erreiche ich rund 1.600 und auf Facebook etwa 2.700 Personen, was mich bei einer Bevölkerungsanzahl von rund 3.500 Personen durchaus stolz macht. Über den Einsatz von TikTok habe ich bereits nachgedacht, aber um hier hochwertigen Content verbreiten zu können, bräuchte ich Unterstützung.
Was hat Sie dazu bewogen, Social Media aktiv in Ihre politische Arbeit zu integrieren?
Bergsmann: Ich wollte direkt kommunizieren, welche Projekte und Themen in der Marktgemeinde anstehen. Viele Aktivitäten bekommen die Bürger*innen nicht mit und da bietet sich Social Media einfach an. Über traditionelle Kanäle, wie die Gemeindezeitung, ist das oft nicht oder zu spät möglich. Tagesaktuelle Informationen lassen sich viel schneller über Social Media kommunizieren.
Welche Vorteile sehen Sie noch in der direkten Kommunikation über Social Media im Vergleich zu traditionellen Kommunikationsarten?
Bergsmann: Ein wichtiger Vorteil besteht darin, dass die Kommunikation schneller und spontaner ist und auch größere Reichweiten über die Gemeindegrenzen hinaus ermöglicht. Jedoch ist Social Media sehr schnelllebig und natürlich in vielen Punkten mit Vorsicht zu genießen.
Können Sie uns ein konkretes Beispiel nennen, bei dem die Kommunikation über Social Media besonders erfolgreich war?
Bergsmann: Bei kontroversen politischen Themen bekommt man die meisten Reaktionen. Ein Beispiel dafür ist unser Regenbogen-Zebrastreifen, der markiert und in der darauffolgenden Nacht verunstaltet und schwarz übermalt wurde. Es haben sich nach meinem Beitrag dazu sogar Medien aus Wien gemeldet, um darüber zu berichten. Auch in der Krisenkommunikation, zum Beispiel
während des Hochwassers im September 2024, nutzten wir Social Media erfolgreich, um Bürger*innen über Straßensperren und die aktuelle Lage zu informieren.
Inwiefern fördert Social Media die Bürger*innennähe und den direkten Austausch mit den Menschen in Ihrer Gemeinde?
Bergsmann: Hierzu ein aktuelles Beispiel: Vor kurzem erhielt ich spätabends Lärmbeschwerden von Anwohner*innen im Zentrum aufgrund einer (genehmigten) Abendveranstaltung. Daraufhin habe ich mir persönlich ein Bild der Lage gemacht. Viele der Anwesenden kannten mich bereits durch meine Präsenz auf Social Media und hatten das Gefühl, mich daher auch persönlich zu kennen. Die Nahbarkeit, die ich auf meinen Kanälen bewusst pflege, erleichtert solche direkten Gespräche deutlich.
Gibt es besondere Themen oder Anlässe, bei denen Sie bewusst Social Media einsetzen, um Transparenz zu schaffen?
Bergsmann: Vor allem bei Veranstaltungen wie Sponsionen, Vereinsfesten oder Eröffnungen und allgemeinen Informationen setze ich auf Social Media. Auch wenn es um zukünftige Pläne geht, nutze ich die Kanäle, um die Bürger*innen frühzeitig zu informieren, insbesondere bei Infrastruktur- oder Verkehrsthemen.
Was sind Ihrer Meinung nach die größten Chancen bei der politischen Kommunikation über Social Media?
Bergsmann: Ein wesentlicher Vorteil von Social Media liegt in der gesteigerten Bekanntheit, was insbesondere für Politiker*innen auf kommunaler Ebene von großer Bedeutung ist. Durch die aktive Nutzung der Plattformen kann man als Bürgermeister*in die persönliche Sichtbarkeit erhöhen und das Vertrauen der Bürger*innen stärken. Die schnelle Verbreitung von Informationen und die Möglichkeit, sich zeitnah zu äußern, sind natürlich weitere große Vorteile.
Wie gehen Sie mit den Erwartungen der Bürger*innen um, schnell auf Anfragen oder Kommentare auf Social Media zu reagieren?
Bergsmann: Man muss seinen Account regelmäßig im Blick haben. Viele Kommentare lasse ich unkommentiert, da sie die persönliche Meinung jedes Einzelnen widerspiegeln. Bei manchen ist es jedoch notwendig, objektiv und sachlich zu reagieren und zu antworten. Vor allem bei Themen, die Bürger*innen direkt oder indirekt betreffen – wie etwa die Errichtung eines Mehrzweckstreifens in der Gemeinde, bei dem die Meinungen in der Bevölkerung sehr geteilt waren – war es dann unsere Aufgabe, neutral über die geltende Straßenverkehrsordnung zu informieren.
Auf Social Media verbreiten sich Missverständnisse schnell. Wie gehen Sie mit solchen Situationen um?
Bergsmann: Ich überprüfe alle Texte mehrmals, um sicherzustellen, dass sie zu 100% inhaltlich, politisch und fachlich korrekt sind - und natürlich auch grammatikalisch einwandfrei. Wenn dennoch Missverständnisse auftreten, muss man schnell und sachlich reagieren, auch wenn der Schaden bereits entstanden ist und oftmals schwierig zu beheben sein kann.
Wie stehen Sie dazu, dass viele Politiker*innen, besonders auf kommunaler Ebene, derzeit Social Media noch gar nicht oder unregelmäßig für ihre politische Kommunikation nutzen?
Bergsmann: Einige meiner Kolleg*innen, gerade die „ältere Generation“, verwenden die Social Media-Kanäle schlichtweg nicht, da sie vermutlich das Wissen nicht besitzen, wie sie mit diesen Instrumenten umgehen können. Die jüngere Generation an Politiker*innen hat einen ganz anderen Zugang zu den sozialen Netzwerken und setzt deshalb auf deren Einsatz. Vielen scheint noch nicht bewusst zu sein, welche Möglichkeiten und Chancen sich durch Social Media ergeben und dass nicht nur die jüngere Generation erreicht wird, sondern mittlerweile Menschen aller Altersgruppen diese Plattformen
© David Bergsmann
David Bergsmann ist seit 2019 Bürgermeister von Hagenberg, einer Marktgemeinde in Oberösterreich, für die ÖVP. Gleichzeitig arbeitet er hauptberuflich bei der Oberösterreichischen Versicherung. Über die Junge Volkspartei gelangte er zur ÖVP und ist in vielen Vereinen aktiv. Sein politisches Ziel: die aktive Mitgestaltung seines Heimatortes.
nutzen. Soziale Netzwerke werden irrtümlicherweise vereinzelt als Plattformen betrachtet, die vor allem jüngere Bürger*innen ansprechen, wodurch das Potenzial, alle Altersgruppen zu erreichen, oft unterschätzt wird.
Welche Ratschläge möchten Sie Politiker*innen auf kommunaler Ebene geben, die Social Media gerade erst für ihre Bürger*innenkommunikation entdecken? Bergsmann: Es ist entscheidend, keine verbindlichen Zusagen zu treffen, um keine Erwartungshaltung in der Gesellschaft entstehen zu lassen. Außerdem sollte man darauf achten, nicht zu häufig zu posten, um die Qualität des Accounts zu gewährleisten. Mein Leitsatz dabei ist stets, nur so viel wie nötig und gleichzeitig so wenig wie möglich mit meinen Follower*innen zu teilen. Weiters gilt zu beachten, dass nicht nur Business-Informationen geteilt werden sollten, denn auch private Informationen dürfen auf den Profilen in einem angemessenen Rahmen ihren Platz finden. Dadurch wird die Distanz zu den Bürger*innen verringert und man zeigt seinen Follower*innen, dass auch wir ganz normale Menschen sind. Das hat indirekt einen positiven Einfluss auf die Bürger*innennähe. Wenn jemand unsicher ist, wie er mit Social Media starten soll, kann es helfen, junge Menschen ins Team zu holen, die sich mit den Plattformen auskennen. Ein weiterer, mir persönlich sehr wichtiger Punkt ist, nicht bei jedem Posting selbst im Mittelpunkt stehen zu wollen. Damit meine ich, dass bei vielen Postings von Politiker*innen immer sie selbst am ersten Bild oder sogar auf allen Bildern zu sehen sind, nicht die Bürger*innen. Social Media sollte vielmehr dazu genutzt werden, diejenigen in den Mittelpunkt zu rücken, die etwas erreicht haben – beispielsweise die Kamerad*innen der Feuerwehr bei einem Einsatz, die Verantwortlichen der Vereine bei Festen oder die Besucher*innen einer Veranstaltung. Natürlich können wir auch Fotos posten, auf denen wir Veranstaltungen besuchen oder den Verantwortlichen gratulieren, aber zuerst sollten die Menschen im Fokus stehen, gefolgt von uns.
Wie wichtig ist Social Media für politische PR?
Jakob-Moritz Eberl, Wahlforscher und Kommunikationswissenschaftler der Universität Wien, verrät, wie die Politik junge Menschen erreichen kann und wieso die FPÖ auf Social Media so erfolgreich ist.
Jakob-Moritz Eberl: Social Media ist definitiv wichtig und gehört heutzutage zu jedem Wahlkampf dazu. Aber es gibt relativ wenige Hinweise, dass Social Media auch wahlentscheidend ist. Es gibt eher mobilisierende Effekte. Politiker*innen adressieren auf Social Media grundsätzlich Leute, die der Partei schon nahestehen. Es gilt das Gesetz der Homophilie. Das heißt, ich folge eher Accounts, die mir ähnlich sind. Und Politiker*innen können so potenzielle Wähler*innen mobilisieren, sodass sie auch tatsächlich zur Wahl gehen. Viele Follower*innen und eine starke Social Media-Präsenz tragen so zu einem gewissen Teil bei. Aber allein deswegen gewinnt man noch keine Wahl.
Auf TikTok sind vor allem sehr viele junge Menschen aktiv, können Politiker*innen durch TikTok diese Gruppe besonders gut erreichen?
Eberl: Politiker*innen haben durch TikTok die Chance, zu Leuten durchzudringen, die gar keine traditionellen Medien mehr konsumieren. Das betrifft auch viele Jungwähler*innen, die oft keine diverse Mediendiät haben. Wenn es um Politik geht, ist in dieser Altersgruppe oft Social Media die Hauptinformationsquelle und nicht die klassischen Medien. Bei dieser Generation funktioniert der Nachrichtenkonsum anders. Sie erwarten, dass die relevanten Nachrichten sie über die Algorithmen finden. Und da ist gerade die Präsenz von Parteien auf Social Media eine Möglichkeit, diese Personen zu erreichen. Deswegen würde ich auch jeder politischen Partei empfehlen, auf TikTok aktiv zu sein.
Viele Menschen haben auch Vertrauen in traditionelle Medien verloren. Spielt das auch eine Rolle?
Eberl: Natürlich. Teils aus Frust über negative Berichterstattung, teils durch gezielte Kampagnen populistischer Parteien, die die Glaubwürdigkeit der Medien untergraben. Als Folge spielt auch News Avoidance eine Rolle. Viele Leute haben sich von Nachrichtenmedien abgewandt, weil sie kein Vertrauen mehr haben oder weil Medien vor allem über negative Ereignisse berichten.
Viele können das ganze Negative auch psychisch nicht mehr aushalten. Daher wäre es wichtig, dass Journalismus nicht nur negative Entwicklungen aufzeigt, sondern auch konstruktive Lösungsvorschläge bietet. So werden die Menschen nicht komplett frustriert und sie wenden sich nicht von den Medien ab.
Inwieweit unterscheiden sich politische Meldungen auf TikTok von traditionellen Medien hinsichtlich der Glaubwürdigkeit?
Eberl: Es gibt einen klaren Unterschied. Früher hatten Journalist*innen die Gatekeeping-Funktion, sie stellen kritische Nachfragen, können Informationen überprüfen und wichtige Kontexte bereitstellen. Populist*innen profitieren nun besonders davon diese Gatekeeper umgehen zu können. Denn auf TikTok haben Politiker*innen diese Kontrolle. Auch sonst sind die meisten größeren Accounts dort keine Journalist*innen und kennen weder die entsprechenden Recherchemethoden noch haben sie den Anspruch, faktenbasiert zu arbeiten. So beeinflussen vor allem emotionalisierte Botschaften die Wahrnehmung und Einstellung der Nutzer*innen, selbst wenn man vielleicht rational weiß, dass die Quelle fragwürdig ist.
Warum ist vor allem die FPÖ auf Social Media so erfolgreich?
Eberl: Die FPÖ war schon immer die Nummer Eins auf Social Media. Die algorithmische Kuration begünstigt außerdem noch einfache, emotional aufgeladene Botschaften, die sich in kurzen Videos oder Posts vermitteln lassen. Negativität und Emotionalisierung erzeugen dann noch besonders viel Interaktion. Und das ist quasi das Social-Media-Playbook rechtspopulistischer Parteien. Negative Botschaften haben eine starke Wirkung auf uns, weil sie psychologisch als Warnsignale dienen. Sie aktivieren unser Bewusstsein für mögliche Gefahren und Risiken, was unsere Aufmerksamkeit steigert und zu einer intensiveren emotionalen Reaktion führt. Dadurch bleiben negative Inhalte oft länger im Gedächtnis und verbreiten sich schneller, insbesondere in sozialen Medien, wo solche Botschaften verstärkt geteilt und kommentiert
werden. Aber auch positive Botschaften können erfolgreich sein, wie Harris und Walz in den USA mit ihrem einfachen und emotionalen Slogan „We are not going back“ oder Obama mit „Yes We Can“ gezeigt haben. So eine klare, inspirierende Kommunikation fehlt jedoch bei den österreichischen Parteien links des Rechtspopulismus. Hierzulande werden ernste Themen oft nicht mit positiven Frames wie Hoffnung, Mut oder Zusammenhalt vermittelt. Die Demokraten in den USA haben es geschafft, hoffnungsvolle Rhetorik und eine Zukunftsvision zu präsentieren, ohne in eine linkspopulistische Richtung abzudriften. Erfolg auf Plattformen wie TikTok lässt sich also nicht nur durch Panikmache oder Comedy erreichen, sondern auch durch positiven und motivierenden Content.
Inwieweit sind Fake News und auch Deep Fakes ein Problem auf TikTok?
Eberl: Natürlich sind Fake News-Webseiten und Deep Fakes eine Herausforderung. Aktuell sind es eher noch Cheap Fakes, die man schnell erkennen kann. Aber im Internet geht es weniger darum, dass Fakes perfekt täuschen, sondern dass sie emotionalisieren. Es spielt keine Rolle, ob jemand wirklich glaubt, dass ein Bild echt ist, solange es Stereotype bedient oder bestehende Vorurteile bestätigt. Wir neigen dazu, Dinge zu glauben, die zu unseren Vorannahmen passen, auch wenn sie offensichtlich falsch sind. Während klassische Medien über stabile FactChecking-Strukturen verfügen und Falschinformationen entlarven können, fehlen diese Mechanismen auf TikTok. So kann es in Zukunft durchaus passieren, dass dort auch Deep Fakes verbreitet werden. Wenn dann niemand eingreift, können sie auch Schaden anrichten.
Wie kann man dagegen vorgehen?
Eberl: Alarmismus allein wird uns dabei nicht helfen. Es ist wichtig, die Gefahr ernst zu nehmen und den Bürger*innen Werkzeuge in die Hand zu geben, um mit dieser neuen Situation umzugehen. Es geht darum, ein Verständnis zu vermitteln, wie Desinformation funktioniert – von der emotionalisierenden Sprache bis hin zu
Jakob-Moritz Eberl ist Wahlforscher und Kommunikationswissenschaftler. Er forscht an der Universität Wien zu den Themen Medien, Demokratie und Politik. Sein Hauptforschungsinteresse gilt den Einflüssen von Mediendiskursen und Medienbias auf öffentliche Meinung und politisches Verhalten. Er ist Mitglied der Österreichischen Nationalen Wahlstudie (AUTNES).
den dahinterliegenden politischen und finanziellen Interessen. Ein Beispiel ist Russland, das versucht, Unruhe bei uns zu stiften, um die Unterstützung für die Ukraine zu schwächen. Oft wird gezielt Misstrauen in demokratische Institutionen wie Journalismus, Parlamente oder Wissenschaft gesät. Populist*innen profitieren davon, indem sie sich als einzige Alternative darstellen: „Vertraut uns, nicht den anderen.“ Die Interessen aufzudecken und gleichzeitig die Medienkompetenz der Bürger*innen zu stärken, kann hier ein wichtiger Schlüssel sein.
Werden Politiker zukünftig noch traditionelle Medien brauchen oder wird ein Social Media Auftritt allein genügen?
Eberl: Veränderungen sind spürbar. Zeitungen werden eingestellt, der ORF ist aber nach wie vor die vertrauenswürdigste Informationsquelle der Österreicher*innen. Die Qualität der Medien dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Bei der „Generation TikTok“ sehe ich eine mögliche Rückkehr zu klassischen Medien, wenn sie ins Berufsleben eintritt. Das Hauptproblem bleibt, dass es politische Kräfte gibt, die versuchen, ihre Wähler*innen von diesen Medien abzubringen, um sie in ihrer eigenen Kommunikation zu halten. Ja, die Zahl der Menschen, die keine klassischen Medien mehr nutzen, wächst. Deswegen müssen journalistische Einrichtungen jedenfalls Strategien entwickeln, um diese Menschen wieder zu erreichen. Ein Positivbeispiel dafür ist unter anderem die Zeit im Bild, die eine starke Instagram-Präsenz hat und die nun auch versucht, auf YouTube aktiver zu werden.
Karl-Heinz Grundböck, Kommunikationschef des österreichischen Parlaments, über die Rolle des Parlaments in der politischen Kommunikation und dessen Beitrag zur politischen Bildung
Sie sind seit 2018 Kommunikationschef des österreichischen Parlaments. Was hat Sie motiviert, diese Position anzunehmen?
Karl-Heinz Grundböck: Bevor ich ins Parlament kam, war ich sieben Jahre Ressortsprecher des Innenministeriums. Anfang 2018, nach einigen politischen Änderungen, wurde ich gefragt, ob ich mir einen Wechsel ins Parlament vorstellen könnte. Das hat für mich damals gut gepasst, also habe ich bejaht.
Gab es in den letzten Jahren besondere Herausforderungen, mit denen Sie konfrontiert waren?
Grundböck: Viele. Seit meinem Amtsantritt 2018 gab es mehrere politische Umbrüche, darunter das IbizaVideo und eine Expertenregierung. Auch Corona sowie die Rückübersiedlung ins sanierte historische Parlamentsgebäude waren herausfordernd. Erst jetzt wären wir bereit, in einen Routinebetrieb zu gehen, aber jetzt warten wir, wie die Regierung nach der Nationalsratswahl 2024 aussehen wird.
Politische Kommunikation - Wie würden Sie diesen Begriff im Kontext des österreichischen Parlaments definieren?
Grundböck: Politische Kommunikation muss klar von der institutionellen Kommunikation unterschieden werden. Politische Kommunikation, wie sie von den Parteien betrieben wird, verfolgt das Ziel, Wählerstimmen zu maximieren. Dabei geht es oft um den Wettbewerb zwischen den Parteien, der manchmal auf die Schwächung des politischen Gegners abzielt. Institutionelle Kommunikation hingegen dient dazu, Vertrauen in die Arbeit der Institutionen zu schaffen. Hier geht es nicht um parteipolitische Ziele, sondern darum, der Öffentlichkeit zu vermitteln, dass das Parlament für die demokratischen Prozesse und das Gemeinwohl steht. Es ist unser Ziel, diesen Unterschied klarzumachen.
Wie erreicht das Parlament verschiedene Zielgruppen?
Grundböck: Früher beschränkte sich die Parlamentskommunikation darauf, Journalist*innen bei ihrer Arbeit zu unterstützen; eine eigene Kommunikation war nicht notwendig. Mit der Digitalisierung hat sich das jedoch radikal verändert: Klassische Massenmedien verlieren an Bedeutung und ein eigenständiger Auftritt des Parlaments wird wichtiger. Das Parlament kommuniziert nun verstärkt direkt über ein neues Webportal und Social Media, um in Echtzeit und im Dialog die Öffentlichkeit zu erreichen. Ziel ist es, Parlamentarismus und Demokratie zu erklären und zu zeigen, dass das Parlament ein Ort ist, der sowohl Unterschiede sichtbar macht, als auch den Dialog fördert, um Gemeinsamkeiten zu schaffen.
Welche Kanäle sind besonders effektiv?
Grundböck: Wir nutzen verschiedene Plattformen wie Facebook, TikTok, LinkedIn und viele mehr, um gezielt Zielgruppen anzusprechen. Wir beobachten auch neue Trends und legen immer wieder Accounts an, um nicht zu spät zu sein. Die Herausforderung war, dass wir 2018 beschlossen haben, aktiver zu werden, als viele Kanäle schon etabliert waren, was es schwieriger machte, nachträglich Follower*innen zu gewinnen.
Besteht auf TikTok das Risiko, dass politische Themen auf der Plattform zu stark verzerrt oder vereinfacht werden?
Grundböck: Social Media bedeutet immer zugleich Verknappung. Das Feuilleton hat keinen Platz, und wir müssen Inhalte für die verschiedenen Kanäle zielgruppengerecht aufbereiten. Es geht darum, diese Verkürzung zu meistern und anschließend auf längere Artikel im Webportal überzuleiten.
Wie stellt das Parlament sicher, dass es überparteilich bleibt, besonders in polarisierenden politischen Zeiten?
Grundböck: Die wichtigste Garantie dafür ist, dass wir von allen Parteien im Parlament genau beobachtet werden. Unsere Aufgabe ist es, neutral zu kommunizieren
und keine Partei zu bevorzugen. Ein Redaktionsstatut sorgt dafür, dass wir stets äquidistant bleiben, also die gleiche Distanz zu allen Parteien halten. Zudem bieten wir als Parlamentsdirektion allen Parteien Unterstützung an. Falls eine Partei bestimmte von uns verwendete Begriffe als parteiisch empfindet, meldet sie sich. Trotz unserer jährlichen 1.500 Presseaussendungen und täglicher Kommunikation gibt es pro Jahr nur wenige solcher Rückmeldungen.
Wie sieht das Parlament seine Rolle und Verantwortung angesichts des aktuellen Rechtsrucks in Europa und Österreich?
Grundböck: Das Parlament nimmt inhaltlich keine Position ein und bewertet politische Richtungen wie rechts oder links nicht. Es dient als Raum für die Gemeinschaft, um gemäß den verfassungsmäßigen Regeln Unterschiede zu diskutieren und durch den Austausch von Argumenten und Zuhören eine gemeinsame Basis zu finden. Ob das Wahlergebnis gefällt oder nicht, ist für das Parlament unerheblich.
Würde das Parlament bei einer „Gefährdung der Demokratie“ die Verantwortung sehen, die Bevölkerung aufzuklären?
Grundböck: Das Parlament soll unabhängig von aktuellen politischen Entwicklungen für die Demokratie werben. Demokratie bedeutet nicht, dass 50 Prozent plus eine Stimme absolute Macht haben, sondern dass die 49 Prozent sicher sein können, gehört und berücksichtigt zu werden. Es geht darum, dass alle Perspektiven in den Entscheidungsprozess einfließen und die Minderheit akzeptiert, dass auch Mehrheitsentscheidungen zulässig sind.
Welches Ihrer Bildungsprojekte erachten Sie als das erfolgreichste und welches trägt am meisten zum Demokratieverständnis in der Bevölkerung bei?
Grundböck: Die Demokratiewerkstatt ist aufgrund ihrer langjährigen Dauer und hohen Frequenz wahrscheinlich das bedeutsamste Bildungsformat. Parallel dazu hat sich
Thomas Topf
© Parlamentsdirektion
Seit Anfang 2018 ist Karl-Heinz Grundböck als Kommunikationschef des Parlaments tätig. In dieser Funktion verantwortet er die Öffentlichkeitsarbeit, Projekte wie die Demokratiewerkstatt, sowie die Social-Media-Aktivitäten des Parlaments. Zuvor war er in verschiedenen Positionen innerhalb der Exekutive tätig, zuletzt als Innenministeriumssprecher.
das neue Besuchszentrum, das im Jänner 2023 eröffnet wurde, als sehr erfolgreich erwiesen. Mit bisher 900.000 Besuchern spricht es ein breites Publikum an, von Schulklassen bis hin zu älteren Menschen, und bietet eine spielerische Auseinandersetzung mit dem Thema Demokratie. Das Besuchszentrum leistet somit ebenfalls einen bedeutenden Beitrag zur Demokratieförderung.
Gibt es Projekte, die Sie zukünftig ausbauen möchten?
Grundböck: Im digitalen Raum gibt es verschiedene Demokratie-Vermittlungsangebote, die über Jahre entstanden sind und aus veralteten Einzellösungen bestehen, die konsolidiert werden sollen. Ziel ist es, ein neues einheitliches Jugendportal zu schaffen. Zudem gibt es das mobile Besuchszentrum „Parlament on Tour“, das seit fast zwei Jahren durch Österreich reist. Hier wird überlegt, wie dieses mobile Angebot nachhaltiger gestaltet und besser verankert werden kann.
Welche Rolle wird Künstliche Intelligenz (KI) zukünftig in der politischen Kommunikation spielen?
Grundböck: KI wird eine bedeutende Rolle spielen. Wir prüfen bereits den Einsatz von KI für die automatisierte Erstellung von Podcasts. Die Digitalisierung hat die Publikation revolutioniert und KI verändert nun die Produktion von Inhalten grundlegend, indem sie deren Erstellung stark vereinfacht.
Wie definieren Sie Negative Campaigning?
Negative Campaigning oder berechtigte Kritik?
Michi Kögl (SPÖ) über die Verantwortung in der Politik und die Kraft wahrer Geschichten.
Michael Kögl: Für mich bedeutet Negative Campaigning nicht einfach, anderen Positionen zu widersprechen. Im politischen Kontext ist es entscheidend, dass verschiedene Standpunkte auch unterschiedliche Sichtweisen mit sich bringen. Diese Konzepte nebeneinanderzustellen, die eigene Position zu vertreten und andere zu kritisieren, ist für mich noch kein Negative Campaigning. Negative Campaigning beginnt erst dort, wo Dinge herangezogen werden, die mit dem eigentlichen Sachverhalt nichts zu tun haben.
Wie würden Sie Negative Campaigning in der politischen Kommunikation der SPÖ definieren?
Kögl: Ich bin mir nicht sicher, ob es in der SPÖ eine einheitliche Sichtweise auf Negative Campaigning gibt. Vielleicht würden wir das im Rückblick über die Phase von Christian Kern und Sebastian Kurz sagen, wo es gegenseitige Vorwürfe von Negative Campaigning gab. Da hat sich aber herausgestellt, dass vieles von dem, was damals vorgeworfen wurde, so gar nicht existierte. Ich glaube, das ist ein Beispiel, bei dem alle sagen würden: „Ja, das war Negative Campaigning.“ Kann man uns in der SPÖ Negative Campaigning vorwerfen? Wahrscheinlich schon. Aber in den meisten Fällen könnte ich wahrscheinlich erklären, warum ich es nicht als Negative Campaigning sehe. Eine einheitliche Sichtweise gibt es meiner Meinung nach nicht, gerade weil es im politischen Kontext entscheidend ist, eine feste Definition dafür zu haben.
Aber wie unterscheiden Sie zwischen legitimer Kritik und unsachlichen persönlichen Angriffen? Gibt es da vielleicht Grenzen in der Kommunikationsstrategie?
Kögl: Ich bringe ein konkretes Beispiel aus dem St. Pöltner Gemeinderat: Wenn mir ein FPÖ-Politiker sagt, dass er ein Problem mit mir als Politiker hat und mich deswegen ablehnt, dann kann ich damit leben. Wenn er jedoch sagt, er lehnt mich ab, weil ich Teil der LGBTQ-Community bin, dann ist das der Punkt, an dem es unsachlich wird. Es geht
dann nicht mehr um das politische Spielfeld, sondern um etwas Persönliches, und das sehe ich als problematisch.
Welche Rolle spielt Negative Campaigning Ihrer Meinung nach in der aktuellen politischen Landschaft?
Kögl: Ich glaube, der Ton in der Politik ist rauer geworden, und das tut uns nicht gut. Eigentlich sollten wir darüber sprechen, wie man wieder zu einem Miteinander findet. Diese zunehmende Polarisierung ist ein echtes Problem. Zudem gibt es heute andere Herausforderungen. Wir bewegen uns nicht mehr nur im klassischen Medienumfeld, sondern finden auch alternative Medien vor, die an Bedeutung gewonnen haben. Ich glaube, es ist wichtig, die Frage zu stellen, was ein Medium ist, wie Medien funktionieren und wie man mit ihnen umgeht. Dabei müsste man auch diskutieren, was der Unterschied zwischen einem parteinahen Medium und unabhängigen Medien ist.
Welche Rolle spielen die sozialen Medien bei „Negative Campaigning“?
Kögl: Ich glaube, soziale Medien spielen mittlerweile eine der größten Rollen im gesamten politischen Kontext. Man weiß oft nicht, mit wem man es zu tun hat, da oftmals keine Klarnamen verwendet werden. Social Media wird im Negative Campaigning einerseits von Nutzer*innen eingesetzt, um politische Aussagen zu entkräftigen. Zum anderen, besonders bei gesellschaftspolitischen Themen, wird gezielt versucht, Angst zu schüren und Menschen in der politischen Arena zu verunsichern.
Sie haben Ihre Reichweite in den sozialen Medien genutzt, um bei der letzten Nationalratswahl Negative Campaigning gegen die FPÖ und deren Aussagen zu betreiben, nicht wahr?
Kögl: Keine der Aussagen, auf die ich mit Videos reagiert habe, hält einem Faktencheck stand. Es ist problematisch, Aussagen zu akzeptieren, die faktisch falsch sind. Für mich ist das kein „Negative Campaigning“, sondern kritisches Kommentieren und Aufzeigen von Falschinformationen. Allerdings gibt es
Politiker*innen wie Herbert Kickl, die durchweg negativ kampagnisieren – gegen alle. Wer dermaßen austeilt, muss auch mit kritischer Auseinandersetzung rechnen. Diese Art von negativer Stimmung führt zu einem Vertrauensverlust in die Politik, besonders auf nationaler Ebene. Kommunalpolitiker*innen genießen oft mehr Vertrauen, weil sie näher an den Bürger*innen sind und direkte Lösungen bieten können. Bundespolitiker*innen hingegen erscheinen oft weniger greifbar.
Dennoch: Betreiben Sie persönlich negative Campaigning?
Kögl: Ich bemühe mich stets, dass meine Aussagen einem Faktencheck standhalten. Wie ich schon eingangs erwähnt habe, wissen wir, dass politische Aussagen oft scharf formuliert werden. Doch Schärfe allein ist kein Negative Campaigning, und das versuche ich zu verdeutlichen. Mein Zugang zur Politik basiert nicht auf Negative Campaigning, weil ich glaube, dass man langfristig damit nicht erfolgreich sein kann.
Glauben Sie, dass man Wähler eher mit negativen Botschaften erreicht, oder sind es doch die positiven Inhalte, die Wähler animieren?
Kögl: Ich kenne diverse Jugendstudien, und keine davon zeichnet ein übermäßig optimistisches Bild der Zukunft. Einfach zu sagen „Alles wird schon!“, halte ich für falsch. Es gibt Herausforderungen. Doch jetzt geht es darum, Lösungen zu finden. Negative Campaigning mag kurzfristig Erfolge bringen, aber ich glaube nicht, dass es langfristig funktioniert. Eine politische Bewegung, die nur auf Negativität setzt, kann vielleicht eine Wahl gewinnen, aber wie soll sie regieren? Wenn alles nur als „böse“ und „feindlich“ dargestellt wird, wie kann man dann konstruktive Lösungen anbieten?
Wie sorgen Sie als Politiker dafür, glaubwürdig zu erscheinen?
Kögl: Gerade jetzt nach der Wahl müssen wir zeigen: Wir haben das negative Signal verstanden, aber wir
Michael Kögl ist Bundesvorsitzender der Jungen Generation in der SPÖ und kandidierte bei der letzten Nationalratswahl. Seine politische Laufbahn begann er als Schüler*innenvertreter. Später kandidierte er mehrfach für den Gemeinderat und engagierte sich ehrenamtlich in der Jugendpolitik. Seit 2020 ist er Mitglied des Gemeinderats in St. Pölten.
wollen eigentlich darüber reden, was wir in den nächsten zehn Jahren machen. Außerdem möchte ich als Politiker erreichbar und greifbar für die Wähler*innen sein. Und der Rest ist eine Mischung aus Authentizität und Integrität. Es gibt Dinge, die trägt man nicht immer zu 100 Prozent mit, auch in der eigenen Partei. Dann ist es authentisch, das auch nach innen zu kritisieren und bei den eigenen Werten zu bleiben.
Wie nutzen Sie Storytelling, um Wähler anzusprechen und für die politischen Ziele der JGSPÖ zu gewinnen?
Kögl: Ein gutes Beispiel ist die Geschichte rund um die Wahlmaschine. Wir haben jetzt in unserer Wiener Landesgruppe ein Video produziert, das auch unseren Claim „Wir holen unsere Zukunft zurück“ aufgegriffen hat, mit einem DeLorean aus dem Film „Zurück in die Zukunft“ und einer „Wahlmaschine“, in der man sich durch historische politische Beschlüsse klicken konnte. Storytelling passiert aber auch im kleineren Bereich beispielsweise im Gemeinderat, also etwa in Reden, die dort gehalten werden. Ab und zu auch in meinen eigenen. Insofern ist Storytelling, glaube ich, ganz wichtig. Aber: Die beste Geschichte hilft nicht, wenn der Inhalt nicht stimmt..
Welche Risiken und Chancen sehen Sie beim Einsatz von Storytelling?
Kögl: Ich glaub die Risiken sind, dass man versucht, nur eine schöne Verpackung ohne Inhalt zu verkaufen. Als Chance sehe ich, dass man Menschen damit für Themen begeistern kann, vor allem wenn man sie ihre eigene Geschichte zum Thema erzählen lässt. Ich glaube schon, dass es Storytelling ein Stück weit braucht. Ich glaube nur, dass die besten Geschichten in dem Zusammenhang tatsächlich das Leben selbst erzählt.
Bernhard Krumpel, PR-Berater und Experte für politische Kommunikation, erklärt, wie digitale Medien Wahlkampfstrategien beeinflussen und welche Erkenntnisse sich daraus für zukünftige Wahlen ableiten lassen.
Was war Ihre Rolle bei der Nationalratswahl 2024?
Bernhard Krumpel: Während dieses Wahlkampfs habe ich eine Teilorganisation der ÖVP unterstützt, bin auch weiterhin dort im Einsatz, und zwar als Sparringpartner.
Wie entwickeln Sie die kommunikative Strategie für einen solchen Wahlkampf?
Krumpel: Begonnen wird normalerweise mit einer Mitgliederumfrage, um die Relevanz von Themen und den Bekanntheitsgrad von Spitzenkandidaten abzutesten und daraus entsteht eine Strategie. Wenn der Spitzenkandidat beispielsweise der breiten Wählerschaft nicht so bekannt ist, beziehungsweise nicht sehr pointiert ist, dann schauen wir, dass wir zu Beginn mehr Medienpräsenz als Bekanntheit, schaffen. Wir entwickeln zu den Ergebnissen der Umfrage Botschaften, und wir prüfen das Programm des Kandidaten. Natürlich immer in Abstimmung mit dem Auftraggeber, um Schwerpunkte zu finden, die in der Öffentlichkeit gut ankommen. Dann raten wir dem Kandidaten, wo er sich wann zu Wort melden sollte.
Welche Bedeutung haben PR-Berater*innen in einem Wahlkampf?
Krumpel: Inhaltlich gesehen sind die meisten nicht wegzudenken. Unsere Bedeutung erarbeiten wir uns durch Strategien, Erfahrung und Umsetzungsempfehlungen. Meist ist man eher Sparringpartner und entwickelt Ideen und Konzepte und nutzt die eigenen Kontakte, um Botschaften zu platzieren. Dabei ist Stakeholdermanagement sehr wichtig, das heißt, wir definieren im Vorfeld immer, welche Botschaft an welche Zielgruppe gehen soll.
Welche Rolle spielen bei der Auswahl für die Kernthemen Emotionen wie etwa Angst oder Hoffnung?
Krumpel: Emotionen spielen für mich die wesentlichste Rolle, die stehen aus meiner Sicht über den Fakten. Selbst Fakten muss ich so kommunizieren, dass Emotionen dabei sind, denn dann kommen sie an. Der Kontext ist dabei entscheidend: Stelle ich den Bundeskanzler als
Partei, dann kann ich mit Empörung als Stilmittel zum Beispiel eher weniger anfangen, dann muss ich eher mit Umsetzungsstärke und Hoffnung arbeiten. Bin ich aber in der Opposition, dann kann ich leichter mit Empörung arbeiten, weil ich ja eher die Unzufriedenen ansprechen möchte.
Welche Kommunikationskanäle werden in dieser Phase genutzt?
Krumpel: Das verschwimmt zusehends. Es macht natürlich Sinn, verstärkt auf Social Media zu setzen, weil die Streuverluste da geringer sind. Aber auch die klassischen Medien darf man nicht vergessen, wobei die TV-Wahlkonfrontationen eine besonders wichtige Rolle spielen.
Inwiefern ist die politische Kommunikation in der Vorwahlkampfphase anders, als in den anderen Phasen?
Krumpel: In der heißen Phase der Kommunikation wird der Zeitdruck größer. Persönliche Auftritte werden wichtiger, selbst in einer Zeit, in der Social Media und traditionelle Medien dominieren. Dennoch bleibt es entscheidend, die Kandidaten zu erleben. Außerdem spielt Schnelligkeit eine zentrale Rolle. Wenn ich im Sozialbereich positioniert bin, sollte ich darauf achten, dass diese Themen an Bedeutung gewinnen. Also relevante soziale Themen oder Missstände anzusprechen, in denen ich meine Fachkompetenz einbringen kann.
Teilen Sie die Einschätzung von Ingrid Brodnig, dass Social Media der FPÖ zum Sieg verholfen hat?
Krumpel: Ja und nein. Ich glaube, die FPÖ hat eine gute Strategie gewählt, indem sie ihre Themen bereits monatelang durchzieht. Zwischen der Positionierung bei der Europawahl und der Positionierung bei der Nationalratswahl gab es bei der FPÖ ja keinen großen Unterschied. Jedenfalls ist es unbestritten, dass sie primär ihre eigenen Kanäle dazu nutzt, Empörung über Missstände zu kommunizieren und weniger die klassischen Medien.
Gibt es eine Amerikanisierung des österreichischen Wahlkampfs?
Krumpel: Wir haben seit vielen Jahren schon eine spürbare Amerikanisierung in dem Sinne, dass die Programme in den Hintergrund und die Kandidaten in den Vordergrund gerückt sind. Zudem sind die Botschaften plakativer. Das ist schnell erkennbar, wenn man politische Programme aus den 80er-Jahren anschaut. Heute hat man vielleicht ein, zwei Seiten. Der Fokus liegt weniger in der Programmatik, mehr auf der Umsetzung. Eine vollständige Amerikanisierung haben wir nicht erreicht und werden es auch nicht. Damit meine ich Anwürfe gegen Kandidaten, die sehr stark ins Persönliche gehen. Aber es ist zweifellos so, dass die Leute eine Person wählen wollen, der sie vertrauen.
Spielt Negative Campaigning in Österreich eine Rolle?
Krumpel: Ja, insbesondere für die eigenen Wähler. Man zeigt Dinge auf, die die anderen Parteien falsch machen und sagt dann: Deshalb ist es wichtig, dass Ihr mich wählt. Negative Campaigning dient eher dazu, dass man Wechselwähler zu sich holt. Es hat aber so gut wie nie zur Folge, dass jetzt jemand, der SPÖ gewählt hat, auf einmal FPÖ wählt. Da muss mehr passieren, als nur Negative Campaigning.
Wie beeinflusst Personalisierung Ihre Strategie?
Krumpel: Diese Frage stelle ich mir auch seit kurzem. Sollte man der Personalisierung nicht einen Kontrapunkt entgegensetzen? Ist es nicht vielleicht besser, sich in Wahlkämpfen stärker als Team zu präsentieren? Diese Frage stelle ich mir seit dem Beginn des Nationalratswahlkampfes. Ganz auf Personalisierung zu verzichten, halte ich für falsch, man muss schon eine klare Nummer eins haben, als Partei. Jedoch glaube ich, dass man auch ein Team künftig stärker hervorheben und stärker ins Rennen schicken und vermarkten kann.
Nach der Wahl kritisierte Dominik Wlazny von der Bierpartei, dass seine Medienpräsenz nicht
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Bernhard Krumpel ist seit über 20 Jahren in der Kommunikation tätig. Nach dem Studium der Wirtschaftssoziologie begann er als Pressesprecher und arbeitete im Innenministerium. Er leitete das Staatssekretariat im Infrastrukturministerium, war PR-Manager bei Motorola, gründete eine Agentur und veröffentlichte Fachbücher über PR.
ausreichte. Welche Empfehlungen haben Sie für Ihre Mandant*innen zu traditionellen Medien?
Krumpel: Weiterhin Kontakt halten, mit ihnen arbeiten, aber den Fokus auf Social Media legen. Ich glaube, dass man klassische und soziale Medien nicht so einfach voneinander trennen kann. Die klassischen Medien haben nicht an Bedeutung verloren. Sie gehen nur mehr in die Breite, während man bei Social Media zumeist punktgenau eine interessierte Zielgruppe erreichen kann. Mit klassischen Medien hat man allerdings immer noch die Möglichkeit, Leute durch ein interessantes Storytelling zu sich herüberzuziehen.
Inwiefern war dieser Wahlkampf anders als die, die Sie vorher betreut haben?
Krumpel: Ich glaube, es gibt ein Thema, das diesmal über allem stand: Angst vor der Zukunft. Das zieht sich durch viele Themen wie Teuerung – kann ich mir mein Leben noch leisten? – oder die Flüchtlingsthematik: ist meine Sicherheit noch gewährleistet? Bis hin zur Klimathematik und natürlich dem Ukraine-Russland-Konflikt. Dem sollte Hoffnung entgegenstellt werden, und positive Beispiele. Ich habe für mich dazu auch eine klare Argumentation entwickelt. Wenn jemand sagt: „Wie sollen wir das alles schaffen?“, dann erinnere ich gerne daran, dass wir vor 80 Jahren eine Generation hatten, die Österreich nach dem Krieg aus dem Nichts heraus wieder aufgebaut hat. Ohne die Sorgen kleinzureden – aber die Zeiten waren härter als das, was wir heute erleben. Diese Zukunftsangst ist für mich ein ganz zentrales Thema, dem man Hoffnung entgegensetzen muss. Das passiert aber leider nicht. Ich glaube deshalb, das nächste Jahr wird ein stimmungsmäßig schwieriges Jahr, auch im Hinblick auf die kommenden Landtagswahlen.
Der Ton macht die Musik: Wie Jugendliche für Politik begeistert werden können
Edin Kustura, Pressesprecher der Staatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP), über die Herausforderungen der politischen Kommunikation mit jungen Menschen und warum ein einladender Ton und niederschwellige Mitmachmöglichkeiten dabei wichtig sind.
Sie sind jetzt seit Februar 2023 Pressesprecher von Staatssekretärin Claudia Plakolm. Was finden Sie daran besonders spannend?
Edin Kustura: Der Job ist extrem vielseitig. Das hat mit der Politik an sich zu tun, weil Politik so abwechslungsreich ist und man eigentlich nie weiß, was der Tag bringen wird. Man muss sich ja nur die letzten eineinhalb Jahre anschauen, was da alles rund um uns passiert ist: Kriegsausbruch, Wahlen, unerwartete Ereignisse. All das prägt den Alltag, und gleichzeitig möchte man die eigenen Themen einbringen – das ist die Herausforderung. Du musst inmitten externer Einflüsse trotzdem deine Ziele umsetzen und medial präsent machen.
Was macht Ihren Job so abwechslungsreich? Was sind Ihre Kernaufgaben?
Kustura: Natürlich ist das Wichtigste, eine gewisse Medienbeobachtung zu machen. Wir werden von der Medienstelle im Bundeskanzleramt serviciert und ab fünf Uhr morgens mit aktuellen Infos versorgt. Obwohl es mittlerweile so ist, dass sich das Ganze durch E-Papers etwas verschoben hat und man schon am Vorabend alle Zeitungen gelesen hat. Ein Klassiker ist auch das Ö1-Morgenjournal um sieben Uhr, das einen guten Überblick über innenund außenpolitische Themen gibt. Am Vormittag finden dann Medientermine oder kurze „Doorsteps“ mit der Staatssekretärin statt. Nachmittags bereiten wir dann die Medientermine für den Folgetag vor oder wir verfassen Texte bzw. Redebeiträge, weil man ja oft Anfragen von Magazinen, Student*innen oder anderen externen Personen bekommt. Abends gibt es oft auch Veranstaltungen oder Networking-Events. Im politischen Umfeld hat man extrem viel mit Menschen zu tun, das ist auch das Coole am Pressesprecher-Dasein.
Wie schätzen Sie das politische Interesse der jungen Generation ein? Ist eher ein wachsendes Interesse oder eine zunehmende Distanz zu beobachten?
Kustura: Laut dem Jugenddemokratie-Monitor haben acht von zehn Jugendlichen Interesse an Politik. Die Frage ist aber: Woran misst man Interesse? Man könnte es
daran messen, wie viele junge Leute bereit sind, Verantwortung in der Politik zu übernehmen. Oder daran, wie viele sich über soziale Medien äußern. Solche Kanäle ermöglichen es, sehr niederschwellig in Kontakt zu treten. Claudia Plakolm legt Wert darauf, über Instagram, DMs und Kommentare einen Zugang zu schaffen. Wenn du als Politiker*in diese Möglichkeiten anbietest, bekommst du auch eine Antwort. Wenn du nichts machst, darfst du dich nicht darüber beklagen, dass Jugendliche kein Interesse zeigen.
Die Ö3-Jugendstudie zeigt, dass viele junge Menschen sich trotz ihres Interesses oft nicht von der Politik vertreten fühlen. Wie sehen Sie das?
Kustura: Der Ton macht die Musik. In der Politik wird oft sehr überspitzt formuliert, um Aufmerksamkeit zu erregen. Dieser aggressive Ton ist abschreckend, und das sorgt dafür, dass viele junge Menschen aus dem Diskurs aussteigen, anstatt einzusteigen. Ich glaube, der Ton sollte einfach einladender sein, und das gilt nicht nur für Oppositionsarbeit, sondern auch für die Regierungsparteien.
Der Ton alleine wird aber nicht ausreichen, oder?
Kustura: Man muss niederschwellige Mitmachmöglichkeiten schaffen, also Zugänge, die einfach sind. Junge Menschen müssen ihre Ideen, Wünsche und Meinungen ohne großen Aufwand einbringen können, etwa über das Internet und soziale Medien.
Welche Themen beschäftigen junge Wähler*innen Ihrer Meinung nach am meisten?
Kustura: Ein großes Thema ist sicher die Eigenständigkeit und Freiheit. Junge Menschen wollen auf eigenen Beinen stehen und sich etwas aufbauen, sei es eine Wohnung, ein Auto oder sonstige Investitionen. Auch Klimaschutz ist ein sehr wichtiges Thema. Da ist immer die Frage, ob wir als Gesellschaft schon das Bestmögliche tun, um den CO2-Ausstoß zu verringern.
Und wie versuchen Sie diese Themen konkret in den politischen Diskurs miteinzubringen?
Kustura: Durch Initiativen, die wir in unserem Bereich machen. Ein Beispiel ist der Zivildienst. Hier hat Claudia Plakolm in Zusammenarbeit mit der Verteidigungsministerin eine deutliche Erhöhung der Grundvergütung für Zivildiener erreicht – insgesamt um über 60 Prozent in den letzten zweieinhalb Jahren. Diese Erhöhung war dringend notwendig, da die Vergütung jahrelang stagnierte. Außerdem wurden zwei von drei Nebengebühren beim Kauf der eigenen vier Wände gestrichen. Damit sparen sich junge Familien zehntausende Euro.
Welche Kommunikationsstrategien verfolgen Sie, um Jugendliche für politische Botschaften zu gewinnen? Gibt es spezielle Ansätze oder Kanäle, die Sie bevorzugen?
Kustura: Social Media hat bei uns einen sehr hohen Stellenwert, weil es einfach das Medium ist, das viel schneller und viel greifbarer ist. Und auch das Medium, das jeder Jugendliche am Handy mitträgt. Daher sind wir auch auf allen Social-Media-Kanälen präsent. Aber klassische Medien sind nach wie vor sehr wichtig, um beispielsweise Großeltern oder Eltern zu erreichen, damit dann gewisse Themen am Abend oder beim Frühstückstisch angesprochen werden. Es braucht also beides: Online first, aber klassische Medien dürfen nicht vernachlässigt werden.
Wagen wir einen Blick in die Glaskugel – glauben Sie, dass die traditionellen Wahlkampfmethoden in Zukunft an Bedeutung verlieren könnten?
Kustura: Solange Fernsehen und Printmedien von einer breiten Masse konsumiert werden, wird man sie nicht ignorieren können. Es geht darum, überall präsent zu sein, wo Menschen Inhalte konsumieren. Aber natürlich zeichnet sich ein Trend ab. Inhalte von Pressekonferenzen erscheinen meist erst am nächsten Tag in klassischen Medien, werden aber auf Social Media meist bereits live mitgestreamt.
Bundeskanzleramt Österreich
Edin Kustura ist seit Februar 2023 Pressesprecher von Staatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) im Bundeskanzleramt. Zuvor war er Pressesprecher im Büro von VP-Soziallandesrat Wolfgang Hattmannsdorfer und von 2018 bis 2020 ÖH-Vorsitzender an der JKU Linz. Seine Schwerpunkte liegen auf strategischer Kommunikation und Medienarbeit.
Kooperieren Sie in Ihrer Arbeit für Frau Plakolm gezielt mit Influencern?
Kustura: Wir haben keine gezielten Kooperationen, aber wenn ein Influencer seinen Kanal als Medium für politische Inhalte nutzt, nehmen wir gerne Einladungen an. Es geht darum, sich neuen Formaten zu öffnen. Das müssen ganz viele andere Politiker*innen erst verstehen. Claudia Plakolm macht das. Das Ergebnis ist vielleicht ein 90 Sekunden-Reel, der Zeitaufwand ist aber der gleiche wie für ein ganzseitiges Interview in einer Print-Ausgabe. Und bei dieser Kommunikation muss man viel mehr auf den Punkt kommen und Botschaften konkretisieren.
Was sind Schlüsselstrategien, um junge Menschen nicht nur zu erreichen, sondern auch zur Teilnahme an Wahlen zu bewegen?
Kustura: Politik muss zum Thema in der Schule gemacht werden. Jedem muss bewusst sein, dass Politik Auswirkungen auf sein tägliches Leben hat. Außerdem muss es niederschwellige Wahlmöglichkeiten geben – wie etwa die Digitalisierung der Wahlkarte. Generell sollten Politik und Gestaltungsmöglichkeiten digital stattfinden können.
Das heißt, Sie denken, dass man durch die Digitalisierung der Wahlkarten die Wahlbeteiligung junger Wähler*innen erhöhen kann?
Kustura: Durch die Digitalisierung der Wahlkarten kann man Wählen wesentlich einfacher gestalten. Junge Menschen sind es gewohnt, Dinge schnell und unkompliziert per App zu erledigen – sei es bei Bestellungen über Amazon oder Zalando. Ähnlich funktioniert es jetzt mit den Wahlkarten. Man bestellt sie digital, bekommt sie nach Hause geliefert und schickt sie zurück. So wird der Prozess niederschwellig und flexibel.
Was raten Sie jungen Menschen in Bezug auf politische Bildung?
Kustura: Sie sollen sich aktiv mit Politik auseinandersetzen und überlegen, wie sie selbst einen Beitrag leisten können.
Robert Lugar ist Gemeinderatsmitglied der FPÖ in Perchtoldsdorf und spricht über Herausforderungen, die politische Krisen mit sich bringen.
Sabine Papesch: Glauben Sie, dass Krisen generell das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik stärken oder schwächen können?
Robert Lugar: Die Krise an sich gibt der Bevölkerung einen gewissen Ansporn, sich der Obrigkeit zuzuwenden, weil Krisen meistens von der Obrigkeit gelöst werden, also von der Regierung oder von der Exekutive. Ob das Vertrauen in die Politik gestärkt wird, hängt davon ab, ob die Krise auch adäquat gelöst wird. Die CoronaKrise ist ein gutes Beispiel. Da ist es für die Regierung sehr schlecht ausgegangen und für die FPÖ eher gut. Das heißt, die gleiche Krise hat zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt, je nachdem, wie man ihr begegnet ist.
Papesch: Welchen Einfluss hat Ihrer Meinung nach die Reaktion von Politikern auf Krisen auf deren Image?
Lugar: Krisen können natürlich die Regierung stärken, aber wie gesagt, wenn sie die Dinge falsch macht, wie bei der Corona-Politik, dann kann es die Regierung auch schwächen. Als Politiker eine Krise vom Zaun zu brechen, um sich besser darzustellen, ist glaube ich keine gute Idee. Bei der Krise geht es immer darum, wie die Krise von der Bevölkerung gesehen wird. Und wenn die Bevölkerung eine andere Meinung zur Krise hat, als die Regierung, dann ist für die Opposition viel Spielraum, um sozusagen in dieses Feld reinzustoßen und eine alternative Möglichkeit anzubieten. Diese alternative Möglichkeit kann dazu führen, dass man dann ein stärkeres Wählervertrauen bekommt.
Papesch: Sehen Sie Krisen als eine Chance für Politiker, sich zu profilieren und Wähler zu gewinnen? Wenn ja, welche Mechanismen spielen dabei eine Rolle?
Lugar: Ja, grundsätzlich wird eine Krise von der Bevölkerung immer als Einschränkung oder als Problem gesehen, sonst wäre es ja keine Krise. Wenn die Regierenden keine adäquaten Lösungsvorschläge bringen oder jahrelang versuchen, Krisen zu lösen, die sie nicht lösen können, dann ist natürlich die Opposition am Wort. Aber das muss jetzt nicht die FPÖ sein, sondern das können die Grünen sein, wenn man an den Klimawandel glaubt. Das können die
NEOS sein, wenn es darum geht, dass unser Schulsystem möglicherweise Reformbedarf hat. Von Krisen profitieren immer jene, die auf die Krisen gute Antworten haben.
Papesch: Wie wichtig ist die mediale Präsenz für Politiker in Krisenzeiten? Wie wird das richtige Medium dafür ausgewählt?
Lugar: Das ist sehr wichtig, weil ohne mediale Präsenz weiß der Wähler nicht, dass es eine alternative Möglichkeit gibt, diese Krise zu bewältigen. Wenn die FPÖ in der Corona-Pandemie zum Beispiel nicht die Möglichkeit gehabt hätte, andere Wege aufzuzeigen, dann würde es bis heute noch keiner wissen. Die Medien sind da unverzichtbar. Grundsätzlich ist der ORF sehr wichtig, weil er einfach die größte Reichweite hat. Dann gibt es die eigenen Medien wie Facebook, Instagram und mittlerweile auch TikTok. Das ist sehr wichtig, wenn man dort unmittelbar kommunizieren kann, und mittlerweile kann man gewisse Dinge nicht mehr geheim halten. Die offene Kommunikation geht über so viele Kanäle, dass alles ans Tageslicht kommt.
Papesch: Das heißt Transparenz ist wichtig?
Lugar: Transparent ist wichtig. Früher hat man gesagt, es gibt drei Gewalten: die Legislative, Exekutive und Judikative. Dann ist die Vierte dazugekommen, die Medien, eine vierte Gewalt. Die Medien haben gewisse Aufgaben, die sie aus meiner Sicht nicht erfüllen, weil die Medien die Aufgabe haben, eben breit zu informieren, um der Bevölkerung eine Wahlmöglichkeit zu geben.
Papesch: Wie kann die FPÖ in Krisenzeiten zur Stabilität und Problemlösung in Österreich beitragen?
Lugar: Die Fragestellung ist aus meiner Sicht schon ein bisschen tendenziös. „Wie kann die FPÖ in einer Krise zur Stabilisierung beitragen?“ ist tendenziös. Warum? Weil das bedeuten würde, dass in einer Krise eine Stabilisierung notwendig ist, und eigentlich ist das Gegenteil der Fall. Das heißt, in der Krise geht es nicht um Stabilisierung im Sinne von Status quo, also nicht mehr vom Gleichen, sondern um andere Dinge. Ein Beispiel ist die
Corona-Krise: Da wäre eine Stabilisierung einfach das Durchdrücken dessen, was von oben gekommen ist. Stabilisierung ist grundsätzlich nicht schlecht, aber sie sollte halt in der richtigen Situation angewendet werden. Die Frage, wie die FPÖ dazu beitragen kann, die Krise zu lösen, indem sie alternative Lösungswege aufzeigt, ist viel relevanter. Die Migrations-Krise ist ein gutes Beispiel. Da gibt es eben welche, die sagen: „Ja, wir lassen alle rein und schauen dann, was wir mit ihnen machen.“ Die FPÖ hingegen sagt: „Nein, wir geben nur jenen Schutz und Hilfe, die es tatsächlich brauchen. Alle anderen lassen wir ins Land, wenn sie auch für uns Nutzen bringen, im Sinne von Arbeitsplätzen, im Sinne von Arbeitsleistungen und so weiter.“
Papesch: Und wie wird sich diese Rolle Ihrer Einschätzung nach verändern, wenn die FPÖ jetzt in eine Regierung kommt?
Lugar: Die Rolle verändert sich dahingehend, dass, wenn man in der Opposition ist und es bricht eine Krise aus, man es mit einer Regierungspartei zu tun hat, die einen anderen Zugang zu dieser Krise hat. Dann muss man um Zustimmung in der Bevölkerung werben und kann unmittelbar nicht viel umsetzen. Wenn man in der Regierung ist, muss man in Wahrheit auch um die Zustimmung der Bevölkerung werben, aber man kann umsetzen, und damit ist man natürlich viel unmittelbarer daran beteiligt. Man hat auch den Nachteil, dass man dann an seinen eigenen Taten gemessen wird. Wenn man zuerst sagt, man hat die Lösung und diese dann umsetzt, aber sie funktioniert nicht, kann das durchaus schnell nach hinten losgehen.
Papesch: Welche Risiken bestehen für Politiker*innen, die Krisen schlecht managen? Wie schnell kann das öffentliche Vertrauen beschädigt werden?
Lugar: Grundsätzlich ist es so, dass jede Partei Schaden nimmt, wenn sie eine Krise nicht so bewältigt, wie es sich die Bürgerseite vorstellt. Bei der FPÖ, glaube ich, ist der Schaden schon noch größer, weil unsere Wähler natürlich von uns erwarten, dass wir die Dinge viel besser machen
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Ing. Robert Lugar ist seit 2020 Gemeinderatsmitglied der FPÖ in Perchtoldsdorf und seit 2023 Pressesprecher von Landesrat Christoph Luisser. Sein politischer Werdegang begann 1999, als er sich der FPÖ anschloss, bevor er 2008 zum BZÖ wechselte. Im Jahr 2012 wechselte er ins Team Stronach. Er ist ehemaliger Abgeordneter zum Nationalrat.
als die anderen. Das ist der Grund, warum sie uns wählen, und damit ist wahrscheinlich auch die Toleranz uns gegenüber bei schlechter Performance geringer als bei anderen Parteien.
Papesch: Bergen Krisen auch die Gefahr in sich, populistische oder überzogene Ansichten zu stärken?
Lugar: Populistisch heißt ja nur „beliebt“, das heißt, bei der Mehrheit beliebt. Politiker sollten immer auf die Mehrheit schauen, weil das nennt man Demokratie und macht Sinn. Über das Ziel hinausschießen, das gibt es auch, oder zu heftige Ansätze, zu radikale Ansätze. So etwas kommt auch immer wieder vor; bei den Grünen sieht man das immer wieder, und das ist Teil des demokratischen Diskurses. Es gibt ein Problem, und dann gibt es Meinungen dazu. Die sind halt sehr mittig, und dann gibt es welche, die sind halt weiter draußen. Irgendwo muss man dann etwas finden, was man umsetzen kann.
Papesch: Was sind aus Ihrer Sicht erfolgreiche Strategien, um Wähler während einer Krise zu gewinnen?
Lugar: Offene Kommunikation. Das heißt, wenn es eine Krise gibt und andere Ideen vorkommen, um diese Krise zu bewältigen. Es gibt Krisen, wo die Ideen ganz eindeutig sind. Nehmen wir zum Beispiel die Hochwasser-Krise; da gibt es keine alternativen Methoden, die man angehen kann, sondern man muss aufräumen und Entschädigungen leisten. Aber bei der Migrations-Krise gibt es sehr große Unterschiede, und da geht es um Transparenz. Das heißt, dass man offen auf den Tisch legt, was man will. Wenn man noch transparenter sein will, könnte man vielleicht sogar die Vor- und Nachteile aufzählen. Die Vorteile bringt jeder zusammen, aber man sollte auch sagen, wo möglicherweise die eigenen Vorschläge Nachteile mit sich bringen. Dann kann der Wähler entscheiden, ob ihm das so gefällt oder nicht, und das ist dann Demokratie.
Stefan Obkircher, 26, Listenführer der BIERPartei in Tirol, erklärt, wie die Partei zwischen Humor und ernsthaften politischen Anliegen balanciert.
Wie fühlst Du Dich jetzt, nach der letzten Wahl, und wie ist die allgemeine Stimmung in der BIER-Partei?
Stefan Obkircher: Prinzipiell sind wir natürlich schon zufrieden mit dem Ergebnis, das wir jetzt hatten. Es sind immerhin zwei Prozent, die man bei der Wahl abholt. Das sind über 120.000 Menschen, die man von seinem Projekt begeistert hat. Und das bei der ersten Wahl, die auch bundesweit stattgefunden hat, was schon zeigt, dass die Leute motiviert sind, auf uns. Natürlich ist man nicht damit zufrieden, dass der Einzug nicht geklappt hat. Die allgemeine Stimmung ist jedoch trotzdem sehr positiv.
Gibt es denn schon Aussichten, wie und ob Ihr euch dann auch medienpolitisch nach dem Wahlergebnis anders oder stärker positionieren werdet?
Obkircher: Etwas haben wir schon ganz stark gepflegt: Wenig Parteigelder für Werbung auszugeben, die für uns nicht sinnhaft oder nicht ausreichend sinnhaft war. Den Kosten-Nutzen-Faktor haben wir dort nicht gesehen und den sehen wir auch immer noch nicht. Deswegen haben wir auch ganz unpopuläre Forderungen bei uns im Programm, die sich genau mit solchen Themen beschäftigen. Wir werden sicher auch umstrukturieren müssen. Wir haben jetzt auch wieder etwas dazugelernt. Gerade, dass man bundesweit anders agieren muss, als wienweit und dass wir eine andere Wählergruppe mitansprechen wollten, bei dieser Wahl, die wir vielleicht nicht ganz abgeholt haben, die man aber auf anderen Kanälen abholen kann. Das müssen wir jetzt evaluieren.
Kann man nach so einer Evaluation schon einschätzen, welche Maßnahmen im modernen Wahlkampf für Euch am effektivsten sind?
Obkircher: Es gibt prinzipiell schon ein paar Erfahrungswerte aus den vergangenen Wahlen. Social Media ist sicher einer der Hauptorte für jüngere Wählerschichten. Da haben wir als BIER-Partei vor allem ein großes Standing gehabt. Mittlerweile haben das auch andere Parteien aufgegriffen. Es gibt viele Nachahmungstäter, so nenne ich sie mal ganz salopp, die ähnliche Videoproduktionen veröffentlicht haben und
einiges von uns abgekupfert haben. Man merkt also, dass das schon Sinn macht.
Die BIER-Partei legt einen starken Fokus auf die sogenannten Stammtische, bei denen Ihr Euch im Rahmen einer Tour mit Interessent*innen unterhaltet. Wie würdest Du diese Stammtische im Vergleich zu digitalen Plattformen bewerten?
Obkircher: Naja, der direkte Kontakt ist immer der beste zu den Menschen. Bei den Stammtischen geht es jetzt nicht nur in erster Linie darum, neue Menschen von uns zu überzeugen, sondern vor allem Informationen aus der Basis zu holen, wie es den Menschen aktuell in den jeweiligen Regionen geht und was die Ideen für die Zukunft sind. Da haben wir in den verschiedensten Städten Österreichs sicher am effektivsten die Leute dazu bewegt, uns weiterhin zu unterstützen und im Endeffekt auch zu wählen. In einer Zeit, wo die Politik so fernab von der Gesellschaft ist, ganz viele Menschen in der Gesellschaft nicht mehr politisch interessiert sind und eh schon verdrossen sind und sagen: Das interessiert mich eh schon längst nicht mehr das Wählen.“, muss ich sagen: Gott sei Dank ist die Wahlbeteiligung etwas gestiegen. Auch, dass noch viel mehr Fokus daraufgelegt worden ist, dass man Leute motiviert zur Wahl zu gehen; auch überparteilich und auch von den verschiedensten Gremien her. Und da würde ich schon darauf verweisen, dass man auch in Zukunft näher an die Leute herangeht. Das haben wir auch mitgenommen, auch für die kommenden Wahlen, wenn wir wieder antreten, noch aktiver mit den Leuten auf der Straße in den Austausch gehen.
Und welche Ziele verfolgt dann so ein Wahlkampf?
Obkircher: Das Ziel ist natürlich, Wähler*innen davon zu überzeugen, dass sie das Kreuzerl bei der richtigen Partei setzen und dass sie dann auch wirklich überzeugt sind. Dann heißt es auch: abliefern. Wenn man wirklich gewählt wird und in eine Regierungs- oder Abgeordnetenposition kommt ist wichtig, dass man die Erwartungen der Wähler*innen auch ernst nimmt. Das ist die wichtigste Wahlkampfstrategie. Aber es ist auch
eine Strategie, wie es bei uns immer noch gehandhabt wird, mit Humor regelmäßig Themen aufzuzeigen, die sonst immer sehr stiefmütterlich behandelt werden und unter den Teppich gekehrt werden.
Ihr setzt in Euren Kampagnen sehr stark auf Humor und Satire. Glaubst Du, dass dieser Ansatz möglicherweise an der Seriosität der politischen Botschaft kratzt und somit auch potenziell weniger Wähler*innen ansprechen kann?
Obkircher: Nein, ich sag's immer ganz salopp: Wenn man an einen Politiker denkt, dann denkt man an jemanden, in einem Slim-Fit-Anzug, der immer auf nobel durch die Welt spaziert. Der aber mittlerweile gleichzeitig mit einem korrupten Arsch verbunden wird. Dagegen wollen wir uns ganz klar positionieren und sagen: Es muss nicht dieser Stereotyp von Politiker sein, der in einer super-elitären Runde darüber entscheidet, was das Gescheiteste für die Menschen ist. Sondern: Alle gemeinsam sollen, auf Fachwissen begründet, Lösungen für unsere Gesellschaft ausarbeiten. Das passiert mir zu wenig. Und das muss aber auch Spaß machen und darf auch humorvoll aufgearbeitet werden.
Ihr wurdet ja in der Vergangenheit schon öfter mit negativer Presse konfrontiert, gerade aufgrund Eures satirischen Auftretens. Welche Strategien habt Ihr genutzt, um darauf zu reagieren?
Obkircher: Es wird immer negative Presse geben. Wir haben immer versucht, mit Humor dagegen zu halten. Man muss auch lernen, nicht alles, was in der Zeitung steht, gleich bitterernst zu nehmen. Meist steckt hinter einer schönen Schlagzeile, die sich gut verkauft, ja nicht wirklich viel. Wenn man dann den Artikel dazu liest, merkt man oft, dass relativ wenig von dem Inhalt drinnen steckt, der im Titel angekündigt wurde.
Ihr setzt Euch ja auch für eine Begrenzung der Wahlplakate von ca. 2.090 Stück ein. Wie seid ihr da auf die konkrete Zahl gekommen?
© Rafael Bittermann
Stefan Obkircher, 26 Jahre alt, aus Virgen in Osttirol, ist ein aufstrebender Jungunternehmer. Seit 2015 engagiert er sich in der BIER-Partei, die für ihren unkonventionellen Zugang zur Politik bekannt ist. In der Nationalratswahl 2024 trat er als Kandidat an und verstärkte die BIER-Partei als Listenführender in Tirol.
Obkircher: Wir selber haben neun Dreiecksständer in jedem Bundesland platziert. Damit wollten wir aufzeigen, dass es diese ganzen Print-Kampagnen nicht braucht, weil eben der Kosten-Nutzen-Faktor überhaupt nicht gegeben ist. Und es ist auch eine enorme Umweltverschmutzung und eine Verschandelung der Landschaft dazu. Warum 2.093? Das ergibt sich daraus, dass es in Österreich 2.093 Gemeinden gibt. Unser Ansatz: In jeder Gemeinde darf maximal ein Plakat am Hauptplatz stehen, wo dann jeder hingeht und sagt: „Ah schau, da lacht jetzt die Meinl-Reisinger oder der Kogler heraus und so weiter. Welches gefällt mir jetzt am besten?“ Nicht Quantität, sondern Qualität. Dann muss man sich halt auch überlegen, was man aufs Plakat druckt.
Hat sich dieser Kurs jetzt nach dem Wahlergebnis geändert?
Obkircher: Nein, da bleiben wir ganz treu. Und für uns haben, wie gesagt, neun Stände ausgereicht. Wir merken, dass der direkte Diskurs mit den Menschen viel mehr bringt, als irgendwo ein Blattl.
Das heißt, dass diese Stammtische für Euch eines der wichtigsten Kampagnenelemente sind?
Obkircher: Vor allem die Versammlungen! Wenn man hingeht und wirklich an einem Standort eine Rede schwingt und mit den Leuten danach ins Gespräch kommt, Fotos macht und auch debattiert. Dass man hingeht und sagt: „Hey, wie schaut es aus? Reden wir mal miteinander.“ Und gerade die BIER-Partei hat eine enorme Aufgabe, weil sie eben so satirisch ist und als fernab von normaler Politik gesehen wird. Vor allem, dass sie nahbarer gemacht wird. Das ist sicher eine Aufgabe für die Zukunft.
Helmut Peter (ÖVP), Vizebürgermeister der Marktgemeinde Maria Anzbach in Niederösterreich, über die Besonderheiten politischer Kommunikation innerhalb kleiner Gemeinden.
Sie sind jetzt seit 19 Jahren Vizebürgermeister von Maria Anzbach, wie kam es dazu? Was hat Sie dazu bewegt, dieses Amt anzunehmen?
Helmut Peter: 1985 trat ich in den Gemeinderat von Maria Anzbach ein, da mich Politik und Zeitgeschichte seit meiner Schulzeit interessiert haben. In den folgenden zwanzig Jahren habe ich die Gemeindepolitik in all ihren Facetten kennenlernen dürfen und habe mir dabei auch die Freude an kommunalpolitischer Tätigkeit erhalten. 2005 wurde mir dann das Amt des Vizebürgermeisters angeboten, das ich seitdem ausübe.
Maria Anzbach ist mit ca. 3.000 Einwohner*innen eine relativ kleine Gemeinde. Macht das die politische Kommunikation für Sie einfacher? Oder sorgt gerade das sogar für gewisse Herausforderungen?
Peter: Natürlich ist die politische Kommunikation in einer kleineren Gemeinde einerseits einfacher. Grund dafür ist, dass man hier anteilsmäßig mehr Menschen persönlich kennt und sie somit direkt erreichen kann. Andererseits wird gerade in einem quantitativ überschaubaren Umfeld stärker erwartet, dass man ständig zur Verfügung steht. Man wird praktisch immer, wenn man sich öffentlich bewegt, auf politisch relevante Themen angesprochen.
Welche Kommunikationskanäle nutzen Sie, um mit den Bürger*innen der Gemeinde in Kontakt zu treten? Welche davon am häufigsten und warum?
Peter: Der mit großem Abstand am intensivsten genutzte Kommunikationskanal in Gemeinden unserer Größe ist nach wie vor das persönliche Gespräch. Dies gilt vor allem für Gemeindepolitiker, die auf diesen Austausch mit den Menschen gleichsam angewiesen sind, um sich ein Gefühl für die allgemeine Stimmung zu bewahren. Zusätzlich sind Informationskanäle wie etwa WhatsAppNachrichten und eine Homepage erforderlich, welche bei uns beinahe täglich bespielt und aktualisiert werden. Des Weiteren informieren wir unsere Bürger*innen auch über eigene Social-Media-Kanäle auf Facebook und Instagram.
Wie gestaltet sich die Kommunikation mit übergeordneten politischen Ebenen wie dem Land oder dem Bund? Gibt es Herausforderungen bei der Zusammenarbeit und der Informationsweitergabe?
Peter: Hier ist jeweils zwischen zwei Ebenen zu unterscheiden. Auf Landes- und Bundesebene arbeiten wir mit der Ebene der Verwaltung zusammen, die in unterschiedlichen kommunalen Bereichen für die Kooperation mit den Gemeinden verantwortlich ist. Es ist von großer Bedeutung, mit den jeweiligen Beamt*innen und Expert*innen dieser Dienststellen einen guten Austausch zu pflegen. Ebenso wesentlich ist aber auch der Kontakt zu den politischen Vertreter*innen in Land und Bund. Mit diesen üblicherweise gewählten Mandatar*innen läuft die Kommunikation naturgemäß anders ab. Sie werden beispielsweise von uns hinzugezogen, um Anliegen der Gemeinde an höherer Stelle zu unterstützen.
Gibt es dabei Probleme und wenn ja, wie begegnen Sie diesen?
Peter: Probleme treten in diesen Fällen kaum auf, da wir als Politiker*innen sowie unsere Mitarbeiter*innen der Gemeinde durchaus selbstbewusst gegenüber Land und Bund auftreten können und uns dabei stets um fachliche Kompetenz bemühen. Das wird respektiert.
Welche besonderen Kommunikationsmaßnahmen haben Sie während Krisensituationen, wie zum Beispiel der COVID-19-Pandemie oder der Hochwasser-Katastrophe, ergriffen? Wie haben diese Kanäle funktioniert? Was würden Sie nächstes Mal anders machen?
Peter: Anlässlich der Pandemie haben wir umgehend einen bis dahin parteipolitisch genutzten WhatsAppKanal in eine überparteiliche Informationsplattform umgewandelt. Darüber können wir mittlerweile einen Großteil der Bevölkerung erreichen. Flugblätter, die etwa von Gemeindemitarbeiter*innen verteilt wurden und eine aktuelle Homepage ergänzten diese Maßnahmen. Außerdem arbeiten wir eng mit den Einsatzorganisationen zusammen, mit deren Kommunikationskanälen wir uns synchronisieren. Schlussendlich runden Postings auf
unseren eigenen Social-Media-Kanälen die Informationsweitergabe ab.
Wie stellen Sie sicher, dass alle Bürger*innen – unabhängig von Alter oder technischen Fähigkeiten – in einer Krise informiert werden? Gibt es spezielle Maßnahmen für ältere Menschen oder Bürger*innen ohne Internetzugang?
Peter: Hier setzen wir insbesondere auf Nachbarschaftshilfe. Während der Pandemie haben wir auf all unseren Kanälen diverse Unterstützungsleistungen angeboten und gleichzeitig die Menschen gebeten, sich davon zu überzeugen, ob alle Nachbarn in unmittelbarer Umgebung auch davon erfahren haben. Sowohl hier, als auch bei der Informationsweitergabe, sind wir auf die Mithilfe der Menschen angewiesen; das hat bisher immer gut funktioniert.
Gibt es in Ihrer Gemeinde einen speziellen Krisenkommunikationsplan? Wenn ja, wie wird dieser entwickelt und aktualisiert?
Peter: Einen speziellen Plan dafür gibt es nicht. Unsere derzeitigen Kanäle erfreuen sich hoher Akzeptanz, ein allfälliger Plan hätte sich allenfalls am Szenario eines längerfristigen Stromausfalles zu orientieren. Hier besteht sicher Handlungsbedarf.
Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen (z.B. Feuerwehr, Polizei, Gesundheitsämter) bei der Krisenvorbereitung? Wie wird hier eine reibungslose Kommunikation sichergestellt?
Peter: Natürlich ist die Zusammenarbeit mit Einsatzorganisationen und weiteren relevanten Behörden von hoher Bedeutung. Die reibungslose Kommunikation muss trainiert werden und folgt einer eigenen Logik, der sich sämtliche Mitglieder eines Krisenstabes zu unterwerfen haben. Wir haben unlängst so ein Training absolviert, weitere sollen folgen.
Helmut Peter ist seit 39 Jahren Mitglied des Gemeinderats der Marktgemeinde Maria Anzbach (NÖ) und seit 19 Jahren Vizebürgermeister. Als langjähriges Mitglied in der Kommunalpolitik setzt er sich für lokale Anliegen ein und bringt umfassende Erfahrung in der politischen Kommunikation auf kommunaler Ebene mit.
Welche Rolle spielt die persönliche Nähe zu den Bürger*innen in der politischen Kommunikation?
Glauben Sie, dass dies in einer kleineren Gemeinde von größerer Bedeutung ist als in einer Stadt? Wozu führt das? Welche Auswirkungen spüren Sie?
Peter: Auch in der kleineren Gemeinde erreichen wir nicht mehr alle Menschen persönlich. Der Anteil von Menschen, die eher anonym und zurückgezogen leben, steigt auch bei uns. Deswegen wenden wir uns an Multiplikator*innen, von denen wir hoffen, dass sie weitererzählen, was innerhalb der Gemeinde los ist.
Wie hat sich Ihrer Meinung nach die politische Kommunikation in Ihrer Gemeinde über die letzten Jahre verändert? Welche neuen Herausforderungen und Chancen sind entstanden?
Peter: Der Stammtisch als inoffizielle Kommunikationsplattform hat ausgedient, ebenso das Kaffeehaus und das Geschäft, in dem man einkaufen geht. Politische Kommunikation wird kaum mehr eingeholt, sie wird mehr als Bringschuld der Gemeinde und ihrer Politiker*innen empfunden. Wichtig ist es, in der Sprache natürlich zu bleiben und sich nicht zu verstellen. Dabei ist es von enormer Bedeutung, kein „Politikerschönsprech“ zu versuchen, welches einem niemand glaubt, und trotzdem fit im Umgang mit den neuen Kommunikationsmitteln zu werden.
Wie haben sich die Erwartungen der Bürger*innen an die Kommunikation der Gemeindepolitik entwickelt?
Peter: Die Bürger*innen erwarten ein Rundumpaket an Kommunikation, solange dieses Servicecharakter hat. Das wird ihnen auch geboten. Parteipolitisch gefärbte Kommunikation akzeptieren sie bis zu einem gewissen Grad in Vorwahlzeiten, bleiben demgegenüber jedoch immer skeptisch. Natürlich ist jede Aussage eines Mandatars auch ein wenig die Aussage eines Parteipolitikers. Parteipolitik sollte gerade in der Gemeinde jedoch nie im Vordergrund stehen.
Yussi Pick, Gründer und Geschäftsführer der Kommunikationsagentur P&B, im Gespräch mit PRaktivium über die Herausforderungen und Trends in der politischen Werbung für die Gen Z.
Zu Ihren Kund*innen zählen unter anderem die Wiener Linien, Europäische Mobilitätswoche und die Kampagne #AusPrinzip. Sehen Sie sich in Ihrer Arbeit bezüglich politischer Kommunikation mehr als Kreativagentur im klassischen Sinne oder als strategischer Partner, der aktiv politische Meinungsbildung beeinflusst?
Yussi Pick: Politische Meinungsbildung – so weit würde ich nicht gehen. Unser Anspruch ist es, komplexe Themen verständlich zu machen. Wir bezeichnen uns bewusst als Kommunikations- und nicht als Kreativagentur. Das heißt nicht, dass wir nicht kreativ sind, aber anders als andere Kreativagenturen geht es nicht nur um diesen einen kreativen Ansatz oder dieses eine auffällige Plakat, sondern schon um die Frage: Wie beschäftigen sich Menschen mit einem Thema?
Sie legen also einen Fokus darauf, auf Probleme aufmerksam zu machen und das Involvement zu steigern. Woher kommt Ihre Motivation, solche Themenbereiche gezielt zu bearbeiten?
Pick: Weil wir als gesamtes Team einen politischen Gestaltungswillen haben und wir glauben, dass auch ein*e Kund*in oder eine NGO mit kleinem Budget verdient hat, hochqualitative, kreative und ästhetisch ansprechende, zielgruppenadäquate Arbeit zu bekommen.
Welche Herausforderungen ergeben sich bei politischen im Vergleich zu kommerziellen Kampagnen und was führt hier zum Erfolg?
Pick: Es ist jedenfalls eine Ressourcenfrage. Kommerzielle Kampagnen haben tendenziell mehr Werbedruck und Budget. Außerdem ist die Zieldefinition einer politischen Kampagne eine schwierigere beziehungsweise nicht ganz so offensichtliche. Es geht nicht nur um Absatzsteigerung, sondern um Themen, die die Gesellschaft bewegen. Erfolg wird unterschiedlich gemessen – oft reicht es schon, dass Themen enttabuisiert werden und in den Diskurs kommen. Natürlich gibt es dauernd in irgendeiner Form Adaptionen, wenn sich die politischen Rahmenbedingungen ändern. Wenn der Kampagnenplan auf die Realität trifft, dann tut sich da immer was
und es muss an unterschiedlichen Stellschrauben gedreht werden. Bezüglich des Themas Shitstorms sind wir sehr sensibilisiert. Shitstorms passieren vor allem dann, wenn politische Themen von Menschen kommuniziert werden, die sich nicht auskennen.
Wie hat sich politische Werbung in den letzten Jahren verändert, auch in Bezug auf die Zielgruppe?
Pick: Man kann schon sehr lange eine Entwicklung beobachten, die aber auf jeden Fall noch viel stärker geworden ist. Erstens reicht es durch die Diversifizierung der Medienlandschaft und Zielgruppen nicht mehr, auf ein oder zwei Kanälen zu sein und zu glauben, man erreicht dort alle. Zweitens wird es zunehmend schwieriger, die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen zu unterbrechen, wenn man gegen anderen Content, vor allem auch international, konkurriert. Drittens wird es für Personen immer einfacher, sich bewusst aus politischen Diskursen zurückzuziehen – Stichwort News Avoidance. Da muss man sehr genau überlegen, wie man diese Menschen erreicht. Viertens war sicherlich Bewegtbild schon immer ein großes Thema, aber die Schnelligkeit, Kurzfristigkeit und natürlich das Hochformat ist neu. Und da hat sich durchaus einiges getan, auch jetzt in den letzten zwei oder drei Jahren mit TikTok.
Was macht die Gen Z in der politischen Kommunikation besonders und wie müssen politische Kampagnen aufbereitet sein, dass diese Zielgruppe Involvement zeigt?
Pick: Sagen Sie es mir. Ich glaube schon, dass die Memeability in politischen Kampagnen nochmal wichtiger ist. Noch mehr die Kontrolle abgeben und eine Botschaft einfach mal sein lassen, einfach mal durchrauschen lassen. Ich glaube, die Kamala Harris-Kampagne zum Beispiel zeigt ganz gut, wie es auch gehen kann. Natürlich braucht es ebenso klassische Kampagnen, weil sich die Welt nicht nur – auch wenn sie eine wichtige Zielgruppe ist – um die Gen Z dreht. Aber so Dinge wie „Kamala is brat“ und Tim Walz als „Midwest Princess“ sind gute Beispiele dafür, wie man ein bisschen „in on the joke“ ist, ohne
peinlich oder unauthentisch zu wirken. Das ist sicher ein wichtiger Faktor – dort zu sein, wo die Zielgruppe ist.
Sie haben bereits einige aktuelle Trends wie Memeability erwähnt. Gibt es weitere, die man in der Ansprache der Gen Z integrieren sollte?
Pick: Das Problem ist, dass der Trend, der vor zwei Monaten aktuell war, heute schon nicht mehr aktuell ist. Man muss dahingehend, auch als Organisation, nochmal Arbeitsprozesse ändern und beispielsweise sowas wie Freigabeschleifen beschleunigen. Die Clinton-Kampagne war eine – und das habe ich am eigenen Leib gespürt – wo es Freigabeschleifen gab und 17 Leute drüber schauen mussten. Die Harris-Kampagne – und das ist ein Unterschied zwischen Biden und Harris – hat jetzt einen „Wenn niemand ein Veto einlegt, ist es fünf Minuten später draußen“-Approach. Wenn man seinem 23-jährigen Gen Z TikTok-Verantwortlichen vertraut, kann man wesentlich schneller auf Trends reagieren. Natürlich hat Kamala Harris in einer Präsidenschaftskampagne keine Zeit, irgendwelche lustigen Tänze zu machen. Man muss sich also schon auch überlegen, wie man solche Trends und Sound mit aktuellem Material nutzt, ohne dass da zu viele Ressourcen draufgehen.
Welche Plattformen sind Ihrer Meinung nach am attraktivsten und effektivsten für die Erreichbarkeit der Gen Z bei politischen Kampagnen?
Pick: Für die Gen Z, würde ich sagen, ist es derzeit TikTok. Und ganz prinzipiell ist ja eine Herausforderung, dass man einfach möglichst überall sein muss. Das ist bei Wahlkampagnen nochmal verstärkt, aber auch grundsätzlich bei politischen Kampagnen. Damit man möglichst eine breite Zielgruppe erreicht, überall in jedem Kanal adäquat kommuniziert und trotzdem eine konsistente Botschaft hat. Das ist die große Kunst. Unser Ziel bei Kampagnen, die wir gestalten, ist immer die Frage: Gibt es irgendwo eine Nische, wo vielleicht die Aufmerksamkeit größer ist?
© Sarah Gross
Yussi Pick ist Managing Partner der 2010 gegründeten Kommunikationsagentur P&B, die sich auf NGOs, Institutionen und wertebasierte Kommunikation spezialisiert. Er gilt als renommierter Kampagnensowie Kommunikationsberater und unterstützte bereits zahlreiche Projekte im Bereich der politischen Kommunikation, darunter die Clinton-Kampagne 2016.
Ihre Kampagne /WYLD hatte sehr positive Resonanzen. Erzählen Sie uns mehr darüber.
Pick: Die Organisation „YEP – die Stimme der Jugend“ ist auf uns zugekommen und wollte eine Kampagne, in der es eigentlich um partizipative Lehrplanentwicklung ging und darum, wie sie junge Leute mobilisieren können. Zeitnah dazu lief der Jugendwort-des-Jahres-Contest und daher kam die Idee für /WYLD – We are Young, Loud and Democratic. Da gehört natürlich immer auch der Kunde dazu. Also apropos kreative Idee: Man kann nur so kreativ sein, wie der Kunde einen lässt. In dem Fall hatten wir sehr viele Freiheiten. Deswegen sind wir das wirklich so angegangen, als wäre es ein Modelabel und keine politische Kampagne.
Die Kampagne setzt sehr stark auf provokative Elemente, unter anderem durch knallige Farben. Wie stellen Sie sicher, dass solche Provokationen am Ende wirklich zu politischem Engagement führen und nicht einfach nur für kurze Zeit Aufmerksamkeit generieren?
Pick: Wenn man das schon einige Zeit macht, entwickelt man ein Gespür dafür, wo die Linie ist. Also wie weit man grell oder schrill sein kann, dass es aufmerksam macht, aber nicht so schrill ist, dass es Irritationen hervorruft. Wenn es nicht mehr um das Thema der Kampagne geht, sondern um die Kampagne selbst, dann ist man den Schritt zu weit gegangen.
Welche Trends oder Herausforderungen sehen Sie in der Zukunft der politischen Kommunikation?
Pick: Ich glaube, dass das, womit sich politische Kommunikation in den nächsten Jahren jedenfalls beschäftigen muss, Künstliche Intelligenz ist. Und jetzt meine ich damit gar nicht so sehr, dass lauter Fake Bilder auftauchen. Ich glaube zwar schon, dass das kommt, aber tatsächlich weniger in der politischen Kommunikation, sondern in Bereichen, wo der Journalismus nicht ganz so genau hinschaut. Dennoch ist das natürlich ein Bereich, der aus unterschiedlichen Gründen relevant ist. Vor allem in Kombination mit dem Thema der Virtual Reality.
Können neuronale Netze die öffentliche Meinung beeinflussen? KI-Experte David Röthler im Gespräch.
Was hat Sie dazu inspiriert, sich mit Künstlicher Intelligenz (KI) zu beschäftigen und hatten Sie in ihrer beruflichen Laufbahn schon mit politischer Kommunikation zu tun?
David Röthler: Ende der 90er-Jahre kam ich in direkten Kontakt mit politischer Kommunikation, als ich Mitarbeiter der Parteiakademie des Liberalen Forums war. Ein wichtiger Aspekt in meinem Lebenslauf war außerdem, dass ich mich bei freien Radios engagiert habe. Die freien Radios wollen möglichst vielen Menschen, gerade denen, die in den etablierten Medien wenig zu Wort kommen, eine Stimme verleihen. Das ist gleichzeitig auch politisches Mitgestalten. Mitte der 2000er-Jahre fand ich dann das Web 2.0, das später Social Media genannt wurde, spannend, als es für alle möglich wurde, sich online zu äußern und zu vernetzen. Letztendlich hat mich immer fasziniert, was im Kommunikationsbereich gerade aktuell ist und das hat mich bereits vor dem Hype zum Thema KI geführt.
Mit welchen KI-Tools arbeiten Sie aktuell am häufigsten?
Röthler: Mein Lieblings-Tool ist Perplexity. Ich probiere aber eine breite Palette an Tools aus.
Sind Sie schon einmal konkret mit KI in der politischen Kommunikation in Berührung gekommen?
Röthler: Ja, ich habe unter anderem Fraktionen im Deutschen Bundestag und im Wiener Rathaus dahingehend beraten. Ich habe auch für Parteiakademien gearbeitet und Kurse gehalten, in denen es darum ging, wie politische Parteien – aber auch Organisationen wie Interessensvertretungen – KI einsetzen können, um zu analysieren und zu agieren. Das sind meiner Meinung nach die zwei wesentlichsten und interessantesten Felder.
Welches Potenzial sehen Sie im Einsatz von KI in der politischen Kommunikation?
Röthler: Zwei Aspekte sind besonders wichtig: Der erste Aspekt ist die Analyse von politischen Prozessen, um ein besseres Verständnis zu bekommen. Man kann KI beispielsweise einsetzen, um zwischen den Zeilen einer Rede oder eines Gesetzesvorhabens zu lesen. Zudem kann man KI nutzen, um sehr lange Dokumente oder Statistiken auswerten zu lassen. Das Prognostizieren von Trends ist ebenfalls ein Teil der Analyse. Der zweite Aspekt ist die Unterstützung bei verschiedenen Aktionen, sobald man verstanden hat, worum es geht. Das reicht vom Formulieren von Petitionen, Aussenden von Pressemitteilungen bis hin zur Planung und Durchführung von Tactical-Urbanism-Aktionen im öffentlichen Raum.
Denken Sie, dass die politische Kommunikation durch KI auch effizienter und zielgruppenorientierter gestaltet werden kann?
Röthler: Ja, die Formulierung von Botschaften wird viel effizienter und genauer, als es ohne KI möglich wäre. Man kann sich schnell in die Zielgruppen hineinversetzen und jederzeit fragen, wie das Gegenüber die Botschaft wahrnehmen könnte.
Kennen Sie KI-Tools, die konkret in der politischen Kommunikation eingesetzt werden können?
Röthler: ChatGPT ist sehr umfassend und es kommen immer mehr Funktionen dazu. Natürlich funktionieren auch andere Tools gut oder sind sogar besser, wie Claude oder Perplexity. Der kreative Einsatz und die Mischung sind entscheidend.
Haben Sie konkrete Best-Practice-Beispiele für den erfolgreichen Einsatz von KI in der politischen Kommunikation?
Röthler: Ich kann hier gerne aus meiner eigenen Praxis erzählen, auch wenn es natürlich viele Beispiele darüber hinaus gibt. Ein Beispiel wäre der „AI Steve“. Hierbei hat ein britischer Politiker eine Gesprächs-KI auf seiner Webseite installiert, um Meinungen aus seinem
Wahlkreis einzuholen. Über die KI kann man „mit ihm“ diskutieren und sprechen. Das ist ein interessantes Partizipationsprojekt, weil es eine ganz neue Form von Dialog ermöglicht. Ein anderes Beispiel kommt aus einem meiner Kurse. Im Nationalratswahlkampf tauchten gefälschte Plakate auf. Wir haben diese Plakate dann in ChatGPT kopiert und analysiert, ob es sich hierbei um eine Fälschung handelt. Das war eine sehr gute inhaltliche Analyse. KI kann darüber hinaus auch alle Wahlprogramme der im Nationalrat vertretenen Parteien analysieren und Aussagen zu bestimmten Themen miteinander vergleichen. Hierbei könnte man dann fragen, was die Parteien beispielsweise zum Thema Elektromobilität sagen.
Könnte der Einsatz von KI in der politischen Kommunikation auch Risiken bergen?
Röthler: Ja, auf jeden Fall, aber auch schon das Internet oder die Druckerpresse haben zur leichteren Verbreitung von Propaganda oder falschen Informationen beigetragen. KI macht die Produktion und Verbreitung von Desinformation noch viel leichter und dieses Risiko wird immer größer
KI-generierte Videos und Fotos verbreiten sich immer schneller im Netz. Könnte das das Vertrauen in Videos oder Fotos grundsätzlich und flächendeckend erschüttern?
Röthler: Das große Problem hierbei ist, dass die Vertrauenskrise, die es ohnehin schon gibt, verstärkt wird. Das ist natürlich noch gefährlicher, wenn politische Akteur*innen mit KI arbeiten.
Was können Politiker*innen tun, um das durch KI-basierte Kommunikation gestörte Vertrauen wiederherzustellen?
Röthler: Das ist eine schwierige Frage, die nicht eindeutig beantwortbar ist. Ein transparenter Umgang wäre wichtig. Aber solange die produzierten Inhalte gut und richtig sind, ist es fraglich, ob man kennzeichnen muss,
KI-generiert
David Röthler ist Gründer und Geschäftsführer von Milenu.at und Experte für Künstliche Intelligenz, Social Media und EU-finanzierte Projekte. Seit über 20 Jahren arbeitet er auf internationaler Ebene im Bereich Bildung, Kultur und Politik. Zudem arbeitet er als Journalist, Erwachsenenbildner und Hochschuldozent.
dass sie mit KI erstellt wurden. Bei Videos und Fotos ist es natürlich etwas anderes, aber es ist eine schwierige Frage, wo Transparenz sinnvoll ist oder wo sie sogar das Vertrauen stören könnte.
Warum könnte das Kennzeichnen von KIgenerierten Inhalten das Vertrauen weiter beeinträchtigen?
Röthler: Wenn ich beispielsweise eine Presseaussendung verfasse, warum sollte ich angeben, dass einige Inhalte oder Ideen für den Inhalt von einer KI erstellt wurden, wenn sie letztlich nur die Meinung des Aussenders widerspiegeln? In diesem Fall könnte Transparenz das Vertrauen eher stören als fördern.
Welche Verantwortung haben Politiker*innen und politische Berater*innen beim Einsatz von KI in der politischen Kommunikation?
Röthler: Das Wichtigste sind Medienkompetenz und Bildung. Es ist wichtig, dass die Menschen lernen, was möglich ist, und die Kompetenz erwerben, richtig und falsch einzuschätzen.
Sind die staatlichen Regularien ausreichend, um den Einsatz von KI zu kontrollieren?
Röthler: Wer mit KI täuschen will, hält sich nicht an Regeln. Ich bin grundsätzlich für liberale Regelungen.
Glauben Sie, dass wir in den nächsten Jahren einen noch stärkeren Einsatz von KI in politischen Kampagnen und der Bürgerkommunikation sehen werden?
Röthler: Ganz sicher. KI wird genauso selbstverständlich werden, wie das Internet und sie wird auch immer häufiger eingesetzt werden.
Wie beeinflusst Framing die öffentliche Meinung? Stefan Schett, Kommunikationsleiter der NEOS, erklärt, wie politische Narrative konstruiert werden und welche Rolle Spin-Doctoring dabei spielt.
Herr Schett, was sind Ihre Hauptaufgaben als Kommunikationsleiter der NEOS?
Stefan Schett: Eigentlich alles. Also alles, was kommunikativ rausgeht von NEOS Wien, landet bei mir. Operativ mache ich nicht viel, aber strategische Dinge entscheide vor allem ich, und so kleine Dinge, wie ein Inserat freizugeben oder Feedback zu einem Video, all das landet bei mir. Ich glaube, die wesentliche Aufgabe, für die ich da bin, ist, bei strategischen Entscheidungen eine grobe Linie vorzugeben, Themen mitzudenken und zu schauen, was wichtig ist und was nicht.
Wie würden Sie politisches Framing beschreiben?
Schett: Nun, es gibt ja nicht die eine einzige wahre Realität, die ganz objektiv so ist, wie sie ist. Man kann die Realität durch verschiedene Brillen sehen. Gerade in der Politik sind diese Brillen gut definiert: Da gibt es Sozialdemokraten, Konservative und Liberale, und sie sehen alle dasselbe, interpretieren es aber unterschiedlich. Zum Beispiel bei Immigration: Wenn neue Menschen hier ankommen, ist das etwas Gutes, etwas Schlechtes, oder ist es wertfrei? Meine Aufgabe beim politischen Framing ist, den liberalen Frame, also unsere Sicht der Dinge, zu kommunizieren. Das heißt nicht, dass etwas wahr oder nicht wahr ist – es ist nur eine andere Interpretation der Dinge.
Welche Worte oder Bilder setzen Sie bewusst ein, um Ihre politischen Botschaften emotionaler oder auch einprägsamer zu gestalten?
Schett: Im Nationalratswahlkampf war es immer der Begriff „Reformen“ und „die Reformkraft“. Das Wort „Kraft“ ist etwas Neues, weil man normalerweise über Parteien oder Bewegungen kommuniziert – das war bewusst gewählt. In Wien dagegen geht es vor allem um Fortschritt und Zukunft. Einerseits, weil wir eine rotpinke Fortschrittskoalition sind, andererseits, weil sich Wien gerade in die Zukunft entwickelt und nicht zurück – das ist auch ein Gegenmodell zu gewissen anderen politischen Bewegungen. Und die wesentlichen Begriffe kann man auch in unserem Logo sehen: „Freiheit, Fortschritt,
Gerechtigkeit“, das sind die drei Kernwerte von NEOS, die überall vorkommen.
Wie beeinflussen Sie für die NEOS, insbesondere bei polarisierenden Themen, die öffentliche Wahrnehmung?
Schett: Wir diskutieren immer zuerst, was Sache ist. Wir reden viel über Policy und die Kommunikation ist dann, wenn man da wirklich sattelfest ist, meistens einfach. Ein Beispiel: das ZIB 2-Interview mit Christoph Wiederkehr im Studio zu Bandenkriegen in Wien. Das kann ein unangenehmes Thema für einen Integrationsstadtrat sein –nicht, weil er an den Bandenkriegen schuld ist, sondern weil er als politisch verantwortlich gesehen wird. Da geht man ganz genau durch, was man tun kann. Also, was sind sinnvolle Lösungen, die wir jetzt vorlegen, und was haben wir auch in der Vergangenheit schon vorgeschlagen? Wir mussten nicht viel neu erfinden. Dann konzentrieren wir uns darauf, worauf wir uns in der Kommunikation und bei den Themenschwerpunkten fokussieren. Ab da ist es relativ einfach, denn kommunikativ geht es nur darum, wie wir es erzählen – in diesem Fall war der Frame ‚Ehrlichkeit‘. Ich glaube, das Produkt – also die Politik, die wir machen – ist viel entscheidender, als der eine Satz, der dann verpackt wird.
Kann man sagen, dass Framing die Politik momentan nicht zu sehr bestimmt?
Schett: Ja, finde ich schon. Wir reagieren auf Themen, die zu uns kommen, aber nicht auf die Framings von anderen. Wir haben fünf Parteien mit fünf verschiedenen Standpunkten, etwa zum Thema Integration, und alle haben ihre eigenen Frames. Aber das ist nichts, worauf ich reagieren muss. Man sollte den Frame der Gegner nicht übernehmen.
Was genau ist Ihre Definition von Spin-Doctoring?
Schett: Das steckt ein bisschen im Namen. Du arbeitest an einem Spin, schaffst also ein Narrativ, das gut ist. Ein gutes Narrativ ist eines, das die Leute verstehen und an
das sie glauben. Oft scheitert es am Verstehen, weil Politik, gerade in Österreich, sehr kompliziert und technisch ist und für viele langweilig. Das Thema muss gut vermittelt werden, sodass die Menschen wirklich verstehen, was es für sie bedeutet, und sie es auch als spannend empfinden. An diesem Narrativ bastelt man im politischen Alltag.
Wie viele Spin-Doctors gibt es bei NEOS?
Schett: Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Die logische Antwort wäre zehn – einen für jedes Bundesland plus einen im Bund. Mein Pressesprecher ist zwar kein Kommunikationsleiter, aber er ist schon auch ein Spin-Doctor, der in seiner Arbeit Frames schreibt. Die genaue Zahl traue ich mich nicht zu sagen, weil ich es einfach nicht genau weiß, aber es werden wahrscheinlich mehr als zehn sein.
Welche Rolle spielt Spin-Doctoring in der Politik der NEOS?
Schett: Keine so große, glaube ich, denn auf der einen Seite arbeite ich schon in extrem vielen Bereichen mit und habe auch viel Raum, den ich mir nehmen kann. Auf der anderen Seite sind wir sehr inhaltsgetrieben. Ich sitze in den ganzen Runden, in denen wir darüber reden, was wir zu unterschiedlichen Thema machen. Aber ich bin da, weil ich die Kommunikation mitdenke und nicht darüber nachdenke, wie die Kommunikation die Politik steuert. Ich glaube, das ist bei anderen Parteien anders. Vielleicht nicht bei allen, ich habe nicht so einen Einblick in das Innenleben dieser Parteien, aber ich glaube, bei uns geht es schon viel mehr um Programmatik und Ideen und darum, wie wir Wien besser machen können, als um die Frage, was gut ankommt. Wir trauen uns hier auch ein bisschen edgy zu sein, ein bisschen anzuecken und die unpopulären Themen zu spielen. Dadurch hat das alles nicht so viel Bedeutung. Ich will meine eigene Leistung jetzt nicht schmälern, aber ich glaube, der Spin-Doctor ist nicht der Wichtigste in einer Partei.
© Sachim Popovici
Stefan Schett ist Kommunikationsleiter der NEOS. Zuvor arbeitete er als Journalist und PR-Berater. Mit seiner Expertise in Agenda-Setting und Framing gestaltet er die Kommunikationsstrategie der Partei und sorgt dafür, dass politische Botschaften gezielt vermittelt werden.
Glauben Sie, dass Spin-Doctoring in der Politik langfristig Schaden oder Nutzen bringt, insbesondere in Bezug auf das Vertrauen der Wähler*innen?
Schett: Ich sehe Spin-Doctoring eher positiv. Es ist eine große philosophische Frage, weil es auf der einen Seite die These der Post-Demokratie gibt: ‚Wir werden alle dümmer, weil immer mehr Spin und Populismus eingesetzt wird.‘ Auf der anderen Seite glaube ich, dass eine Politik, die gute Arbeit leistet und gut kommuniziert – und das geht nie ohne Inhalte – viel Vertrauen zurückgewinnen kann. Derzeit ist es in Österreich eher so, dass alle gegeneinander sind, und jeder in der Opposition muss ständig sagen, wie schlecht alles läuft. Das ist eine Gefahr. Man sollte stets auf die wichtigen Gemeinsamkeiten achten und darauf, wo eine Regierung, an der man nicht selbst beteiligt ist, vielleicht auch mal etwas Gutes gemacht hat. Oder in unserem Fall in Wien, wo auch die Opposition einen guten Punkt haben kann – das soll ja auch mal vorkommen. Aber grundsätzlich glaube ich, dass SpinDoctoring etwas sehr Positives bewirken kann, denn das Vertrauen der Bürger*innen hängt auch stark von der Kommunikation ab.
Und was sind die größten Chancen, die sie in der politischen Kommunikation sehen?
Schett: Dass die Menschen der Politik wieder vertrauen. Ich glaube, das könnte gestärkt werden, wenn Politiker*innen – und das gilt nicht nur für NEOS, sondern für alle, die zur Wahl antreten – ihre Versprechen halten und klar zeigen, dass sie diese tatsächlich umsetzen. Wenn Wähler*innen am Ende sehen, dass sich ein*e Politiker*in nicht in Streitereien, Korruption oder Machtkämpfen verliert, sondern im Interesse der Bevölkerung handelt, dann ist das ein echter Gewinn für die Demokratie. Selbst wenn es eine Richtung ist, die mir persönlich nicht gefällt, ist das dennoch wertvoll, weil es den Menschen eine Verbindung zur Politik schafft. Ich glaube, das ist die größte Chance.
Sergej Seitz, Projektmitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, erläutert, wie Framing und bewusste Wortwahl die öffentliche Meinungsbildung prägen.
Welche Rolle spielen Emotionen in der politischen Kommunikation?
Sergej Seitz: Emotionen spielen eine enorm große Rolle – wie auch in jeder anderen Form der Kommunikation. Es gibt keine Unterhaltung, die komplett frei von Gefühlen, Stimmungen oder Affekten ist. Jedes Gespräch transportiert Emotionen und oft versuchen wir, damit auch Emotionen bei anderen auszulösen.
Hat sich in den letzten Jahren das Verhältnis zwischen Inhalt und Emotion, etwa durch die Digitalisierung, verändert?
Seitz: Nein, Emotionen waren schon immer ein zentraler Bestandteil politischer Auseinandersetzungen. Es geht zwar darum, Argumente und Begründungen zu liefern, aber selbst das stärkste Argument bleibt wirkungslos, wenn es nicht emotional unterstützt wird.
Wie könnte eine stärkere Thematisierung von Emotionen im öffentlichen Diskurs in Österreich die Gesellschaft offener gestalten und den demokratischen Austausch fördern?
Seitz: Man muss beachten, dass es problematische Formen der emotionalen Mobilisierung gibt. Ein Beispiel ist der Aufstieg des Rechtsextremismus und Neofaschismus in Österreich und Europa. Hier werden gezielt Emotionen geschürt, um Spaltungen zwischen uns und den anderen zu erzeugen. Gleichzeitig darf man nicht denken, dass man diese emotionalen Bewegungen einfach mit Vernunft stoppen kann. Oft hört man in der PopulismusKritik, dass das Problem der Rechtsextremen sei, dass sie zu emotional agieren, und dass wir zu einem sachlichen, emotionslosen politischen Diskurs zurückkehren sollten. Aber es ist schwer zu sagen, wann es diesen trockenen Diskurs je gegeben haben soll. Dadurch beraubt man sich selbst einer wichtigen politischen Mobilisierungskraft, wenn man allein auf nüchterne Diskussionen setzt.
Wie beeinflussen Politiker*innen durch gezielte Wortwahl die Meinungsbildung und Wahrnehmung bestimmter Themen?
Seitz: Das passiert ständig – es lässt sich kaum vermeiden. Mit jedem Wort, das wir wählen, geben wir unserer Sicht auf die Welt einen bestimmten Rahmen. Es gibt keine neutrale Sprache. Wie der Begriff Framing andeutet, formen wir durch unsere Wortwahl, was wir wahrnehmen und wie wir es bewerten. Ein gutes Beispiel ist der Begriff Populismus. Meiner Meinung nach werden rechtsextreme und neofaschistische Akteur*innen verharmlost, indem sie als Populist*innen bezeichnet werden, obwohl der Begriff Populismus eigentlich nur bedeutet, ans Volk zu appellieren. Problematisch ist nicht der Appell an das Volk, sondern an ein rassistisch definiertes Volk.
Wie erkennt man manipulative politische Kommunikation, sei es in Reden von Politiker*innen oder in deren Social Media-Inhalten?
Seitz: Zunächst muss klar sein, was das Ziel der Kommunikation ist. Jede politische Rede will überzeugen, bestimmte Handlungen als sinnvoll darstellen und die eigene Sichtweise vermitteln. Es geht also darum, die Kommunikationssituation richtig zu erfassen. Danach braucht es kritisches Hinterfragen: Ist das Gesagte plausibel? Werden die Aussagen durch verlässliche Fakten gestützt? Es ist besonders wichtig, zu prüfen, ob bestimmte Themen bewusst ausgeblendet werden. Manipulation bedeutet oft nicht, dass Falsches behauptet wird, sondern dass die Aufmerksamkeit gezielt auf ein bestimmtes Thema gelenkt wird, um von wichtigeren, gesellschaftlichen Problemen abzulenken. Das kennt man auch aus der Unternehmenskommunikation: Man schafft gezielt Ablenkung auf Nebenschauplätze, um die öffentliche Meinung besser steuern zu können und kritische Themen aus dem Fokus zu nehmen.
Sind die Empfänger*innen politischer Kommunikation selbst dafür verantwortlich, Manipulation zu erkennen oder liegt es an der politischen Bildung, die Gesellschaft dafür zu sensibilisieren?
Seitz: Beides ist wichtig, aber entscheidend ist eine starke politische Bildung und ein radikaler Umbau unserer digitalen Infrastruktur. Der Großteil unserer Kommunikation läuft heute über Plattformen, die nicht auf politischen Austausch ausgerichtet sind, sondern darauf, die Aufmerksamkeit möglichst lange zu binden, um passende Werbung zu schalten. Es hat etwas Dystopisches: Wenn wir glauben, auf Plattformen wie X politische Diskussionen zu führen, liefern wir in Wirklichkeit Daten an einen Medienkonzern. Es ist wichtig, nicht die einzelnen Nutzer*innen zu beschuldigen, wenn sie Manipulation nicht sofort erkennen. Vielmehr müssen wir politische Bildung stärken und kritisch über unsere digitalen Infrastrukturen nachdenken, um nachhaltige Lösungen zu finden.
Welche rhetorischen Besonderheiten lassen sich bei der politischen Kommunikation auf Social Media beobachten?
Seitz: Die Kürze der Kommunikation ist sicher eine Besonderheit, aber kein entscheidender Aspekt. Auch die Diagnose der Filterblase oder Echokammer wird häufig zu schnell gestellt. Die Idee, dass es früher neutrale Medien gab und heute Medien einer Echokammer gleichen, hält einer geschichtlichen Überprüfung nicht stand. Es kann sogar das Gegenteil wahr sein: Social Media schafft unheimlich viele neue Möglichkeiten der Konfrontation über die eigene Bubble hinweg. Wo man früher noch am Stammtisch der Selbstbestätigung gesessen wäre, fördern diese digitalen Infrastrukturen politische Auseinandersetzungen.
Welche Rolle spielt die Vereinfachung komplexer Themen in der politischen Kommunikation und welche Auswirkungen hat dies auf den öffentlichen Diskurs?
Seitz: Vereinfachung kann ein großes Problem sein. Gleichzeitig kann aber auch der Hinweis auf hohe Komplexität problematisch werden, wenn damit suggeriert wird, bestimmte Fragen und Entscheidungen wären einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung gar nicht zugänglich und rein Expert*innen überlassen. Der Ruf nach
© Mag. Dr. Sergej Seitz, BA MA
Dr. Sergej Seitz ist Projektmitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Er studierte Philosophie in Wien und Paris. Die enge Verbindung von Sprache und Politik sowie sein Interesse an politischen Fragen und der Philosophie waren der Grundstein seiner akademischen und beruflichen Karriere.
Komplexität und die Warnung vor Komplexitätsreduktion kann schnell mit einer Art antidemokratischem Affekt einhergehen.
Inwieweit sind Vereinfachungen notwendig, um politische Themen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen und sie am politischen Diskurs zu beteiligen?
Worin liegen dabei die Gefahren?
Seitz: Bei der Frage der Vereinfachung der Komplexität sind die Begriffe, die wir verwenden, allein schon politisch geframed. Die Verwendung der Worte „einfach“ und „komplex“ legt nahe, es wäre schon besser komplex zu sein, als Dinge zu vereinfachen. Jede Vereinfachung hat also Gefahren, wie auch jede Berufung auf Komplexität. Politische Artikulationen kommen aber ohne ein gewisses Maß an Vereinfachung nicht aus. Möchte man einer bestimmten Ideologie zur Durchsetzung verhelfen, muss man beispielsweise eine Art von Gegnerschaft identifizieren. In der Politik wird generell oft ein komplexes Verhältnis zwischen politischen Akteur*innen vereinfacht. Ohne diese Art der Vereinfachung durch die Identifikation von Gegnerschaft, die nicht unbedingt Feindschaft heißen muss, kommt die Politik nicht aus. Wenn das im Modus der Gegnerschaft und nicht der Feindschaft geführt wird, kann genau das auch einen gelingenden demokratischen Konflikt ausmachen.
Wie tragen emotionale und populistische Rhetorik zur Verbreitung von Fake News und Verschwörungsmythen bei?
Seitz: Fake News und Verschwörungsmythen haben heute einen starken Community-Building-Aspekt. Heutige Verschwörungstheorien sind Mitmach-Verschwörungstheorien. Aufgrund der emotionalen Ebene der Gemeinschaftsbildung, haben heutige Verschwörungsmythen so eine Kraft.
Wie setzen politische Parteien Agenda Setting ein? Darüber sprach PRaktivium mit dem Nationalratsabgeordneten der Grünen, David Stögmüller.
Sie haben intensiv am Ibiza-Untersuchungsausschuss mitgewirkt. Wie gelingt es, in einem politisch aufgeladenen Kontext wie dem Ibiza-Untersuchungsausschuss, Themen erfolgreich zu platzieren?
David Stögmüller: Der Ibiza-Untersuchungsausschuss war für uns als Grüne ein zentraler Moment, um aufzuklären und politische Missstände zu thematisieren. Dass der Ibiza-Untersuchungsausschuss für uns ein koalitionsfreier Raum war, war auch notwendig, um die Missstände und Vorwürfe, die im Raum standen, ordentlich aufzuklären. Unsere Agenda bestand darin, den systematischen Machtmissbrauch von Türkis-Blau aufzudecken. Dazu gehörten Pläne für eine FPÖ-Bank, die rechtsextreme Strukturen unterstützen sollte, die Umstrukturierung des Bundesrechenzentrums oder die Missstände um die ÖBAG und Thomas Schmid. Unsere Aufgabe in der politischen Kommunikation war es, diese komplexen Vorgänge für die Öffentlichkeit verständlich darzustellen.
Wie wichtig war dabei die mediale Berichterstattung?
Hatten die Medien einen wesentlichen Einfluss auf die Wahrnehmung dieser Themen?
Stögmüller: Ohne unabhängige Medien wäre es kaum möglich gewesen, diese komplexen Sachverhalte zu erklären. Qualitätsjournalismus war entscheidend, um unsere Themen sichtbar zu machen. Es ging darum, einen breiten Diskurs zu ermöglichen, ohne auf populistische Methoden zurückzugreifen. Wir haben immer versucht, konstruktiv und faktenbasiert zu arbeiten. Das ist in der heutigen politischen Kommunikation nicht selbstverständlich.
Die Grünen konnten in dieser Zeit auch einige Erfolge feiern. Haben Sie diese Erfolge nicht richtig vermarkten können?
Stögmüller: Die letzten Jahre waren für uns Grüne durch zahlreiche Herausforderungen geprägt. Die Zusammenarbeit in einer Koalition mit der ÖVP brachte notwendige Kompromisse, die oft unsere eigenen Grundsätze auf die Probe stellten. Zusätzlich standen wir vor einer Reihe von Krisen, wie der Corona-Pandemie, dem Krieg in der
Ukraine und der Teuerung. Die erschwerten eine klare und einheitliche Kommunikation. Der Wahlkampf selbst spitzte sich schließlich auf ein Duell der drei größten Parteien zu; was es für uns schwierig machte, unsere Botschaften zu platzieren und im medialen Rampenlicht zu bleiben. Unsere Erfolge, darunter etwa der Klimabonus, sind dabei oft zu kurz gekommen. Die Wählerinnen und Wähler fokussieren sich eher darauf, was in der Zukunft erreicht werden kann, anstatt die erzielten Ergebnisse der Vergangenheit zu honorieren. In diesem Wahlkampf war es besonders herausfordernd, diese Balance zu halten, da viele Menschen vor allem einen Wechsel und eine andere Richtung fordern.
Würden Sie sagen, dass es den Grünen während des Ibiza-Untersuchungs- ausschusses gelungen ist, die eigene Agenda in der Öffentlichkeit erfolgreich zu platzieren?
Stögmüller: Ja, ich denke schon. Wir haben damals Themen gesetzt, die noch heute relevant sind, wie die engen Verbindungen zwischen Politik und Wirtschaft. Unsere Erkenntnisse haben gezeigt, dass Türkis-Blau versucht hat, die Republik umzubauen und eigene Leute in Schlüsselpositionen zu setzen. Diese Themen konnten wir im politischen Diskurs verankern und neue Gesetze beschließen, wie ein strengeres Korruptionsstrafrecht oder die Transparenzgesetze. Aber es war ein langer Prozess, und manchmal hatten wir das Gefühl, nicht schnell genug zu reagieren.
Welche Themen haben Sie in der politischen Kommunikation speziell ausgewählt, um die Öffentlichkeit zu erreichen?
Stögmüller: Wir haben uns in der Kommunikation auf drei große Schwerpunkte konzentriert. Für uns war es klar, dass wir zeigen wollten, wie Türkis-Blau ein politisches System installiert hat, um die Republik still und heimlich umzubauen. Einerseits war hier das Finanzministerium eine wichtige Drehscheibe. Die bereits erwähnte FPÖ-Bank, um rechtsextreme Strukturen zu finanzieren. Andererseits stand die Privatisierung des
Bundesrechenzentrums im Raum. Diese Themen haben wir in den Mittelpunkt gestellt, um zu zeigen, wie tief diese Verstrickungen gingen.
Würden Sie heute rückblickend etwas anders machen, in der Kommunikation oder im U-Ausschuss?
Stögmüller: Ja, am Anfang des Untersuchungsausschusses mussten wir uns erst einmal einarbeiten. Ich glaube, es war uns am Anfang nicht ganz klar, was das alles bedeutet. Rückblickend würde ich nicht sofort auf jeden kleinen Skandal aufspringen, sondern mehr Zeit in die Recherche investieren. Aber insgesamt war unsere Arbeit solide. Interessant ist, wie sich die roten Linien in der Republik verschoben haben. Dinge, die früher Skandale waren, wie FPÖler, die Nazilieder am Grab singen, führen heute kaum noch zu Konsequenzen. Heutzutage wird, wenn überhaupt, erst zurückgetreten, wenn das Strafgesetzbuch relevant wird.
Die FPÖ ist bekannt dafür, stark auf soziale Medien zu setzen und gerade junge Wähler*innen anzusprechen. Wie beurteilen Sie den Umgang der Grünen mit digitalen Medien, insbesondere im Vergleich zur FPÖ?
Stögmüller: Die FPÖ hat ein beachtliches Medienimperium aufgebaut, insbesondere auf Plattformen wie TikTok, und erreicht damit viele junge Menschen. Wir Grüne haben uns zu sehr auf klassische Medien verlassen. Das war ein Fehler. Gerade in den sozialen Medien müssen wir stärker werden. Das betrifft nicht nur die Ansprache junger Wähler, sondern auch Frauen, die bei der letzten Wahl überraschend stark zur FPÖ gewechselt sind. Hier müssen wir in der Frauenpolitik nachlegen und die richtigen Botschaften auf digitalen Plattformen platzieren.
©Grüner Club im Parlament
David Stögmüller ist seit 2019 Abgeordneter zum Nationalrat für die Grünen. Er studiert derzeit Strategische Kommunikation und PR und ist Mitglied des Landesvorstandes der Grünen Oberösterreich.
Ein großes Problem in der digitalen Kommunikation ist die Verbreitung von Fake News und Desinformation. Die FPÖ nutzt dies zu ihrem Vorteil. Wie sollten Parteien wie die Grünen damit umgehen?
Stögmüller: Fake News sind eine der größten Herausforderungen in der modernen Politik. Politiker alleine können das nicht bekämpfen – es braucht unabhängige Organisationen und Qualitätsmedien, die Falschinformationen entlarven. Gleichzeitig müssen wir unsere eigenen Kommunikationsstrategien anpassen. Wir können nicht erwarten, dass die Menschen von selbst zwischen Wahrheit und Lüge unterscheiden. Dafür brauchen wir eine bessere Aufklärung und Förderung des kritischen Denkens, gerade in sozialen Netzwerken.
Die Grünen haben bei der letzten Wahl deutliche Verluste hinnehmen müssen, obwohl Klimapolitik lange Zeit eines ihrer stärksten Themen war. Wie erklären
Sie sich das?
Stögmüller: Die politische Kommunikation zu Klimaschutzthemen war nicht das Problem. Vielmehr haben sich die Prioritäten der Wähler verschoben. Angst ist ein starker Motivator in der Politik. In Zeiten von Migration und wirtschaftlicher Unsicherheit verlieren viele Menschen den Fokus auf den Klimaschutz. Wir haben es nicht geschafft, zu vermitteln, warum der Klimaschutz gerade jetzt so wichtig ist. Es ist ein langfristiges Thema, aber kurzfristige Krisen wie Inflation und soziale Unsicherheit haben den Menschen mehr Sorgen bereitet.
Glauben Sie, dass die Grünen ihre Kommunikationsstrategie in Zukunft breiter aufstellen müssen?
Stögmüller: Auf jeden Fall. Wir können uns nicht nur auf den Klimaschutz verlassen. Wenn wir breiter wahrgenommen werden wollen, müssen wir ein größeres Portfolio bieten. Themen wie soziale Sicherheit, Menschenrechte und Transparenz müssen eine größere Rolle spielen. Nur so können wir langfristig Wähler gewinnen und in der politischen Landschaft bestehen.
„Unser Ansatz ist bodenständig und menschlich"
Arlette Zakarian (NEOS X) über kreative Wege der politischen Partizipation und die besonderen Bedürfnisse und Anliegen von Auslandsösterreicher*innen.
Sie haben vor ihrer Tätigkeit als Politikerin bereits unter anderem als Anwältin, politische Beraterin und an diversen Universitäten und Forschungseinrichtungen gearbeitet. Wie sind Sie in die Politik gekommen?
Arlette Zakarian: Ich bin armenischer Abstammung und im Iran geboren, ich glaube die Politik wurde mir in die Wiege gelegt. Ich wurde früh mit politischen Themen konfrontiert, etwa mit der fehlenden Anerkennung des Völkermordes an den Armenier*innen. Das ist eine offene Wunde. Als ich vier oder fünf Jahre alt war, brach im Iran die islamische Revolution aus, daraufhin kam ich mit meiner Familie nach Wien. Da bekam ich die Politik wirklich zu spüren. Was diese Entwurzelung mit einem macht. Wie es ist, wenn man plötzlich woanders leben muss.
Was hat Sie dazu bewegt sich für Auslandsösterreicher*innen stark zu machen?
Zakarian: Das kam einfach so, nachdem ich immer wieder auf verzweifelte Menschen getroffen war. Es entwickelte sich wie eine kleine Blume. Ich finde, man sollte sich immer intellektuell betätigen und offen sein. Zuvor war ich Ombudsperson bei den NEOS, und als Auslandsösterreicherin bin ich dann in NEOS X – das „zehnte Bundesland“ – hineingeraten, da ich in Straßburg und Heidelberg gelebt habe. Besonders schön ist es, dass man bei den Auslandsösterreicher*innen immer tolle Leute kennenlernt, oft bei gemeinsamen Zoom-Konferenzen.
Welche Inhalte müssen Ihrer Meinung nach für Auslandsösterreicher*innen aufbereitet werden?
Zakarian: Das hängt davon ab, woran die Menschen gerade interessiert sind. In einer unserer Zoom-Konferenzen haben wir Stephanie Krisper eingeladen; sie hat über Korruption und Postenschacher gesprochen. Helmut Brandstätter hat über aktuelle Themen in Europa gesprochen. Wir laden immer wieder spannende Persönlichkeiten für Vorträge ein. Das interessiert sehr viele Menschen. Wenn man mit Auslandsösterreicher*innen spricht, merkt man, was die aktuellen Themen sind. Es sind ganz normale Lebensthemen und Alltagsprobleme. Beispielsweise die
Doppelstaatsbürgerschaft, die Anerkennung von österreichischen Diplomen im Ausland, oder wie man das österreichische Konsulat im Ausland erreicht. Politik ist Alltag. Politik ist für Menschen gemacht. Politik ist das Haus des Volkes. Und die Minister*innen sind normalerweise Arbeiter*innen für das Volk, das wird oft vergessen. Weil man die Abgehobenheit vieler Politiker*innen sieht. Unser Ansatz ist bodenständig und menschlich. Und das gefällt mir auch so gut daran. Wir haben nicht die eine Schablone, wie wir vorgehen müssen. Wir schauen, je nach Problem spontan, wie wir den Menschen helfen können.
Wie kommen Sie an Informationen über Probleme, Herausforderungen, Wünsche und Bedürfnisse der Auslandsösterreicher*innen?
Zakarian: Über Social Media. Die Menschen melden sich mit ihren Problemen und ganz präzisen Fragen bei uns. Sie schreiben uns in den Auslandsösterreicher*innenForen auf Instagram und Facebook, auf den NEOS XAccounts oder auch per E-Mail.
Über welche Kanäle und Medien kommunizieren Sie momentan mit Auslandsösterreicher*innen?
Zakarian: Über die besagten Foren und regelmäßige Zoom-Calls. Wir laden häufig Politiker*innen dazu ein. An diesen Konferenzen können auch NichtAuslandsösterreicher*innen teilnehmen. Dann haben wir noch unsere Repräsentant*innen. Das sind Menschen, die die NEOS X im Ausland vertreten, dort Stammtische organisieren, zugezogene Österreicher*innen willkommen heißen und mit ihnen etwas trinken gehen. Wenn jemand Rep, wie wir sie nennen, werden möchte, muss er*sie unsere stellvertretenden Landessprecher*innen anschreiben. Wir machen uns dann einen Termin aus, in dem wir uns austauschen. Dann stimmen wir ab, ob wir diese Person aufnehmen. Ist die Person dann Rep, ist ihre Aufgabe, Österreicher*innen in ihren jeweiligen Ländern willkommen zu heißen, wenn sie dorthin auswandern. Derzeit haben wir unter anderem Reps in New York, Seattle, Frankreich, Luxemburg, Rumänien und in der
Schweiz. Jede*r österreichische*r Staatsbürger*in kann Rep werden. Im Endeffekt sind es Österreicher*innen, die zusammenkommen, weil sie Heimweh haben. Das Ziel ist, ein Netzwerk an Reps aufzubauen.
Das bedeutet, jeder Rep hat seine*ihre eigene Art zu kommunizieren und nutzt auch eigene Mittel und Wege?
Zakarian: Ja, bei uns ist alles anders, auch unsere Bedürfnisse. Wir haben keinen Wahlstand und verteilen Flyer. Wir verschicken sie, hinterlegen sie in Botschaften und machen Zoom-Konferenzen. Kurz vor der Nationalratswahl haben wir zum Beispiel in New York und Berlin Stammtische abgehalten.
Nutzen Sie noch andere Medien?
Zakarian: Ja, unseren Podcast „Austrian Voices“. In den Podcast-Folgen erzählen Auslandsösterreicher*innen über ihr Leben. Das sind unter anderem Hoteliers und Ärzt*innen. Also ganz tolle Profile von Österreicher*innen, die im Ausland leben. Den Podcast machen wir absichtlich losgelöst von der Partei. Klassische Medien wie Flyer oder Goodies nutzen wir auch. Insgesamt ist unser Ansatz durch das Rep-System sehr menschlich.
Trotz der Ferne ist Ihr Ansatz also einer, der sehr viel Nähe schafft.
Zakarian: Und die hat man dann auch. Diese Nähe hat man als Inlandsösterreicher*in vielleicht nicht so sehr. Wenn man eine Mitgliederversammlung mit 300 Menschen besucht, spricht man eher selten direkt mit den Abgeordneten. Bei den Stammtischen kann man direkt mit den Reps sprechen.
Wie kann man Auslandsösterreicher*innen, die sich nicht betroffen fühlen, zur politischen Partizipation bewegen?
Zakarian: Bewegen kann man niemanden, finde ich. Jemand muss sich politisch engagieren wollen und es muss ein Bedürfnis da sein, das die Person bewegt. Ein gutes Beispiel dafür sind die Themen Anerkennung eines Abschlus-
© zVg
Arlette Zakarian ist Landessprecherin von NEOS X und führt Anwaltskanzleien in Straßburg und Wien. Zakarian war unter anderem als Dozentin an verschiedenen französischen Universitäten, als Litigation Lawyer und Beraterin bei der OECD sowie für die Bank of Scotland tätig. Sie setzt sich für die Rechte von Auslandsösterreicher*innen ein.
ses oder etwa die Doppelstaatsbürgerschaft. Wenn man sich nicht auskennt und sich informieren will, dann schauen Auslandsösterreicher*innen meist in diverse Foren. Und so kommt man zur politischen Partizipation: Weil man ein Problem hat und weil man auf Leute trifft, die auf dasselbe Problem gestoßen sind. Gemeinsam versucht man dann eine Lösung zu finden und den Stand der Dinge zu verändern, indem man Politiker*innen anschreibt und versucht, auf den Umstand aufmerksam zu machen. Immerhin gibt es 660.000 Auslandsösterreicher*innen, die müssen auf sich aufmerksam machen. Viele glauben nicht, dass das sonderlich viele Menschen betrifft, aber es sind mehr Menschen als die Einwohner*innen von Kärnten.
Wie sieht ihr Idealzustand aus: Wie sollten Parteien und Politiker*innen Auslandsösterreicher*innen in ihre Kommunikation und Maßnahmen integrieren?
Zakarian: Es sollte einen eigenen Wahlkreis für Auslandsösterreicher*innen geben. Von den 183 Nationalratsabgeordneten sollte es einen geben, der für die 660.000 Auslandsösterreicher*innen zuständig ist.
Welches Feedback erhalten Sie für Ihre Arbeit?
Zakarian: Das Feedback ist unterschiedlich. Es gibt aber auch schockierende Aussagen: Meine engsten Freundinnen fragen mich: Wer kümmert sich um die Kinder? Und das im Jahr 2024. Aber ich tue es eben wegen meiner Kinder. Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der die Frage nicht lautet „Wen kennst du?“, sondern „Was kannst du?“. Jeder soll einen Spielraum haben, beruflich zu machen, was er möchte. Dieses altmodische Bild der Frauen und die Frage, ob ich nicht genug zu tun habe, kommt häufig. Manchmal höre ich auch die Frage: „Warum machst du das?“. Aber ich mache es ganz einfach, weil ich es mag. Andere Menschen mögen vielleicht Klavierspielen, ich mag es zu diskutieren und debattieren und auch mal zu sagen „So geht es nicht“. Durch die Politik weiß ich, wie es in Österreich aussieht, wie es in Europa aussieht, wie es auf der Welt aussieht. Dadurch fühle ich mich auch sicherer, wenn ich weiß, wo ich lebe.
MEINUNG
Chefredakteur Markus Feigl mit einem Plädoyer für eine politische Kommunikationskultur, die nicht nur trennt, sondern auch verbindet.
Verstehen Sie die Welt heute noch? Mir fällt das von Tag zu Tag schwerer. Früher, als ich 20 Jahre alt war, da war noch alles klar. Ich habe mich damals im politischen Links-Rechts-Spektrum Mitte Links eingeordnet. Soll jeder glauben, was er will. Jeder lieben, wen er will. Wissenschaft vor Religion und Fakten vor Gefühlen. Das Wichtigste: Mach was Du willst, aber tu es in einem verantwortungsbewussten Rahmen und gehe dabei den anderen nicht auf die Nerven. Oder um es mit Immanuel Kant zu sagen: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“
Doch Kants kategorischer Imperativ wird immer unpopulärer. Derzeit ist alles politisch und jeder muss Farbe bekennen. Trägt er die falsche Farbe, ist er kein herausfordernder und interessanter Gesprächspartner mehr, sondern der Feind. Und dieses Schwarz-Weiß-Denken, dieses Wegfallen der konsensorientierten Mitte, verblüfft mich.
Kommunikation
Weshalb folgt man einer Partei oder einer bestimmten Ideologie und lehnt alle anderen kategorisch ab? Aufgrund der Inhalte, richtig? Hand auf’s Herz - gibt es tatsächlich eine Partei, die Ihre Interessen oder Vorstellungen zu hundert Prozent vertritt? Sie wollen, dass straffällig gewordene Ausländer abgeschoben werden? Dann sollten Sie die Partei wählen, die am weitesten rechts steht. Aber sind Sie auch dafür, die Homo-Ehe wieder abzuschaffen? Nein? Dann wäre Rechtsaußen eventuell doch nicht die richtige Wahl. Sehen Sie? Menschen, die vernünftig genug sind, um sich ihre eigenen Meinungen zu unterschiedlichen Themen zu bilden, folgen Parteien nicht völlig blind.
Ist es dann vielleicht die politische Kommunikation, die die Gesellschaft derartig entzweit? Rechte Influencer ver-
packen heute rassistische und sexistische Ansichten in flotten Insta-Reels. Ihrem Drang, sprachliche Grenzen zu überschreiten und Faktenchecks auf sozialen Medien abzuschaffen, steht die Zensurwut der Linken gegenüber, die täglich neue Wörter verbieten möchten und unsere Sprache mit immer mehr Sonderzeichen verkomplizieren. Wer sich und seine Mitmenschen vor einer Pandemie schützen möchte, ist laut der Rechten ein Schlafschaf, ein Systemling oder ein Pharma-Gläubiger. Wer Äthiopierinnen und Äthiopier nicht verhungern lässt, ist für die Linke neuerdings ein „White Savior“. Politische Ideen werden von der Gegenseite also negativ geframed.
Framing
Wussten Sie zum Beispiel, dass laut einer Studie von 2024 jeder zweite Österreicher bzw. jede zweite Österreicherin sich eine umfassende „Remigration“ von zugewanderten Menschen in ihre Heimatländer wünscht? Medien stürzten sich auf dieses Ergebnis. Social Media spielte verrückt. Besteht unser Land wirklich zur Hälfte aus Rassisten? Ich kann Sie beruhigen, es ist eine durchschaubare Strategie: Man versieht etwas, das viele Menschen wollen, den eigenen Interessen aber im Wege steht, mit einem Begriff, den die Rechte für sich eingenommen hat. Nun ist es einfach, zu behaupten, dass 50 Prozent der Menschen in Österreich Rassisten seien und rechte Einstellungen hätten. Dass in der Studie nicht gefragt wurde, warum und wen man abschieben möchte und die Beweggründe der Befragten dadurch völlig unklar sind, wird ignoriert. Das ist kein Mut zur Lücke, das ist ein Weglassen wichtiger Fakten. Und so etwas gibt es links wie rechts.
Lassen Sie uns also sprachlich etwas abrüsten und einander mehr zuhören. Denn ob Sie in der Politik aktiv sind, oder nicht: Wir alle betreiben politische Kommunikation.
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