FACES Austria, September 25

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S.22

The Faces

Elisa de Almeida, Goldie Boutilier, Nadia Lee Cohen, Nicola Formichetti, Molly Gordon, Noah Hawley, Nia Ivy, Manny Jacinto, Ben Shelton S.34

Fashion, Beauty, Travel, Watches&Jewellery, Living&Design S.56

Photography: Maximilan Heimlich

Beim Verreisen kommt alles mit, auch das Stilgefühl. S.44

Frische Inspiration gesucht? Einfach mal alles zerschneiden und wieder neu zusammensetzen.
S.56
Die Herbstfarben halten allmählich in der Mode Einzug. S.34

S.116

Schauspielerin Luna Jordan hüllt sich für uns in Longchamp und verrät uns, was wir von ihrer kommenden Serie „Euphorie“ erwarten dürfen.

S.134

S.110

Who’s Cleaning up this Moss?

Portrait: Kate Moss

S.116

Heart Core

Berlin

Portrait: Haderlump

S.124

The Berlin Wow

Photography: Christopher Puttins

S.134

Soul of Milano

Photography: Ottavio Fantin

Wer trägt was diese Saison und wieso? Wir schlüsseln es in unserem Fashion Report auf.
S.66
Der Hype um das Berliner Label Haderlump flacht nicht ab. Wir haben die Gründer in ihrem Atelier in Berlin besucht.

Photography: Launchmetrics SpotlightSM Model: Ana Rossolovich Look von DIOR.

S.148 Intimus

Photography: Bruce Weber

S.164

Red Manifesto

Photography: Benjamin Audour

S.174

To the Lighthouse

Huanglong Island Lighthouse Hotel

S.178

WTF

Birkin S.12

Impressum S.14

Contributors

Der Modeherbst ist feuerrot. S.164
Hübsche Männermodels hatte der amerikanische Fotograf Bruce Weber gerne vor der Linse. S.148

IMPRESSUM

HERAUSGEBER

Stefan Berger – berger@faces.ch

Patrick Pierazzoli – pierazzoli@faces.ch

CHEFREDAKTEUR

Patrick Pierazzoli

VERLAGSLEITUNG

Julia Gelau

CREATIVE CONSULTANTS

Florian Ribisch

Alex Wiederin

REDAKTION

Michael Rechsteiner

Josefine Zürcher

Laura Marta

FASHION DIRECTOR

Nadia Hartzer

GRAFIKLEITUNG

Bianca Ugas – grafik@faces.ch

GRAFIKASSISTENZ

Alma Schneider

FACES, Bertastrasse 1, CH-8003 Zürich

AUTORINNEN

Margherita Devalle, Nadia Hartzer, Patrick Pierazzoli, Michael Rechsteiner, Josefine Zürcher

FOTOS & ILLUSTRATIONEN

Benjamin Audour, Jérémie Luke Dubois, Tian Fangfang, Ottavio Fantin, Maximilan Heimlich, Olena Mindrina Anastasia Potapova, Christopher Puttins, Szymon Stepniak, Bruce Weber, Josefine Zürcher, pa picture alliance (dpa), Launchmetrics SpotlightSM

TYPEFACES

Synt (Dinamo)

Salt Lake (Florian Ribisch)

ANZEIGEN & KOOPERATIONEN DEUTSCHLAND & ÖSTERREICH

FACES Deutschland, Straßburger Straße 6D, D-10405 Berlin Julia Gelau, Managing Director Germany & Austria – julia@faces.ch; +49 (0) 30 552 02 383

ANZEIGEN & KOOPERATIONEN SCHWEIZ Monika Brändli – monika.braendli@faces.ch Pascal Konrad – pascal.konrad@faces.ch +41 (0) 43 322 05 37

ANZEIGEN & KOOPERATIONEN ITALIEN

EDICONSULT INTERNAZIONALE srl, Piazza Fontane Marose 3, I-16123 Genova milano@ediconsult.com; +39 (0) 010 583 684

ANZEIGEN & KOOPERATIONEN FRANKREICH & GROSSBRITANNIEN Nina Neuhaus – nina.neuhaus@condenast.de; +33 (0) 6 88 58 71 74

ABONNEMENTSPREISE

FACES erscheint 8 Mal im Jahr. Einzelverkaufspreis EUR 10.— ; Jahresabo Jahresabo EUR 68.—

© Copyright 2025 Fairlane Consulting GmbH

Der FACES-Schriftzug/-Stern sind eingetragene Markenzeichen der Fairlane Consulting GmbH und dürfen nicht ohne deren Zustimmung verwendet werden. Nachdrucke, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Maximilian Heimlich

Woher stammt die Kreativität, mit der Fotograf Maximilian Heimlich unsere Strecke „Reborn in Cuts“ in dieser Ausgabe beflügelt? Vielleicht daher, dass er in einem katholischen Internat zur Schule ging. Oder daher, dass er sich als introvertiert bezeichnet. Denn die kreativsten Ideen schlummern ja meist in den ruhigsten Köpfen. Der Münchner lebt nach dem Motto „live, love, sparkle“, was wir sogleich in unser Repertoire aufnehmen.

MERCI

Alessia Ryazanova

Für gutes Styling braucht es ein noch besseres Auge. Dieses hat die in Sibirien geborene Alessia, denn bevor sie Fashion Journalism and Communication studierte und sich danach aufs Styling fokussierte, absolvierte sie eine Ausbildung zur Augenoptikerin. Statt Dioptrien stehen nun Dior und Co. auf dem täglichen Arbeitsplan. Ihr Faible für die skurrilsten Schuhe bringt sie auch in Stylingkonzepte ein: Diese sollen die BetrachterInnen dazu bringen, genau hinzusehen.

Tougher than the rest.

Als Benjamin seine Karriere als Regieassistent bei großen Liveshows begann, waren die Adrenalinschübe garantiert. Als Fotograf sucht er einen ganz anderen Kick: Am liebsten fotografiert er nämlich alles analog. Dass ihm das fantastisch gelingt, sieht man in unserem Editorial. Und weil das noch nicht genug Talente sind, spricht Benjamin nicht nur Französisch und Englisch, sondern auch Spanisch, Italienisch und ein bisschen Polnisch.

In ihren Adern fließt Mode. Diese diente als Inspirationsquelle und Antrieb gleichermaßen, und so studierte Marie Revelut Modedesign in Perpignan und Narbonne, um dann endlich nach Paris zu gehen, der Modemetropole schlechthin. Dort läuft es auch gleich rund mit der Karriere. Für verschiedene Magazine hat sie ihren ganz eigenen Stil als Stylistin einfließen lassen. Als Inspiration zitiert Marie die gesamte Palette der Ästhetik: Poesie, Kunst, Frauen und Schönheit.

Benjamin Audour
Marie Revelut

Chris Puttins

Pulsierende Metropolen wie New York und Los Angeles kurbeln die Kreativität von Chris Puttins an, geboren wurde der Fotograf jedoch in Berlin – einer Stadt, deren Kontraste ihn bis heute inspirieren. Die Popkultur der frühen Zweitausender hat ihn geprägt und seine visuelle Sprache geformt. Mit seinem minimalistischen aber unverkennbaren Stil hat Chris für uns Schauspielerin Luna Jordan für Longchamp abgelichtet.

Alex Huber

Er findet für alle das beste Outfit: Pamela Anderson, Lena Gercke und Helene Fischer hat Stylist Alex Huber bereits in Stoffe gehüllt, die ihre Persönlichkeiten am besten ausdrücken. Für diese Ausgabe hat er Schauspielerin Luna Jordan in Longchamp in Szene gesetzt. Hat man ein solches Gespür für Trends, ist klar, dass Magazine wie Vogue, GQ, Glamour – und natürlich auch wir –Teil davon sein wollen.

Heading for the hot spot.

Unsere neue Grafikpraktikantin vertreibt sich gerne die Zeit auf Social Media. Aber nicht etwa mit sinnlosem Doomscrollen, sondern um stets up to date mit aktuellen gesellschaftlichen Strömungen und Trends zu sein, was wiederum in ihr kreatives Schaffen einfließt. Offline trifft man Alma in Cafés an, wo sie sich den besten Platz zum PeopleWatching schnappt. Dasselbe tut sie am Strand, denn dank ihrer Vorliebe für trashige Hai-Horrorfilme traut sie sich nicht mehr ins Wasser.

Den Bachelor in Journalismus und Kommunikation hat sie schon fast in der Tasche, doch erst macht Laura bei uns als Redaktionspraktikantin einen Zwischenhalt. Das passt bestens, denn seit Tag eins hört man das motivierte Klicken und Klacken ihrer Tastatur. Mindestens so sehr wie das Schreiben liebt Laura das Lesen, darum verlässt sie das Haus nie ohne Buch. Wer Stille nicht erträgt, meldet sich am besten bei der Winterthurerin, denn sie erstellt für jeden Moment die passende Playlist.

Alma Schneider
Laura Marta

THE FACES

„BABY, WE WERE BORN TO RUN.“

LENSE FLAIR

Der beste Ratschlag, den Nadia Lee Cohen je erhalten habe, war eine Lüge: „Niemand denkt an dich“, bekam die Engländerin von ihrem Bruder zum ersten Schultag mit auf den Weg. Inzwischen denken ganz viele ganz oft an das Multitalent. Denn sowohl vor als auch hinter der Kameralinse inszeniert die 33-Jährige ihre ganz eigene Vision zwischen Glamour und Gosse, Kitsch und Krawall. Zum Beispiel für Kampagnen von Miu Miu und Balenciaga. Oder im neuen Musikvideo von Aphex Twin, wo sie selbst dem Großmeister des Bizarren eine Nachhilfestunde erteilt.

Kunst, die auch mal für rauchende Köpfe sorgt.

Wer in den Pop-Minen schürft, findet Hochkarätiges.

GOLDIE BOUTILIER

GLANZVORSTELLUNG

Nach dem dekadenten Urlaub reicht dein Geld nur für entweder die neue Platte von Lana Del Rey oder die neue Platte von Sabrina Carpenter? Dann kauf dir einfach das Debütalbum von Goldie Boutilier. Die Kanadierin ist die Mitte eines funkelnden Venn-Diagramms aus den beiden Superstars und auf bestem Weg, selbst einer zu werden. Lanas Americana-Melancholie und Sabrinas augenzwinkernder „Boys will be boys will be idiots“-Pop mixt Goldie zu einem Doppelten auf Eis, der uns die ganze Nacht wach hält. Heulend im Bett und tanzend auf dem Bartresen.

WHAT A MAN…NY

Diese Wangenknochen waren schon immer zu schade, um nur den Dorftrottel zu spielen. Als liebenswerter DummDumm in der Serie „The Good Place“ schaffte Manny Jacinto den Durchbruch. Seine Rolle in „Top Gun: Maverick“ hätte den Filipino auch auf der großen Leinwand etablieren sollen – doch wurde sie fast ganz aus dem Film geschnitten. Jetzt eben im zweiten Versuch: „Freakier Friday“ ist Mannys Bewerbung für Hollywoods nächsten Leading Herzensbrecher. Endlich. Langsam können wir all diese blonden Kerle namens Chris nicht mehr auseinanderhalten.

Hat noch immer Style-Asse im Ärmel.

NICOLA FORMICHETTI

MEAT AND MORE

Sein Höhenflug war vorprogrammiert. Der Vater? Pilot. Die Mutter? Flugbegleiterin. Und der Sohn? Nicola Formichetti hat in den letzten Jahren nicht nur die Modewelt in den siebten Himmel gehoben. Seine Kollaboration mit Lady Gaga zu Beginn ihrer Karriere sorgte für einige unvergessliche Looks – allen voran die flanierende Fleischtheke, in der die Sängerin 2010 die MTV VMAs besuchte. Jetzt hat der ehemalige Kreativdirektor von Mugler und Diesel sowie Labelchef von Nicopanda Appetit auf mehr und startet bei Mac als Global Creative Director.

Wurde durch Kopien selbst zum Original.

NIA IVY

BEYOND PARODY

Wer den Eltern offenbart, nicht aufs College zu wollen und stattdessen Content Creator zu werden, riskiert eine Mutter auf der Ohnmachtscouch und einen Vater, der seinen Antistressball in Stücke reißt. Es sei denn, man droppt wie Nia Ivy wenige Tage nach diesem Geständnis ein TikTok-Video, das über 8 Millionen Mal angeschaut wurde. Seither ist die Comedienne dank perfekter Parodien von Nicki Minaj und Kim Kardashian selbst zum Star geworden. Nächste Station: Hollywood. Und ganz nebenbei noch den Pop-Punk-Song „Encore“ aus dem Ärmel schütteln.

From doubt to form.

Beim Gestalten geht es nicht um „richtig“ oder „falsch“. Designer*innen suchen nach Möglichkeiten – sie erkunden, verwerfen, verbinden, schaffen Neues. Der Zweifel ist dabei ständiger Begleiter. Design ist nicht nur ein Ergebnis, sondern auch der Weg dorthin. Design ist ein Prozess.

Internationales Designfestival mit Ausstellungen, Workshops, Führungen und Diskussionen.

Wiedner Hauptstraße 52, 1040 Wien

MOLLY GORDON

BEAR WITH HER

Sind sie jetzt eigentlich zusammen? Vielleicht. Wahrscheinlich. Ist aber auch gar nicht so wichtig, ob Molly Gordon und Jeremy Allen White außerhalb ihrer Serie „The Bear“ ebenfalls ein Paar sind. Denn statt Lauwarmes aus der Gerüchteküche serviert Molly derzeit Komödien, die dich auch mal schwer schlucken lassen. So wie „Oh, Hi!“, nach der man eigentlich all seine Dating-Apps löschen will. Die Filmemacherin und Schauspielerin trifft mit Themen und Tonfall den Zeitgeist und sorgt dafür, dass wir zumindest im Kino weiterhin gut lachen haben.

Ihre Filme machen Bärenhunger auf mehr.

SCHLAGFERTIG

In den letzten zwanzig Jahren perfektionierten männliche Spieler aus den USA im Profitennis zwei Disziplinen: den Ball aufschlagen und Matches verlieren. Als mit Andy Roddick der letzte Amerikaner 2003 ein Grand-Slam-Turnier gewann, waren die einzigen weißen Shorts, die Ben Shelton trug, frische Windeln. Doch jetzt scheint der 24-Jährige kurz davor, den Bann zu brechen. Beim Canadian Open holte Ben kürzlich seinen ersten Titel. Und die Herzen des Publikums fliegen dem Sympathieträger ohnehin schneller zu als die Rückhandbälle seiner Gegner.

Service, bitte!

TELEVISIONARY

Hollywood gehen die Ideen aus, schon klar. Doch es gibt Leute, die aus den wenigen Ideen, die noch rumliegen, großes Kino schaffen. Oder vielmehr: Aus dem, was mal großes Kino war, sagenhafte TV-Serien kreieren. So wie Fernsehwunderkind Noah Hawley. Seine fünf Staffeln „Fargo“ übertrafen sogar den gleichnamigen Kultfilm. Jetzt lässt der Showrunner für die Prequel-Serie „Alien: Earth“ die berühmte Weltraumbestie erneut fauchen. Und weil wir dabei nicht gestört werden wollen, nennen wir die Lautlosfunktion am Handy inzwischen den Hawley-Mode.

Außerirdisch gutes Fernsehen.

ELISA DE ALMEIDA

STYLE OFFENSE

Unsere Europameisterin flog bereits im Viertelfinale aus dem Turnier. Dort war nämlich für Frankreichs Fußballerinnen bei der diesjährigen EM Endstation. Damit begannen auch für Elisa de Almeida die Sommerferien etwas früher. Auch gut, so hat die Verteidigerin nämlich mehr Zeit, auf Instagram zu posten. Dort sieht Elisa im Anzug besser aus, als die meisten Herren in den Cafés von Mailand. Mit ihren androgynen Stylings ist die Französin inzwischen zur Stilikone geworden für Leute, die sich mehr für David Bowie als David Beckham interessieren.

Verwandelte den Elfmeter in unsere Herzen.

THE HYPE

Text: Josefine Zürcher

„IT’S ALL OR NOTHING AT ALL.“

FASHION

Trend IN V-ORM

Egal, wie oft manche die Achtziger als Dekade voller Modesünden bezeichnen – sie kommen hartnäckig immer wieder zurück. Kann also doch nicht so schlimm gewesen sein, was sich die DesignerInnen damals ausgedacht hatten. Starke Schultern sah man diese Saison auf allerlei Laufstegen, von sanft angedeutet und alltagstauglich bis zur überdimensionalen V-Silhouette. Ist doch erfrischend, dass man nicht immer die Sanduhrfigur anstreben muss. Wer sich schon immer lieber mit Über-Schultern Raum erkämpft hat, liegt jetzt erst noch im Trend.

New Collection

HERBSTSPALETTE

LiebhaberInnen von Hermès kommen in der Zeit der Modewochen jeweils zweimal auf ihre Kosten. Der französische Brand zeigt nicht nur in der Heimat Paris, sondern präsentiert ein zweites Kapitel der neuesten Kollektion jeweils in Shanghai. Die HerbstWinter-Kollektion wurde mit Blick auf die North Bund Bay präsentiert. Auch wenn man die Looks bereits im Juni zu Gesicht bekam, lösen sie sofort Herbstgefühle aus. Warme Orangetöne schmelzen ins Rot und Braun, Leder und Seidentücher machen Vorfreude auf kühlere Zeiten. hermes.com

„Luxury is the perfect balance between quality and comfort.“
Martin Margiela

It-Piece

GESCHNALLT?

Kleidung formt und ist formbar. Das klingt philosophischer, als es ist. Wir meinen damit vor allem die immer breiter werdenden Taillengürtel, die man gerade überall sieht. Gürtel existieren

We Love

DELICACY

Ob Sommer oder Winter, unsere Unterwäsche kriegen – in den meisten Fällen – die wenigsten zu Gesicht. Wir sind aber der Meinung, dass es keinesfalls egal ist, was man drunter trägt. Zu verlockend ist die Auswahl schöner Unterwäsche bei Chantelle. Für die Herbstsaison setzt das

französische Label nebst klassischem Schwarz auf Rosa und Violett. Noch spannender als die Farbauswahl sind die Details. Schnürungen, Spitze, überraschende transparente Stellen –langweilige Unterwäsche muss man anderswo suchen. chantelle.com

nämlich nicht nur, um Hosen an Ort und Stelle zu halten, sondern auch, um dem dicksten Cardigan und dem drei Größen zu weiten Mantel eine spannende Form zu verleihen.

SEASON’S CHANGE

Zwischen der sommerlichen Sandale und dem Winterstiefel liegt die sogenannte Übergangszeit. Die kann ganz schön lange dauern in unseren Breitengraden. Also muss man mit dem passenden Schuhwerk ausgestattet sein. Müssten wir eine Art von Fußbekleidung zum perfekten Herbstschuh küren, wäre es der Loafer. Der ist weder zu warm

noch zu kalt und lässt sich einfach stylen. Beim 1876 gegründeten Label G.H. Bass liegt der Loafer in der DNA. In den letzten 149 Jahren blieb auch genug Zeit, ihn weiterzuentwickeln, was sich am ausladenden Sortiment zeigt. Ob mit Absatz, mit Mustern, bunt oder schwarz – es gibt für jede Vorliebe einen Halbschuh. ghbass-eu.com

Unfuck

GUTER STOFF

Das Klischee, dass nachhaltige Mode oft fad und farblos ist, kommt nicht von ungefähr. Denn Färben kann leider genauso umweltschädlich sein wie ein fettes Auto mit fossilem Brennstoff. Synthetische Farben sind voller Plastik und schädlichen Chemikalien. Darum stellt die englische Firma Sparxell biologisch abbaubare Farbstoffe her, die frei von Plastik und giftigen Chemikalien sind und auf pflanzlicher Zellulose basieren. Davon Gebrauch macht die Automobilindustrie ebenso wie die Kosmetikindustrie. Und neu auch die Mode: Der britische Designer Patrick McDowell integriert Sparxell als erster Modemacher in seine nachhaltigen Luxusdesigns. Ein Couture-Kleid sowie ein Hemd machen den Anfang. Und plötzlich sind wir überzeugt, dass man manchmal eben doch alles haben kann und freuen uns auf eine FashionZukunft, die bunt und nachhaltig zugleich ist. patrickmcdowell.co.uk

Campaign

RULEBREAKERS

Es ist nie schlecht, auf bekannte Gesichter zu setzen, wenn man die Aufmerksamkeit möglicher KundInnen haben möchte. Das ist aber bestimmt nicht der Hauptgrund, warum Claudia Schiffer, Kate Moss und Co. sich für Versace in die HerbstWinter-Kollektion hüllten. Wir glauben ja eher, dass Donatella Bock auf ein Familientreffen hatte – denn die Handvoll ikonischer Models, die die Kampagne

zum Leben erwecken, zählt die ebenso ikonische Designerin bestimmt längst zum erweiterten Familienkreis. Sie verkörpern auch das Motto, das Donatella predigt: „Sei dich selbst, glaub an dich und brich die Regeln.“ Trägt man einen Versace-Look, nimmt es auch niemand so ernst mit den Regeln – zu sehr ist man auf die wilden Schnitte und Muster fokussiert. versace.com

BEAUTY

Make-up Trend

HI BARBIE!

Wenn der Herbst langsam anklopft, greifen wir panisch zum barbiepinksten Lippenstift, den wir in unserer Sammlung finden. Eine Lippenfarbe kann zwar das Wetter nicht steuern, aber sie kann an knallheiße Sommertage erinnern. Leuchtet uns dann noch der ein oder andere herbstliche Sonnenstrahl ins Gesicht, könnte man meinen, der Sommer macht doch noch etwas länger Halt.

No inspirational quotes, just coffee and a good eyeliner.
„You’re only

as good as your last haircut.“

Fran Lebowitz

New Perfume

MORE THAN A ROSE

Schon 1952 fand Gaby Aghion, Gründerin von Chloé, dass Weiblichkeit zu eng gedacht wird. Mit ihren luxuriösen Prêt-à-porter-Kollektionen, die sich durch unkonventionelle Silhouetten und eine damals für Frauenkleidung unübliche

Bewegungsfreiheit auszeichneten, wollte sie Frauen von der formellen und einschränkenden Mode der Ära befreien. Dieser Gedanke wird auch heute weitergelebt und auf die Parfums des Hauses übertragen. So riecht das neue „Le Parfum“ zwar

Exhibition

OPTIMIERTE NEUE WELT

Seit Jahrhunderten kämpfen wir mit bisweilen absurden Schönheitsstandards. Zu verdanken haben wir das mehrheitlich dem Kapitalismus und dem Patriarchat. In unserer schönen neuen Welt kamen digitale Filter und andere Retuschemöglichkeiten und jüngst die KI hinzu, die die Beautystandards nicht mehr nur schwer erreichbar, sondern schlicht unmöglich machen. Was macht das mit uns? Gibt es irgendwo im Strudel der digitalen Gesichtsund Körperoptimierung gar etwas Positives rauszuziehen? Die Ausstellung „Virtual Beauty“ im Somerset House in

London setzt sich mit exakt diesen Fragen auseinander. Interaktive Installationen und Werke von über 20 KünstlerInnen befassen sich mit KI, sozialen Medien, virtuellen Identitäten und deren Einfluss auf das eigene Selbstbild. Dass uns das Thema schon eine ganze Weile beschäftigt, zeigt die Performance „Omniprésence“ der Künstlerin Orlan von 1993, in der sie ihre eigene Gesichtschirurgie livestreamte, um westliche Schönheitsideale zu kritisieren. „Virtual Beauty“, Somerset House London, bis 28. September 2025, somersethouse.org.uk

nach Rosen – die feminine Note schlechthin –, aber eben nicht nur. Eine Fülle an Orangenblüten begleitet den floralen Duft, während Tonkabohne und Vanille für eine warme Basis sorgen. Chloé, Le Parfum, 100 ml, ca. 255.—, chloe.com

We Love

FORM UND FUNKTION

Man muss kein Marketingprofi sein, um eine der wichtigsten Verkaufsregeln zu verstehen: Die Mehrheit schaut nach wie vor zuerst auf das Äußere. Das wissen auch die zwei Gründerinnen der australischen Clean-BeautyBrand Foile, Suzanne Tuttle und Alexandra Grima, weswegen sie genauso viel Energie in

das Produktdesign wie in die auserlesene Zutatenliste steckten. Das Resultat? Die allerschönsten Fläschchen, die man nicht im Badezimmerschrank verstecken, sondern stets in Sichtweite haben möchte. Und die inneren Werte stimmen ebenfalls: Foile setzt auf minimalistische

Produkte mit vorwiegend natürlichen Stoffen wie Jojobaöl. Seit diesem Jahr findet man die hübschen Fläschchen endlich auch in vereinzelten Stores in Europa. Fünf Gesichtspflegeprodukte machten ihr Europadebüt, aber wir sind jetzt schon sicher: Da kommt noch mehr. foileskincare.com

Hair Trend

SHORT AND SWEET

Wie wär’s zur Abwechslung mit einem Look, für den man nichts braucht? Weg mit dem Glätteisen, her mit der Schere. Wer Bewegung im Haar hat, sollte sich einmal an einen Kurzhaarschnitt wagen. Aus Wellen werden dann vielleicht sogar Locken, die man einfach

ihr Ding machen lassen kann, statt sie mit aufwändigem Styling zu quälen. So bleibt morgens erst noch mehr Zeit, um sich ein Outfit rauszusuchen. Und wer es nicht lassen kann, formt die einzelnen Locken mit etwas Haaröl zur Perfektion.

55 SHADES AND COUNTING

Für die Luxus-Modehäuser ist es fast schon Pflicht, nebenbei noch in der Beautywelt mitzumischen. Louis Vuitton ließ sich damit Zeit. Erst einmal musste die Nummer eins her: Die vom britischen Königshaus zur Dame geschlagene Pat McGrath hat von Laufsteg bis Editorial die Make-upWelt geformt und geprägt. Nun kann sie sich einen neuen Titel in ihren ellenlangen CV schreiben: Creative Director für La Beauté Louis Vuitton. Eine gute Wahl, denn seit über 20 Jahren ließ die Visagistin ihrer Kreativität backstage bei den Modenschauen von Louis Vuitton freien Lauf. „Make-up ist Kultur, Power, Präsenz – und persönlich“, sagt sie. Power und Präsenz gibt’s nun in Form von 55 Lippenstiftfarben, die mit einer eigens dafür kreierten Duftsignatur versehen sind, zehn Lip Balms und acht Lidschatten. Das Ganze wird in gewohnter Louis-Vuitton-Manier präsentiert. Denn der ikonische Monogrammprint eignet sich nicht nur für Reise-, sondern auch für Make-up-Koffer. Louis Vuitton, Rouge Complete Lipstick, ca. 140.—, Baume Complete Lip Balm, ca. 140.—, Ombres Complete Eyeshadows, ca. 220.—, louisvuitton.com

TRAVEL

We Love HARTE SCHALE

Egal, wohin oder wie lange er verreist, er bringt stets nur Handgepäck. Das behauptet Rick Owens, der amerikanische Designer mit Vorliebe für Düsteres, zumindest von sich selbst. Wo er dann wohl alle seine Outfits verstaut? Vielleicht stopft er alles in seinen eigenen Carry-On, der in Zusammenarbeit mit Rimowa entstanden ist. Dieser ist natürlich in dunklen Tönen gehalten und wird von Kultfigur Michèle Lamy, Rick Owens’ Ehefrau und Muse, bestens in Szene gesetzt. rimowa.com, rickowens.eu

Book

VERSTECKTE ECKEN

Seit Jahren scheint auf jeder Travel-Bucketlist ein Ziel ganz oben zu stehen: Japan. Es gibt aber weit mehr als Tokio zu entdecken. Das weiß Fotograf Ben Richards, der das Land der Kirschblüten seit 2019 Heimat nennt. Seine Leidenschaft neben dem Fotografieren ist es, die verstecktesten

Hotspots abseits der Touristenmagnete zu finden. Das kriegt er so gut hin, dass daraus nicht nur das Buch „Views from Japan“ entstanden ist, sondern auch eine Website, auf der man sich die perfekte Japanreise zusammenstellen lassen kann. viewsfromjapan.com, benrichards.co

SOUNDTRACK

Es gibt viele Gründe, zu verreisen: Meist rufen Erholung oder Abenteuer – die Hauptmotivation kann aber auch sein, dass man endlich mal wieder in Ruhe Musik hören will. Die Darsena Listening Suite im Il Sereno Hotel am Comersee ist der wahrgewordene Traum für luxusliebende MusikGeeks. Inspiriert von den Jazz-Hörcafés in Tokio steht in dieser Suite die Musik im Mittelpunkt. Hotelbesitzer und Musikfanatiker Luis Contreras hat den 200 Quadratmeter großen Raum mit der Designerin Patricia Urquiola entworfen. Die Ausstattung umfasst Klipsch La Scala Lautsprecher, einen McIntosh Röhren-Vorverstärker, einen Thorens Plattenspieler sowie ein sorgfältig restauriertes RevoxTonbandgerät. Übersetzt für alle, die gerade nur Bahnhof verstehen, heißt das: Es klingt richtig gut. Über 500 Schallplatten gibt’s bereits im Repertoire – deren es ständig mehr werden, denn man darf vorab Musikwünsche anbringen, die dann in die Sammlung aufgenommen werden. Il Sereno Lago di Como, Via Torrazza, 10, 22020 Torno CO, Italien, ilsereno.com

Places

HIMMELWÄRTS

Wir finden für jede Saison genug Gründe, sich eine Auszeit in einem Wellnesshotel zu gönnen. Eine der besten Zeiten ist aber jetzt, wenn der Spätsommer in den Frühherbst übergeht. Und eines der besten Orte dafür ist das Alpiana in Südtirol. Dieses Frühjahr

eröffnete eine neue Wellness-Terrasse auf zwei Ebenen. „Alcielo“ nennt sich die kleine Paradiesecke. Und genau wie im Himmel fühlt man sich auch, wenn man an frischer Luft badet, sauniert, seine Yoga-Moves praktiziert oder auch einfach gar nichts tut.

Sollte dann doch noch schlechtes Wetter aufziehen, lohnt sich auch das Spa im Innenbereich, das ebenfalls einem Makeover unterzogen wurde. Alpiana, Propst Wieser Weg 30, 39011 Völlan/Lana bei Meran, Südtirol, Italien, alpiana.com

„Bizarre travel plans are dancing lessons from God.“
Kurt Vonnegut

Unfuck the World

WORKATION

Arbeiten im Urlaub klingt erstmal nach ungesundem Workaholic-Mindset. Es liegt doch gerade im Trend, sich die freie Zeit bewusst zu nehmen und Emails und Co. zu Hause zu lassen. Die Arbeit, die im Bucuti & Tara Beach Resort auf Aruba auf die

Gäste wartet, hat auch nichts mit Büroalltag zu tun. Sogenannte Voluntourism Packages laden ein zum nebst der verdienten Downtime Gutes zu tun: Mangroven pflanzen, das resorteigene Nature Preserve auf der Insel aufforsten,

einheimische Kinder beim Lesenlernen unterstützen, abgelegene Strände von Plastikmüll befreien, Korallenriffe bei Tauchgängen pflegen oder frisch geschlüpfte Schildkröten retten – die Möglichkeiten sind endlos und um einiges

spannender als jedes Excel-Sheet. So fühlt sich das Entspannen im luxuriösen Karibikresort gleich doppelt so gut an. Bucuti & Tara Beach Resort, L.G. Smith Boulevard 55B, Oranjestad, Aruba, bucuti.com

WATCHES & JEWELLERY

We Love LABYRINTH

Der Gedanke daran, in einem Irrgarten verloren zu gehen, löst erst einmal Panik aus. Ein paar Atemübungen später schaut man sich dann die schönen Pflanzen um sich herum an. Und plötzlich sprudelt die Inspiration. So stellen wir uns zumindest die Kreation der „Labirinti“Kollektion von Gucci vor. Diese zieht ihre Ästhetik aus den üppigen italienischen Gärten. gucci.com

Limited Edition

SHOOTING STAR

Die Wunschliste ist auswendig gelernt, die Augen gen Himmel gerichtet – und doch reicht ein unerwartetes Blinzeln und man hat die Sternschnuppen verpasst. Da schauen wir doch lieber auf ein vom Nachthimmel inspiriertes Zifferblatt und hoffen, dass unsere Wünsche trotzdem in Erfüllung gehen. 110 Stunden Arbeit und neun Lackschichten stecken in der rosa „Rendez-Vous Shooting Star“ von JaegerLeCoultre, 80 Stunden und

zwölf Schichten in der blauen. Beide gibt es nur je zehn Mal, also seltener wie eine Sternschnuppennacht. Die Sternschnuppen erscheinen ganz zufällig auf dem Zifferblatt, da sie durch Bewegungen des Handgelenks aktiviert werden. Man kann also üben, bis der nächste Ernstfall am Himmel bevorsteht. Und sich, wenn die mysteriösen Gestirne nicht zu sehen sind, an der handgemalten Pfingstrose erfreuen. jaeger-lecoultre.com

„Jewellery is like the perfect spice –it always compliments what’s already there.“

Diane von Fürstenberg

WIENER WUCHT

Für frische Inspiration könnte man um die ganze Welt reisen. Oder man macht es wie Swarovski und stöbert im eigenen Heimatland. Für die Vienna Collection diente die elegante öster-

reichische Hauptstadt als kreativen Impulsgeber. Genauso fließend, elegant und zeitlos wie Wien selbst sind die Stücke mit architektonischen, klaren Formen und federartigen Details. swarovski.com

Nice to Have DEEP DIVE

In tiefster Tiefe, weit unter der Wasseroberfläche – denkt man da überhaupt an die Uhrzeit? Wichtig ist sie auf jeden Fall, denn man muss ja irgendwann rechtzeitig wieder auftauchen. Die „Fifty Fathoms Tech“ von Blancpain, die neu im regulären Sortiment erhältlich ist, bietet auch im Dunkeln beste Lesbarkeit auf dem Zifferblatt. Für noch mehr

Leuchten sorgen die austauschbaren Kautschukarmbänder, die nebst Schwarz auch in Orange und Weiß erhältlich sind. Wer nicht auf der Suche nach einem UnterwasserAdrenalinkick ist, kann die Uhr auch im Trockenen tragen. Sie eignet sich zwar als Taucheruhr, ist aber ebenso ein FashionStatement. Blancpain, „Fifty Fathoms Tech“, ca. 19'000.—, blancpain.com

UPGRADE

Was bringt uns dazu, neue Uhren zu kaufen?

Die UhrfanatikerInnen schütteln jetzt wohl nur verzweifelt den Kopf ob dieser Frage und zählen sogleich auf: Ein neues Master Chronometer Kaliber, eigens für die neue Größe der Omega

„Aqua Terra“ entwickelt! Zwölf verschiedene Modelle! Zwei neue Uhrwerke! Und tatsächlich, all diese Fakten ziehen uns in den nächsten Omega-Store, um uns das neue Wunderwerk anzuschauen. Dreiundzwanzig Jahre nach ihrem

Debüt kommt die „Aqua Terra“ dank den eben genannten Fakten im erschlankten neuen 30-mm-Gehäuse daher. Wem die Tech-Fakten relativ egal sind: Es reicht auch ein Blick auf die illustre Runde an Testimonials, die die

Kampagne zum Leben erwecken. Wenn Talente aus Musik, Kino und Mode, wie Ashley Graham oder Ariana Debose, ihr Handgelenk mit einem der Modelle schmücken, möchte man es ihnen sogleich nachmachen. omegawatches.com

Collaboration

LEVEL UP

Womit verbringen wir eigentlich die meiste Zeit im Leben? Arbeitend am Bürotisch? Sport, Entspannen, Kochen und ab und an ein Spiel spielen packen wir auch noch auf die Liste, sonst wird’s zu deprimierend. Beim Blick auf die Kollaboration von Giobagnara und Poltrona Frau fragt man sich unweigerlich, ob die beiden italienischen Labels einmal quer durch den durchschnittlichen Tagesablauf gingen und so für jede Aktivität das passende Stück designten. Man kann sich den Schreibtisch verschönern, die Küche veredeln, mit Hanteln trainieren, die so stylisch sind, dass man sie danach gar nicht wegräumt, oder offline bei klassischen Spielen wie Backgammon oder Schach dem Wettbewerbseifer frönen. Jedem Objekt gemein ist, dass es mit hochwertigem Holz oder Leder und mit einer Extraportion Luxus gefertigt wurde. giobagnara.com, poltronafrau.com

LIVING&DESIGN

Brunch without champagne is just a sad breakfast.
„There are two things that make a room timeless: a sense of history and a piece of the future.“
Charlotte Moss

We Love

PERFECT HARMONY

Mit zwei Dingen lässt sich kokett prahlen: Mit überraschendem Sprachwissen und mit einem soliden Einrichtungsstil. Kombiniert man beides, erliegt jeder dem Charme. Behaupten wir zumindest. Aber es hat schon was, wenn man in die Runde wirft, dass das japanische Wort „Enn“ nicht nur für Verbindung und Har-

monie steht, sondern auch symbolisch für eine nahtlose Einheit wie ein Kreis. Am besten philosophiert man über kreisrunde Vollkommenheit bei einem Glas

Wein oder einer Tasse Tee am „Enn“-Tisch von Flexform, der alle Bedeutungen des Wortes auf modernes, zeitloses und funktionelles Design übersetzt. Leder am Sockel sorgt für den unerwarteten Twist und Metall verleiht die gewünschte Modernität. flexform.it

Anniversary

ALLES ANDERE ALS ABFALL

Es gibt zwei Arten von Menschen. Die praktisch veranlagten und die chaotisch-kreativen, die auch im mondänsten Gegenstand der Welt Kunst sehen. Vipp-Gründer Holger Nielsen und sein Enkel Kasper Egelund, der jetzige CEO der dänischen Firma, gehören zu letzteren. Sonst hätte es die Marke ja nicht geschafft, etwas so Banales wie einen Abfalleimer zur Designikone zu machen. Das liegt auch daran, dass seit 2005 zahlreiche Prominente, von Yoko Ono über Calvin Klein bis Philippe Starck, den Spezialeditionen ihren eigenen Anstrich verpassten. Die Vipp Art Bins der letzten zwanzig Jahre – oft übrigens zu Charityzwecken versteigert –, sind seit einiger Zeit auf Wanderausstellung in den Vipp-Stores. Noch bis September hat man Gelegenheit, sie zu bestaunen. vipp.com

Liebling

NIMM LICHT MIT

Früher – also in den Jahren vor 1879, als die Glühbirne zum Patent angemeldet wurde – schlurfte man nachts mit einer Kerze in der Hand durchs Haus, sollte man noch auf der Suche nach einem Mitternachtssnack

gewesen sein. Die Vorstellung davon, eine kleine Lichtquelle mit sich herumzutragen, hat etwas Nostalgisches. Vielleicht ist die tragbare Panthella von Louis Poulsen darum so beliebt. Die Leuchte gibt’s nicht nur in jeder erdenklichen

Farbe, sondern neu auch mit Touch-Steuerung und Dimmfunktion. Es muss zwar hierzulande wohl niemand im Garten aufs Klo, aber falls doch: Die Lampe ist auch für den Außenbereich geeignet. louispoulsen.com

New Opening EINMAL ALLES, BITTE

Beim Möbelshoppen kann man danach zwar nicht stolz die Tüten mit all seinen Errungenschaften durch die Straßen schleppen, Spaß macht die Jagd auf neue Interiorschätze aber trotzdem. Molteni-Fans können sich in München im traumhaften „Parcus Haus“ einmal quer durch das Sortiment stöbern. Das 1887 entworfene Gebäude mit den hohen Decken eignet sich bestens als temporäre Heimat für Molteni-Stücke, bevor diese in ihr Forever Home einziehen. Auf 450 Quadratmetern findet man alles, von Küche bis Wohnzimmer – und möchte am liebsten selbst einziehen.

Molteni Flagship Store, Promenadeplatz 12, 80333 München, Deutschland, molteni.it

CUTS REBORN IN

Photography: Maximilan Heimlich
Styling: Alessia Ryazanova
Styling Assistance: Sundaro Neth
Photography Assistance: Jan Tauber
Make-up & Hair: Tanja Fritzler
Model: Noé Pétermann, lemanagement
Look

Oben:

Top und Hose von ISABEL MARANT.

Tasche von MATHILDE HIRON.

Ohrringe von MONIES

Unten: Kleid von AKRIS

Schuhe von FENDI. Ringe von PANCONESI

Sonnenbrille von SPORTMAX

Oben: Kleid von CHANEL. Mütze von LORO PIANA. Ohrringe von MATHILDE HIRON.
Unten: Rock und Blazer von ALAIN PAUL.
Kleid von MOSCHINO. Schuhe von LOUBOUTIN. Armreif von MONIES.

Oben: Look von DOLCE & GABBANA Sonnenbrille von FERRAGAMO

Unten: Look von SPORTMAX

Oben: Jacke von PRADA
Ohrringe von MONIES
Unten: Mantel und Tasche von FENDI Schuhe von FERRAGAMO
Bluse, Hose und Schuhe von DIOR.

I DON’T KNOW Fashion Report

Saint Laurent

Fall/Winter 2025

WHAT TO WEAR

Es tut ja schon gut, die Sommermonate im Bikini in der Hitze schmorend zu verbringen. Für die Fashionistas unter uns wird das Ganze aber schnell langweilig. So langsam verabschieden sich die tropischen Tage und es heißt wieder: Warm anziehen. Dass das auf verschiedenste Weisen geht, zeigen uns die großen Modehäuser einmal mehr, indem sie den Scheinwerfer auf ganz unterschiedliche Stoffe, Schnitte und Texturen richten. Wer nicht einfach blind Trends kopieren will, erkennt sich vielleicht auf der ein oder anderen der folgenden Seiten wieder und findet Inspiration für die eigene Garderobe. Denn eines bleibt jede Saison gleich: Mode ist genauso vielseitig und individuell wie wir alle.

Redaktion: Nadia Hartzer, Patrick Pierazzoli, Michael Rechsteiner, Bianca Ugas, Josefine Zürcher – Fotos: Launchmetrics

MARVELOUS MAFIOSA

Als vor etwa zwei Jahren die sogenannte Mob-Wife-Aesthetic TikTok und Co. flutete, schien es sich um nichts mehr als einen der vielen hochgejubelten Trends zu halten, die ebenso schnell wieder im Vortex des Algorithmus verschwinden, wie sie aufgetaucht sind. Aber irgendwas scheint an der metaphorischen Mafiabraut dran zu sein. Klar, fette Felljacken gehen immer im Winter. Und wer mag schon kein sattes Rot? Vom Leoprint müssen wir gar nicht erst anfangen – der war schon immer hot und wird es auch immer bleiben. Die Kombination dieser Eigenschaften sorgt für einen kraftvollen, spielerischen Look – in Zeiten wie den jetzigen genau das, was wir brauchen. Denn die Mob Wife ist kein zurückhaltendes Mädchen, sie ist laut und selbstbewusst und macht sich für nichts und niemanden kleiner.

Roberto Cavalli Fayette Norling
Ulla Johnson
Roberto Cavalli
Dolce & Gabbana
Ferragamo
Ludovic de Saint Sernin
Ferrari Fendi
Versace

WOODSTOCK DIVA

Die Siebzigerjahre liegen ein halbes Jahrhundert in der Vergangenheit. Das klingt irgendwie falsch, aber Zahlen lügen nicht. Vieles ist seither passiert. Zum Beispiel sind nach der Hippiezeit, die Peace and Love predigte, etliche Kriege ausgebrochen. Klüger sind wir als Menschheit also nicht geworden. Ob es ein Versuch der Modeindustrie ist, mit Siebziger-Elementen für etwas Frieden zu sorgen? Wenn die Welt doch nur so einfach wäre. Sich von warmen Orangetönen, Fell und Federn, getönten Sonnenbrillen und glitzernden Discovibes inspirieren zu lassen, schadet auf jeden Fall nicht. Eines haben die Siebziger auf jeden Fall bewiesen: Ihr Einfluss auf die Mode hält sich hartnäckig.

Zimmermann
Custo Barcelona Valentino
Nina Ricci Miu Miu
Gucci

I’M JUST A GIRL!

Was als typisch feminin angesehen wird, wird weniger ernst genommen. Diese These haben wir nicht etwa aus der Luft gegriffen – Studien und Texte, wie zum Beispiel von Autorin und Kulturkritikerin Ellen Atlanta, belegen sie. In der Realität zeigt sich das Ganze dann etwa so, dass männliche Fußballfans sich wie Irre verhalten dürfen, weibliche Konzertgängerinnen dann aber als hysterisch abgewertet werden, wenn sie voller Glitzer und in pink einen Tag lang auf Taylor Swift warten. Vielleicht ist daraus der halb-ironische, halb-ernste Satz „I’m just a girl“ geboren, der auf Social Media gerne als Rechtfertigung für jegliche Verhaltensweisen gebraucht wird. Ob dieser jetzt der ganzen Thematik eher schadet, sprengt den Rahmen dieser Textbox. Eigentlich geht es ja um die Mode. Und diese darf super girly sein: rosa, pastellig, mit Schleifchen überall. Wer Bock drauf hat, soll sich austoben – es gibt nicht die eine richtige Art, Femininität auszuleben.

Kenzo
Vivetta
Chanel
Simone Rocha
Jil Sander
Acne
Giambattista
Valli
Casablanca Prada
Richard Quinn
Sarawong
Leroy
Prada
Gucci
Missoni
Monse
Marco Rambaldi
Ganni

I’D RATHER STAY INSIDE

Kaum zu glauben, aber der Sommer gehört der Vergangenheit an. Wie jedes Jahr war es einer der heißesten seit Messbeginn – und somit noch einer der kühlsten, wenn der Klimawandel so zügig voranschreitet, wie er es leider tut. Also, genießen wir die dicken Winterpullover, solange wir sie noch brauchen. Für die Ugly-Christmas-Sweater-Party oder den Serienmarathon in den eigenen vier Wänden darf man auch zum gewollt hässlichen Modell greifen. Aber Strickpullover und sonstige Wollaccessoires müssen gar nicht so altertümlich wie ihr Ruf aussehen. Nicht nur Pullover halten warm: Flauschige Schuhe runden den Look ab. Und wenn’s draußen so richtig garstig ist, dann trägt man den Look auch außerhalb des gemütlichen Wohnzimmers.

Moschino
Casablanca

BRIDGERTON BINGE

Regency-Core – dieser Begriff tauchte auf, als wir alle gebannt vor dem Screen saßen und uns „Bridgerton“ reinzogen. Denn die Netflix-Serie spielt in der Regency-Ära in England, zwischen 1811 und 1820. Will heißen: Überall sind Rüschen und der Barockstil dominiert mit seinen allerliebsten romantischen Details alles von Kleidung bis Interieur. Dass es die Serie mit historischen Details nicht ganz so genau nimmt, ist uns ziemlich egal. Was zählt, ist eine gute Geschichte. Und gute Geschichten liefern so viel Inspiration, dass auch etwas davon auf die Mode überschwappt. Diese wiederum muss ebenfalls nicht historisch akkurat sein. Barock mischt sich so mit der Gegenwart und mit dem persönlichen Stil der Trägerin.

Uma Wang
Dior Ann Demeulemeester
Andreas Kronthaler for Vivienne Westwood Valentino
Saint Laurent

CHIC GIRL AUTUMN

Ach, die Clean Girls. Noch immer dominiert dieser Lifestyle die sozialen Medien. Es fühlt sich ja auch nicht schlecht an, eine minimalistische Make-up-Routine zu haben und das eigene Heim nicht mit allzu viel Kram vollzustopfen. Auch in der Mode lohnt es sich, sich ab und an in ein Clean Girl zu verwandeln, wenn man nicht will, dass der eigenen Kleiderschrank überquillt. Die chice Version des Clean Girls investiert in ein paar auserlesene, zeitlose und schlichte Stücke, die jetzt und auch in zehn Jahren noch funktionieren und sich auf verschiedene Weisen stylen lassen. Manchmal besteht der Trend eben darin, keinem Trend zu folgen.

Uma Wang
Stella McCartney
Paloma Wool
Calvin Klein Hermès
Emporio Armani
MM6
Maison Margiela
Issey Miyake
Iceberg
Balmain
Dries Van Noten
Dolce & Gabbana
Etro
Versace
Giuseppe Di Morabito
Giorgio Armani
Fendi
Christopher Esber

365 PARTY GIRL

Mode ist so vielseitig wie die Menschen, die sie tragen. Darum können die Clean Girls neben den Party Girls existieren – und wer weiß, die einen vereinen vielleicht beide in ihrem Kleiderschrank. Letztes Jahr war Charli xcx das ultimative Party Girl mit ihrem Album „Brat“. Und die Wirkung dessen hallt noch immer nach. Vielleicht sogar umso mehr im Herbst als im Sommer, weil man die düsteren Monate ja irgendwie überstehen muss. Also: „Brat“ laut aufdrehen, dunkle, schwere Kleidung zur Seite legen und stattdessen zum funkelnden Minikleid greifen. Glitzer und Pailletten sind sowieso längst nicht mehr reserviert für den Club, sondern funktionieren auch im Alltag.

Roberto Cavalli
Weinsanto

RURAL RODEO

Mode hat viele Vorteile – das müssen wir denjenigen, die sich durch unseren Fashion Report schmökern, nicht erklären. Einer davon ist, dass man sich die Inspiration dort holen kann, womit man eigentlich nicht viel am Hut hat. Werden wir in naher Zukunft auf eine tausend Hektar große, abgeschiedene Farm in Texas auswandern und Vieh herden? Die Chancen stehen gering. Lieben wir trotzdem Cowboyboots, Fransen, Kuhprint und alles andere, was ans wilde Leben unserer Bauernhof-Fantasterei erinnert? Und wie. Das Beste daran ist natürlich der Twist, den die DesignerInnen diesen Elementen verleihen. Auch das Großstadtgirl kann sich in dieser Ästhetik wie Zuhause fühlen – minus Dreck und Heuballen, dafür, wenn gewünscht, mit Heels und Minirock.

Ann Demeulemeester
Balmain Vaquera
Etro Blumarine
Shiatzy Chen
Junya

ART STUDENT GONE RUNWAY

Kunst und Mode sind Teil derselben Familie. Wer je eine Haute-Couture-Show gesehen hat, kann nicht anders, als die skulpturalen Stücke, die über den Laufsteg schweben, als Kunstwerke zu beschreiben. Auch Ready-To-Wear-Linien lassen sich gerne mal vom Kunstmuseum inspirieren. Irgendwann hat man die Körpersilhouette gesehen und muss sich fragen: Ist da noch mehr als nur Ober- und Unterteil? Kann man dem Körper durch Kleidung eine komplett neue Form geben? Diese Saison beweist: Man kann. Die modeaffine Kunststudentin darf sich also in ihre liebsten Kunstwerke verwandeln – vor allem dann, wenn diese abstrakten Skulpturen gleichen.

Stella McCartney
Thom Browne
Alaïa
Comme
Des Garçons
Issey Miyake
Vaquera

TOUCH GRASS

Mal wieder nach draußen gehen, Bäume umarmen, das Gras unter den Füßen berühren, Kopfhörer raus, Waldgeräusche an, Handy weg und für einmal nicht Doomscrollen. Das ist eine Form von erschwinglicher Therapie, die uns allen guttut. Das Vorurteil, dass funktionelle Kleidung am einen Ende des Spektrums und stylische Kleidung am anderen liegen, kann wahr sein – muss es aber nicht. Sonst hätten wir diese Saison ja nicht auf den Laufstegen von Paris, Mailand und Co. eine ganze Ladung an Outfits gesehen, mit denen man Berge im Regen erklimmen könnte – sofern man die High Heels zuhause lässt. Form und Funktion müssen sich eben nicht immer ausschließen. Und so kann auch die Großstadt-Fashionista Wandern zum Hobby machen.

Max Mara
Enfants Riches
Déprimés
Ottolinger
Sacai
Off-White
Antonio Marras

INDIE SLEAZE ROYALTY

Damals, als wir zwischen 2006 und 2012 Bilder von Kate Moss und Alexa Chung auf Tumblr rebloggten, war die Welt noch in Ordnung. Oder auch nicht, denn laut Fashionund KulturexpertInnen war die sogenannte Indie Sleaze Era eine direkte Antwort auf die Terrorattacken von 9/11 und die Rezession. Denn Hedonismus und exzessives Partymachen folgen gerne auf schwierige Zeiten. Kein Wunder also, ist Indie Sleaze gerade jetzt wieder zurück. Denn 2025 wird wohl kaum als das glorreichste Jahr in die Geschichtsbücher eingehen. Aber genug Historik: Auf die Mode übersetzt heißt das schlicht und einfach, dass der wilde Indie-Partygirl-Look zurück ist: verschmierter Eyeliner, ein durchdachter Look, der messy daherkommt, mit gerissenem Denim, Leder, Karo und Boots, in denen man übers Festivalgelände stampft und die echte Welt für eine Weile vergisst.

Aniye Records
Sinead Gorey
Isabel Marant
Kiko Kostadinov
Ottolinger
Louis Vuitton

REJECTED AT BERGHAIN

Wie kommt man eigentlich ins legendäre Berliner Berghain rein? Das wissen wir leider auch nicht ganz so genau – wir können nur eine geballte Ladung Modeinspiration liefern und hoffen, dass irgendeine Kombination daraus den Türsteher dazu bringt, den Sesam zu öffnen. Weil die meisten keinen Schimmer, nur leise Ahnungen haben, was drinnen so läuft – abgesehen von hartem Techno –scheint die typische schwarze Berliner ItGirl-Uniform nach wie vor die beste Wahl zu sein. Aber nicht einfach schwarz: Leder, Nieten, Schnürungen und starke Silhouetten müssen schon sein. Und so kann man sich getrost auch anziehen, wenn man es nie reinschaffen wird.

Balenciaga
Ottolinger
Vaquera
Avavav
Rick Owens
Versace
Simone
Rocha
Luar
Enfants Riches
Déprimés
Sinead Gorey

BEST STAGE

Was das wohl für ein Wohnkomplex ist, wo nur attraktive und gut gestylte Menschen auf den Balkonen rumlungern? Ganz einfach – es ist der Laufsteg von Louis Vuitton.

BEST MOMENT

Die Show von Collina Strada zeigt uns neben coolen Looks vor allem eins: Statt unnötigem Krieg und Hass sollten wir uns auf die Liebe fokussieren. Und die kommt eben in ganz unterschiedlichen Formen daher. Schön ist sie immer.

BIG PEARLS, MESSY GIRLS

„Etliche Studien besagen, dass Mode und Schönheitsstandards konservativer werden, je mehr wir in Richtung Faschismus schlittern. Und siehe da, die Tradwives dominieren nach wie vor die TikTok-Sphäre, wo sie mit fünf Kindern im Schlepptau Sauerteigbrot backen und rückständige Rollenbilder predigen. Studien sagen auch, dass es in solchen Zeiten wieder trendy ist, ultradünn zu sein, denn wer hungert, ist zu kraftlos, um sich gegen das Patriarchat zu wehren. Hi, Ozempic! Ich wehre mich auf jeden Fall mit Händen und Füßen und dem gesamten Körper, sprich mit Schuhen, Kleidung und Schmuck gegen diese gruselige Back to the 1950s-Epide-

mie. Heißt: Ich bin auf der Suche nach Pieces, die so gar nicht ins traditionelle Rollenbild passen. Statt spießigen Perlenketten feiere ich diese Saison die unpraktischen im Überformat, die sagen: Ich habe keine Lust, brav und angepasst zu sein. Die allerbesten Gigaperlen kullerten bei NYC-It-Label Vaquera über den Laufsteg, begleitet von wilden Oversized-Looks. Mode ist alles andere als oberflächlich: Gerade in absurden Zeiten zeigt sie uns, dass wir vielfältig und individuell sein können und sollen. Übrigens: Selbst bei Chanel, wo die Mode eher einer traditionellen Schiene folgt, erspähte man einige Perlen-Accessoires in Übergröße.“

Vaquera

TWICE AS NICE

„Wir alle hängen noch an der Nabelschnur, wenn wir die erste Lektion unseres Lebens lernen: Die Welt ist kalt und voller Gefahren. Nun wäre es vielleicht etwas verfrüht, dem Neugeborenen den ersten Zweireiher anzuziehen. Vielleicht aber auch nicht? Denn ursprünglich erfüllte der Double Breasted Suit genau jene Funktion: Er schützte die Matrosen im 18. Jahrhundert vor Eiseskälte und saß wie die Umarmung einer Mutter. Mit dem Comeback des Anzugs schwimmt auch der Zweireiher wieder obenauf. Denn die doppelte Knopfleiste stieg schon immer eine Etage höher aus dem Lift. Sie wird zur Party herein gewunken, wäh-

rend der Einreiher noch in der Warteschlange steht. Wer sich die zweite Reihe vorknöpft, wirkt eleganter. Stets in Kontrolle. Der Zweireiher flüstert: Ich habe das Leben im Griff –aber deswegen stehe ich nicht um 4 Uhr morgens auf und tauche mein Gesicht in Eiswasser. Diese Saison hat der DBS viele Gesichter. Dior zieht ihn tailliert in die Länge. Louis Vuitton schneidert ihn aus Denim. Und Willy Chavarria perfektioniert ihn als Cropped Trench Coat. Sah der Zweireiher einst aus, als hätte man Jay Gatsby auf dem Weg zum Sektglasturm angerempelt, verdoppelt er jetzt den Style-Powerbalken in jeder Alltagssituation."

Wer eine Diesel-Show besucht, braucht eigentlich ein zusätzliches Augenpaar. Denn eines reicht einfach nicht, um die Kleidung zu bestaunen und sich gleichzeitig vom Laufsteg inspirieren zu lassen, der mehr zu bieten hat als eine Kunstgalerie.

BEST ART

BEST RED

Rot ist mal Liebe, mal Wut, mal Leidenschaft, mal Blut. Oder im Fall von Ferragamo nicht nur eine gute Farbwahl für ein Kleid, sondern auch für den Laufsteg. Ob dieses Szenario gemeint ist, wenn jemand sagt, er oder sie sehe rot?

HOW LOW CAN YOU GO?

„Ist Low-Rise die Fashion-Version einer toxischen Situationship? Die Millennials hatten sich dem Trend damals komplett verpflichtet –sichtbare Hüftknochen, Tangas und Bauchnabelpiercings inklusive. Aber die gefährlich tief sitzende Hose ist weit mehr als ein Y2K-Fiebertraum. Jahrzehnte vor McQueens Bumster aus dem Jahr 1993 oder Paris Hiltons Juicy-Couture-Ära tanzten die originalen hüftumarmenden AnarchistInnen über die Bühnen dieser Welt: Jim Morrison, Mick Jagger, Cher und Jimi Hendrix rockten die tiefen Taillen, während sie selbst ziemlich high waren. Für diese Herbst-Winter-Saison wagen sich die Designe-

rInnen an ein neues Rendezvous mit dem Trend. Bei Diesel ganz klassisch in Form von Jeans. Duran Lantink und Haider Ackermann machen den kontroversen Trend dank maßgeschneiderter Formen – ich wage es kaum zu sagen – raffiniert und elegant. Auch Victoria Beckham, die Königin der Raffinesse, verwandelt schäbig in chic. Also, was heißt das für Low-Rise und 2026? Chic? Classy? Das steht nach wie vor zur Debatte. Doch eines muss man diesen Modesünden, die uns verfolgen wie ein betrunkener Anruf in den frühen Morgenstunden, lassen: Sie sind eine Erinnerung an eine gut gelebte Jugend – rebellisch, wunderbar schamlos und jeden Fehler wert.“

BRAINY BY DESIGN

„Es gibt Kleidungsstücke, die mehr sind als nur Stoff auf Haut. Der Rollkragenpullover zum Beispiel. Er ist kein modisches Accessoire, er ist ein Statement. Ein warmes, wolliges Manifest für Stil mit Hirn. Er macht kein großes Aufheben um sich und verleiht trotzdem Haltung. Der Rollkragen versteckt nichts, er rahmt. Er zwingt einen, den Kopf gerade zu halten, das Kinn leicht zu heben, als würde man über das Leben nachdenken. Man fühlt sich automatisch ein bisschen klüger, ein bisschen französischer, ein bisschen mehr wie ein Dichter, wie ein Jazzmusiker oder wie James Bond auf

einer Mission in Oslo. Der Rollkragen ist das Chamäleon der Männermode – er kann intellektuell, rebellisch, verführerisch oder einfach nur unfassbar bequem sein. Er braucht keine Muster, keine Logos, kein Getue. Er ist schlicht, aber nicht simpel. Elegant, aber nicht steif. Ein Rollkragenpullover ist wie ein guter Whiskey: warm, tief und mit Nachklang. Er spricht nicht laut, aber er sagt viel. Er legt sich um den Hals wie eine sanfte Umarmung - nicht aufdringlich, sondern schützend. Als würde er flüstern: ,Du kannst jetzt raus in die Kälte, die Welt, das Chaos – Ich hab dich‘.“

Gucci

BEST PROP

Dass es um die Herbst-Winter-Kollektion geht, scheint den beiden Damen auf dem Fiorucci-Laufsteg herzlich egal zu sein. Unbeirrt und durchgestylt von Kopf bis Fuß schlürfen sie ihre Drinks. Und wir nehmen dieses Mindset mit in die kommenden düsteren Monate.

„Nimm es nicht persönlich“, mag ein guter Ratschlag sein, wenn dich auf der Straße ein Unbekannter als Flötenschlumpf beschimpft. In der Mode gilt das Gegenteil: Da nehmen wir alles total persönlich. Und verleihen deshalb unseren Outfits den ganz eigenen Touch. In der kommenden Saison beispielsweise durch starke Accessoires (Broschen! Taschen!) oder folgende Typen-Looks, mit denen du deinen Auftritt so richtig aufdrehst.

BEST MEN’S FASHION

NICE FERATU RUSSIAN BRAT

Unsere Memory-Foam-Matratze passt in keinen Sarg. Doch selbst wenn unsere Vampirwerdung nur holprig vorangeht, für einen schwarzen Ledermantel spenden wir zur Not auch Blut.

Egal, ob wir für eine Tüte Vinegar Chips zum Tankstellenshop latschen, oder im Casino von Sochi einen Royal Flush hinlegen: Es muss im absurd üppigen Faux-Fur-Mantel sein.

Dolce & Gabbana

RODEO ROMEO

Cowboyhut auf der Baseballmütze zu tragen, ist so überamerikanisch, als tröpfelt man Ketchup auf einen Weißkopfadler. Trotzdem schwingen wir das Lasso für den wilden Look.

HUMAN SOFADECKE

Weite Schnitte, weiche Stoffe – und plötzlich ist man nicht mehr nur die Schulter zum Anlehnen, sondern ein kompletter Körper zum Einkuscheln. (Kissen separat erhältlich.)

Ferragamo

VANILLA THRILLA

So wie wir im Sommer Eiskugeln in die Waffel stapeln, tun wir es im Winter mit diversen Oberteilen für raffinierte Layerings. Und in beiden Fällen gilt: pink cherry on top.

KALTFRONT RUNNER

Wie ein Schlafsack, der durch weiße Magie zum Leben erweckt wurde, sind wir in dieser Kombi für den Moment gerüstet, wenn der Gruppenchat eine Nordpol-Durchquerung plant.

COTTON

CANDY DANDY

Barbenheimer wirft noch immer Schatten. Diese sind, logisch, pink. Und schlagen beispielsweise in Kombination mit relaxten Anzug-Silhouetten ein wie – auch logisch – Bombe.

SCHLIPS OHR

Wenn sich Windbreaker und Anzug ganz doll lieb haben, gehen sie in den Kleiderschrank und nach neun Monaten kommt diese ultimative Definition von sportlich-elegant zur Welt.

Off-White
Louis Vuitton

CHECK MATE

Einziges Risiko des bunten Karo-Trends: Wer im Park einschläft, wird vielleicht mit einer Picknickdecke verwechselt und Familien breiten ihren Tupperware-Hummus auf dir aus.

KYOTO CUTIE

Sollten sich mehr Männer kleiden wie eine japanische Seniorin auf dem Weg zum Schwäne füttern? Ja, absolut. Und deshalb präsentieren wir hiermit Beweisstück K wie Kimono.

Valentino

CITY SAILOR

Vom Leben auf hoher See verstehen wir nicht viel. Vom Leben in High-Waist-Hosen singen wir dagegen Loblieder wie ein Matrose in FlipFlops auf die Pediküre-Salons von Maui.

PATTERN POPE

So viel Houndstooth findet man sonst nur in der Mülltonne einer Tierzahnarztpraxis. Doch das jahrhundertealte Stoffmuster hat diese Herbst-Winter-Saison mehr Biss denn je.

Zegna

BLITZLICHTGESTALT

Für eine gute Modekampagne gilt: It’s never too Kate.

Einen roten Faden gab es in der Karriere von Kate Moss keinen. Höchstens einige weiße Linien. Doch die sind jetzt auch verschwunden und endlich lenkt nichts mehr davon ab, wenn uns das Supermodel mit ihren neuen Kampagnen in den Bann zieht.

Text: Michael Rechsteiner Fotos: pa picture alliance (dpa), Launchmetrics SpotlightSM

Moss ist nüchtern.

So endet der Wikipedia-Eintrag des englischen Supermodels. Sollte diese Information stimmen – und bei Wikipedia ist das oft ein Wurf mit der Münze –, ist es das vorübergehend zahme Happy End einer Karriere, die sich manchmal liest wie ein Polizeireport. Und tatsächlich sind die Skandale, mit denen Kate Moss inzwischen für Schlagzeilen sorgt, eine Size Zero. Neulich wurde sie dabei erwischt, wie sie eine Hermès-Tasche als Strandbeutel trug. Die Warteschlange zum Birkin Bag schrie auf, als würde Kate ein Baby übers Balkongeländer baumeln lassen. Die Zeiten, in denen die 51-Jährige ihr Gesicht in Kokain wühlte, als wäre es ein Chinchilla im Sandbad, scheinen endgültig vom Glastisch. Doch das zwiespältige Schönheitsideal, das in den Neunzigerjahren durch Kate salon- und schulzimmerfähig wurde, erlebt zurzeit ein Comeback. Und im Gegensatz zum Heroin Chic lässt sich der Ozempic Glam per Arztrezept einspritzen.

Dabei war jene Trendwende, die sich mit Kates Aufstieg zum größten Supermodel ihrer Generation vollzog, zunächst gar keine schlechte. Cindy Crawford, Naomi Campbell, Linda Evangelista und Claudia Schiffer dominierten vor der Ankunft Moss’ auf den Laufstegen das Ideal der Modeindustrie: Die Definition weiblicher Perfektion – würde man sie primär von einem Raum voller 15-jähriger Jungen debattieren lassen. Doch als 1988 der Bruder von Modelagentur-Besitzerin Sarah Doukas die 14-jährige Kate am Flughafen von New York ansprach und fragte, ob sie schon einmal ans Modeling gedacht hat, begann eine neue Ära. Mit einer Körpergröße von 1.70 m ist Moss nicht nur ungewöhnlich klein für das Business. Kritiker bemängelten damals auch ihre Zahnstellung und die vermeintlich zu weit auseinander liegenden Augen. Doch genau das machte Kates androgynen Look aus und wer noch nicht verstanden hatte, dass jetzt die Imperfektion den Zeitgeist übernahm, blieb auf einem Haufen 90-60-90-Sedcards sitzen. Grunge wurde jetzt Mainstream, Gen X gab dem eigenen Verlorensein einen künstlerischen Ausdruck. Und niemand wirkte damals verlorener als diese blonde Londonerin, die vor wenigen Monaten noch ein Kind war und jetzt im Blümchen-Bikini ins Haifischbecken geworfen wurde.

CHIC UND SCHOCK

„Seit ich 14 Jahre alt bin, muss ich meine Kleider ausziehen“, stellte Moss einst lakonisch fest. Es klang nicht wie eine Anprangerung. Mehr wie die Pointe eines bitteren, bösen Scherzes. Und vielleicht ist die Modeindustrie manchmal leider auch genau das. Mit Jeans- und Unterwäsche-Kampagnen wurde die Teenagerin zunächst das Aushängeschild von Calvin Klein. 1993 geriet ihr Körper endgültig zum politischen Schlachtfeld. Für eine Ausgabe der Vogue inszenierte Fotografin Corinne Day die damals 19-Jährige in ihrer Wohnung. Ungeschminkt und ultradünn gab Kate Moss ein Bild ab, das Eltern in ihren Albträumen sehen, wenn die eigenen Kinder zum ersten Mal alleine an eine Party gehen, auf der auch eine Haschziga-

rette rotieren könnte. Der durch das Fotoshooting geborene Heroin Chic beschäftigte in den folgenden Monaten selbst das Weiße Haus. US-Präsident Bill Clinton zeigte sich besorgt, dass eine solche Ästhetik den Drogenkonsum und den Tod glorifizieren. Wie viel wir auf die Meinung von Bill Clinton über das Wohl junger Frauen geben, kann nur durch ein grunzendes Lachen wiedergegeben werden. Doch die negativen Auswirkungen auf das Körperbewusstsein insbesondere weiblicher Teenager schienen eindeutig.

SKINNY DIP

Das Phänomen war nicht neu. In den Sechzigerjahren wurde Twiggy zum Symbol von Swinging London –und mit ihrem burschikosen Aussehen der Gegenentwurf zu 50s Vixen wie Marilyn Monroe und Jayne Mansfield. Schon damals meldeten sich besorgte Stimmen, dass Twiggys Arme im wahrsten Wortsinn dünn wie Zweige seien. Mit Kate Moss lancierte die Modewelt offenbar wie nach Zeitplan ein verruchteres Update und stellte jene Schönheitsideale auf den Kopf, die sie zuvor jahrelang propagiert hatte. „Nothing tastes as good as skinny feels“, ließ sich Kate zitieren. Und lieferte damit ein Mantra, das viele ihrer Fans in Gefahr brachte. Heute bereut das Model den Satz. Anders als Twiggy, die gefühlt stets von einem Schwarm unschuldiger Comicvögelchen umschwirrt wurde, ging von Kate Moss eine verwegene Aura aus. Die Nullerjahre brachten das Zeitalter des Indie Sleaze. Und damit auch die Frage, wie viel weißes Pulver in eine Skinny Jeans passt. Kate und eine Reihe wechselnder RockstarBoyfriends nahmen die Herausforderung an. Selbst kurz vor dem Treffen mit Nelson Mandela soll das Model in dessen Badezimmer eine Linie aufs Waschbecken geklopft haben. Doch wenn Stars im Drogensumpf untergehen, tauchen sie im Blätterwald wieder auf. Die negativen Schlagzeilen kosteten den Superstar Engagements mit Marken wie Burberry, H&M und Chanel.

TOCHTERUNTERNEHMEN

Von diesen Rückschlägen hat sich Kate Moss längst erholt. In den folgenden Jahren konzentrierte sie sich zunehmend auf ihre eigene Modelagentur Kate Moss Agency. Prominentester Schützling: Tochter Lila Moss, die 2021 ihr Laufsteg-Debüt an einer Show für Miu Miu gab. Inzwischen hat sich die Sanduhr erneut umgedreht nach Jahren von Kardashian Curves und Body Positivity. In den sozialen Medien wird eine neue Dürrezeit der Körper ausgerufen. Kate Moss hat die letzte nicht nur geprägt, sondern überlebt. Und steht wieder vermehrt für große Marken vor der Kamera – als Grand Dame, deren Charisma vielleicht zum ersten Mal in ihrer Karriere nicht durch Eskapaden und Debatten überschattet wird. Einzig ihre Wellness-Marke Cosmoss meldete in diesem Frühjahr Konkurs an. Der Brand verkaufte Produkte für einen gesunden und achtsamen Alltag. Kate Moss mag zwar nüchtern sein. Aber Tipps für ein vernünftiges Leben holen wir uns dann doch lieber bei jemand anderem.

KATE MOSS X SAINT LAURENT

Sorry Oasis und Flip Phones, unser Lieblingscomeback der Neunzigerjahre geht 2025 an Kate Moss. Nach Versace und Isabel Marant ist die Engländerin jetzt auch in der neuen Kampagne von Saint Laurent zu sehen. In einer melancholischen Bildwelt am Strand von Los Angeles inszeniert Kate gemeinsam mit Chloë Sevigny die Herbstkollektion von Creative Director Anthony Vaccarello. Und noch immer ist klar: Diesen Forever Cool Kids kann selbst der Pazifik das Wasser nicht reichen. ysl.com

HEART CORE BERLIN

Text: Josefine Zürcher – Fotos: Jérémie Luke Dubois, Olena Mindrina, Anastasia Potapova, Szymon Stepniak, Josefine Zürcher
Kraftvoll, edgy und innovativ: Das ist Haderlump.
© Jérémie Luke Dubois
Im Atelier in Berlin-Neukölln lassen die beiden Co-Gründer Johann Ehrhardt (links) und Julius Weißenborn (rechts) die Ideen fließen. Fotos © Josefine Zürcher

Wäre Berlin ein Fashion Label, dann wäre die Metropole das 2021 gegründete Kollektiv Haderlump. Creative Director Johann Ehrhardt und CEO Julius Weißenborn wissen, wie man den Spirit der Stadt auf die Mode überträgt. Mit dunklen Farben, gewagten Formen und der richtigen Dosierung an Edginess ziehen sie Jahr für Jahr mehr Aufmerksamkeit auf sich, zuletzt mit ihrer Show „Ex Libris“ an der Berlin Fashion Week im Sommer. Bei einem Besuch im Atelier in Berlin-Neukölln geben die Gründer nicht nur detaillierte Einblicke in Skizzen und Arbeitsprozesse, sondern verraten auch, warum sie mit Mode eigentlich gar nie viel am Hut hatten, wieso sie ausschließlich mit DeadstockMaterialien produzieren und was in den nächsten Jahren aus Haderlump noch alles werden soll.

Wer ums 18. Jahrhundert herum Stoffreste sammelnd durch die Straßen zog, gehüllt in eben solche alten Fetzen, wurde verächtlich als Haderlump bezeichnet. Dabei leistete der verpönte Beruf Pionierarbeit in Sachen Recycling: Aus den Stoffresten wurde Papier hergestellt. Die Kreislaufwirtschaft ist also doch nicht so eine neue Idee. Wer den Begriff im 21. Jahrhundert noch kennt, hat entweder ein Nischeninteresse für vom Aussterben bedrohte Ausdrücke der deutschen Sprache oder ist in der Modebranche zuhause – oder beides, so wie Haderlump-CEO Julius Weißenborn, der sich durch stapelweise Literatur zum Thema Schneiderei las und so Gefallen am Begriff Haderlump fand. Er und Creative Director Johann Ehrhardt sind die Gründer des Labels, die dafür sorgen, dass aus Überschussstoffen, die ansonsten auf dem Müll landen würden, Kollektionen werden, die den Puls von edgy Berliner Fashionistas und ModeredakteurInnen gleichermaßen in die Höhe jagen.

„Wir verstehen uns eher als Kollektiv statt dass wir uns als die zwei Gründer von Haderlump vorstellen“, stellt Julius beim Besuch im Atelier in Berlin-Neukölln klar. Seit der Labelgründung ist das Kollektiv stetig gewachsen. Gut zehn Leute denken, nähen und stylen mit. Das führte dazu, dass das junge Label in den vergangenen Jahren ziemlich pompöse Fashionshows auf die Beine gestellt hat. So schnappten sie sich letzten Sommer für die Show „Aero“ kurzerhand den alten Berliner Flughafen Tempelhof und ließen die Models um historische Flugzeuge herum power-walken. Für die darauffolgende Show „Solivagant“ im S-Bahnwerk Berlin-Schönenweide wurden die Gäste in S-Bahnen quer durch Berlin geschippert und direkt in der Location abgeladen. „Wir lieben es, Geschichten zu erzählen und wollen, dass unsere Shows zu einem immersiven Erlebnis werden“, sagt Julius.

Dank solchen Eskapaden ist Haderlump längst zum festen Bestandteil der Berliner Fashion Week geworden, obwohl sie erst 2023 das erste Mal eine Show zeigten –und dies vor allem, weil ein vorangehender Ausflug nach Paris nicht ganz das gewünschte Ergebnis erzeugte. „Wir hatten 2022 einen Showroom an der Paris Fashion Week und dachten, entweder verkaufen wir da jetzt 100'000 Kleidungsstücke“, erzählt Julius. „Oder wir kommen zurück und zeigen das erste Mal an der Berlin Fashion Week“, ergänzt Johann. Der Verkauf von 100'000 Pieces blieb aus, dafür blieben ein paar Wochen, um die allererste Modenschau zu realisieren. „Es machte Sinn, unser Netzwerk und unsere Synergien hier in Berlin zu nutzen“, sagt Julius. Und so stürzten sie sich Hals über Kopf in die Berlin Fashion Week. Mit durchgehend zuckendem Auge und weniger als vier Stunden Schlaf pro Nacht habe Johann mit nur vier Leuten die erste Runway-Kollektion kreiert. „Das war schon etwas ungesund“, sagt er rückblickend. Aber: „Solche Aktionen schweißen das Team zusammen.“ Bis heute haben sich laut Johann alle PraktikantInnen später beim Label beworben. „Man merkt, dass sie von Beginn an am Designprozess beteiligt waren und sich auch mit den Kollektionen identifizieren können“, sagt der Designer. Die vergleichsweise ruhigere Show „Ex Libris“ an der diesjährigen Berlin Fashion Week hat ihren guten Grund. Einerseits ist das Kollektiv gewachsen und routiniert geworden. Statt bis morgens um vier bleibe Johann nun, sobald die Show näher rückt, vielleicht noch bis Mitternacht. Und Julius erklärt: „Wir haben Aufmerksamkeit bekommen, jetzt wollen wir das Augenmerk wieder auf die Kleidung richten. Denn darum geht es doch eigentlich.“

MODEMACHER, GESCHICHTENERZÄHLER

Berlin-Kreuzberg an einem Hitzetag Anfang Juli: Im Künstlergebäude Haus der Visionäre versammeln sich die Fashion-Interessierten der Stadt. Wer nicht weiß, was an diesem Mittwoch passiert, könnte meinen, das Berghain hätte kurzfristig seinen Standort verlegt. Denn auch drückende 35 Grad halten echte Haderlump-Fans nicht davon ab, mehrheitlich schwarz und in mehreren Schichten gekleidet aufzutauchen. Wo man hinsieht, stechen durchdachte, vorwiegend dunkle Outfits mit Schnürungen, Sonnenbrillen, voluminösen und asymmetrischen Schnitte ins Auge. Das Publikum übersetzt die Haderlump-Ästhetik auf den eigenen Stil und schafft so eine harmonische Einheit an modebewussten IndividualistInnen.

„An unseren ersten Shows hatten wir zwar auch schon um die 700 Gäste, doch etwa 80 Prozent davon kamen aus unserem Umfeld“, sagt Julius. Im Publikum sitzen nun längst nicht mehr nur Friends and Family. Presse, InfluencerInnen, sogenannte Industry Professionals schnappen sich die Sitze in der ersten Reihe, um einen ganz genauen Blick auf die neue Kollektion werfen zu können. Das Publikum ist so divers wie die Models, die für Haderlump laufen. So tummelt sich beispielsweise auch der ikonische Berghain-Türsteher Sven Marquardt unter den Gästen. Vor der Show wird fleißig posiert, gefilmt und fotografiert. Das Resultat? Noch Tage nach der Show sind Instagram und Co. geflutet mit Bild- und Videomaterial von „Ex Libris“, das nicht nur von Internetpersönlichkeiten stammt, sondern auch von zahlreichen Magazinen und Zeitungen. In der Mitte des Runways stehen zwei riesige Blöcke, eingedeckt in flatternden Buchseiten. „Ich war in über 10 Bibliotheken“, sagt Johann, der von digitalen PinterestMoodboards weniger hält und seine Visionen lieber mit eigenen Skizzen, Fotos und in diesem Fall Bibliotheksrecherche vermittelt. Die Idee zu „Ex Libris“ stammt von einem älteren Pärchen, das Johann in einer Bar kennenlernte. Sie erzählten ihm vom alten Konzept des Ex Libris, bei dem man seine Bücher mit der ganz eigenen Stempelsignatur gravierte. Johann übersetzte das kurzerhand auf die neue Kollektion und fragte sich: „Wie sieht mein eigenes Ex Libris aus?“ Nach viel Brainstorming und Sammeln von allerlei Wappen und religiösen Symbolen bis hin zu der Darstellung von Berufen zeigt das überdimensionale Tuch in der Eingangshalle des Haus der Visionäre ein Ex Libris – in Haderlump-Version.

Und es ist diese Spring Summer 2026 Kollektion, welche die Core-Identity von Haderlump ein weiteres Mal so richtig festigt. Asymmetrische Schnitte, Raffungen, Kapuzen und eine minimalistische Farbpalette zeigen das Label als kreativ, innovativ und tief in Berlin verwurzelt. Man könnte Einflüsse von Margiela oder Balenciaga erspähen, doch das wäre zu einfach. Denn die Inspiration findet

„Keiner kauft sich ein hässliches T-Shirt, nur weil es nachhaltig ist.“

Johann nicht unbedingt bei anderen DesignerInnen, sondern eher in Geschichten, Menschen und der Heimat Berlin. „Johann geht einfach mit offenen Augen durch Berlin“, fasst Julius zusammen. Dieser Ansatz findet auch bei den Models Anklang. „Wir machen jeweils offene Casting Calls. Auch dieses Jahr hatten wir ein paar Models, die eigentlich nicht an der Fashion Week liefen, doch bei uns dabei sein wollten, weil sie sich bei uns als Mensch gesehen fühlen“, erzählt Johann sichtlich stolz. „Wir versuchen immer, einen Look zu kreieren, bei dem das Model sagt: ,Ok, das bin ich‘. Sie sollen nicht verkleidet, sondern angezogen wirken“, fügt er an. Und genau so sieht die durchmischte Modelgruppe aus. Nämlich fast so, als hätte man die stylischsten Menschen Berlins von der Straße gepflückt und auf den Laufsteg geschickt. „Wir versuchen einfach, für Berlin zu stehen und lassen uns auf jeden Fall von der Stadt inspirieren“, sagt Johann. „Berlin ist kreativ, aber auch arm und hat ganz viel Potenzial.“

Am Ende der Show sind es nicht nur Johann und Julius, die sich kurz zeigen, sondern das gesamte Team, das in schwarz gekleidet und unter tosendem Applaus eine Runde dreht. „Ich leiste vielleicht zehn Prozent der ganzen Arbeit“, sagt Johann bescheiden. „Ich habe nicht ein Stück selbst genäht für diese Kollektion“, fügt er an. Und doch steckt die künstlerische DNA des Creative Directors in der Kollektion. Beim Besuch im Atelier führt er Schritt für Schritt durch den Prozess. An der Wand hängen noch immer die Moodboards der jetzigen Kollektion. „Ich mache immer das Konzept mit zehn Zeichnungen dazu. Nach einer Feedbackrunde gebe ich die Zeichnungen dem Team und lasse es draufloskreieren, bis 400 Zeichnungsentwürfe entstehen, aus diesen wir dann die besten 30 auswählen“, erklärt er. Der Designprozess gehe auch während der Herstellung erster Prototypen weiter. Was nicht gefällt, wird rausgekickt oder abgeändert. „Wir probieren die Designs dann am Körper aus und ganz zum Schluss schaut die Stylistin nochmals drüber und gibt ihre Interpretation ab“, erklärt Johann. Etwa drei Monate bleiben für diesen Prozess, wobei die Idee oft schon früher da ist. „Meistens hat Johann schon einen Tag nach der Show die Idee für die nächste“, sagt Julius. Gerade geistern sogar schon die Konzepte für die nächsten zwei Shows durch den kreativen Kopf.

RADIKAL NACHHALTIG

Auch gut zwei Wochen nach der Berlin Fashion Week hallt „Ex Libris“ noch nach. „Wir hatten noch nie so viel Presse wie dieses Mal“, sagt Julius und ist sichtlich erfreut über diese Entwicklung. Was macht das mit einem Label, das eigentlich noch in den Kinderschuhen steht? „Ich schaue manchmal schon auf die Uhr und frag mich: ,Wie sind vier Jahre vergangen?‘“, philosophiert Julius. „Ich hätte

Modebranche, InfluencerInnen, Fans: Sie alle hatten diesen Sommer nur Augen für „Ex Libris“, die neueste Kollektion von Haderlump.
© Szymon Stepniak
© Olena Mindrina
© Liebeskind
© Anastasia Potapova

ja auch nie gedacht, dass jetzt Vogue Runway beispielsweise über uns schreibt“, fügt er an.

Zu einem der gehyptesten Berliner Labels zu gehören, war scheinbar tatsächlich nicht der Plan der beiden Jungs, die sich seit zehn Jahren kennen. Vielleicht ist gerade das ihr Geheimnis. Julius tauchte nach dem Wirtschafts- und Politikstudium in die NGO-Welt ein. Johann arbeitete einst für SOS-Kinderdörfer und Hollister, ehe er eine Gastronomieausbildung absolvierte. Das jahrelange Schuften in der Hotellerie verschaffte ihm Anfang 2020 zwei freie Monate, in denen er zu nähen begann. „Eigentlich einfach aus einer Partylaune heraus – und weil ich einmal in der achten Klasse einen Nähkurs besuchte“, sagt er. Und Julius habe sich immer selbstgenähte Kleidung von ihm gewünscht. Aus Party wurde schnell ernst und Johann drückte schließlich noch einmal die Schulbank, bis er den Abschluss in Modedesign in der Tasche hatte. „Ich glaube, es war ganz gut, haben wir im Erwachsenenalter und nicht als 18-Jährige mit dem Label angefangen“, findet er.

Die Pandemie scheint wohl doch nicht das Allerschlimmste gewesen zu sein für die Kreativbranche. Julius’ NGO-Job lag während des ersten Lockdowns etwas in der Schwebe. So las er Toms-Shoes-Gründer Blake Mycoskies Buch „Start Something That Matters“ und schien in ein Spiegelbild zu blicken: „Ich dachte mir: Ich hab keine Ahnung von Fashion, aber ich will etwas bewirken. Und ich kenne doch diesen Typen, der T-Shirts näht“, sagt Julius. Bis heute hat das Buch einen Ehrenplatz im Atelier. „Das Ganze hat eigentlich als Schnapsidee angefangen“, meint er. Eine, die ziemlich gut funktioniert.

Mit einem Bildungskredit von je 7'000 Euro kauften die beiden drei Nähmaschinen und legten in einer Lagerhalle in Lichtenberg mit T-Shirts und Hoodies los. Mit einem Haufen FreundInnen füllte sich die 220 Quadratmeter große Halle schnell und die Miete ließ sich aufteilen. Die Anfangszeit in der unbeheizten Halle haben die beiden nicht vergessen: Ein Foto – platziert neben Blake Mycoskies Buch – erinnert an die Geburtsstunde Haderlumps. Das weitreichende Netzwerk der beiden führte dazu, dass zu T-Shirts und Hoodies dank einer befreundeten Stylistin plötzlich Custom-Aufträge für die Hamburger R’n’BSängerin Zoe Wees dazu kamen. Diese hatte 2022 einen Höhenflug, trat bei Jimmy Kimmel und an den AMAs auf und trug insgesamt 25 Spezialanfertigungen von Haderlump. Bis heute fertigt das Team auf Wunsch Custom-Aufträge an.

Zu Beginn wurde für jedes verkaufte Stück ein Baum gepflanzt. 800 Bäume haben ihre Existenz den beiden Berlinern zu verdanken. Doch zu sehr wollten sie sich nicht auf dieses Versprechen konzentrieren. „Nachhaltigkeit ist für uns ein Muss“, sagt Julius und ergänzt: „Wenn du heute nicht mehr nachhaltig bist, what are you doing?“

„Die Models sollen nicht verkleidet, sondern angezogen wirken.“

HADERLUMP ATELIER BERLIN

Manche von uns warf die Pandemie aus der Bahn, andere wurden dank ihr auf den richtigen Pfad gelenkt. Creative Director Johann Erhardt begann 2020 zu nähen. Mit seinem Co-Gründer Julius Weißenborn rief er Haderlump ins Leben. Seit 2023 zeigt das Berliner Label ihre Kollektionen an der Berlin Fashion Week. Und beweist mit jeder Show aufs Neue, dass Nachhaltigkeit nicht nur umsetzbar ist, sondern auch extrem cool aussehen kann haderlump.berlin

Die Erfahrung und einige Studien zeigen aber, dass nach wie vor das Design über einen Kauf entscheidet. „Keiner kauft sich ein hässliches T-Shirt, nur weil es nachhaltig ist. Also wollen wir coole Produkte machen, die die Leute haben wollen. Wer sich zusätzlich noch genauer mit uns beschäftigt, findet schnell heraus, dass wir nur mit nachhaltigen Stoffen arbeiten und alles selbst im Atelier produzieren“, sagt Julius.

Wie ihre Namensgeber, die Haderlumpen aus vergangenen Jahrhunderten, bedient sich auch das HaderlumpTeam an Stoffen, die bereits existieren – sogenannte Deadstock-Materialien. Und von diesen liegen so einige rum, denn wenn Marken Stoffe produzieren lassen, wird immer etwa zehn Prozent Überschuss hergestellt, sodass im Fall von Materialfehlern trotzdem die geplante Anzahl Kleidungsstücke genäht werden kann.

„Wenn große Marken eine Million Meter produzieren lassen, dann sind zehn Prozent Überschuss daraus 100'000 Meter, die früher verbrannt wurden oder einfach rumlagen. Und von diesen 100'000 Metern brauchen wir mittlerweile maximal 1'000 Meter, denn allein daraus können wir schon 500 bis 700 Produkte herstellen“, rechnet Julius vor, der bei diesem Thema so richtig in Fahrt kommt. Die Arbeit mit Deadstock-Materialien für die Ready-To-Wear-Linie habe sich also ganz organisch entwickelt und könne dank dieser gigantischen Überschussproduktionen auch noch lange so weitergeführt werden. An Qualität werde ebenfalls nichts eingebüßt, denn die Überschussstoffe sind A-Ware – nur einfach viel zu viel. Für die Show-Pieces beziehen sie außerdem Leder- und Denimjacken vom Berliner Textilhafen. Noch geschieht die gesamte Produktion vor Ort im Neuköllner Atelier. Doch was passiert, wenn der HaderlumpHype nicht nachlässt und das Wachstum so rasant weitergeht wie bisher? „Gerade sind wir in einer Crunchtime als junges Label“, sagt Julius. „Nachhaltigkeit ist ganz tief in unserer DNA drin und das wird auch immer so bleiben. Aber sobald wir als Label erwachsen werden, das heißt, wir uns dem Retail öffnen, dann müssen wir einen Teil der Produktion outsourcen“. Das Wort Nachhaltigkeit werde sowieso laut Johann viel zu oft gebraucht. „Für uns bedeutet es eben, on demand und somit nie zu viel zu produzieren. Und auch in Zukunft noch mit Deadstock Materialien zu arbeiten“, sagt er. Außerdem träumt er von einer eigenen Factory, in der Bestellungen reinflattern und dann on demand hergestellt würden, während das Atelier nur noch für ShowPieces und Custom-Bestellungen dienen würde. „Nun schauen uns eher die Professionals auf die Finger, und die müssen wir jetzt überzeugen. Mal schauen, wo die Reise hingeht“, sinniert Julius. Eigentlich ist es auch ganz egal, wohin es das Label auch verschlagen wird, denn eins ist sicher: Sie werden immer neue Geschichten zu erzählen haben und alle, die hinschauen, in ihren Bann ziehen.

THE BERLIN WOW

Wir machen einen kurzen Umweg. „From Paris to London“ lautet das Thema der HerbstWinter-Kollektion von Longchamp. Doch wir haben sie mit Schauspielerin Luna Jordan in Berlin inszeniert und stellen fest: Auch dort sehen die Outfits hervorragend aus. Kleidungsstücke wie der Ledermantel mit Lammfell kombinieren französische Raffinesse mit englischer Robustheit – und trotzen damit dem kalten Wetter auch in deiner Hauptstadt nach Wahl.

Photography: Christopher Puttins
Styling: Alexander Huber
Make-up & Hair: Theo Schnürer using Oribe & Tom Ford Beauty
Talent: Luna Jordan
Production: Julia Gelau
Fashion: All Looks Longchamp AW25

HIP TEENS DO HAVE BIG DREAMS

Vollgekotzte Schrebergärten statt Zendaya: Die deutsche Fassung der Erfolgsserie „Euphoria“ macht vieles anders – aber richtig. Weil auch sie so tief eintaucht in die Abgründe des Erwachsenwerdens, bis einem schier die Luft wegbleibt. Mittendrin: Luna Jordan als eine der acht Hauptfiguren. Wir haben uns mit der Schauspielerin über ihr neues Projekt unterhalten. Aber auch darüber, was ihr in der eigenen Jugend über die Runden geholfen hat. Und welche Modeshops in Berlin absoluter Pflichtbesuch sind.

FACES: Was war der Grund für deine letzte Euphorie?

Luna Jordan: Eisbaden ist seit einigen Jahren ein Hobby von mir und es gibt kein besseres Gefühl, als aus eiskaltem Wasser kommen und den Körper so wach und durchblutet zu spüren. Auch der ganze Prozess der mentalen Vorbereitung ist so ein schönes persönliches Ritual, das ich sehr schätze.

F: Dein neues Projekt ist eine deutsche Version der Drama-Serie „Euphoria“. Was ging in dir vor, als du das Original zum ersten Mal gesehen hast?

LJ: „Euphoria“ war in vielerlei Hinsicht bahnbrechend. Die mutigen Erzählweisen, der Look, die Musik, die Kamera, das Schauspiel. Ich weiß noch, wie ich 2020 in Südtirol vor meinem Laptop saß und mir die erste Staffel angesehen habe. Ich war geflasht, auf wie vielen künstlerischen Ebenen diese Serie mitreißt und funktioniert. Besonders bewegte mich die schonungslose Auseinandersetzung mit Themen, die für einige Jugendliche heute Realität sind: Erwachsenwerden, Identität, mentale Gesundheit, Drogen, Schule und der daraus resultierende soziale Druck. „Euphoria“ hat die Filmindustrie weltweit revolutioniert, in the best way possible.

F: Wie stark wird sich die deutsche Fassung davon unterscheiden?

LJ: Unsere deutsche Fassung „Euphorie“ spielt in Gelsenkirchen. Wir haben keine Zendaya und kein 165-Millionen-Dollar-Budget. Unsere Figuren kotzen erst mal von Wodka-O auf Schrebergarten-Partys und träumen davon, einmal Reality-Star bei RTL zu sein. Grundsätzlich behandeln wir aber ähnliche Themen wie Drogen und mentale Gesundheit. Unsere Serie basiert auf dem gleichnamigen israelischen Original, während „Euphoria“ vom US-Sender HBO mit Zendaya lediglich ein Remake davon ist. Trotzdem vergleichen wir uns ungern. Wir haben neue Figuren, neue Geschichten und einen ganz eigenen Look.

F: Was sind dringende Probleme, mit denen sich Jugendliche heute auseinandersetzen müssen, die von der Gesellschaft aber ignoriert oder heruntergespielt werden?

LJ: Mentale Gesundheit wird nach wie vor noch nicht so richtig ernst genommen im gesellschaftlichen Kontext. Gerade in Zeiten von Social Media prasseln ungeschützte Inhalte, permanenter Leistungsdruck und Vergleiche ununterbrochen auf Jugendliche ein. Viele kämpfen mit Angststörungen, Depressionen oder dem Gefühl, nicht dazuzugehören und finden im Alltag oft keinen sicheren Ort. Meiner Meinung nach ist mentale Gesundheit kein Luxus, sondern die Grundvoraussetzung für eine funktionierende Gesellschaft. Und an der Stelle scheitern leider viele Eltern, LehrerInnen und Verantwortliche, welche Kinder und Jugendliche damit oft allein lassen, anstatt ihnen rechtzeitig Zugang zu Therapie und wirksamer Unterstützung zu ermöglichen.

F: Was ist dein Rat an junge Menschen, die ihren Weg in der Welt noch finden müssen? Was hat dir damals dabei geholfen?

LJ: Habt keine Angst, besonders zu sein. Früher wollte ich immer dazugehören, weil ich nie das „typische“ Mädchen war. Ich hatte spezielle Hobbys wie Fußball und Archäologie, hatte ADHS und war nie so richtig gut in der Schule. Irgendwann habe ich aufgehört, krampfhaft ein Teil von etwas zu sein und angefangen, mich selbst so zu akzeptieren, für das, was ich bin. Ich habe aufgehört, darüber nachzudenken, was andere Leute von mir denken und

habe einfach Dinge gewagt und gemacht. Angstfrei. Ich glaube, das ist so ein bisschen meine Superpower. Und ich glaube, genau diese Furchtlosigkeit hat mir so viele Türen geöffnet in meinem Leben.

F: Was fällt dir einfacher vor der Kamera, modeln oder schauspielern? Oder ist am Ende beides gar nicht so verschieden?

LJ: Schauspielern fällt mir leichter. Wenn ich spiele, kann ich mich so sehr fallen lassen, dass ich alle Kameras und das Team um mich herum komplett vergesse. In diesem Moment bin ich einfach nur noch meine Figur und das, was ich fühle und tue, fühlt sich echt an. Es ist schwer zu beschreiben, aber für mich ist es ein fast rauschähnlicher Zustand. Modeln ist noch eher Neuland für mich. Aber ich mag daran sehr, dass man ganz im Moment ist und jedes Foto wie ein Impuls wirkt. Es ist eine ganz andere Erfahrung als Schauspiel. Aber wenn ich mir die Fotos später anschaue, besitzen sie eine ähnliche Stärke und erzählerische Ausdruckskraft wie im Film.

F: Wer oder was hat deinen persönlichen Kleidungsstil nachhaltig beeinflusst?

LJ: Es gibt niemand konkreten, der meinen Kleidungsstil nachhaltig beeinflusst hat. Ich gehe da sehr nach Bauchgefühl. Mein Stil ist sehr bunt, kindlich, vintage-lastig und impulsiv. Mein Kleiderschrank ähnelt eher einem Fundus von 1900 bis 2025 und ich kleide mich immer so, wie ich mich an dem Tag fühle. Lustigerweise bin ich meinem Stil auch sehr treu geblieben seit meiner Kindheit.

F: Was sollten sich modebewusste Menschen in Berlin auf keinen Fall entgehen lassen?

LJ: Berlin hat für Fashion-LiebhaberInnen unglaublich viel zu bieten. Die Kunst besteht oft darin, Läden zu finden, die noch authentisch sind. Wer auf echte Vintage-Kleidung von den 1920er bis 1970er Jahren steht, sollte unbedingt bei Glencheck, Mimis Textile Antiquitäten oder dem Vintage Flohmarkt im Ballhaus Berlin vorbeischauen.

F: Inwiefern hat dich Berlin als Mensch geprägt?

LUNA JORDAN

Luna Jordan hat viel zu sagen. Und als Schauspielerin liest sie es nicht nur aus Drehbüchern ab. Die 23-Jährige setzt sich dafür ein, dass Filmsets zu sicheren Orten für junge Frauen werden. Und dass spannende, tiefgründige Rollen für sie kreiert werden. Dazu geht Luna auch voran: Nach ihrem preisgekrönten Kurzfilm „Furor“ will die deutsch-österreichische Doppelbürgerin als Teilhaberin der Produktionsfirma Sista Productions weibliches Filmschaffen fördern. Für ihr nächstes Projekt steht Luna aber ausschließlich vor der Kamera: Die Serie „Euphorie“ startet am 2. Oktober auf RTL+.

LJ: Ich bin in Berlin geboren und aufgewachsen, mein Papa ist ein Ur-Berliner, und die Stadt hat mich durch ihre Vielschichtigkeit stark geprägt. Ich habe hier viele wunderbare Erinnerungen und Erfahrungen gesammelt, aber auch einige schwierige und belastende Momente erlebt. Wenn ich ein Wort finden müsste, um Berlin zu beschreiben, wäre es: Impulsiv. Berlin hat so viele Facetten und wer die Stadt nicht wirklich kennt, kann ganz schön überrollt werden von diesen Kontrasten. Als Kind war ich fast jedes Wochenende mit meinem Papa im Olympiastadion, um Hertha-Spiele zu schauen. Genauso gehörte das Wilmersdorfer Freibad Lochow zu meinem Sommer immer dazu. Schöneberg ist mein Kiez und es gibt keinen anderen Ort in Berlin, an dem ich mich so wohlfühle. F: Welchen Song, welchen Film und welches Buch verbindest du besonders stark mit deiner Heimatstadt? Warum?

LJ: Ganz klar: Das Peter-Fox-Album „Stadtaffe“ von 2008 ist für mich der nostalgische Soundtrack Berlins und trifft das Lebensgefühl, das mir diese Stadt gibt, ziemlich genau. Der Dokumentarfilm „Prinzessinnenbad“ von Bettina Blümner ist für mich ein absolutes Highlight der Berliner Filmgeschichte und eine echte Liebeserklärung an die Stadt. Als Kind war mein Lieblingsbuch „Emil und die Detektive“, das auf den Straßen Berlins spielt. Dadurch habe ich eine große Leidenschaft für die Werke von Erich Kästner entwickelt

SOUL OF MILANO SEGRETO

Text: Margherita Devalle – Fotos: Ottavio Fantin

Es ist ein Teufelskreis: Je toller eine Destination, desto mehr pilgern die TouristInnen in Scharen an. Doch trotz Massentourismus sind die Metropolen dieser Welt noch voller unentdeckter Schätze.

Dreißig davon hat Podcast-Host und Travel-Expertin Margherita Devalle im etwas anderen Reiseführer „Soul of Mailand“, erschienen beim Jonglez Verlag, zusammengestellt. Wir geben einen Auszug in die verstecktesten Ecken der Stadt.

Teure Restaurants sind ja schön und gut, aber manchmal verstecken sich die kulinarischen Highlights auch an einem Streetfood-Stand.

EINE GENIALE PIZZERIA, NOCH GANZ IM STIL DER 1970ER-JAHRE

Die Pizzeria Oceania stammt aus den 1970ern und ist ein ganz spezieller Ort in Mailand: originale Vintage-Deko aus den Siebzigern (im hinteren Raum), experimentelle Musik im Hintergrund, Pizza aus der Bratpfanne … Dazu ein genialer, rothaariger Pizzabäcker und Wirt, der Ihnen begeistert von den Kunstinstallationen erzählt, die sich sein Vater bei der Gründung des Lokals ausgedacht hatte (und von denen noch ein paar Spuren übrig sind) ... Spätestens dann haben Sie verstanden, dass hier, östlich des Stadtkerns, die Seele eines etwas anderen Mailands zum Ausdruck kommt. Probieren Sie unbedingt die Pommes mit Ingwer und Honig und beknien Sie den Hausherrn, bis er Ihnen das Datum des nächsten Gulasch-Abends verrät. Wenn Sie ein leicht alternatives, authentisches Ambiente mögen, sind Sie hier genau richtig.

Pizzeria Oceania
Via Giovanni Briosi 10 20133 Milano

EIN HEISSER ABEND IN CHINATOWN

Das Mailänder Chinatown lässt sich kulinarisch mit seinem Pendant in New York vergleichen. Doch welche der vielen Adressen soll man hier besonders empfehlen?

Beginnen Sie Ihren Besuch mit einem Glas Wein in den Cantine Isola, einem kleinen, versteckten Paradies. Weinflaschen mit Prädikat und deren Etiketten schmücken hier die Wände. Wenn das Wetter mitspielt, genießen Sie Ihr Glas im Freien, am besten im asiatischen Stil auf typischen roten Plastikhockern sitzend. Dienstags werden in der Cantine Isola mailändische Gedichte und Lieder vorgetragen.

Gegenüber liegt die berühmte Ravioleria Sarpi, ein absolutes Muss: Die gefüllten Ravioli werden frisch an der Theke zubereitet, mit hochwertigen Zutaten und einem Quäntchen Liebe. Sie gelten als die besten chinesischen Ravioli der Stadt. Wer einen der dort angebotenen Kochkurse mitmacht, kann diese Ravioli sogar zu Hause zubereiten.

Cantine Isola Via Paolo Sarpi, 30 20154 Milano
Ravioleria Sarpi Via Paolo Sarpi, 27 20154 Milano

KUNST UND DESIGN DES 20. JAHRHUNDERTS ZUM GREIFEN NAH?

Robertaebasta ist wie ein Kunstmuseum, aus dem man sich jedes Exponat mit nach Hause nehmen könnte. Die Galerie enthält eine avantgardistische Sammlung der größten internationalen Künstler des 20. Jahrhunderts. 1967 gründete Roberta Tagliavini ihre erste Galerie in Mailand, zu einer Zeit, als die Stadt nichts von der heutigen eleganten Metropole hatte. „Mailand war sehr schmutzig“, erinnert sich Roberta. Doch sie hielt sich nicht mit Äußerlichkeiten auf, sondern trug sogar dazu bei, aus Brera einen der gefragtesten Stadtteile zu machen. Ihre ersten Kunden waren die großen Modeschöpfer, die Visionäre, die den Trends vorzugreifen wussten. Armani – auch heute noch ein treuer Kunde –, Cavalli, Versace. „Versace war ganz offiziell die erste Person, die den Ladenraum hier in Brerabetreten und etwas gekauft hat“, erzählt Roberta. Seitdem haben ihr besonderer Stil und ihr Know-how sie zur internationalen Expertin für Kunst aus dem 20. Jahrhundert werden lassen, mit Schwerpunkt auf Jugendstil und Art déco.

Trippa Milano
Via Giorgio Vasari, 1 20135 Milano
Robertaebasta
Via Fiori Chiari, 2 20121 Milano

DIE BESTE TRATTORIA DER GANZEN STADT?

Die Trattoria Trippa Milano wurde von den langjährigen Freunden Pietro Caroli und Diego Rossi begründet und ist eines der beliebtesten Lokale in Mailand. Hier trifft Kreativität auf zwangloses Ambiente, ganz im Stil der Trattorien vergangener Zeiten. Chefkoch Diego bietet eine täglich wechselnde, saisonale und nachhaltige Karte, als Ergänzung zu den Speisen, die zu Symbolen dieser typischen Trattoria geworden sind: vom Vitello tonnato – neu interpretiert mit einer samtigen Sauce aus der Espumaflasche – über die verlockenden Tagliatelle burro e parmigiano bis zur Trippa fritta, den knusprig frittierten Kutteln. Eine Trattoria mit starker Identität, die in gastfreundlichem Ambiente und mit einer ausgezeichneten Weinkarte die italienische Küche zelebriert. Trippa ist ein Muss für alle, die auf der Suche nach Authentizität sind. Reservieren Sie unbedingt weit im Voraus.

Vintage-Boutiquen

@ambroeus.milano

@pwcmilano

@groupiesvintage

Brutto Anatroccolo

Via Evangelista Torricelli 3 20136 Milano

Frizzi e Lazzi

Via Evangelista Torricelli 5 20136 Milano

Osteria Conchetta

Via Conchetta 8 20136 Milano

Cox18

Via Conchetta 18 20136 Milano

EIN KIOSK MIT SCHALLPLATTEN, UMGEBEN VON TOURISTENFALLEN

Auf dem Platz vor dem Duomo, zwischen den vielen Touristen und den mittelmäßigen, ihnen gewidmeten Geschäften, hat Gigi erstaunlicherweise überlebt. 1977 verwandelte er den kleinen Kiosk, den er von seinen Onkeln geerbt hatte, in ein echtes Heiligtum für Plattenfans. Nach der Expo 2015 nahm er, „um dranzubleiben“, zwar ein paar Souvenirs ins Sortiment auf, doch der Kern des Kiosks blieb unverändert: Vintage-Schallplatten aus den verschiedensten Epochen und Musikrichtungen. Alles ist in seinem Gedächtnis katalogisiert, er braucht kein schriftliches Archiv. Jede Platte ist ein Einzelstück. Zu den verborgenen Schätzen des Kiosks gehört eine noch originalverpackte LP von Rino Gaetano, Gigi erzählt auch gern vom Verkauf eines äußerst seltenen Albums von Franco Battiato. Unter seinen Kunden sind viele VIPs. Vielleicht sehen Sie ja ein berühmtes Gesicht, falls Sie länger als nur für einen Kaffee bleiben...

Discovery by Gigi
Passaggio Santa Margherita
Piazza dei Mercanti 20123 Milano

EIN TAG IM NAVIGLI-VIERTEL –LEBEN WIE DIE MAILÄNDER

Beginnen Sie den Tag mit einem Streifzug durch die Vintage-Boutiquen, die über das Viertel verstreut sind. Bei Ambroeus Milano finden Sie zeitlose Stücke (einen weiteren gut sortierten Standort gibt es im Stadtviertel Isola). PWC Milano mischt Vergangenes mit Kollektionen von jungen, aufstrebenden Modedesignern. Und Groupies liegt zwar ein bisschen abseits, bietet den Jägern und Sammlern aber dafür Vintage-Schätze aus aller Welt.

Zur Mittagszeit finden Sie mit Brutto Anatroccolo ein traditionelles Restaurant ohne Schnickschnack, in dem die Zeit stehen geblieben ist. Hier kann man mailändische Hausmannskost zum kleinen Preis genießen. Lassen Sie sich weder die Mega-Portion gegrillten Scamorza noch den Arrostino (Rosmarinschinken) entgehen, wenn sie auf der – handgeschriebenen – Tageskarte stehen! Ein selten authentischer Ort.

Die Bar Frizzi e Lazzi gibt es seit 1982. Ihr großer, von der Straße nicht einsehbarer Innenhof liegt inmitten von alten Mailänder Wohnhäusern mit den typischen Balustraden. Geboten sind: ein paar Tramezzini (das „Cosacco“ ist bei den Stammgästen sehr beliebt), Bier vom Fass und große Bildschirme für die Fußballübertragungen.

Zum Abendessen ist die Osteria Conchetta eine Institution hier im Viertel. Die Risotti sind ausgezeichnet, insbesondere die Version „Riserva mantecato“, die vor dem Gast zubereitet wird. Danach ist die Orecchia d’elefante des Hauses schon fast Tradition. Die Portionen sind groß – es bietet sich an, zu teilen.

Nach dem Abendessen begibt man sich ins Cox18, einen sozialen Raum, der seit 1976 besetzt und selbstverwaltet ist. Definitionen finden hier keine Anwendung, und so ist es auch gewollt. Kreativ, künstlerisch, revolutionär ... ein Ort zum Verlieben, an dem immer irgendein ausgefallenes Kultur-Event geboten wird, dazu Bier zu einem der günstigsten Preise in Mailand. An der Außenwand ist eines der seltenen Mailänder Werke von Blu zu sehen, dem berühmten italienischen Street-Art-Künstler, der (wie sein Kollege Banksy) seine Identität nie preisgegeben hat.

STREETFOOD ALLA MILANESE

Natürlich gibt es in Mailand gutes Essen. Aber nicht nur in den Restaurants! Hier sind drei Adressen für hervorragendes Streetfood, für das sich der Umweg lohnt.

Zum echten Mailänder Wochenende gehört es, samstags vor dem 1967 gegründeten grün-weiß-roten Laden des Brathuhnkönigs Giannasi in der Warteschlange zu stehen. Seit Generationen holen die Mailänder sich hier ein am Spieß gebratenes Hähnchen und verzehren es zu Hause oder beim Picknick in einem der Mailänder Parks. Ebenfalls zu empfehlen: die Giannuggets.

Giannasi 1967

Piazza B. Buozzi 2

20135 Milano

Macelleria Popolare (Darsena)

Piazza Ventiquattro Maggio 4

20123 Milano

Chiosco Maradona

Via Odoardo Tabacchi, 33

20136 Milano

Inmitten der nach exotischen Gewürzen aus aller Welt duftenden Ständen an der Darsena (Binnenhafen) liegt eine wunderbare, wenn auch ein bisschen ungewöhnliche Metzgerei. In der Macelleria Popolare gibt es nämlich keine Metzger, sondern nur Köche: das Pastrami-Sandwich, das gegrillte Knochenmark und die Polpette della nonna (Fleischklopse) gehören zu den unbestrittenen Bestsellern, die stehend am Tresen oder bei schönem Wetter an der Darsena sitzend verspeist werden. Natürlich gibt es hier nur Bio-Fleisch aus Weidehaltung, das mit äußerster Sorgfalt vor den Augen der Kunden zubereitet wird. Vorsicht: Das köstliche Tiramisu gibt es nur auf Bestellung!

Der Chiosco (Kiosk) Maradona in der Via Tabacchi ist etwas ganz Besonderes. Hier endet für viele das Mailänder Nachtleben: Man isst noch einen Happen, bevor man endlich schlafen geht. Der Kiosk schließt erst, wenn alle ins Bett gefallen sind. Auf dem Speisezettel stehen Pferdefleisch (aber nicht nur!), Panini und Pommes in riesigen Portionen. Probieren Sie unbedingt Il Magnifico, ein Panino mit Pferderagout, Speck, Zwiebeln, Scamorza-Käse und einer Sauce aus geheim gehaltenen Zutaten. Wenn Sie eine lange Nacht in Mailand verbringen, landen Sie am Ende sicher beim Chiosco Maradona. Daran führt kein Weg vorbei: Tradition will respektiert werden!

MEHR ALS 35'000 BÜCHER AN EINEM MAGISCHEN ORT Bücher liest man nicht nur – man lebt sie, hört sie, berührt sie. Sollten Sie das vergessen haben, dann erinnert Sie die Kasa dei Libri wieder daran. Sie ist weder Bibliothek noch Buchhandlung, sondern eine wahre Zufluchtsstätte für kreative Köpfe. Der einladende, ausgefallene Ort zieht sich über den fünften und sechsten Stock eines modernen Gebäudes unweit des Bosco Verticale und resultiert aus der Leidenschaft des Schriftstellers und Sammlers Andrea Kerbaker, der seit seiner Kindheit eine Sammlung aufgebaut hat, die heute mehr als 35'000 Bände umfasst. Die einstigen Privatwohnungen wurden in ein magisches, gastfreundliches, für alle zugängliches Literaturparadies umgewandelt. Im fünften Stock findet man das Herz der Sammlung: seltene Bücher, manche davon über 500 Jahre alt, wie etwa eine kostbare Aldine (eines der ersten Taschenbücher) aus dem Jahr 1500, sowie sonderbare Bücher, Bände mit Widmungen und die geheimnisvollen „Phantombücher“, die aus dem Verkehr gezogen wurden, weil sie Missfallen erregt hatten.

Kasa dei Libri
Largo Aldo de Benedetti, 4 20124 Milano

„WENN ES AUF TIKTOK ZU SEHEN IST, VERMEIDE ES.“

Margherita Devalle weiß mehr über Mailand als Google Maps und KI kombiniert. Im Interview versuchen wir, noch mehr Tipps und Tricks aus der Insiderin herauszukitzeln. Und finden dabei unter anderem heraus, woher ihr Faible für versteckte Schätze abseits der Touristenmagnete stammt und wo es sie hinzieht, sollte sie doch einmal die Nase voll von Mailand haben.

Interview: Josefine Zürcher

SOUL OF MAILAND

Mit fremden Leuten in einer fremden Altbauwohnung zu Abend essen, auf einer alten Rennradbahn Vollgas geben oder sich mit authentischem Streetfood den Bauch vollschlagen: Mailand bietet um einiges mehr als die üblichen Touristenfallen. Margherita Devalle hat die 30 besten geheimen Hotspots ausfindig gemacht und daraus einen Reiseführer der etwas anderen Art kreiert. Das Rezept für einen einzigartigen MailandAufenthalt? Vergesst die gehypten TikTok-Videos, vermeidet die Massen und nehmt ein gutes altes Buch in die Hände.

Margherita Devalle, „Soul of Mailand“, Jonglez Verlag, ca. 15.—, jonglezpublishing.com

FACES: Du entdeckst die einzigartigsten und unbekanntesten Orte. Zögerst du manchmal, diese mit der Welt zu teilen, weil du sie lieber für dich behalten möchtest?

Margherita Devalle: Manchmal höre ich diese kleine böse Stimme, die mir zuflüstert: „Pssst, behalte es für dich“. Manche Orte fühlen sich wie persönliche Geständnisse der Stadt an: ruhig, selten, kostbar. Aber ich glaube, der Zauber liegt nicht darin, sie geheim zu halten, sondern darin, Menschen einzuladen, sich die Orte zu verdienen. Es kommt darauf an, wie man das Geheimnis erzählt. Und wie die Menschen davon Nutzen machen werden.

F: Wie lange hast du gebraucht, um die 30 besten einzigartigen Orte für „Soul of Mailand“ auszuwählen?

MD: Fünfzehn Jahre und ein gebrochenes Herz. So lange lebe ich schon in Mailand und diese Zeit hat es wirklich gebraucht, um die Stadt auf nur 30 Orte einzugrenzen. Es war, als müsste man seine Lieblingserinnerungen auswählen. Ich habe ein chaotisches und vollgekritzeltes System aus Notizen, Memos, Karten und Kritzeleien, aber es funktioniert.

F: Dann gab es also kein strukturiertes System, um die Hotspots zu finden?

MD: Nein, es waren einzig meine Besessenheit, die Vorschläge von TaxifahrerInnen und alten FreundInnen, die mich veranlassten, eine Google-Karte mit allen Orten zu erstellen, die ich gefunden hatte. Die Neugierde wies mir den Weg. Mailand schreit nicht, sondern versteckt sich. Man muss ein wenig mit der Stadt flirten, bevor sie einen hereinlässt.

F: Welcher der 30 Orte ist dein absoluter Favorit und warum?

MD: Oh nein, das ist ja, als würde man ein Kind fragen, ob es Mama oder Papa lieber mag. Ich würde sagen, Alfios Erlebnis. Man kann mit neun anderen Leuten, die man vorher nicht kannte, in einer echten Mailänder Wohnung zu Mittag oder zu Abend essen, dabei fantastisches italienisches Essen genießen, das vom Besitzer der Wohnung, Alfredo, zubereitet wurde, sich mit neuen FreundInnen unterhalten und richtig gute Musik entdecken. Was braucht man mehr?

F: Stell dir vor, du sprichst mit jemandem, der immer in Touristenfallen tappt. Welche fünf Tipps würdest du dieser Person geben, damit sie eine Stadt auch abseits der Touristenattraktionen erkunden kann?

MD: Erstens: Wenn es auf TikTok zu sehen ist, vermeide es. Natürlich nicht, wenn du es auf meinem Account findest. Zweitens: Geh zu Fuß. Dann geh noch 15 Minuten weiter und verlaufe dich absichtlich. Drittens: Frage die Oma und den mürrischsten alten Mann in einer Bar, was sie empfehlen. Frag TaxifahrerInnen, die die Stadt besser kennen als jeder andere. Die besten Informationen kommen von echten Menschen, nicht von Google oder Trip Advisor. Viertens: Ignoriere alles, wo sich eine Schlange bildet und es eine Leuchtreklame gibt – außer Il Brutto Anatroccolo und Frizzi e Lazzi. Und fünftens: Schau nach oben, geh durch die Tore und schau dich in den Innenhöfen um. Die besten Entdeckungen sind nicht immer auf Augenhöhe.

F: Bist du selbst auch schon in eine Touristenfalle getappt, trotz deiner Insider-Expertise? Was hast du daraus gelernt?

MD: Ja, und es ging um ein „berühmtes“ Café in Budapest, kalten Kaffee und 200 Handys in der Luft. Was ich gelernt habe? Wenn etwas überfotografiert ist, ist es wahrscheinlich enttäuschend.

F: Gibt es eine Stadt oder ein Reiseziel, das du noch nie besucht hast und das du gerne erkunden würdest, um die besten Geheimtipps zu entdecken?

MD: Nepal, ohne Zweifel. Ich habe das Gefühl, dass dieses Land mehr Geschichten birgt, als man in einem ganzen Leben entdecken könnte.

F: Was ist dein persönlicher Reisestil: Stadt oder Strand, Entspannen oder den ganzen Tag auf Entdeckungstour? Oder etwas dazwischen?

MD: Ich bin eine Vollzeit-Wanderin. Ich brauche Städte, Landschaften, Geschichten. Aber gib mir eine Woche lang einen abgelegenen Strand oder Berg ohne Telefon und WLAN, und ich werde dir von ganzem Herzen dankbar sein.

F: Jemand hat nur einen einzigen Tag Zeit in Mailand. Wie sieht der perfekte Tagesplan aus?

MD: Morgens: Ein Frühstück in einem lokalen Café wie Gatullo, Pasticceria Cucchi oder ein Brunch im B Good Cafè sind ideal und liegen zudem perfekt, um die Stadt zu erkunden. Dann geht es direkt zu einem geheimen Archiv wie Kasa dei Libri oder der beeindruckenden Biblioteca Nazionale Braidense. Ein Spaziergang durch einen Innenhof – eine Mailänder Besonderheit – oder ein Besuch in einem Vintage-Laden in Ticinese steht als nächstes auf dem Programm. Sous Vintage und Groupies sind zwei meiner Favoriten. Mittagessen: Cotoletta alla milanese, wo die Speisekarte handgeschrieben ist. Trattoria Masuelli für das Beste, Brutto Anatroccolo für ein echtes lokales und preiswertes Erlebnis. Nachmittag: Von KünstlerInnen geführte Räume wie die Casa Museo Bagatti Valsecchi und die Fondazione Luigi Rovati. Abend und Nacht in Chinatown für eine lustige Zeit mit authentischem Street Food und Karaoke – Adressen in meinem Reiseführer.

F: Und was wird in Mailand gehypt, darf aber ausgelassen werden, weil es überbewertet ist?

MD: Navigli an einem Samstagabend. Zu touristisch. Es ist eine Instagram-Postkarte, kein Ort. Die Seele Mailands möchte lieber entdeckt als verkauft werden.

F: Wann hast du deine Leidenschaft fürs Reisen und Entdecken einzigartiger Orte entdeckt?

MD: Als Kind bin ich mit meinen Eltern durch Brasilien, Thailand und Afrika gereist und habe dann mit 22 Jahren eine unvergessliche Erfahrung in mexikanischen Indianerdörfern gemacht, wo ich gelebt habe. Dieser Instinkt hat mich nie verlassen. Das verdanke ich meinen Eltern, die mir von klein auf beigebracht haben, die Welt und andere Kulturen zu erkunden – mein erster internationa-

„Wir treten in eine

Post-Hype-Ära ein,

in der die Menschen Tiefe statt Drama wollen.“

ler Flug war, als ich gerade einmal vier Monate alt war. Und vor allem lehrten sie mich, das Leben zu lieben.

F: Wie werden sich Städte in der Zukunft durch den Über-Tourismus verändern?

MD: Sie werden sich verteidigen. Vielleicht werden Städte mit Seele eines Tages nicht mehr auf Karten zu finden sein. Sie werden sich hinter Codes, stillen Ritualen und geschlossenen Kreisen verstecken. Nicht aus Arroganz, sondern um dem Lärm zu entkommen. Und vielleicht lernen wir so, genauer hinzuschauen.

F: Und wie wird sich deiner Meinung nach das Reisen selbst in Zukunft verändern? Glaubst du, dass die Menschen eher den Weg von „Soul of Mailand“ einschlagen und tatsächlich versuchen werden, die besonderen Orte zu suchen, anstatt die üblichen?

MD: Ich hoffe es. Wir treten in eine Post-Hype-Ära ein, in der die Menschen Tiefe statt Drama wollen. Reiseführer wie „Soul of Mailand“ sind nicht nur Listen, sondern Einladungen, langsamer zu werden und genau hinzuschauen.

F: Du musstest Mailand bereits in nur 30 Orten beschreiben – machen wir es noch schwieriger: Wie würdest du die Stadt in nur einem Satz beschreiben?

MD: Mailand bettelt nie um Liebe, und ihre Stimmung hängt ganz davon ab, wie sie in der Nacht zuvor geschlafen hat. Aber wenn du sie an einem guten Tag erwischst, wird sie dein Herz im Sturm erobern, ohne sich überhaupt anzustrengen.

F: Das waren zwar zwei Sätze, aber wir lassen’s gelten. Und wenn Mailand ein Gegenstand oder Souvenir wäre, welches wäre das?

MD: Eine alte Straßenbahn. Abgenutzt, aber immer noch fahrbereit, transportiert sie Geschichten durch die versteckten Ecken der Stadt. Sie ist ein wenig altmodisch, unberechenbar und immer lebendig.

F: In der Einleitung beschreibst du Mailand als einen Ort, den man mit der Zeit entdecken muss. Wie lange hat es gedauert, bis du das Gefühl hattest, die Stadt wirklich zu kennen?

MD: Zehn Jahre, vielleicht sogar länger. Mailand ist wie jemand, der nie als Erster eine SMS schreibt, aber wenn er es einmal tut, hört er nicht mehr auf. Manchmal ghostet er einen zwar, aber wer macht das nicht ab und zu?

F: Erinnerst du dich noch an deinen ersten Besuch in Mailand? Was war dein erster Eindruck von der Stadt?

MD: Ich sage gerne, dass Mailand wie eine Mutter ist, die dich mit offenen Armen und unendlichen Möglichkeiten empfängt, dich dann aber entwöhnt und dich deine eigenen Wege gehen lässt. Als ich zum ersten Mal hierherkam, war ich 19 und fühlte mich gleichzeitig willkommen geheißen und ins kalte Wasser geworfen. Ich wusste nicht einmal, ob ich an der Universität angenommen werden würde, aber irgendwie hat Mailand mich einfach aufgenommen. Jetzt bin ich jeden Morgen unterwegs, um das zu erledigen, was ich zu tun habe, genau wie alle anderen in dieser Stadt.

F: Was war der erste besondere Ort, den du in Mailand entdeckt hast und der dich dazu veranlasst hat zu denken: „Ich muss eine Liste mit einzigartigen und ungewöhnlichen Hotspots erstellen!“?

MD: Eine private Bibliothek in einem Haus. Ihr findet sie in meinem Reiseführer. Man klingelt, und die Geschichte öffnet die Tür. Dieser Ort hat den Funken entzündet.

F: Gibt es irgendwelche Hotspots, die du für dich behalten hast? Oder die du vielleicht für ein zweites Buch aufhebst?

MD: Ja, ein paar Perlen sind sicher in meinem geheimen Tresor versteckt, vielleicht für Band zwei, oder vielleicht bleiben sie einfach für immer in meinem Google Maps und warten auf den richtigen Moment, um entdeckt zu werden.

F: Wenn du das Gleiche, was du für „Soul of Mailand“ gemacht hast, für einen anderen Ort machen könntest, welche Stadt würdest du wählen und warum?

MD: Mexiko-Stadt. Sie ist wild, poetisch, chaotisch und voller Geheimnisse. Wie Mailand, aber riesig, immer aufgedreht und in Technicolor. Ich habe dort gelebt, als ich 22 war, und habe die Atmosphäre nie vergessen. Definitiv meine Lieblingsstadt auf der Welt.

F: Was ist dir beim Erkunden einer Stadt am wichtigsten: Essen, Shopping, Kultur oder Nachtleben?

MD: Kultur und Essen als Kultur. Luxus interessiert mich nicht, ich interessiere mich für Geschichten.

F: Was sind deine Geheimtipps, um die besten Restaurants und Bars zu finden? Sollten wir TripAdvisor, Google-Bewertungen etc. vertrauen?

MD: Auf keinen Fall. Folgt den Tipps von TaxifahrerInnen, älteren Menschen oder Einheimischen. Selbst eine TätowiererIn oder eine FischerIn könnte helfen, ein fantastisches Juwel zu finden. Denn sie wissen, wovon sie sprechen.

F: Woher bekommst du deine Inspiration, wenn du dich auf eine bevorstehende Reise vorbereitest?

MD: Aus seltsamen Blogs, von lokalen Kreativen, aus Underground-Reiseführern wie meinem Herausgeber Jonglez – so habe ich es kennengelernt –, aber meistens gehe ich einfach intuitiv spazieren und spreche mit Fremden vor Ort.

F: Entdeckst du neue Orte eher zufällig, indem du einfach herumwanderst, oder bist du jemand, der einen sehr detaillierten Reiseplan hat?

MD: Ich mache ein paar Pläne, reise aber hauptsächlich nach Lust und Laune. Die besten Dinge passieren, wenn man sich verliert.

F: Nehmen wir einmal an, jemand hat tatsächlich genug von Mailand. Was wäre der nächstgelegene Ausflugsort, den du empfehlen würdest?

MD: Die Abtei Chiaravalle. Nach 20 Minuten bist du in einem anderen Jahrhundert. Pure Stille, totale Entspannung und eine wirklich gute Trattoria, in der man Mailänder Küche genießen kann, die Trattoria al Laghetto.

MARGHERITA DEVALLE

Vor ihr kann sich kein gut gehütetes Geheimnis verstecken: Gegen Moderatorin, PodcastHost und Reiseprofi Margherita Devalle haben TikTok und TripAdvisor keine Chance. Die besten Hotspots ihrer Wahlheimat Milano hat sie für „Soul of Mailand“ zusammengestellt.

@margherita_devalle

OTTAVIO FANTIN

Oft reicht ein Handyfoto, um die Reiselust anzufeuern. Oder in der heutigen Welt ein TikTok-Video. Fotograf Ottavio Fantin mag den klassischen Weg und hat mit seiner Kamera bereits über 50 Länder bereist. Am liebsten hält er pulsierende Metropolen und leere Ecken analog fest. Klar war er der Richtige, um für „Soul of Mailand“ die besten Ecken seiner Heimat visuell festzuhalten.

@ottaviofantin

LIFETIME

INTIMUS

Fotos: Bruce Weber
Auch Elefantendamen freuen sich über ein Chanel-Ensemble.
Elizabeth Taylor anno 2002, für einmal nicht in full glam.

Passt ein ganzes Leben in ein Buch? Kaum, wenn man wie Bruce Weber jahrzehntelang auf den Auslöser drückte. Der Bildband „Bruce Weber. My Education“ kommt aber nah dran, indem er einen Querschnitt auf das Oeuvre des amerikanischen Fotografen zeigt. So findet man zwischen den Buchdeckeln nicht nur die ikonischen Kampagnenshootings, mit vorwiegend nackten Models, sondern auch Reportagefotos und intime Porträts. Ob Leo DiCaprio oder Kim Kardashian, Anselm Kiefer oder Calvin-KleinModel – die visuelle Handschrift Webers ist auf jedem Bild zu erkennen.

Schöne, nackte Männer in den Achtzigerjahren: Da war die Welt noch in Ordnung.

Bruce Weber hielt nicht nur Prominente fest, sondern auch deren Arbeitsplatz, wie hier Sofia Coppolas wunderbar chaotisches Büro Ende der Neunzigerjahre.

Dinge, die man in den Pärken von New York so antrifft.
Der Beweis, dass griechische Götter echt sind und unter uns weilen.
Links: Vor Voyeurismus schreckte der Fotograf kaum zurück.

Einmal mehr gilt: In New York muss einen gar nichts verwundern.

Über den Wolken von Hawaii.

BRUCE WEBER. MY EDUCATION

Mit erotischen Kampagnenbildern machte sich Bruce Weber in den Achtzigern Fans und Feinde gleichermaßen. Während manchen die Zusammenarbeit zu riskant war, wurde er für andere, wie GQ, W Magazine und Vanity Fair, zum regelmäßigen Kollaborateur. Dass er nicht nur Models ablichten konnte, zeigt das Buch „Bruce Weber. My Education“. Seltene Editorials, bislang unveröffentlichte Reportagefotos und Porträts von einflussreichen Menschen aus Kultur und Politik runden das Werk ab. Eigene Erinnerungen des Fotografen sowie Texte von unter anderem Charles Bukowski, Rupert Brooke und John Steinbeck verewigen Bruce Weber als Urgestein der Fashion- und Porträtfotografie. Bruce Weber, „Bruce Weber. My Education“, Taschen, Hardcover, 564 Seiten, ca. 125.—, taschen.com

Eine gewaltige Ladung Testosteron auf einem Haufen.
Links: Keanu Reeves und River Phoenix am Set von „My Own Private Idaho“.
Werkstatt
Vacheron Constantin,

IT’S COMPLICATED

So viele Uhren. So wenig Zeit. In seinem 270. Jubiläumsjahr lanciert Vacheron Constantin eine Reihe von Neuerscheinungen –darunter einen Weltrekord mit 41 Komplikationen. Wir gratulieren, staunen und präsentieren unsere Favoriten.

Text: Michael Rechsteiner

Fotos: Vacheron Constantin

„Die Jugend ist die Zeit, Weisheit zu lernen. Das Alter die Zeit, sie auszunützen“, schrieb Jean-Jacques Rousseau. Leider nicht in die Geburtstagskarte von Vacheron Constantin. Das Maison hat sich in den vergangenen 270 Jahren nicht nur Weisheit, sondern auch die große Kunst der Haute Horlogerie angelernt. Und präsentiert diese jetzt mit einer Hand-, oder vielmehr: Armvoll neuen Modellen. Doch vielleicht hat Rousseau die weisen Worte auch einst direkt an Jean-Marc Vacheron gerichtet, als die beiden in einem Genfer Salon ihre Pfeifen stopften und in frisch belegte Canapés bissen. Die Freundschaft zwischen dem Uhrmacher und dem Philosophen – später zog auch Voltaire mit den beiden um die Häuser – fängt die damalige Epoche perfekt ein. An ihren Schreibtischen forderten die Männer und Frauen der Aufklärung den Fortschritt der Gesellschaft, der nur mit der Freiheit des Individuums einhergehen kann. In den Werkstätten und Fabriken sorgten technische Innovationen für kleine und große Maschinen, die bislang Unmögliches zum Kinderspiel machten. Es war die Zeit des Aufbruchs. Und Jean-Marc Vacheron setzte jene Uhren zusammen, um sie anzuzeigen. Es dauerte nicht lange und die raffinierten Konstruktionen des Genfers waren hochbegehrt. Doch erst als dessen Enkel Jacques-Barthélémy Vacheron im Jahr 1819 mit dem Kaufmann François Constantin eine Partnerschaft einging, entstand daraus ein Markennamen, der in den kommenden Jahren unter anderem auf den Wunschzetteln europäischer Kaiserhöfe, ägyptischer Königshäuser und dem Weissen Haus landete.

THE QUEST IN THE WORLD

Einige Weltreiche, die einst mit einer Vacheron Constantin am Handgelenk regiert wurden, sind inzwischen von der Landkarte gefegt. Doch das Westschweizer Maison tickt weiter – und wie. Das 270. Jubiläumsjahr zelebriert Vacheron Constantin unter der Maxime „The Quest“. So nannte man es früher, wenn sich Ritter für Gott und Burgfräulein ins Abenteuer stürzten. Doch die Drachen, die es für die Uhrenmanufaktur zu töten gilt, sind winzig klein. Es sind jene Komplikationen, die über eine bloße Zeitanzeige hinausgehen und unter dem Mikroskop in Fragmenten von Millimetern arrangiert werden müssen. Jean-Marc Vacheron war einer der ersten Menschen, der sich im 18. Jahrhundert erfolgreich an ihre Konstruktionen wagte. In den folgenden Jahrzehnten wurden die stetig anspruchsvolleren Komplikationen zu einem Markenzeichen des Hauses. Und erreichen jetzt einen vorläufigen Höhepunkt.

LES CABINOTIERS SOLARIA ULTRA GRANDE COMPLICATION

Alleine der Name lässt es erahnen: Die Solaria scheint wie nicht von dieser Welt. Acht Jahre hat ihre Entwicklung gedauert. 1’521 Komponenten ruhen und unruhen in ihr. Versetzte der Firmengründer damals die Welt ins Staunen, als ihm eine Datumsanzeige auf der Uhr gelang, sind in der Solaria 40 weitere Zusatzfunktionen vereint. Damit ist die Les Cabinotiers Solaria Ultra Grand Complication die komplexeste Armbanduhr, die je hergestellt wurde. Unter anderem zeigt sie die Position und Höhe der Sonne, die Tagesdauer und – eine Weltpremiere – wann bestimmte Sterne oder Sternbilder am Himmel zu sehen sind. Außerdem verbirgt sich im Gehäuse ein Glockenspiel, das den Westminsterschlag wiedergibt. Damit

diese Melodie nach ihrem berühmten Londoner Vorbild nicht klingt wie auf einem Blechbecher geschlagen, sind vier Glocken und vier Hämmer nötig. Eingefasst ist diese Sternstunde der Technik in 18-karätigem Weißgold mit 45 mm Durchmesser und einer Höhe von 14,99 mm. Damit ist die Solaris zwar kompakt genug, um sie sich kurz für den Wochenendeinkauf anzuschnallen. Doch das wäre so, als würde man die Mona Lisa zusammenfalten und als Buchzeichen benutzen.

HISTORIQUES 222 STAINLESS STEEL

1977 hatte das Maison auch Grund zum Feiern. Zum 222-jährigen Jubiläum schloss sich Vacheron Constantin nicht bloß dem aufkommenden Trend sportlicher Luxusuhren an, sondern definierte die Sparte dank der 222 auf elegante Weise neu. Designt von einem damals noch jungen, doch schon bald legendären Jorg Hysek, wurde die Uhr zu einem der beliebtesten Modelle in der Firmengeschichte. Die Original 222 sowie ihre Neuauflage Historiques 222 aus dem Jahr 2022 sind bei SammlerInnen inzwischen so begehrt wie das letzte Croissant am Frühstücksbuffet. Und auch die neu erschienene Edelstahl-Version dürfte jetzt die Herzen der Connoisseure zum Schmelzen bringen.

OVERSEAS

GRAND COMPLICATION

Auch die bekannteste Schöpfung aus dem Vermächtnis von Vacheron Constantin erhält ein Update. Zum ersten Mal wurde die Overseas mit den Komplikationen Minutenrepetition, Ewiger Kalender, Tourbillon und Gangreserveanzeige ausgestattet. Damit verbindet die Marke ihre Haute-Horlogerie-Tradition mit dem populärsten Sportmodell des Hauses. Und dank dem skelettierten Openface Design sieht man bei dieser Overseas auch bis auf den Grund, wo die Technik Mikrometerarbeit leistet.

TRADITIONNELLE OPENFACE

Wer sich der ursprünglichen Vision von Jean-Marc Vacheron besonders nahe verbunden fühlt, legt sich die Traditionnelle auf die Haut. Das klassische Modell hat auch in ihrer neuen Gestaltung nichts zu verstecken und fasziniert mit einem offenen Zifferblatt. Die Traditionnelle Openface Editions sind jeweils auf 370 Stück limitiert in drei Variationen erhältlich: mit Vollkalender, mit Tourbillon retrograde Datumsanzeige und mit Ewiger Kalender retrograde Datumsanzeige.

TRIBUTE TO THE CELESTIAL

Für das neuste Modell blicken wir noch einmal in die Sterne. Die Uhrenserie Métiers d’Art Tribute to the Celestial besteht aus zwölf Kreationen, jede von einem Tierkreiszeichen inspiriert. Die filigranen Umrisse werden mit Gold, Opalin und Diamant gestaltet. Dagegen funkelt auch der klarste Nachthimmel vergeblich an. Obwohl auch diese Serie eine konstruktionstechnische Ausnahmeerscheinung ist, legt der Métiers d’Art Tribute to the Celestial den Fokus auf eine Facette in der Uhrmacherei, die unter der Last von Mathematik und Mechanik oft vergessen geht. Denn so haargenau UhrmacherInnen auf das Werk blicken, das unmittelbar vor ihnen liegt, sollte ihr – und unser –Blick auch dann und wann ganz weit in die Ferne schweifen. Denn genau dort liegen noch all die Geheimnisse und unerreichten Möglichkeiten, die uns träumen lassen und zu immer neuen Glanzleistungen antreiben.

THE QUEST

Auch nach 270 Jahren Lust auf Abenteuer: Für Vacheron Constantin ist 2025 das Jahr von The Quest. Neben einer Reihe von Neulancierungen und kulturellen Veranstaltungen feiert das Maison sein Jubiläum mit einer immersiven Ausstellung. Auf großer Welttournee kommt sie vom 15. bis zum 28. September auch in die Heimatstadt Genf. Dort, am Pont de la Machine, öffnet Vacheron Constantin die Schatzkiste und gibt Einblick in historische Dokumente, Werkzeuge und –selbstverständlich – Uhren, die Geschichte schrieben. vacheron-constantin.com

Les Cabinotiers Solaria Ultra Grande Complication
Historiques 222 Stainless Steel Overseas
Traditionnelle Openface Tribute to the Celestial
Vom Papier zum Meisterwerk

MANIFESTO

Photography: Benjamin Audour
Styling: Marie Revelut
Make-up: Corentin Chotard
Hair: Antoine Soulard
Model: Olivia Martin, Titanium Management
Kleid von FENDI. Kragen von ICHOR. Tasche von MELE+MARIE. Schuhe von CAZABAT
Look von LOUIS VUITTON. Sonnenbrille von RAYBAN META
Look von ELIE SAAB.
Look von HERMÈS
Jacke und Shorts von DSQUARED2. Mütze von BARRIE. Socken von FALKE. Schuhe von LOUBOUTIN.
Top und Hose von CHAMBRE DE FAN. Jacke und Schuhe von CELINE. Hut von GUILLAUME LARQUEMAIN.
Top und Hose von ISSEY MIYAKE. Gilet von FEEL THE LOTUS. Schuhe und Tasche von LOUBOUTIN
Nach einem felsigen Fußweg hat man sich die luxuriöse Unterkunft verdient.

TO THE LIGHTHOUSE

Tradition und Moderne harmonisch vereint: Der alte Leuchtturm ist ebenso Teil des Gesamtbildes wie der Neubau.

Drei Stunden Land- und Seereise von Shanghai entfernt liegt eine 2025 eröffnete Unterkunft der Extraklasse, der wir trotz umständlicher Anreise endlose Scharen an Reisefreudigen prophezeien. Das Huanglong Island Lighthouse Hotel liegt auf Shengsi, einer abgelegenen Inselgruppe im Nordosten der chinesischen Zhoushan-Inseln.

Kein Ort für MainstreamTouristInnen, dafür das ultimative Reiseziel für Fans von Ruhe, Design und der ein oder anderen Geschichtslektion.

Text: Josefine Zürcher Fotos: Tian Fangfang

Nichts da mit Mallorca oder Ibiza: Wer keine Lust auf Touristenmassen hat und trotzdem den Ruf der Insel hört, sollte die chinesischen Zhoushan-Inseln erkunden. Während dank der Urbanisierung vor allem die jüngere Bevölkerung die felsige Umgebung verlassen hat, die auf den ersten Blick nicht viel mehr als Fischerei bietet, erkennt die Tourismusindustrie allmählich das Potential des noch unpopulären Reiseziels. Allen voran: Die Architekturfirma WJ Studio, die das Huanglong Island Lighthouse Hotel in den östlichsten Teil der Insel gebaut hat. Viele Wege führen ins Hotel, keiner davon ist einfach zu bestreiten. Wer einmal auf der Hauptinsel Zhoushan angekommen ist, dem stehen noch zweieinhalb Stunden Fährfahrt bevor. Das lohnt sich alleweil, denn statt durchschnittlicher Hotelkette erwartet einen ein verwinkeltes Gebäude, das sorgfältig in die Topografie der winzigen Insel eingebettet wurde – private Outdoor-Pools mit Blick aufs wilde Meer und ein Leuchtturm für ein bisschen Nostalgie inklusive.

NATUR, MENSCH UND GESCHICHTE

Beim Bau des Hotels stand die Zeit im Mittelpunkt, aufgeteilt auf Natur, Geschichte und Mensch. Will heißen: Die Landschaft der Insel hat unter den Naturgesetzen der Evolution eine einzigartige Gestalt angenommen, welche im Entstehungsprozess des Hotels stets berücksichtigt wurde. Die Geschichte der Insel beinhaltet Fischerei- und Landwirtschaftskultur, was nun keinesfalls vom Tourismus niedergestampft werden, sondern vielmehr Teil des Reiseerlebnisses sein soll. Dank neuen BesucherInnen wird so auch ein neues Bild der Insel entstehen. Die Krise der Entvölkerung der Insel wird so zu einer Chance für eine neue Form der ökologischen Tourismusentwicklung, die auf unvergesslichen Erfahrungen basiert und speziell auf die Insel zugeschnitten ist.

HUANGLONG ISLAND LIGHTHOUSE HOTEL, WJ STUDIO

Man kann es bedauern, wenn die Bevölkerung einer kleinen Inselgruppe dahinschwindet. Oder man glaubt daran, genau diesem abgelegenen Fleckchen Erde neues Leben einhauchen zu können. WJ Studio hat das Huanglong Island Lighthouse Hotel mit dem Gedanken entworfen, es perfekt in die Insel zu integrieren. So rufen zwar Design und Luxus nach Erholung und kompletten Abschalten, doch die unmittelbare Nähe zu den alteingesessenen DorfbewohnerInnen verlockt genauso dazu, sich mit der Geschichte der Zhoushan-Inseln auseinanderzusetzen.

Lost Villa. Huanglong Island Lighthouse Hotel, Zhoushan , Zhejiang , China

Auftraggeber: Zhoushan Shengsi Lost Villa Hotel Management Co., Ltd. Masterplanung, architektonische Gestaltung und Innenarchitektur: WJ Studio Hauptdesigner: Hu Zhile

Designteam: Jin Yiran, Yang Xi, Liu Yu’ao, Huang Shufei

Die Definition von Abgeschiedenheit, erklärt mit einem einzigen Bild.
Ab ins Wasser mit Blick aufs Wasser.
Ab ins Wasser
Nähe zur Natur und Nachhaltigkeit stehen beim Huanglong Island Hotel im Mittelpunkt.

8'580'000

Fremde Initialen, Sticker-Reste auf dem Leder und dann auch noch ein alter Fingernagel-Clipper angehängt? Diese Tasche klingt nach einem Fundstück, das man auf dem Flohmarkt auf die Hälfte vom Preis runterhandelt. Doch der original Birkin Bag von Hermès wurde neulich für 8,58 Millionen Euro versteigert. Damit geht die mit Abstand teuerste Handtasche der Welt nach Japan in Privatbesitz.

Über zehn Jahre lang waren Namensgeberin Jane Birkin und ihre Tasche schier unzertrennlich. Die französische Sängerin und Schauspielerin hatte 1985 das ikonische Accessoire inspiriert. Als auf einem Flug ihre Tasche ausleerte, war auch Hermès CEO Jean-Louis Dumas mit an Bord. Die beiden unterhielten sich darüber, wie man das Design einer Handtasche verbessern könnte –und Dumas brachte noch im Flugzeug einen Prototypen zu Papier. Das Einzelstück, das er extra für Birkin herstellen ließ, war zuletzt in Besitz einer Pariser Boutique-Besitzerin.

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