Brandenburgische Erinnerungsorte (Leseprobe)

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Märkische Dialekte Elisabeth Berner

Sprache, Gesellschaft, Region Dort, wo Menschen miteinander leben und kommunizieren, reproduzieren und tradieren sie permanent bewusst oder unbewusst – eingeschrieben in Wörter, Phrasen, Texte – historisches und kulturelles Wissen, das über Generationen bewahrt wurde und zum Teil bis in die Anfänge der Geschichte zurückreicht. Sprache ist per se sozial geprägt und dies gilt in umso stärkerem Maße, in dem sie sich unbeeinflusst von normgebenden Instanzen – wie das bei den Dialekten der Fall ist – entwickelte. Mündlichkeit prägt die Entstehung und Geschichte von Sprachen, und erst allmählich kommen auch die schriftlichen Überlieferungen früherer Jahrhunderte als Zeugen der Vergangenheit hinzu und konservieren noch stärker als die Mündlichkeit, die einem natürlichen Wandel unterliegt, das Wissen und die Sprache früherer Zeiten. Die Herausbildung und die Geschichte von Sprachen und ihrer regionalen Varietäten, der Dialekte wie auch der jüngeren Regiolekte, sind eng mit der Besiedlung, Kultur, den Traditionen eines Landes oder einer Landschaft verbunden und prägen sie sowohl inhaltlich, als auch formal. Brandenburger und Berliner werden von Außenstehenden oft schon nach kurzer Zeit regional zugeordnet, selbst wenn sie nur ein ik oder j (jut) für g verwenden. Die Bindung an eine Region, selbst einen Ort, die Vorstellung, ›anders‹ und damit auch ›besonders‹ zu sein, veranlasst aber auch Mundartsprecherinnen und -sprecher selbst aus sehr wenigen (dia­lektologisch minimalen) sprachlichen Besonderheiten gegenüber benachbarten Orten die Vorstellung einer eigenen Ortsmundart zu konstruieren, wie stellvertretend an der Einschätzung der Sprache in Lunow, einem Ort im Oderbruch, deutlich wird: »Das Lunower Plattdeutsch ist eine eigene Spielart des Mittelmärkischen. Vermutlich ist dies einerseits bedingt durch die bewahrende Kraft der Ortsgröße und andererseits durch die geographische Nähe zum Nordmärkischen.«1 Zugleich kann die Einbindung in den übergeordneten Dialektverband, auch das zeigt das Zitat, die Identifizierung mit der eigenen Sprache verstärken. Dies gilt für die niederdeutschen Dialekte, zu denen die märkischen gehören, in besonderer Weise, denn das Niederdeutsche besitzt den Status einer Regionalsprache und wird dadurch staatlich als besonders schützenwertes kulturelles Gut anerkannt und gefördert. 1998 ratifizierte die Bundesrepublik die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, also der Sprachen, die »herkömm­licherweise in einem bestimmten Gebiet eines Staates von Angehörigen dieses

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