Brandenburgische Erinnerungsorte (Leseprobe)

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Märkische Kiefer Mario Huth

»Wo so wenig ist, ist auch eine Kiefer etwas.«1

Theodor Fontane (1819–1898)

Der Kiefernbaum und die Mark Brandenburg – beide Begrifflichkeiten scheinen in der Imagination eines Lesers unmittelbar eine untrennbare Einheit hervorzurufen. Und tatsächlich stellt sich eine solche feste Liaison vor dem gegebenen historischen Rahmen so dar. Diese Pionierbaumart kann für die Periode seit dem Ende der letzten Kaltzeit durch Pollenanalyse in vielen Teilen des Bundeslandes als natürliche Vegetationsdominante nachgewiesen werden.2 Trotz der vielen zwischenzeitlichen Klimaschwankungen blieb sie seit der Wiederbewaldung (Präboreal) stets eine Konstante im hiesigen Waldbild, mal mehr mal weniger präsent, doch immer in wahrnehmbarer Dichte vorhanden.3 Ihre absolute Führungsposition bis zum heutigen Tag hat sie auf märkischen Sanden jedoch vor allem durch stete anthropogene Förderung erhalten.4 Die Kiefer wird damit quasi zu einem omnipräsenten Erinnerungsort für Brandenburg, da sie sich aufgrund ihrer Dominanz in der Landschaft kaum übersehen ließ und lässt. Folglich ist es nicht verwunderlich, dass man sie auch schon in den älteren Sprachdenkmälern unserer Region, speziell in den Ortsbezeichnungen Zootzen und Zossen, des Öfteren nachweisen kann. Dieser alte, in Brandenburg durchaus häufig anzutreffende Flurname5 ist etymologisch auf die altpolabische Grundform ›Sosna‹ beziehungsweise ›Sosne‹ zurückzuführen. Im heutigen Sprachgebrauch lässt sich dies sinngemäß mit dem Artnamen ›Kiefer‹ oder auch mit der waldgesellschaftlichen Standortcharakteristik ›Ort, wo Kiefern vorkommen‹ gleichsetzen.6 Die Kiefer wurde hier schon damals in einem denkwürdigen Maße als umweltprägend erachtet und floss somit in den ortsbeschreibenden Namen ein. Neben ihrem bloßen Vorhandensein dürften aber auch und vor allem die zahlreichen Nutzfunktionen ihres Holzes eine ausschlaggebende Motivation dafür gewesen sein, sie fest im kollektiven Gedächtnis zu verankern. Doch stimmt hier eigentlich das tradierte und auch heute noch zuweilen bemühte Bild des »Brotbaums der Mark Brandenburg« überhaupt?7 Die Wortgruppe suggeriert zunächst ein durchweg positives Bild eines Baumes, der in der Lage ist, gleich einem Laib Brot, den kleinen (märkischen) Mann durch seine Existenz zu ernähren. Beim Studium entsprechender Quellen scheint sich dieser Analogismus zu bestätigen. Schon im Spätmittelalter wurde die Kiefer – wenngleich indirekt – aktenkundig. Im bekannten »Landbuch der Mark Brandenburg« Kaiser Karls IV. aus dem Jahr 1375 werden für die Gegend um Potsdam, Bernau, Trebbin, Werbellin, Liebenwalde, Rathenow oder auch Biesenthal Einnahmen aus der Waldbienenzucht oder Zeidlerei erwähnt.8 Da für diese Form der forstlichen

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