Heimlich im Zoo – Flüchtlinge und Vertriebene in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR1 Gundula Bavendamm und Carl Bethke
Gegenstände des Alltags, im Laufe der Zeit zu musealen Objekten geworden, machen Zeitgeschichte oftmals in staunenswerter Weise lebendig. Das gilt auch für das abgebildete Tonbandgerät der Marke Kometa aus den 1970er Jahren. Es ist sowjetischen Ursprungs und gehört zur Sammlung der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Der Schenker, Rudolf Arndt, hielt damit vermutlich im Dezember 1976 in der DDR heimlich Gespräche mit seiner 1900 in Romankowa (Wolhynien) geborenen Mutter fest. Das Aufnahmegerät und die Tonbänder hatte er sich seinerzeit über Kontakte zur Roten Armee besorgt. Ganz besonders interessierte ihn, was seiner ursprünglich aus Wolhynien stammenden Mutter im Laufe ihres Lebens widerfahren war. 1915 wurde das Mädchen aus ihrem Heimatdorf hinter den Ural evakuiert beziehungsweise durch die russische Armee dorthin deportiert. 1940 folgte die sogenannte Umsiedlung aus Wolhynien in das von der Deutschen Wehrmacht besetzte »Warthegau« in Polen durch NS-Behörden. 1945 musste die nunmehr Dreißigjährige von dort vor der Roten Armee nach Deutschland fliehen. Arndt selbst war bei der Flucht drei Jahre alt und eines von zwölf Kindern. Der Stiftung überließ er 2017 nicht nur das Aufnahmegerät, sondern auch die Tonbänder. Wenn man sie abspielt, ist seine Mutter zu hören, wie sie über ihre bewegte und leidvolle Lebensgeschichte spricht. Das Gerät wird in der Dauerausstellung des Dokumentationszentrums Flucht, Vertreibung, Versöhnung zu sehen sein. Dieses auf den ersten Blick unscheinbare Tonbandgerät steht durch seine gleichsam verborgene Geschichte für das Thema dieses Bandes: der Umgang mit der millionenfachen Erfahrung von Flucht und Ver27
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