Vertriebene in SBZ und DDR (Leseprobe)

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Geleitwort Reinfried Vogler

Der Großteil der in den Jahren 1945 bis 1947 aus ihren Heimatlandschaften in Ost-, Südost- und Mitteleuropa vertriebenen Millionen Deutschen kam in die Amerikanische und Britische Besatzungszone Restdeutschlands; nicht zuletzt, weil die Sowjetunion mit großem Nachdruck darauf drängte. Nach der amtlichen Statistik der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) waren 1950 dort rund 4,4 Millionen »Umsiedler« ausgewiesen, deren Zahl sich später durch Binnenwanderung und Familienzusammenführung auf 1,7 Millionen reduzierte. Während es in der Bundesrepublik Deutschland seit den 1950er Jahren eine rege Forschung zur Thematik der deutschen Heimatvertriebenen gab, war die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem »Umsiedler«-Problem in der DDR tabuisiert. Die erste Studie, die diese Bevölkerungsgruppe erwähnte, ist in den 1970er Jahren erschienen. Im darauffolgenden Jahrzehnt hat der Staat zwar weitere Forschungsarbeiten zur Lage der »Umsiedler« genehmigt, nichtsdestoweniger blieben sie hinsichtlich ihres Umfangs und ihrer Vielfalt weit hinter den Forschungen in der Bundesrepublik zurück. Anders als in den Westlichen Besatzungszonen (WBZ) und der Bundesrepublik hatte das Schicksal der Vertriebenen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der DDR keinen Platz im öffentlichen Diskurs. Die Begriffe »Vertreibung« und »Vertriebene« waren nicht zugelassen – sie existierten schlichtweg nicht. Stattdessen war die Rede von »Umsiedlung« und »Umsiedlern« oder auch von »Neubürgern«. Mit diesen Bezeichnungen versuchte die DDR das erlittene Leid und Unrecht der Vertriebenen zu kaschieren – zum einen, weil deren Integration und Arbeitskraft Voraussetzung für den Aufbau des neuen sozialistischen Staates war; zum anderen, weil sie befürchtete, dass deren Erinnerungen an die alte Heimat, Flucht und Vertreibung einen

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