Schuld, Tradition, Verantwortung (Leseprobe)

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Sabine Schleiermacher

Die Charité im Gefüge des »Dritten Reichs« Personen und Netzwerke in nationalsozialistischer Forschungs- und Gesundheitspolitik

Am 28. Februar 1933 forderten der Anthropologe Eugen Fischer, Rektor der Berliner Universität, der Orthopäde Hermann Gocht, Dekan der medizinischen Fakultät, und sechs weitere Hochschullehrer der Berliner Universität ihre Kollegen dazu auf, sich ihrer geplanten »Kundgebung«, mit der sie sich »einig mit der nationalen Bewegung« erklärten, anzuschließen. Im »Zusammenschlusse der nationalen Kräfte unter Führung von Adolf Hitler als Reichskanzler«, also in Abgrenzung zu den demokratischen Normen der Weimarer Republik, sahen sie »den einzig möglichen Weg, das Vaterland aus seiner wirtschaftlichen Notlage und seelischen Bedrängnis herauszuführen«. Ihr postuliertes Ziel war die »Wiedergewinnung nationaler Würde, Wehrhaftigkeit und Freiheit«.1 Damit unterstützten sie nicht nur Hitlers Ernennung zum Reichkanzler, sondern machten gleichzeitig Propaganda für die NSDAP im Wahlkampf für die Reichstagswahlen am 5. März 1933, in deren Vorfeld die neue Reichsregierung mittels Notverordnung nicht nur die Versammlungs- und Pressefreiheit eingeschränkt, sondern auch politische Gegner eingeschüchtert hatte. Die zahlreichen Eintritte in die NSDAP von Angehörigen der medizinischen Fakultät noch vor Verhängung der Aufnahmesperre im Mai 1933, unter ihnen auch der spätere Rektor der Berliner Universität Lothar Kreuz, wie auch das von Ferdinand Sauerbruch mitunterzeichnete »Bekenntnis der Professoren ... zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat« verdeutlichen die Unterstützung für die NSDAP und die mit ihr verbundene politische Neuausrichtung des Staates.2

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Kundgebung Berliner Universitätslehrer 28.2.1933, in: https://www.jmberlin.de/1933/de/02_28_verlautbarung-berliner-universitatslehrer-zur-unterstutzung-der-hitler-regierung.php (letzter Zugriff am 10.01.2021). Christoph Jahr: Die nationalsozialistische Machtübernahme und ihre Folgen, in: Michael Grüttner, in Zusammenarbeit mit Christoph Jahr/Sven Kinas/Anne Chr. Nagel/Jens Thiel (Hrsg.): Geschichte der Universität Unter den Linden 1810 –2010 Bd. 2: Die Berliner Universität zwischen den Weltkriegen, Berlin 2012, S. 295 –324, hier S. 311, 318.

Die Charité im Gefüge des »Dritten Reichs«  15

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