Tobias Korenke
»Sag nicht, es ist für’s Vaterland…« Widerstand ist möglich. Gedanken aus Anlass des 100. Geburtstags von Sophie Scholl
Wir tun uns in Deutschland schwer mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Er hat keinen herausragenden Platz im kollektiven Gedächtnis der Republik gefunden. »Es ist nicht so, dass die Deutschen nicht nachdächten über die Vergangenheit und die Verbrechen des Nationalsozialismus«, hat der Schriftsteller Stephan Hermlin den Grund dafür zu finden versucht. »Sie leiden darunter, dass sie ihre Märtyrer nicht unterstützt haben, jedenfalls nicht in genügender Weise.« Vielleicht hat er Recht. Vielleicht leiden die Deutschen aber auch daran, dass die viel zu wenigen Männer und Frauen, die sich gegen die Diktatur gewehrt haben, allen vor Augen geführt haben, dass Widerstand eben doch möglich war. Und deshalb suchen wir, auch heute noch in der »Republik der Blockwart-Enkel«, lieber die Egalität der Schuld, die kollektive Erniedrigung, die niemanden heraushebt aus dem Grau(-en) der Geschichte. Mit der kollektiven Schuld lässt es sich bequemer leben: »Wo alle schuld sind, ist es keiner«, hat Hannah Arendt festgestellt. Verpasste Chance. Wir könnten und sollten vom Widerstand gegen den Nationalsozialismus lernen für die Gegenwart. Die Geschichten aller Männer und Frauen des Widerstands haben etwas beizutragen, seien es die Gruppen, die sich im Attentat des 20. Juli 1944 zusammenfanden, die Rote Kapelle oder ein unfassbar mutiger Einzeltäter wie Georg Elser. In herausragender Weise gilt das für den studentischen Widerstand der Weißen Rose, der neben den Geschwistern Sophie und Hans Scholl, Alexander Schmorell, Christoph Probst, Willi Graf, Professor Kurt Huber und weitere Studierende angehörten. Niemand wird zum Helden geboren. Nicht alle von ihnen zählen von Beginn an zu erklärten Gegner der Nationalsozialisten. Die meisten von ihnen sind zunächst durchaus begeistert von den neuen Lehren der Volksgemeinschaft. Doch dann lassen sie sich von Texten kritischer Christen inspirieren und machen einschneidende Erfahrungen mit dem Regime und dem Krieg. Das verändert ihre Einstellungen, erst recht, als sie von der Ermordung unzähliger polnischer Juden erfahren.
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