Die Intelligenzsiedlungen in Ost-Berlin (Leseprobe)

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Einleitung

Vor der Wende im Herbst 1989 waren wir häufig in Berlin bei Freunden zu Besuch und durchstreiften mit ihnen die Stadt, in der Regel deren Westteil. Als wir Anfang der 1990er Jahre dann selber dorthin zogen, wollten wir die Stadt und besonders das für uns bis dahin umständlich erreichbare Ost-Berlin genauer kennenlernen. So unternahmen wir an jedem Wochenende eine Wanderung durch die östlichen Bezirke und deren Ortsteile. Dort durch die Straßen zu laufen, zu flanieren, zu schlendern führte zu vielen Entdeckungen, die anderen längst bekannt sein mochten, uns aber neu und erstaunlich vorkamen. Eine dieser Entdeckungen, die uns für lange Zeit begeisterte und immer mehr zu interessieren anfing, waren die Intelligenzsiedlungen in Pankow und in Grünau. Im Sommer 2002 spazierten wir vom S-Bahnhof Schönholz durch die hügelige Schönholzer Heide zum dortigen Sowjetischen Ehrenmal. Die damals noch nicht sanierte Grabstätte von über 13.000 Rotarmisten und Offizieren beeindruckte uns durch ihre architektonische Gestaltung mit dem mahnenden Obelisken aus rauem Syenit, unter dem sich die Grabkammern von zwei sowjetischen Obersten befinden, und durch das vom russischen Bildhauer Iwan G. Perschudtschew geschaffene Monument der »Mutter Heimat«, die ihren gefallenen Sohn betrauert. Hinter dem Obelisken erinnert heute zudem ein Gedenkstein an die in deutscher Gefangenschaft umgekommenen russischen Kriegsgefangenen. Sie waren unter Stalin nie gewürdigt und sogar missachtet worden, weil der Diktator der Ansicht war, ein Sowjetsoldat hätte nicht in Gefangenschaft zu gehen, sondern bis zum Tode zu kämpfen. Die Schönholzer Heide war ab dem Ende des 19. Jahrhunderts ein beliebtes Ausflugziel der Berliner gewesen.1 1936 zog der große Lunapark, als er an seinem Standort Halensee schließen musste, hierher. Im Zweiten Weltkrieg wurde dann auf dem Gelände ein Lager für Zwangsarbeiter errichtet. Beim Verlassen der Schönholzer Heide stießen wir an der Einmündung der HeinrichMann-Straße in die Hermann-Hesse-Straße auf eine halbrunde konkave Mauer mit der Inschrift des Dichters Erich Weinert: »Den Gedanken Licht Dem Herzen Feuer Den Fäusten Kraft« Wir waren in der Intelligenzsiedlung »Erich Weinert« angekommen, wo der Dichter in der Beatrice-Zweig-Straße 4, der früheren Straße 201, gewohnt hatte. Da war gleich an

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