Am Rande Berlins (Leseprobe)

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Armut und Armenfürsorge im Berlin des 19. Jahrhunderts

Bereits gegen Ende des 17. Jahrhunderts hatte die öffentliche Armenfürsorge in Berlin eine grundlegende Neuausrichtung erfahren.1 Mit der Einrichtung einer eigenen »Armenkasse« zur Finanzierung fürsorgerischer Maßnahmen, dem Bau eines allgemeinen Armenhauses sowie der Bildung einer ständigen Kommission zur Organisation und Verwaltung der öffentlichen Fürsorge in der Stadt waren damals vonseiten des preußischen Staates richtungsweisende Entscheidungen getroffen worden.2 Ziel war es demnach, einerseits eine bessere Versorgung der städtischen Armenbevölkerung zu gewährleisten und andererseits auch dem Betteln in der Stadt gezielt entgegenzuwirken. Diejenigen, die scheinbar mutwillig nicht für ihr eigenes Auskommen sorgten, obwohl sie gesund und arbeitsfähig erschienen, sollten zur Arbeit angehalten werden. Andere wiederum, die durch hohes Alter, Krankheit oder andere Umstände in eine existenzielle Notsituation gelangt waren, hatten nun aber grundsätzlich einen Anspruch auf Unterstützung durch die öffentliche Armenfürsorge. Nach Prüfung der Bedürftigkeit konnte die Hilfeleistung dann notdürftige finanzielle Zuschüsse, eine Zuteilung von Brot und Brennholz oder auch medizinische Grundversorgung sowie im Todesfall eines Bedürftigen ein unentgeltliches Begräbnis umfassen.3 Neben einer solchen »offenen« Armenfürsorge bestand mit der Möglichkeit zur Aufnahme in einer öffentlichen Armenanstalt auch eine »geschlossene« Armenfürsorge, die allerdings erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen entscheidenden Ausbau und wachsende Differenzierung erfuhr.4 Darüber hinaus befanden sich in der Stadt noch zahlreiche konfessionelle Hilfseinrichtungen 1 Vgl. dazu: Johann Carl Friedrich Weitling, Geschichte des Großen Friedrichs-Hospitals und Waisenhauses, Berlin 1852, S. 2ff.; Hermann Schwabe, Das Armenwesen in Berlin, in: Arwed Emminghaus (Hg.), Das Armenwesen und die Armengesetzgebung in europäischen Staaten, Berlin 1870, S. 68-88, hier S. 68f. 2 Ebd. 3 Allgemein zur Organisation und Ausgestaltung der frühen Armenfürsorge in Berlin vgl.: Friedrich Nicolai, Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam, aller daselbst befindlicher Merkwürdigkeiten, und der umliegenden Gegend, Bd. 2, Berlin 1786³, S. 626-647, hier bes. S. 640-647. 4 Vgl. dazu: Rudolf Virchow (Hg.), Die Anstalten der Stadt Berlin für die öffentliche Gesundheitspflege und für den naturwissenschaftlichen Unterricht, Berlin 1886, S. 74-90, hier bes. S. 77ff.

10  | ARMUT UND ARMEN FÜRSORGE IM BERLIN DES 19. JAHRHUNDERTS


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