Täufertum, Puritanismus, Kongregationalismus – bilden in Deutschland (anders als etwa in den Vereinigten Staaten) lediglich eine »verschwindend kleine Minderheit«.3 Die Haltung jedes Protestanten gegenüber Gott ist unmittelbar, »Priestertum« ein Merkmal aller Mitglieder der Glaubensgemeinschaft. Kirchliche Funktionäre, Pfarrer, Pastoren oder Bischöfe, sind demnach keine durch das Sakrament der Weihe herausgehobenen »Träger heiliger Macht«4, sondern ordinierte Amtsträger, deren Dienst es obliegt, die Schrift in der Predigt für die Gemeinde hauptberuflich auszulegen und den Vollzug der kirchlichen Regularien seelsorgerisch zu administrieren.5 Gerade in Deutschland kulminierte aber seit dem 19. Jahrhundert im Erinnerungsort des »evangelischen Pfarrhauses« alle dem »protestantischen Prinzip« zugeschriebene Kraft und Tugend im Sinne »echter deutscher« Religiosität. Das Pfarrhaus konnte als Hort des Konformismus wie des Non-Konformismus stilisiert werden; in seiner Idee vereinigten sich Bürgerlichkeit und Familiensinn mit wissenschaftlichem Streben und zukunftsfrohem protestantischen Optimismus aus dem Bewusstsein heraus, Träger einer gesellschaftlichen Führungsschicht zu sein, die Glauben und Wissen aufs Trefflichste vereinte. Das evangelische Pfarrhaus funktionierte gleichzeitig aber auch als eine Projektionsfläche für gegenläufige Utopien einer veränderten und erneuerten Gesellschaft.6 Es konnte »patriarchalisch und autoritär«7 sein, aber auch widerständig und revolutionär. Evangelische Pfarrer wie auch politische und gesellschaftliche Akteure mit dezidiert protestantischer Sozialisation spielen – in dieser doppelten Deutungstradition – in der Geschichte der Bundesrepublik wie der DDR eine wichtige Rolle, nicht zuletzt gerade evangelische Pfarrerssöhne und -töchter.
Protestantismus und Katholizismus seit dem 19. Jahrhundert
Der Mainstream-Protestantismus, zumal in seiner lutherischen Spielart, trat in ein spezielles Verhältnis zur deutschen Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts, vom Wartburgfest 1817 mit seinem burschen12
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Begriffe, Entwicklungslinien, Strukturen
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