DamarisKofmehl
ABRAHAM
EinBibel-Thriller
EIN BIBEL-THRILLER
SCMHänssleristeinImprintderSCMVerlagsgruppe, diezurStiftungChristlicheMediengehört,einergemeinnützigenStiftung, diesichfürdieFörderungundVerbreitungchristlicherBücher, Zeitschriften,FilmeundMusikeinsetzt.
©2023SCMHänsslerinderSCMVerlagsgruppeGmbH Max-Eyth-Straße41·71088Holzgerlingen Internet:www.scm-haenssler.de·E-Mail:info@scm-haenssler.de
DieBibelversesindfolgenderAusgabeentnommen: NeuesLeben.DieBibel,©derdeutschenAusgabe2002und2006SCMR.Brockhausin derSCMVerlagsgruppeGmbH,Holzgerlingen.
Lektorat:ChristinaBachmann Umschlaggestaltung:StephanSchulze,Stuttgart Titelbild:Komposition:Unsplash-k-mitch-hodgeundintricate-explorer Autorenfoto:©NakischaScheibe Satz:Satz&MedienWieser,Aachen DruckundBindung:GGPMediaGmbH,Pößneck GedrucktinDeutschland
ISBN978-3-7751-6138-1
Bestell-Nr.396.138
Bestell-Nr.953.096.138
1.Mose11,27-12,3
1. MOSE 11,27-12,3
DIE SUCHE
Blutmond
ImStadtzentrumvonUr,Südmesopotamien, im20.Jahrhundertv.Chr.
»DerGefangeneistentkommen!«,hallteeineStimmedurchdie Nacht.
Abrammeinte,ihmmüsstedasHerzstillstehen.Eshattebegonnen.DastödlicheRitualhattebegonnenundnichtsundniemandkonnteesjetztnochaufhalten.DerBlickdeszwölfjährigen JungenschweiftehochzumBlutmond,derschaurigundblutrot amHimmelstand.Eshieß,erwäregetränktvomBlutderzahlreichenOpfer,diederMondgottNannadarbrachte,umdas LandvordemdrohendenUnheilzurettenunddenZornder siebendämonischenUnterweltgötterzubesänftigen.
WarumdieGötterbeijederMondfinsterniszornigwaren, wussteniemandsogenau.Nureineswusstenalle:Gelanges demMondgottnicht,ihrenZornwiederabzuwenden,würde dasLandinChaosundFinsternisversinkenunddieMenschen würdenintiefsteVerzweiflungundNotgestürzt.MondfinsternissewarengefährlicheVorbotenfürHungersnöteundSeuchen, bishinzuKrieg.DasGleichgewichtderhimmlischenOrdnung gerietdurcheinanderunddiedämonischeUnterweltdrohtedie Machtzuübernehmen.
DabeistandnichtnurdasWohlergehendesVolkesaufdem Spiel,sondernauchdasLebendesKönigsalsVertreterdesganzenLandes.BlieberwährendeinerMondfinsternisaufdem Thron,warseinTodunausweichlich.SohattendieSterndeuter undMondpriesteresanhandderKonstellationderSterneund PlanetenauchdiesesMalvorausgesagtunddemKönigdringendstempfohlen,nochvorderMondfinsternisabzudanken undeinenErsatzkönigeinzusetzen,derfürdieZeitdesBlutmondesseinAmtübernähmeundanschließendanseinerStellegetötetwürde.SowürdederZornderdämonischenGöttersicham Ersatzkönigentladen,dasLebendesechtenKönigsbliebever-
schontundmitetwasGlückwürdeauchdasdrohendeUnheil vomganzenVolkabgewendet.Aberesmusstegeschehen,solangederBlutmondüberdemTempelNannasstand,odereswäre zuspät.
DasErsatzkönigritualwareingrausigesSchauspiel,dasinaller Öffentlichkeitstattfand.VonnahundfernwarendieMenschen gekommen,umihmbeizuwohnen.DiegesamteBevölkerung vonUrwürdeindieserverhängnisvollenNachtZeugederrituellenTötungdesunglücklichenErsatzkönigssein.Abramwar diesalleszutiefstzuwider.NatürlichwarihmdieGefahrbewusst, dievoneinerMondfinsternisausging.DochwarummusstedeswegeneinUnschuldigersterben?Undwashattensiealledennso Schrecklichesgetan,umdenZornderUnterweltgötterheraufzubeschwören?
»DerGefangeneistentkommen!«,schalltedieStimmeerneut überdieTerrasse,überdielangenTreppenundmassivenMauerndesmächtigenStufenturmsundTempelsdesMondgottes Nannahinweg.
DerzwölfjährigeAbramstandzusammenmitseinemVater undseinenbeidenBrüdernganzobenanderTreppedesTempelturms.MitihnenzusammenhattensichTausendebeimTempeleingefunden.Dichtgedrängtstandensieunterhalbdes TurmsundobenaufderTerrasseundwartetenaufdenGefangenen,dernichtwirklichentkommenwar,sondernsichalsTeil desRitualsvonseinenFesselnbefreithatteundnungezwungen wurde,denPlatzdesKönigseinzunehmen,umanseinerStellezu sterben.
DerAustauschdesKönigshattebereitsamAbendstattgefunden.ManhatteirgendeinenGefangenenausgewähltundihn zumErsatzköniggemacht.UndheuteNachtwährenddesBlutmondesspieltemandieThronbesteigungerneutnach.DerErsatzkönigwürdedenThronbesteigen,diebösenVorzeichenauf sichnehmenundanschließendermordetwerden.DerechteKönigwürdeüberlebenunddieGefahrfürdasganzeLandwäre gebannt.Zumindesthofftendasalle.Ganzsicherkonnteman sichnieseinbeiderUnberechenbarkeitderGötter.
Abramwurdespeiübel,wennerdarandachte,waserbaldzu Gesichtbekäme.EswardasersteMalfürihn,dochvonden Erzählungenderanderenwussteer,wasgeschehenwürde.Er wolltedasnichtsehen.Eswarsoungerechtundgrausam!WarumwarendieOpferNannasnichtgenug?Warernichtder großeMondgott,derHerrvonUr?Hatteernichtsogardie Macht,überTotezurichten?WarumkonnteerdiesiebenGötter derUnterweltnichtohnesolcheinenMordbesänftigen?Wo docheinervonihnen,derUnterweltgottNergal,sogarseineigenerBruderwar?
»Dakommter!Schaut!«,riefjemand.
DerBlickdesJungenwandertehinabzudenMenschenmassen unterhalbdesStufenturms.DieMengeteiltesich.Unddasaher ihn.WiebenommenstolpertederinLumpengehüllteGefangene zwischendenMenschenhindurchundschlepptesichdielange vonFackelnbeleuchteteTreppehinauf.JederSchritt,denertat, jedeStufe,dieererklomm,schienihnunsäglicheKraftzukosten. Erwusste,wasihnerwartete.Jederwusstees.Ererklommden BergseinereigenenHinrichtung.SeinLebenfürdasdesKönigs. SeinTodfürdieRettungdesKönigsunddesgesamtenVolkes.
ZweiKriegerundzweiPriesterbegleitetendenMann.Eine SchwerehinginderLuft,eineFinsternis,diemanmitHänden greifenkonnte,währendderBlutmondseingespenstischesLicht aufdenTempelturmwarf.EskamAbramvor,alswürdedas gesamteUniversumdenAtemanhalten.
JetzthattederGefangenedieobersteStufeerreicht.ErstolperteundfielderLängenachhin,gleichnebenAbram.DieMenschenwichenzurück.NurAbrambliebwieerstarrtstehenund schautevollerMitleidundEntsetzenaufdenMannhinab,der zitterndnebenihmaufdemBodenkniete.SeinAnblickging ihmdurchMarkundBein.ErsahdieVerzweiflunginseinen Augen,diereineTodesangst.
»Auf!Weiter!«,schimpfteeinerderKriegerundzogdenGefangenenwiederaufdieBeine.
EineSchneisebildetesichinderMittederMenschenundder ErsatzkönigtratseinenletztenGangüberdieTerrassean.Erging
aufdenThronzu,dervordemEingangdesTempelsdesMondgottesaufgebautwordenwar.
»Komm,Abram,lassunseinenbesserenPlatzergattern«,sagteAbramsBruderHaranundzogdenJungenamÄrmelhinter sichher.Abramwollteeigentlichgarnichtweiternachvorne, dochvoneinerzwiespältigenNeugiergepackt,folgteerseinem älterenBruder.SienutztendienatürlicheSchneise,diesichinder Mengegebildethatte,undgelangtenunmittelbarhinterdemGefangenenindievordersteReihederZuschauer.Hierbliebensie stehenundhattenfreieSichtaufdenThronunddenTempel, denKönigundallseineRatgeber,Astronomen,Zaubererund Tempelpriester.VordenmächtigenTempelsäulenbrannten zweiriesigeFeuerinFeuerschalen.DieBühnefürdasErsatzkönigritualwarvorbereitet.
DerGefangenetaumeltezumThron,aufdemderKönigsmantelunddieköniglicheKronelagen.DerKönigselbsthattesie dortwiebeiläufigabgelegt.NunschlüpftederGefangenezitternd indenköniglichenMantel,setztesichdieKroneaufundnahm aufdemThronPlatz.WiedieZeremonieesverlangte,drehtesich derKönigdaraufhinerschrockenum,gingaufdenMannzuund fragteihnlaut:»WerseidIhr,umaufmeinemThronzusitzen undmeinenMantelundmeineKronezutragen?Warumhabt Ihrdasgetan?«
DerGefangeneantwortetenicht.Eigentlichhätteersagensollen,dassernichtwisse,warumerdasgetanhabe,undkeinen triftigenGrunddafürnennenkönne.Docherwaraußerstande zusprechenundklammertesichmitdenHändenkrampfhaftan derThronlehnefest,dasGesichtaschfahlvorFurcht.
»IhrnehmtmeinenPlatzeinundkönntkeinenGrunddafür nennen?«,riefderKönigtheatralischundwandtesichden Omendeuternzu.»Wasratetihrmir,DeuterderOmen?Wiesoll ichmitdiesemMannverfahren?«
EinMannineinemwallendendunkelblauenGewand,mitgoldenemKopfschmuckundeinemlangenBarttratvorundverkündetedasUrteil:»DieserMannhatsichderköniglichenInsignienbemächtigtundistdamitanEurerStelleKöniggeworden,o
Herr.SomitmusseranEurerStelledenToderleiden,derdurch dieOmenvorausgesagtwurde,umdashimmlischeGleichgewichtwiederherzustellenunddenZornderGöttervonEuch undunsallenabzuwenden!«ErwandtesichdemErsatzkönig zu.»SeidIhrbereit,dieVorzeichenaufEuchselbstzunehmen undzusterben?«
DieLippendesErsatzkönigszuckten.ErbrachtekeinenTon heraus.
»Soseies!«,riefderOmendeuter.
ErzogeinenlangenDolchunterseinemGewandhervorund schrittaufdenThronzu.AbrambisssichaufdieLippenund knetetenervösseineFinger.SeinHerzraste.Jetztwaressoweit. ZweiKriegertratenaufjeeineSeitedesThronesundhieltenden ErsatzkönigandenArmenfest,währendderOmendeuterden DolchzumklarenNachthimmelemporhobundGebetevorsich hinmurmelte.Abramhielteskaumnochaus.WiegebanntstarrteeraufdenDolchundvomDolchaufdenGefangenenindem Königsmantel,dernunheftigatmeteundstrampelteundvergeblichversuchte,sichausdenGriffenderKriegerzuwinden,die ihnaufdemThronfesthielten.
AbramwolltedieAugenschließen,umdieErmordungdes Ersatzkönigsnichtmitanzusehen.AbererkonnteseinenBlick nichtvondermakabrenSzeneabwenden.SiezogihnwiemagischinihrenBann.Danngingallesganzschnell.DerOmendeuterbeugtesichüberdenKönigundmiteinerruckartigen BewegungrammteerihmdenDolchmitteninsHerz.Kein SchreidrangausderKehledesUnglücklichen.DerGefangene zucktenocheinmal,dannsackteeraufdemThronzusammen. DieKronefielihmvomKopfundrollteüberdensteinernen Boden.
Nunwarestotenstill.Keinerrührtesich.Niemandschienzu atmen.DieStimmungwarzumZerreißengespannt.MitgeweitetenAugenblickteAbramaufdentotenErsatzkönig,derzusammengesunkenaufdemThronsaß.ErhattedasGefühl,als würdederDolchinseinemeigenenHerzenstecken.DerOmendeuterdrehtesichum.ErrissdenblutigenDolchausdemKör-
perdesMannes,breitetedieArmeausundreckteseinKinnempor.
»Esistvollbracht!«,rieferlautindieNachthinaus.
EinenMomentnochwaresstill.DannbrachdieMengein tosendenJubelaus.SieklatschtenundhobenihreHändezum Himmelempor,siedanktendemMondgott,derinseinerGüte sovieleOpferdargebrachthatte,umdieMenschenvordemZorn derUnterweltgötterzubeschützen,undderinseinerBarmherzigkeitdenKöniggewarnthatte,damiterrechtzeitigeinenErsatzkönigeinsetzenkonnteundnichtselbststerbenmusste.EinigeMenschenweintenvorDankbarkeit.Vielelagensichinden Armen.
DochAbramhättenurnochschreienkönnen.Allesinihm zogsichzusammen.WaswardasfüreingrausamesSpiel,das dieGöttermitdenMenschentrieben,wodieMenschenihnen dochtäglichdienötigenOpferbrachten,dennötigenRespekt zolltenundalleRegelnbefolgten,diesieihnenauferlegten?Ständigmusstemanvorihnenkriechenundkonnteniewissen,was siewirklichimSinnhatten.Siewarenlaunisch,unberechenbar undzerstritten,dochdieMenschenmusstenihrenZornertragen,andemsiekeinerleiSchuldtrugen!Siemusstensogarihren Königopfern,umsiezubesänftigen!Daswarallessofalsch!So furchtbarfalschundmakaberundverdreht!Merktedasdenn keiner?WowarendieGötter,wennmansiewirklichbrauchte?
Wowarensie,wennmanzuihnenschrie?Wowarensie?Gabes dennnichteinen,nichteineneinzigenGott,demdasSchicksal derMenschennichtegalwar?
Woseidihr?!,schrieAbraminseinemHerzen,währender vomtotenErsatzkönigzumblutendenMondhochsah.Tränen derWut,VerstörungundHilflosigkeitrolltendemZwölfjährigen überdieWangen.
Woseidihr?!
GesprächinderNacht
SiebzehnJahrespäter,außerhalbvonUr
FinsterwardieNacht.FinsterwarenAbramsGedanken,diewie PeitschenhiebeseinHerzaufrissen.UnruhigwälztederNeunundzwanzigjährigesichaufseinenFellenhinundherundfand keinenSchlaf.NichtsmachteSinn.Einfachgarnichts.Eswar allessofurchtbarleerundhoffnungslos.Eineinzigerbrodelnder Wirrwarr!
»Redemitmir!«,flüsterteAbram.»Redemitmir!« »Abram?«
EinezarteHandberührtedenjungen,kräftigenMannanseinerSchulter.Abramzucktezusammenunddrehtesichseiner zierlichenFrauzu.ErkonntesienichtseheninderDunkelheit. DochalleinihresanfteBerührungunddieArtundWeise,wiesie seinenNamenaussprach,hattenetwasBeruhigendesansich.
»Sarai?«
»Liebster,wasistlos?«
»Estutmirleid,Liebste,ichwolltedichnichtwecken.«
»Washastdudenn?«
»Nichts.Esistnur …«
»Was?«
AbramtasteteinderDunkelheitnachSaraisHandundhielt siefest,alswäreesdasEinzige,dasihmnochHaltgab.
»MeineGedankenzerreißenmichfast.«
»WasfürGedanken?«
»DunkleGedanken.VerboteneGedanken,dieichnichthaben dürfte.Unddennochquälensiemich.Ichhalteeskaumnoch aus.Aberichwilldichnichtdamitbelasten,Sarai.Ichwillnicht, dassdudenkst,deinMannhättedenVerstandverloren.«
»Abram.Wiekönnteichjemalssoetwasvondirdenken?Wir kennenunsseitunsererKindheit.IchbindeineFrau.Esgibt nichts,wasdumirnichterzählenkönntest.«
»Duwürdestesnichtverstehen.«
»Wasnichtverstehen?«
»Ichkannnicht«,stöhnteAbram.»Ich … ichkanndaseinfach nichtmehr!«
»Waskannstdunicht?Wovonredestdu?«
»Ichmussraus.«
»Abram!«
AbramwarfmiteinemRuckdieFelledesBettlagerszurück undsprangauf.BarfußstolperteerüberdieTeppicheihresgeräumigenNomadenzeltes,hobdenZipfelderEingangsdeckeaus ZiegenfellleichtanundschlüpfteinsFreie.EinkühlerWind wehteihminsGesicht.DochAbramwarnichtkalt.Ihmwar glühendheißundseinHerzhämmertewieverrücktgegenseine Brust.ErhobseinenBlickzumHimmel,zuderMondsichelund denSternen,diesichwieeineKuppel,wieeingewölbterTeppich ausMilliardenvonLichternvoneinemHorizontzumanderen erstreckten.SiehattenetwasMagischesansich,etwasMajestätisches,UnergründlichesundgleichzeitigBeschützendesund Tröstliches.Abramfühltesichimmerwinzigklein,wennerin denSternenhimmelblickte,abernichtverlorenoderunwichtig, ganzimGegenteil.Erfühltesicheherso,alswäreerTeilvon etwasGroßem,Gewaltigem,daserallerdingsnichtzuergründen vermochte.DocherspürteestiefinseinemInneren.Dawar etwas,dasgrößerwaralsderMondgottNanna,mächtigerals derWindgottEnliloderderFeuergottNusku,ja,alsalleGötter zusammen.ErhattekeinenNamendafür,auchkeineVorstellung.
Erwusstenurdaseine: Daistmehr!
DieserBlickindenHimmelerfüllteihnjedesMalmitEhrfurchtundNeugierzugleich.AbernichtheuteNacht.Alles,was erheuteNachtempfand,wareinetiefsitzendeVerwirrtheit. UndeinelähmendeAngst.Angstdavor,waswäre,wenner seinengefährlichenZweifelnnochmehrRaumgewährte.Angst davor,dassalles,seineganzeWelt,seinganzesLeben,vielleicht sogarseinegesamteFamilieauseinanderbrechenwürde,wenn ersichnocheineeinzigeweiteredieserFragenerlaubte,diesich seitJahrenwieeinebedrohlicheDunkelheitaufihnherabsenk-
tenundihmmanchmalschierdieLuftabschnürten.Undheute NachtschienenalldieseGefühleihrenHöhepunktzuerreichen.
Wahrscheinlichlagesdaran,dasseramNachmittagmitseinemVaterundseinenBrüdernaufdemTempelturmgewesen war,demGötterberg,wiesiedenStufenturminUrauchnannten.DortinderTempelhallevordergewaltigensteinernenStatue desMondgotteshattensiegeknietundihnumVermehrungihrer Schaf-undZiegenherdengebeten,umWohlstandundGesundheitfürihreFamilieundzuletztumFruchtbarkeitfürihreFrauen.
»GanzbesondersflehenwirfürdenSchoßSarais,ogroßer Nanna«,hatteTerachgesagtundNahorhatteAbramaufdem HeimwegeinekleinetönerneFigurderFruchtbarkeitsgöttin Inannazugestecktundihmzugeflüstert,Saraisollesieinder NachtbeimLiebesspielinderHandhalten.Daswürdebestimmt helfen.AbramhatteihmdieStatuemiteinemverärgertenBlick zurückgegebenunddenganzenNachmittagkeineinzigesWort mehrgesagtunddumpfvorsichhingebrütet.Erhattedasalles sowasvonsatt!Erkonnteesnichtmehrhören!AlldieseGötter, alldieseBeschwörungsformeln,Zaubersprüche,Heiltränkeund Opfergaben,daswarallessosinnlosundkrank.Warereigentlich derEinzige,derdassosah?
»Abram?«
AbramwarsoinGedankenversunkengewesen,dassergar nichtbemerkthatte,dassseineFraunebenihnvordasZeltgetretenwar.
»Willstdumirnichtsagen,wasdirdenSchlafraubt?«,fragte sie,legteihreHandaufseinennacktenOberkörperundsahliebevollzuihmhoch.SiewarsehrzierlichundkleinunddaAbram vonüberausgroßerundkräftigerStaturwar,reichtesieihmnur knappbiszurAchselhöhle.SelbstimschwachenMondlichtund mitungekämmtemHaarundverschlafenemBlickfielihmihre Schönheitauf,diewiedieeinerPrinzessinwar.
AbramliebteSaraiüberalles.DashatteervondemTagan getan,alssiesichvorseinenAugenvoneinemKindineinewun-
derschönejungeFrauverwandelthatte.SaraiwarseineHalbschwesterundzehnJahrejüngeralsAbram.IhreMutterwareine NebenfrauTerachsgewesenundbeiSaraisGeburtgestorben.Als SaraifünfzehnJahrealtgewordenwar,hatteAbramsiezurFrau genommen.EineengeBlutsverwandtezuheiraten,warnichts UngewöhnlichesundAbramhätteohnehinkeineandereaußer ihrhabenwollen.SiewardasmitAbstandschönsteMädchen, demerjebegegnetwar.Siewarsanftmütig,klugundfleißigund schonmitdreizehnJahreninihnverliebtgewesen,wiesieihm kürzlichgestandenhatte.DamitwarsiebeiWeitemnichtdie Einzige.VieleMädchenausUrwarfendemhochgewachsenen, gutaussehendenjungenMannnochheuteverstohleneBlickezu, wenneranihnenvorbeiging.Mancheversuchtensogar,ihnzu verführen,wasihnenaberniegelang.AbramhattenurAugenfür seineSarai.
Umsoschmerzhafterwaresfürihn,dasssieauchnachvier JahrenEhenochimmernichtschwangergewordenwar,wasin ihrerKultureinegroßeSchandewarundalsStrafederGötter angesehenwurde.DieentsprechendenAnspielungenundBemerkungenseinesVatersundseinerBrüdergabenihmjedes MaleinenStichinsHerz.
»Isteswegenmir?«,fragtedieneunzehnjährigeSaraiundholteAbramausseinerGedankenwelt.
»Wegendir?«
»Quälstdudichmeinetwegenherum?Weilichunfruchtbar bin?«
»Nein,Liebling,nein.Wiekannstdusoetwasdenken?«
»IchhabedasmitderStatueInannasgehört,dieNahordir gebenwollte.Milkahatesmirgesagt.«SieließtraurigihreHand vonseinerBrustsinken.»Vielleichtsolltenwiresprobieren,Abram.«
»Was?Nein!«,riefAbramenergischaus.»Nein!Dastunwir nicht!DuglaubstdiesenSchwachsinndochnichtetwaauch? Manwirdnichtschwanger,wennmaneinenvollbusigenTonklumpenindenHändenhält.DasistpurerSchwachsinn!Du willstwissen,wasmirdenSchlafraubt?Genaudasistes!All
dieseGötter!DieRituale!DiebösenOmen!DieserganzeWahnsinn!«
SaraisahihrenEhemannirritiertan.»Ichverstehenicht.« AbramkamnunregelrechtinFahrt.Erkonntesichnicht mehrzurückhaltenundesbrachallesausihmheraus.
»Ichhabemichbemüht,Sarai.Jahrelang.Dashabeichwirklich.Ichhabeversucht,dieGötterzuerreichen.NannaalsErstes. SchließlichisterunserHausgott.Aberdaeroffenbartaubist, habeichesmitallenanderenversucht.Ichhabesiealleangerufen:An,Enki,Utu,Ninlil,Enlil,Inanna,Nusku,jedenvonihnen. SelbstdiesiebendämonischenUnterweltgötter!Abericherreichesienicht!Keinenvonihnen!Kannstdumirsagen,wieso? Wiesoredensienichtmitmir?Sindsiezubeschäftigt?Wollen siemichbestrafen?Oderkönnensiemichvielleichtgarnicht hören,weilessiegarnichtgibt?!«
Saraisahihnerschrockenan.»Liebster,wassagstduda?« »Entschuldige,Sarai.«ErschüttelteaufgebrachtdenKopf. »Entschuldige,ichweiß,wasfürblasphemischeGedankendas sind.Aberichkannannichtsanderesmehrdenken.Ichweiß mireinfachnichtmehrzuhelfen.MeineGedankentreibenmich nochindenWahnsinn.«
AbramgingeinStückvomZeltweg,fuhrsichmitdenHänden durchseingelocktesschwarzesHaar,schüttelteerneutenergisch denKopf,alskönneerdieGedankendamitabschütteln.Dann stießerdieLuftausdenWangen,gingeinStückweiterund kehrteschließlichwiederzurück.Erwarimmernochaufgewühlt, bemühtesichaber,seineGefühlewiedereinigermaßenunter Kontrollezubringen.ErmuteteseinerjungenFrauganzschön vielzu,dessenwarersichbewusst.Abererkonnteesnichtlänger fürsichbehalten.NichteinenTaglänger.
»Estutmirleid.Ichwolltedichnichtdamitbelastenundnun habeichesdochgetan.«ErwedeltemitdenHändendurchdie Luft.»Vergisseinfach,wasichgesagthabe.Vergisseseinfach. MachdirkeineGedankendarüber.Esgenügt,wennichmich damitherumquäle.«
»Ichglaube,duquälstdichschonvielzulangealleindamit
herum«,sagteSaraiundfassteseineHand.DieanfänglicheVerunsicherunginihremGesichtwicheinemAusdruckvonMitgefühlundVerständnis.»Ichsagenicht,dassichverstehe,was dusagst,aber … ichbinhier,Abram.Wasauchimmerdich beschäftigt,esmachtmirnichtsaus,esmitdirauszuhalten. UndmögendeineGedankennochsoverrücktsein.«
»Wirklich?«
»Wirklich,Abram.«
»Danke,Sarai.Dasbedeutetmirsehrviel.«
AbramzogSaraisHandanseineBrustundumklammertesie, währendseineaufgepeitschteSeeleallmählicheinwenigruhiger wurde.Erhattewirklichnichtvorgehabt,darüberzureden.Doch jetzt,woesausgesprochenwar,woerendlichjemandemseine innereVerzweiflunggestandenhatte,schonungslosundmitallendamitverbundenenRisiken,fühlteersichirgendwieerleichtert.Saraihatterecht:Erhattedasschonvielzulangealleinmit sichherumgeschleppt.EigentlichseitsiebzehnJahren.Seitjenem Tag,alsermitzwölfJahrendasersteMalgesehenhatte,wieein Ersatzkönigermordetwordenwar.Dahattenihnzumallerersten MalZweifelbeschlichenundeinGefühlderOhnmachtgegenüberalldiesenlaunischenGöttern,diedieGeschickederMenschenlenktenundvordenenmanstetsaufderHutseinmusste, weilmanniegenauwusste,wassiealsNächstesvorhatten.
»Weißtdu,Sarai,ichhabesovieleZweifel«,gestandAbram seinerFraunacheinerlangenPause.»SovieleFragen,diemir niemandbeantwortenkann.HastduniedasGefühl,dassunsere GebeteinsLeeregehen?DassdieGötterunsüberhauptnicht zuhören?DassesihnenimGrundeegalist,wieesunsgeht?«
»Ichweißnicht,Abram …« »WirbauenihnenTempel.Wirverehrensie.Wirbesingensie. WirstellenFigurenausMetall,HolzundTonher,umunsdann vorihnenniederzuwerfen.UnserganzesLebenrichtenwirnach ihnenaus.Undwozu?Sielassenunsjadochhängen,wennwir siebrauchen,undeilenunsnichtzuHilfe,wennwirsieanrufen. GenausogutkönntenwirSteineausdemFlussbettholenund dieseanbeten.Esistallessosinnlos.Sounfassbarsinnlos!«
Saraischwieg.Washättesieauchsagensollen.Abramatmete tiefdurch.DasGefühl,diesesdunkleGeheimnisendlichmitjemandemteilenzukönnen,warunglaublichbefreiend.Jemehrer darüberredete,destomehrschiensichdaserdrückendeGewicht, dasseitJahrenaufseinerBrustlastete,vonihmzuheben.
»WeißVaterdavon?«,fragteSaraischließlich.
»Niemandweißdavon.DubistdieErste,dericheserzähle.«
»Aberwirstduesihmsagen?«
»UmHimmelswillen,nein!«,riefAbramentsetzt.»Vaterist denGötterntreuergeben.Ichwerdeesniemandemerzählen, nichtmeinenBrüdernundganzgewissnichtVater.Eswürde ihninsGrabbringen,dassseinSohndieGötteranzweifelt.Dann wäreichauchnochschuldanseinemTod.Nein,ichwerde schweigenbiszumeinemLebensende.Ichfühlemichschon schlechtgenug,dassichüberhauptsolcheGedankenhabe.Aber siedrehenunddrehensichinmeinemKopfundichwerdesie nichtmehrlos.IchstelleFragenundhabeAngst,dieAntworten daraufzuhören.«
»WasfürFragen?«
»Unzählige.UndhinterjederFrageverbergensichweitere Fragen,dienochgewagter,nochgefährlichersind.Was,wenn ichrechthabe?Was,wenndieGötter,diewiranbeten,garkeine sind?Was,wennsiegarnichtexistieren?Waswürdedasbedeuten?Dasswirkomplettaufunsalleingestelltsind?Dassniemand daist,deraufunsachtgibt?DassunserirdischesLebenimGrundevölligbedeutungslosist?HohlundleerwiedieGötterstatuen, diewiranbeten?«EinwehmütigesSeufzengingdurchseine Brust.»Ach,Sarai.IchhabedasGefühl,imTreibsandfestzustecken,undjedermeinerGedankenziehtmichweiterindieTiefe. Ichsuchenachetwasundweißnichteinmal,wonach!Was,wenn meineSucheinsLeeregeht?«
»Was,wennnicht?«,fragteSaraizurück.
IhreFragebliebunbeantwortet,abermiteinemzartenHauch vonHoffnunginderkühlenNachtlufthängen.Abramhattealles gesagt,wasihmaufderSeelelag.DassihmseineFrausogeduldig zugehörtundseineGedankennichtalslächerlichoderverboten
bezeichnethatte,tatihmunglaublichgut.Vielleicht,vielleicht würdeerjatatsächlichfinden,wonachersuchte – wasauchimmeresseinmochte!VielleichtwürdeamEndeseinerReisenicht dasNichtsaufihnwarten,sondernalles,wonachseinHerzsich sehnte.VielleichtwarseinRingennichtumsonst.VielleichtergabirgendwannalleseinentieferenSinn.
SieschwiegenbeideeinelangeWeile.AbramschlangvonhintenseineArmeumSaraiundspürteihrenwarmenKörperan seinernacktenBrust.SeinBlickwandertehochzumSternenhimmel,dersichfunkelndüberihnenausspannte.JelängerAbram zudenSternenhochschaute,destomehrwichseineinnerePanik undFriedeundRuhekehrteninseinenKörperundseinenGeist zurück.Unddahörteersiewieder,dieseleise,geheimnisvolle StimmeinseinemInnern,dieihmzuflüsterte,wasermitallseinenSinnenzuerahnenglaubte,auchwenneresnichtgreifen konnte.
Daistmehr!
Aberwas?,fragtesichAbram. Wasbloß?!