Natürlich Dezember 2021

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Sabine Hurni über unsere Liebe zu Süssem

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s gibt kein Entrinnen! Die Welt duftet zu verführerisch. Schlemmen, Genuss und Unvernunft sind jetzt angesagt, vor allem was Süsses betrifft. Egal wo wir hingehen: Überall locken fröhlich bunte Blechbüchsen und glitzernde Verpackungen voller Leckereien. Geniessen Sie ihn ruhig, diesen Schmaus! Die Süsse des Lebens darf ihren Platz haben im Alltag.

Der süsse Geschmack wird in der indischen Naturheilkunde Ayurveda eingehend behandelt. Sämtliche süsse Lebensmittel sind demnach für den Winter wichtig. Denn sie sorgen für Brennstoffe und Energie in den Zellen und nähren den Körper mit ihrer erdigen Kraft. Wir reden hier nicht nur vom Zucker. Auch Getreide, Wurzelgemüse, Nüsse, Datteln, viele Früchte, Linsen und Milchprodukte sind süsslich auf der Zunge. Nur weil die Süsse im Winter wichtig ist, heisst das nicht, dass wir uns mit zuckersüssen Schleckereien vollessen sollen. In der Ernährungslehre nach Ayurveda wird vielmehr darauf geachtet, dass der süsse Geschmack nicht isoliert vorkommt. Der Grund dafür ist einfach: Wir können Süsses besser verdauen, wenn alle anderen Geschmacksrichtungen ebenfalls im Gericht vertreten sind. Nach dem Prinzip vom Ayurveda ist ein Gericht erst rund, wenn es gleichzeitig süss, sauer, salzig, scharf, bitter und herb schmeckt. Wenn die Zunge alle sechs Geschmacksrichtungen wahrnehmen kann, besteht eine ausgewogene Harmonie im Essen – und schlussendlich auch in unserem Körper. Denn wenn wir vielseitig essen, können sich alle Körperzellen gesund und ausgewogen aufbauen.

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Für jeden Grundgeschmack befinden sich auf der Zunge Geschmacksknospen. Darin sind Sinnesrezeptoren enthalten, die die Geschmacksempfindungen an das Gehirn weiterleiten, das sie als süss, sauer, salzig, scharf und bitter erkennt. Im Ayurveda kommt zusätzlich eine sechste Geschmacksrichtung ins Spiel: Der herbe, leicht pelzige, zusammenziehende Geschmack, den wir von Salbei, Rhabarber oder Kaki kennen. Unser Sinnesorgan, die Zunge, ist also auf verschiedenste Geschmacksnuancen spezialisiert. Und doch ist Süss des Menschen liebster Genuss, dem er oft nur schwer widerstehen kann. Offenbar ist der Grund dafür in der Evolution zu finden: Es handelt sich um einen Überlebensimpuls, dank dem wir zu den wichtigsten Nährstoffen kommen, die der Körper braucht. Denn sämtliche Lebensmittel mit süssem Geschmack sind zucker- und/oder stärkehaltig. Wir brauchen sie zur Sättigung und zur Energiegewinnung. Lebensmittel mit bitteren und sauren Geschmacksrichtungen hingegen sind potenziell gefährlich: Bittere Kräuter oder Pilze können giftig, saure Lebensmittel vergoren oder vergammelt sein. Die Geschmacksrichtungen sind im Ayurveda eng verbunden mit der Elementenlehre. So ist der süsse Geschmack der Erde zugeordnet, der saure, salzige und scharfe dem Feuer und der herbe und bittere Geschmack der Luft. Brauchen wir etwas, das uns erdet und wärmt, greifen wir zu einem Kartoffel- oder Getreidegericht. Ist uns eher nach Leichtigkeit und Frische, wählen wir intuitiv den Salat. Nüsse, Rosinen und Dat-


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