Natürlich April 2022

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gesund werden | heilpflanze

Ungnädige Hoheit Der stumpfblättrige Ampfer ist eine wahre Plage. Wo er wächst, ist er fast nicht mehr wegzukriegen. Der Ampfer ist gleichzeitig ein wichtiger Bodenreiniger. Erst wenn er seine Aufgabe erfüllt hat, kann er sich zurückziehen. Text: Steven Wolf

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ie Natur erwacht. Es wird lebendiger, wärmer und bunter um uns herum. Das Vogelgezwitscher, das frische Grün und die summenden Insekten wecken Frühlingsgefühle in mir und die Schmetterlinge in meinem Bauch beginnen zu tanzen. Das Jahresrad dreht sich Richtung Walpurgirsnacht (Beltane), die in der Nacht auf den 1. Mai gefeiert wird. In dieser Nacht wird im Jahreskreis der Natur das winterliche Bärenfell abgestreift. Die zeugungsfähige Sonne vermählt sich mit der jungen Mutter Erde. Sie kleiden sich feierlich in ein zartes Frühlingsgrün, schmücken ihr Haar mit den prachtvollen Blüten der Frühblüher und bereiten sich vor auf den Maientanz. Im April, in den Wochen vor der Walpurgisnacht, steigert sich die natürliche Symphonie, bis sie am Ende des Monats zu einem Orchester anschwillt, dessen Klang erfüllt ist von lieblicher Verschmelzung, Funken sprühendem Vermählungsfeuer und der Wiedervereinigung von Sonne und Erde. Aus der einst zarten Kerzenflamme, welche in den ersten Wochen des Jahres leuchtete, hat sich ein immer stärker werdendes Lebensfeuer entwickelt. Dieses bildet die Grundlage für das Wachstum der Natur.

Pionier unter den Pflanzen Eine wunderbare, wenn auch ziemlich ungeliebte Pflanze, gibt uns im Frühling Schwung und Lebenskraft: Der stumpfblättrige Ampfer, vielerorts auch bekannt als Blacke. Er keimt als eine der ersten Wildpflanzen, wenn die kräftigen Sonnenstrahlen die Erde zu wärmen beginnen. Wir finden ihn an Wegrändern, auf Wiesen, Weiden, Schuttplätzen, unbewirtschafteten Flächen und Feuchtzonen. Oft teilt sich die Blacke ihre Standorte mit nah verwandten Pflanzen wie dem Krause- oder dem Sauerampfer. Die Blacke gehört wohl zu den am meisten gehassten Pflanzen. Sie liebt die, mit Stickstoff und Phosphor überdüngten, nährstoffreichen und verdichteten Ton- und Lehmböden. Auf Schnittwiesen und Weiden ist sie ein Zeichen für Überdüngung und Störherde. Die Besiedelung erfolgt rasant und in grosser Zahl. Daher verdrängt sie viele andere Arten

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Das Vogelgezwitscher, das frische Grün und die summenden Insekten wecken Frühlingsgefühle in mir und die Schmetterlinge in meinem Bauch beginnen zu tanzen.

und gilt als Nährstoffkonkurrent für Futterpflanzen. Blacken sind mehrjährig und äusserst hart im Nehmen. Die Pfahlwurzeln reichen bis zu zwei Meter tief ins Erdreich. Selbst aus kleinen Wurzelstücken, die nach dem Ausstechen in der Erde verbleiben, bilden sich neue Blacken. Ältere Exemplare produzieren bis zu 6000 hoch keimfähige Samen. Diese sind bereits nach wenigen Wochen keimfähig und überleben im Erdreich 40 bis 50 Jahre lang. Allem Wuchern zum Trotz hat der Stumpfblättrige Ampfer auch sein Gutes. Dank den grossen und starken Pfahlwurzeln lockern die Ampfern verdichtete Böden und reichern sie wieder mit Luft an. Auf diese Weise regulieren sie den hohen Stickstoffgehalt im Boden und geben Arten eine Lebensbasis, die magere Böden benötigen. Zusammen mit ihrem Blätterwerk vermag die Blacke die Erde zu reinigen, indem sie dem Boden Dünger entzieht. So verrichtet sie eine wichtige Aufgabe in der Regulation des Erdmilieus. Und das ausgesprochen hartnäckig: Sie wird so lange in grosser Anzahl vorhanden sein, bis ihre Aufgabe erfüllt ist.


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