Revue 2022/32

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POLITIK & WIRTSCHAFT

Land der Frauen In dem Dorf Jinwar im Nordosten Syriens fĂŒhren Frauen und Kinder ein freies Gemeinschaftsleben – ohne Patriarchat. Die italienische Journalistin Alessia Manzi sowie der Fotograf und Journalist Giacomo Sini sind dorthin gereist.

„Was glaubst du, wie alt meine Mutter ist? Sieh nur, wie schön sie ist!“, fragt Ciya, ein temperamentvoller kleiner Junge, der auf einem Bett in der Ecke eines großen Raumes kauert, wĂ€hrend er bunte ArmbĂ€nder webt. „Ich bin 28 und habe viel durchgemacht“, sagt Zeynep aus Gewer, Nordkurdistan, wĂ€hrend sie Çay aus einer dampfenden silbernen Teekanne gießt. „Ich war erst 15, als ich einen Mann heiraten musste, der 20 Jahre Ă€lter war als ich, der mich im Haus einsperrte, um ihm als HausmĂ€dchen zu dienen“, sagt die junge Frau und legt eine SchĂŒssel SĂŒĂŸigkeiten auf einen rot-blauen Teppich. „Ich wusste nicht einmal, wie Babys geboren wurden, bis ich eines Tages

herausfand, dass ich schwanger war. Dann wurde Ciya geboren, und ich hatte keine Kleidung fĂŒr uns beide. Ich wusste nicht, wie ich irgendetwas tun sollte, außer meinen Sohn zu schlagen: Ich hatte das von den SchlĂ€gen gelernt, die mein Mann mir gab. Schließlich war auch ich nur ein Kind.“ Ein Schleier der Traurigkeit trĂŒbt Zeyneps Blick. „Als ich nach Maxumur im SĂŒden Kurdistans floh, wollte ich mich umbringen. Ich hĂ€tte meinen Sohn fast zur Adoption freigegeben, aber ich habe es mir dank der UnterstĂŒtzung einiger Freunde, die ich in diesen Monaten getroffen habe, noch einmal ĂŒberlegt“, erinnert sich Zeynep und sieht ihren Sohn liebevoll an. „Wie kann ich einen Teil meines Herzens verlassen?“


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