GESCHICHTE & HISTORIE
TOBIAS FLATSCHER
Alte Namen neu erklärt Tobias Flatscher, ein pensionierter Oberschullehrer, hat im zweiten Band seiner namenkundlichen Arbeit Namen im Einzugsgebiet der Rienz einen Großteil der Orts-, Tal-, Gewässer-, Bergund Almnamen neu gedeutet. Die PZ begab sich auf Spurensuche und bringt nun den zweiten Teil der wichtigen wissenschaftlichen Arbeit des begnadeten Brunecker Forschers.
I
m Vergleich zu den Hof- und Familiennamen, die im ersten Band der Namen im Einzugsgebiet der Rienz behandelt wurden, sind die Ortsnamen meist älter und stellen deshalb eine größere Herausforderung dar. Zudem gibt es verschiedene Ansichten, wie diese Namen zu deuten sind.
WIE ALT SIND DIE BESPROCHENEN ORTSNAMEN?
Der älteste Name im Untersuchungsgebiet kommt in der zweiten Hälfte des 8. Jhs. vor; es ist dies der Name Innichen (769: India quod uulgus Campogelau uocantur). Gegen Ende des 9. Jhs. werden die Namen Lüsen (893: ad Lusinam) und Onach (in Oneia) in einer Urkunde erwähnt, in der die Jagdrechte des Bischofs im Tal Lüsen bestätigt wurden. Bei der Abgrenzung dieses Gebietes wird auch eine Erhebung genannt, die ähnlich klingt wie der Weilername Ellen (mons Elinae); es ist aber nicht das Ellener Joch, das jetzt meist Astjoch genannt wird. Trotz des frühen Belegs für den Namen Onach kann nicht angenommen werden, dass es dort bereits eine ganzjährige Siedlung gab; vermutlich wurden die Fluren dort als Niederalm genutzt.
DAS REKONSTRUIEREN ALTER NAMEN
Bei der Deutung der ‚alten‘ Namen stellt sich die Frage, welcher Sprache diese zugeordnet werden können. Dies wäre vielleicht nicht so schwierig, wenn die Namen in den Urkunden so aufgezeichnet worden wären, wie sie wirklich gesprochen wurden. Bis ungefähr 1300 wurde für alle wichtigen Dokumente fast ausschließlich das Latein benutzt. Dabei wurden die Ortsnamen an diese Sprache angepasst. Meist geschah dies, indem ein Vokal am Wortende angehängt oder ein Konsonant weggelassen wurde. Der Reibelaut /ch/, der in der lateinischen Sprache nicht gleich gesprochen wird wie im Deutschen, wurde durch ein /c/ ersetzt, das als /k/ gesprochen wurde, wenn eine /a/ folgte. Zudem wurden Ortsnamen auch wie ein lateinisches Wort dekliniert. Von der latinisierten Namensform Intica (= Innichen) wurde auch eine Adjektivform gebildet 12
PZ 7 | 7. A P R I L 2022
Der Talkessel von Bruneck; im Vordergrund die Höfe von Aschbach (Hofern); rechts im Hintergrund die Dolomiten und links davon der Karnische Kamm. © Tobias Flatscher
(Intica → inticensis). Einzelne Namen wurden sogar übersetzt. Das Latinisieren der Namen war aber nur eine Form der Verstümmelung. Hinzu kommen noch weitere Faktoren, die dazu beigetragen haben, die Namen zu verändern. Diese Namen waren vor der ersten Verschriftlichung bereits eine längere Zeit im Umlauf und da sie nur mündlich überliefert wurden, war die Wiedergabe oft ungenau. Zudem wurden Namen, die nicht mehr verstanden wurden, öfters umgedeutet. Aus diesem Grunde müssen diese alten Namen in gewisser Hinsicht ‚rekonstruiert‘ werden, das heißt, es wird versucht, die unterschiedlichen Namensformen genau zu studieren und die vermutlich ‚richtige‘ Sprachform zu ermitteln.
DIE NAMEN DER RÖMISCHEN STRASSENSTATIONEN
Aufgrund der Ausgrabungen und archäologischen Funde sind die Namen der römischen Straßenstationen Sebatum und Littamum allen bekannt; was aber viele nicht wissen dürften, ist der Umstand, dass der Name dieser römischen Straßenstationen in Vergessenheit geraten waren. Die alten römi-
schen Siedlungen wurden im frühen Mittelalter aufgelassen, und am Rande des alten Siedlungsgebietes entstanden neue Siedlungen, sowohl in St. Lorenzen wie auch in Innichen. Die römischen Straßenstationen in St. Lorenzen und in Innichen lagen jahrhundertelang in einem ‚Dornröschenschlaf‘, denn erst im 18. Jh. wurde man auf die Existenz von römischen Siedlungen im Pustertal aufmerksam. Vermutlich erfuhren die Lokalhistoriker erst zu diesem Zeitpunkt von dem Dokument, in dem die Namen der römischen Straßenstationen aufgezeichnet waren: Das Itinerarium Antonini war eine Art ‚Reiseführer‘, in dem die größeren Ortschaften entlang einiger Römerstraßen aufgelistet wurden. Die Namen, die sich auf das Pustertal beziehen konnten, waren Aguntum, Littamum und Sebatum. Lange Zeit wurde angenommen, dass die römische Siedlung in Innichen Aguntum geheißen hätte! Laut der angegebenen Wegstrecke zur nächsten Straßenstation folgerte man, dass die römische Siedlung bei St. Lorenzen Littamum heißen müsse und man nahm an, dass sich die römische Straßenstation Sebatum bei Schabs befunden hätte! Diese Annahmen wurden