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SOZIALES & GESUNDHEIT

FERNUNTERRICHT UND INKLUSION

Die Schwächsten zahlen am meisten drauf Die Covid-19-Seuche beeinträchtigt das Leben und Lernen von Kindern und Jugendlichen besonders stark. Umso mehr, wenn es sich um junge Menschen mit besonderen Bildungsbedürfnissen handelt. Warum Inklusion in Coronazeiten so schwierig geworden ist und wie sie besser funktionieren könnte, zeigen der angesehene Inklusionsexperte Prof. Dario Ianes und die Forscherin Rosa Bellacicco vom Kompetenzzentrum für Inklusion im Bildungsbereich der unibz in einer aktuellen Publikation. Die Schließung von Schulen infolge des mittlerweile dritten Lockdown belastet eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen ganz besonders: all jene, die auch sonst größere Schwierigkeiten haben, den Anforderungen der Schule gerecht zu werden. In einer Befragung von mehr als 3.000 Lehrkräften, die Prof. Dario Ianes vor einem Jahr durchführte, gaben immerhin 36 Prozent an, dass ihre Schüler*innen mit Förderbedarf während des ersten Lockdown überhaupt nicht am Fernunterricht teilnehmen konnten; rund 20 Prozent wurden ausschließlich von Integrationslehrpersonen unterrichtet und hatten keinen Kontakt zur restlichen Klasse. Die Ergebnisse, zu denen der bekannte Inklusionsexperte kam, decken sich in ihrer Botschaft mit den Zahlen, die das Statistikinstitut ASTAT für Südtirol erhob: Demnach stellten Schüler*innen mit Beeinträchtigungen in Grundschulen ein Drittel aller Kinder, die sich nicht am Fernunterricht beteiligten; in den Mittelschulen waren es mit 45,5 Prozent fast die Hälfte, und an den Berufs- und Oberschulen 40,2 Prozent.

WAS WAR DAS PROBLEM?

Warum die Begleitung von Kindern und Jugendlichen mit besonderen Bedürfnissen im vergangenen Jahr so schlecht funktioniert hat, hat Prof. Dario Ianes nun gemeinsam mit Rosa Bellacicco, Forscherin am neuen Kompetenzzentrum für Inklusion im Bildungssystem, in einem Beitrag für eine aktuell erschienene Publikation im Verlag Erikson beleuchtet: „Bambini, adolescenti e Covid-19 - l‘impatto della pandemia dal punto di vista emotivo, psicologico e scolastico“ lautet der große Rahmen, innerhalb dessen Ianes und Bellacicco auf Basis internationaler Forschung und eigener Studien auf die besondere Situation von Kindern mit besonderem Bildungsbedarf eingehen. 10

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Prof. Dario Ianes hat wichtige Erkenntnisse an das Tageslicht gefördert und publiziert.

„Man kann die Pandemie mit einem großen Kamm vergleichen, der durch das “Haarbüschel” Schule fährt und dabei in den verschiedensten Knoten hängenbleibt“, ist das Bild, das Prof. Dario Ianes dafür verwendet. Die Knoten, von denen er spricht? Die mangelnde Veränderungsbereitschaft eines Teils des Lehrkörpers, Rückstände bei der Digitalisierung von Italiens Schulen und vielfach sehr oberflächliche Beziehungen zwischen Schüler*innen mit Integrationsbedarf und dem Rest der Klasse. „All diese Knoten ziehen und schmerzen”, sagt Ianes, „vor allem, weil wir in Zeiten der Pandemie nicht mit beiden Händen arbeiten können. Hätten wir sie davor gelöst, hätten wir nun weit weniger Probleme”. Probleme, die sich laut Befragung der Inklusionsexperten auch bei Schüler*innen mit Beeinträchtigungen äußerten, die wei-

terhin am Unterricht teilnahmen. „Mehr als die Hälfte der befragten Lehrkräfte meldete deutliche Verschlechterungen im Verhalten, dem Lernerfolg, der Autonomie und der Kommunikationsfähigkeit von Integrationschüler*innen“, erklärt Rosa Bellacicco. Wie die Analyse der entsprechenden Daten gezeigt hätte, seien diese negativen Entwicklungen nicht allein im Zusammenhang mit der generellen Belastung durch die Pandemie zu sehen, sondern auch direkte Folge eines wenig inklusionsfreundlichen Fernunterrichts.

DREI BESONDERS KRITISCHE FAKTOREN

Generell hat das Forscher-Duo drei besonders kritische Faktoren ausgemacht, die zu einer hohen Drop-Out-Rate oder Benachteiligung von Schülergruppen mit besonderem


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