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Wohin geht eigentlich das ganze Geld?
Erich Ströhle (59) war als Sozialarbeiter maßgeblich an Neuerungen innerhalb einiger Organisationen beteiligt und arbeitet jetzt seit zehn Jahren beim ifs Wohnen mit dem Schwerpunkt Siedlungsarbeit in gemeinnützigen Wohnanlagen. Davor war er zehn Jahre lang mit dem Aufbau der Beratungsstelle und dem Ausbau der Sozialarbeit in den Kaplan Bonetti Sozialwerken beschäftigt, hat sowohl bei DOWAS, in der Suchtberatung TREFF, im Clean Bregenz und in der Caritas Wohnungslosenhilfe gearbeitet. Seine jahrelange Erfahrung in der Arbeit mit armutsgefährdeten Menschen hat seinen Blick geschärft und er stellt im Interview mit Daniela Egger eine simple, berechtigte Frage: Wohin geht eigentlich das ganze Geld?

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„Der überwiegende Teil der Sozialausgaben sind eine direkte Wirtschaftsförderung. Damit werden Mieten bezahlt und lebensnotwendige Dinge gekauft. Dieses Geld läuft also zurück in die regionale Wirtschaft.“
Das Leben und vor allem das Wohnen in Vorarlberg wird immer teurer – wie sieht die Zukunft aus?
In den letzten Jahren hatten wir eine fatale Preisentwicklung auf dem Vorarlberger Wohnungsmarkt. Die Preise für Mieten und Wohnimmobilien sind nicht gestiegen, sie sind förmlich explodiert. Demgegenüber steht ein seit Jahren kontinuierlicher Reallohnverlust, da die Löhne in keiner Weise mit der Preisentwicklung mitziehen. Daraus entsteht die Situation, dass Wohnen für die Vorarlberger Bevölkerung immer teurer wurde und die Menschen von ihrem Einkommen immer größere Teile für die Abdeckung des Grundbedürfnisses Wohnen aufwenden müssen. Dieser Entwicklung wollte die Vorarlberger Landesregierung entgegenwirken, indem sie in ihr Arbeitsprogramm die Errichtung von 4000 zusätzlichen, neuen gemeinnützigen Wohnungen aufgenommen hat. Das würde bedeuten, dass während der Legislaturperiode jährlich 800 neue Wohnungen gebaut werden müssen. Im ersten Regierungsjahr wurde diese Anzahl auch erreicht, ist aber in der Folge stark gesunken. Aktuell sind wir bei nicht mal 300 neuen gemeinnützigen Wohnungen im Jahr 2022. Es wäre also hoch an der Zeit, die Landesregierung an ihr eigenes Arbeitsprogramm zu erinnern und damit eine größere Anzahl von leistbaren Wohnungen für die Bevölkerung zu schaffen.
Wo würden Sie ansetzen, um Änderungen voranzutreiben?
Zuerst müssen wir mal davon wegkommen, dass das Einfamilienhaus bei uns so eine große Bedeutung hat. Erstens kann sich das ja ohnehin kaum mehr jemand leisten und zweitens ist der damit verbundene Bodenverbrauch ein völliger Wahnsinn. Gerade in einem Land wie unserem, in dem der verfügbare Grund sehr begrenzt ist, sollte uns langsam klarwerden, dass wir gar nicht daran vorbei kommen, vermehrt in die Höhe zu bauen. Wir wissen, dass beim Bau von Wohnhäusern zirka 30 Prozent der Kosten für das dazu nötige Grundstück anfallen. Wenn wir also vermehrt in die Höhe bauen, haben wir mehr Wohnraum auf demselben Grundstück. Das wiederum reduziert die Kosten und führt in der Folge zu etwas günstigeren Mieten. Eine weitere Möglichkeit sehe ich in der in Vorarlberg auch schon vereinzelt umgesetzten Modulbauweise. Dabei werden einzelne Teile einer Wohnanlage vorgefertigt und dann vor Ort zusammengesetzt. Ähnlich wie in ei-
„So gesehen sollte sich eigentlich die Wirtschaftskammer für eine Erhöhung der Sozialleistungen stark machen.“ nem Baukastensystem. Auch dabei werden Kosten reduziert, bei gleichbleibend hohem Standard. Diese und andere Ideen in dieser Richtung müssen sich auch in der Förderpraxis der Wohnbauförderung niederschlagen. Also weg von der Förderung von Einfamilienhäusern oder Kleinstwohnanlagen und so viel Wohnbauförderung als möglich in den Ausbau von gemeinnützigem Wohnraum.
Es gibt ja auch einige Ansätze zu alternativen Wohnformen –sind die vielversprechend?
Neue Modelle sind immer interessant, sie haben aber auf die Armutsbekämpfung bzw. die Verhinderung von Armut keinerlei Auswirkung. Leute, die solche Konzepte angehen sind vorwiegend gut verdienende Akademiker.
Da wäre auch keine soziale Durchmischung gegeben? Mir hat bisher niemand erklären können, was das eigentlich ist – diese soziale Durchmischung. Da reden ganz viele Menschen über völlig unterschiedliche Dinge. In der Schweiz wurden die Auswirkungen von sozialer Durchmischung im Wohnbereich sehr gut beforscht. Die Ergebnisse dieser Forschung machen klar, dass eine gute oder weniger gute Durchmischung praktisch keinerlei Auswirkungen hat. Bei diesem Thema denken wir ja oft an Steuerungsmöglichkeiten, die sich meiner Meinung nach lediglich im Vorfeld des Bezuges einer Wohnanlage ergeben, also bei der Auswahl der Mieter*innen und der Zuteilung der Wohnungen, was im gemeinnützigen Bereich ja die Gemeinden machen. Nach Bezug der Wohnungen fallen diese Steuerungsmöglichkeiten praktisch weg, da der Wechsel der Mieter*innen sehr gering ist und somit nur noch einzelne Wohnungen neu belegt werden können.
Aber für eine gemeinnützige Wohnung kommen doch nur sehr wenige in Frage?
Die Förderrichtlinien des Landes und die damit einhergehenden Vergaberichtlinien für den gemeinnützigen Wohnbau regeln die Vergabe klar. Ein wesentlicher Punkt dabei ist das jeweilige Netto-Haushaltseinkommen. Da liegen die Obergrenzen aktuell für Einzelpersonen bei 2380 Euro und für zwei Personen bei 4200 Euro und für drei oder mehr Personen bei 4900 Euro. Wir reden also hier ganz klar von der Mittelschicht.
Dauernd hört man, dass das alles nicht mehr bezahlbar ist … Ja, aber das ist völliger Unsinn. Die Sozialquote in Österreich, also jener Anteil des Bruttoinlandsproduktes (BIP) der für Sozialausgaben verwendet wird, lag die letzten Jahre sehr konstant bei zirka 29 Prozent. Lediglich in den letzten beiden Jahren stieg dieser Anteil durch die Coronahilfen.
Mich ärgert diese unsinnige Diskussion sehr, weil auch nie jemand darauf hinweist, dass der überwiegende Teil dieser Sozialausgaben eine direkte Wirtschaftsförderung ist. Damit bezahlen die betroffenen Menschen ihre Mieten, kaufen ihre Lebensmittel und Kleidung etc. Dieses Geld läuft also auf direktem Weg zurück in die regionale Wirtschaft. Mit diesem Geld spekuliert niemand an der Börse oder kauft sich Anlegerwohnungen im Ausland, damit wird das Überleben finanziert. So gesehen sollte sich eigentlich die Wirtschaftskammer für eine Erhöhung der Sozialleistungen stark machen.
Man spart also an der falschen Stelle, wenn Pensionen nicht erhöht werden oder Arbeitslosengeld zu knapp angesetzt ist? Ganz genau. Wie bereits vorhin gesagt, muss uns endlich klarwerden, dass wir in einem Land leben, in welchem viele Menschen ohne entsprechende Unterstützung gar nicht überleben könnten. Diese Unterstützungen sichern zwar, mehr schlecht als recht, das Überleben, sind aber viel zu niedrig, um ein menschenwürdiges Leben zu garantieren. Viele der Sozialleistungen sind in den letzten Jahren nicht einmal an die Inflation angepasst worden, während in diesem Zeitraum die Preise explodiert sind. Sie haben sich somit in der Praxis laufend verringert. Die nun von der Bundesregierung beschlossene jährliche Indexierung einiger Soziallleistungen stellt einen ganz wichtigen Schritt für die Betroffenen dar. Noch wichtiger wäre aber die Abschaffung des Bundessozialhilfegesetzes und die Wiedereinführung eines verbesserten Mindestsicherungsgesetzes. So könnten die Bundesländer in die Lage versetzt werden, die jeweiligen Landesgesetze so zu gestalten, dass Armut verhindert und dort, wo sie besteht, abgeschafft werden könnte. Die Sicherung eines menschenwürdigen Lebens für alle Menschen ist doch eine der zentralen Aufgaben der Politik. Und ich möchte nochmal darauf hinweisen, dass der überwiegende Teil der ausbezahlten Sozialleistungen – seien dies Sozialhilfe, Wohnbeihilfe, Arbeitslosengeld, Pensionen, Familienbeihilfen etc. – sofort zurückfließt in den regionalen Wirtschaftskreislauf und somit nicht nur eine Hilfestellung für Betroffene darstellt, sondern genauso eine Förderung der regionalen Wirtschaft ist. Diesen Gedanken sollten wir in den kommenden Diskussionen über Sozialleistungen und deren Finanzierbarkeit vielleicht öfter mal einbeziehen.
TIPP
Erich Ströhles ausführliches Interview ist Teil der Ausstellung „Hotel zur Schiene“ Kaplan Bonetti Dornbirn, die am 5. Mai 2023 im Stadtmuseum Dornbirn öffnet.