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Ich vertraue keinem Politiker

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Digitales Erinnern

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Florian Klenk ist einer der renommier„Ich vertraue keinem Politiker“ testen Investigativ-Journalisten in Österreich. Der Chefredakteur der Wochenzeitung „Falter“ hat knapp 97.000 Abonnenten auf Facebook, 290.000 folgen ihm auf Twitter. Die marie sprach mit dem 47-Jährigen über die Zukunft des Journalismus, die Wichtigkeit sozialer Medien und über den Wandel in der Interview: Frank Andres, Fotos: Christopher Mavric, iStock Corona-Berichterstattung.

Warum wenden sich gefühlt immer mehr Menschen von etablierten Medien ab und suchen sich neue Wahrheiten im Internet?

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Florian Klenk: Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Befund stimmt.

In meiner subjektiven Wahrnehmung fühlen sich viele Menschen nicht mehr richtig verstanden.

Ich sehe zwei ambivalente Entwicklungen. Auf der einen Seite gibt es gerade in Corona-Zeiten ein Anwachsen von Fake-News-Portalen, von Verschwörungsseiten und Gschichterl-Druckern. Über soziale Medien ist es heute viel leichter geworden, anderen Leuten Schrott zu schicken, den man früher mit ausgestreckten Fingern in den Mistkübel geworfen hätte. Wenn Sie am Bahnhof früher ein Propagandablatt von QAnon* in die Hand gedrückt bekommen hätten, dann hätten sie es genommen und sofort weggeschmissen. Aber heute schauen diese und andere Verschwörungsseiten im Internet aus wie die New York Times.

Und welche zweite Entwicklung beobachten Sie?

Ich sehe ein enormes Bedürfnis an klassischem Journalismus und Medien. Qualitätsblätter aber auch elektronische Medien wachsen enorm. Nicht zuletzt unsere Zeitung. Die österreichweite Reichweite ist in den letzten zehn Jahren von 0,9 auf 3,2 Prozent** gewachsen. Eine ähnliche Entwicklung sehen sie bei der Zeit oder der New York Times. Auch die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender haben enorm zugelegt. Die ZIB2 haben noch nie so viele Menschen gesehen wie jetzt.

Es gibt aber gleichzeitig sehr viele Zeitungen und Zeitschriften, die dramatisch an Reichweite verlieren. Vor allem den Boulevard-Journalismus trifft es hart. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Der Boulevard ist insgesamt in einer Krise. Denn das, was er bietet, nämlich billige Unterhaltung, die Nackte auf Seite 7, Sportergebnisse und das Wetter finden Sie heute alles gratis im Internet. Warum also soll ich für ein Sammelsurium leichter Kost noch bezahlen?

Überspitzt formuliert: Müssen Journalisten wieder lernen zu recherchieren, zu hinterfragen, Missstände aufzudecken?

Wir erleben ja derzeit zwei Dinge. Auf der einen Seite ein enormes Anwachsen der PR-Propaganda von Parteien und Unternehmen auf Facebook, Twitter und TikTok. Aber gleichzeitig sehe ich auch eine Professionialisierung des Journalismus. Vor allem in Deutschland gibt es einige neue investigative Formate. Denken Sie bei der Corona-Berichterstattung nur an Mai Thi Nguyen-Kim, die mit ihrem YouTube-Kanal maiLab zur Journalistin des Jahres gewählt worden ist. Ich bin, was die Zukunft des Journalismus betrifft, nicht nur pessimistisch. Wir haben inzwischen ganz gute investigative Netzwerke aufgebaut, >>

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Florian Klenk, geboren 1973 in Wien, ist Chefredakteur des Falter. Er dockte 1998 nach seinem Gerichtsjahr und einer Journalistenausbildung beim „profil“ beim Falter als Jurist an und deckte Korruptions-und Misshandlungsfälle auf, etwa den Fall Grasser. Klenk dissertierte über die Pressefreiheit. Nach eineinhalb Jahren bei der „Hamburger Zeit“ wurde er 2008 zunächst Ressortleiter (Politik) und stellvertretender

Chefredakteur. Seit 2012 führt er mit Armin Thurnher die Chefredaktion.

„Die Gratwanderung ist, wir Journalisten müssen etwas einfach darstellen, aber nicht so vereinfachen, dass es am Ende nicht mehr stimmt.“

die über ganz Europa recherchieren. Der Falter war zum Beispiel beim Panama Paper-Netzwerk, bei Ibiza, den Paradise Papers oder den Football-Leaks mit dabei.

Wie war das zu Beginn Ihrer Journalisten-Karriere?

Als ich vor 25 Jahren begonnen habe Journalist zu werden, hat es das alles noch überhaupt nicht gegeben. Auch die Distributionsmöglichkeiten haben sich gewandelt. Früher gab es unsere Zeitung in Wien beim Kolporteur oder der Trafik. Heute können wir übers Netz unsere Inhalte an ein viel größeres Publikum verbreiten.

Macht diese Verbreitung journalistischer Inhalte via Internet aber auch wirtschaftlich Sinn?

Die Menschen fangen an dafür zu zahlen. Die Bezahlmöglichkeiten gehen heute viel schneller. Vor ein paar Jahren war es enorm kompliziert, eine Zeitung zu abonnieren. Man musste Zettel ausfüllen, diese ins Fax stecken, eine E-Mail schreiben oder mit der Post schicken. Die Zugangsbarrieren sind inzwischen niedriger. Ich habe da die Hoffnung, dass wir dadurch mehr zahlende Leser bekommen. Gratismedien im Internet wandeln sich immer mehr zu Vereinen, in denen man zahlendes Mitglied sein kann. Dafür bekommt man die Zeitung, aber auch Newsletter, Podcasts oder Veranstaltungstipps.

Bei der Aufdeckung politischer Skandale war der Falter in den letzten Jahren oft federführend. Andere größere Medien hinkten bei der Berichterstattung da gefühlt meist hinterher. Was macht der vermeintlich kleine Falter besser als die großen Medienunternehmen?

Erstens, wir sind ja gar nicht mehr so klein. Wir haben inzwischen eine viertel Million Leser und sind in Wien das größte Nachrichtenmagazin. Ein Erfolgsgeheimnis ist aber sicher, dass wir sehr gute Leute in unserer Redaktion haben. Zudem haben wir uns auf investigativen Journalismus spezialisiert. Wir lassen nicht locker.

Haben Sie eigentlich noch Vertrauen in die Politik?

Na ja, ich vertraue nicht dem Sebastian Kurz und auch nicht der ÖVP. Das muss ich auch nicht. Das ist auch nicht meine Aufgabe als Journalist. Ich vertraue berufsbedingt überhaupt keinem Politiker. Die viel wichtigere Frage ist: Vertrauen wir den rechtsstaatlichen Institutionen, den Gerichten, den Staatsanwälten, den Finanzbehörden, dass sie unabhängig von der Person ermitteln. Dieses Vertrauen hatte ich in die Justiz bisher sehr stark. Seit den Geschichten mit Ibiza, Pilnacek und Fuchs bin ich schon erschüttert. So etwas hätte ich nicht für möglich gehalten.

Sie sind auf Facebook und Twitter sehr aktiv. Wie wichtig sind soziale Medien für ihre journalistische Arbeit?

Sehr wichtig. Einerseits sind sie eine Informationsquelle bzw. ein Distributionskanal und andererseits ein Kommunikationskanal. Sie sind für mich quasi eine Nachrichtenagentur. Ich

bekomme dadurch sehr viele Dinge mit, die im politischen Bereich passieren. Ohne soziale Medien kann heute niemand mehr einen journalistischen Beruf ausüben. Soziale Medien sind für mich aber auch wichtig, um mit Leserinnen und Lesern zu kommunizieren. Dass wir jetzt miteinander reden, hat wahrscheinlich damit zu tun, dass ich auf Facebook und Twitter aktiv bin. Ich weiß jetzt nicht, ob sie jede Woche brav den Falter lesen oder ihn abonniert haben.

Ich muss gestehen, das tue ich nicht. Aber kommen wir noch zu einem anderen Thema.Viele Menschen fühlen sich von der Flut an Informationen überfordert. Oft ist es schwer einzuschätzen, ob eine Meldung wahr oder falsch ist. Welche Rolle spielen dabei Journalisten?

Die Gratwanderung ist, wir Journalisten müssen etwas einfach darstellen, aber nicht so vereinfachen, dass es am Ende nicht mehr stimmt. Ich liebe Twitter, weil ich da komplexe Sachverhalte in 140 Zeichen erklären kann. Beim Thema Corona können aber auch Wissenschaftler und Virologen in kurzen Tweets exzellent kommunizieren.

Wie beurteilen Sie die mediale Diskussion rund um das Thema Corona? Es gibt da mehrere Ebenen. Die eine ist, wie haben sich die Medien verhalten? Am Anfang von Corona waren wir sehr stark im reinen Berichterstattungsmodus. Da wurde vor allem vermeldet, was die Regierung anordnet. Da waren die Medien Überbringer von Nachrichten. Nach den ersten Wochen haben dann die ersten kritischen Hinterfragungen eingesetzt. Stimmt es überhaupt, was die Regierung sagt? Sollen wir uns wirklich einsperren lassen? Und dann haben die Medien begonnen, sehr divers zu sein. Sehr unterschiedlich, sehr neugierig. Jedes Medium hat sich eigene Experten aufgebaut. Es wurde in den Redaktionen sehr viel debattiert. Ich sehe diese Diskussion aber nicht als Einheits-Mainstream. Viele Zeitungen waren da sehr vielstimmig. Es gab sogar Diskussionen auf Titelblättern. Ich glaube die Medien haben gelernt, die Spannungen auszuhalten.

Wie beurteilen Sie die Berichterstattung in den sozialen Medien?

Die haben versagt. Die Stimmung war von beiden Seiten zum Teil sehr aggressiv. Die einen werden als Mörder der Alten hingestellt, die anderen sehen uns auf dem Weg zur Diktatur. Ich habe mich deshalb beim Thema Corona fast komplett aus den sozialen Medien zurückgezogen. Die Diskussion führt nur in eine Frontstellung ohne Erkenntnisgewinn. Ich lese gerne Bücher über Covid, weil ich dort viele Forscher, Statistiken und internationale Journalisten sehe. Aber ich schreibe nichts mehr dazu.

* Qanon oder kurz Q nennt sich eine mutmaßlich US-amerikanische Person oder Gruppe, die seit 2017 Verschwörungstheorien mit rechtsextremem Hintergrund im Internet verbreitet. Das Pseudonym bezeichnet seitdem auch diese Verschwörungsthesen. Zentral ist die unsubstantiierte Behauptung, eine einflussreiche, weltweit agierende, satanistische Elite entführe Kinder, halte sie gefangen, foltere und ermorde sie, um aus ihrem Blut eine Verjüngungsdroge zu gewinnen. (Quelle: Wikipedia)

** Laut Media-Analyse 2020 hat der Falter 240.000 Leser*innen. Die Druckauflage beträgt 51.000 Stück.

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