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FAMILIE | 30.5.2022 | 45

Was hilft, wenn Eltern in Erziehungsfragen uneinig sind?

Mami sagt dies, Papi sagt das Sollten Eltern vor ihren Kindern immer als Einheit auftreten? Oder kann der Nachwuchs gut mit verschiedenen Standpunkten umgehen? Tipps einer Erziehungsberaterin. Text: Kristina Reiss

Illustration: Lisa Rock

«Nein, kein Hörspiel mehr, du gehst jetzt ins Bett», sagt die Mutter mit Nachdruck. Darauf das Töchterchen: «Dann frag ich halt den Papi.» Beiden ist klar: Dieser wird weitere 15 Minuten «Petterson und Findus» erlauben. Das Kind freut sich, die Mutter fĂŒhlt sich in ihren ErziehungsansĂ€tzen untergraben. Doch mĂŒssen sich Eltern ­eigentlich immer einig sein? Fakt ist: Unterschiedliche Vorstellungen ĂŒber Erziehung sind mit am hĂ€ufigsten schuld, wenn es zwischen ­Eltern kracht. Was nur natĂŒrlich ist, findet Erziehungsberaterin Bernadette Amacker, die in ihrer Aarauer Praxis Familien berĂ€t. Schliesslich ist jeder Mensch individuell und bringt seinen eigenen

Rucksack an Erfahrungen mit. Dass Mami und Papi «gleich streng sind», sei deshalb eher die Ausnahme – und nicht weiter schlimm. «Nur wenn die Eltern nie an einem Strang ziehen, leidet das Kind.» Unterschiede akzeptieren

Wichtig findet die Expertin jedoch, dass sich die Erziehungsberechtigten in den zentralen Fragen einig sind, etwa bei Themen wie: Wann ist Bettzeit? Welche Regeln ­gelten am Tisch? Oder auch: Wie viel Medienkonsum ist erlaubt? Bei den NebenschauplÀtzen hingegen könnten ­Eltern ruhig unterschied­ licher Meinung sein und das auch so kommunizieren («Ich sehe das anders als Mami»).

Akzeptieren, dass es Unterschiede gibt. Am Anfang einer Beziehung sind GegensÀtze oft anziehend, spÀter können sie ­anstrengend wirken. Wichtig ist dann, die Meinung des anderen zu respektieren.

Schliesslich gehe es nicht ­darum, Konflikte vor den Kindern zu vermeiden, sondern diese respektvoll auszutragen. Dann sind Mutter und Vater das beste Vorbild. Und was ist mit dem Töchterchen, das den Papi so geschickt um den Finger w ­ ickelt? «Einmal ist das okay, aber es darf nicht zur Regel werden», findet Amacker. Gegeneinander ausspielen lassen sollten sich Eltern nicht. Muss es im hektischen Alltag schnell gehen, ist es allerdings auch in Ordnung, eine zunĂ€chst ­getroffene Entscheidung ausnahmsweise zu revidieren («Ich habe vorhin zwar gesagt, du darfst noch draussen spielen. Aber wenn ich es mir richtig ĂŒberlege, ist es dafĂŒr zu spĂ€t, weil wir einen Zahnarzttermin haben»). «Eltern mĂŒssen nicht perfekt sein – auch das lernen Kinder.» Überhaupt kann elterliche Uneinigkeit eine Bereicherung fĂŒr den Nachwuchs sein, weil er so Vielseitigkeit er-­ lebe, so Bernadette Amacker. «Ich war zum Beispiel bei ­unseren Kindern in sportlichen Sachen immer eher die Ängstliche, wĂ€hrend mein Mann hier grosszĂŒgiger war. FĂŒr Kinder ist das eine gute Chance, verschiedene AnsĂ€tze zu erleben.» MM

ZustĂ€ndigkeiten klĂ€ren. Wer ist fĂŒr welches Thema verantwortlich? Lösung: Wem eine Sache am Herzen liegt beziehungsweise wer in e ­ inem Thema fit ist, hat das Sagen. Der andere fĂ€llt ihm dann nicht in den RĂŒcken. Es gibt Ausnahmen von Regeln. Diese dĂŒrfen jedoch nicht so aufgeweicht werden, dass sie nicht mehr erkennbar sind; wird eine Regel zehnmal befolgt, ist eine Ausnahme okay. Sich als Eltern fĂŒr Entscheidungen Zeit nehmen. Es ist in Ordnung zu sagen: «Wir wollen uns erst besprechen.» Ein ­wöchentlich einberufener Familienrat kann zudem Mutter und Vater ebenfalls Zeit verschaffen, ­einen gemeinsamen Standpunkt zu finden.


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