HEUREKA 4/21

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Verzicht ist immer freiwillig Kulturanthropologe Timo Heimerdinger erforscht die Fähigkeit zum Verzicht im Klimawandel imo Heimerdinger ist Professor für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie an der Albert-LudwigsUniversität Freiburg und Mitglied der ARGE ­Kulturelle Dynamiken. Aktuelle Arbeitsschwerpunkte sind: Konfessionalität, Regionalität, Kultur der Selbstbeschränkung. Herr Heimerdinger, warum beschäftigen Sie sich mit dem Verzicht? Timo Heimerdinger: Der Verzicht auf etwas ist ein starker Akt individuellen Verhaltens, weil er kontraintuitiv ist. Er bedeutet, etwas freiwillig nicht zu tun, das möglich und wünschenswert wäre. Praktiken des Verzichts haben eine lange kulturelle Geschichte, wenn man an den religiösen Kontext denkt mit Praktiken des Fastens, der Enthaltsamkeit und der Askese. Das geht bis in die Antike zurück und findet sich in allen Weltreligionen in unterschiedlichen Ausprägungen, insofern ist das nichts Neues. Allerdings ist das Thema jetzt aufgrund des Klimawandels brisant geworden, weil es um Reduktion von Treibhausgasen und den Verzicht auf lieb gewordene Konsumgewohnheiten geht. Auch während der Corona-Pandemie geht es kurzfristig um den Verzicht auf Mobilität und soziale Kontakte. Verzicht ist omnipräsent in den Medien und im Alltag. Mir ist aufgefallen, wie extrem negativ dieser Begriff konnotiert ist und im politischen Raum fast als verbotene Vokabel gilt bei gleichzeitiger offensichtlicher Wichtigkeit. Mein wissenschaftl ches Interesse liegt darin, wie sich Menschen in diesem Spannungsfeld bewegen. Das ist doppelt relevant: Einmal innerhalb eines Mikrorahmens, was das individuelle Alltags- und Konsumverhalten angeht, und im Makrorahmen einer Gesellschaft, die ebenfalls Akte der Selbstbeschränkung vollziehen muss. Auch wenn das auf individueller Ebene niemand so richtig will. Gibt es historische Perioden, in denen Verzicht einmal mehr und einmal weniger stark gesellschaftlich ausgeprägt ist? Heimerdinger: Religiöse Gründe können starke Motivationen sein, etwa in Verbindung mit dem Versprechen des Seelenheils. In Phasen der Säkularisierung fällt dieser Aspekt weg, da muss dann etwa die Verantwortung für kommende Generationen als Motivation wirken. Kriegs- und Krisenzeiten sind wohl weniger dazu angetan, Selbstbeschränkungen attraktiv erscheinen zu lassen, während wir jetzt schon lange in einer Zeit des Überflu ses leben und viele Menschen auch aus nicht religiösen Motiven zur Einsicht gelangen, dass endloser Konsum nicht erstrebenswert ist. Muss es ein Bedrohungsszenario geben, um ein Bedürfnis nach Verzicht zu entwickeln? Heimerdinger: Momentan ist das sicher ein Argument, aber ich halte es, historisch gesehen, nicht für zwingend. Schon in der

TEXT: BARBARA FREITAG

„Der Mensch ist ein gieriges Tier, aber auch in der Lage zu reflektieren, dass ,mehr‘ nicht immer besser ist“ TIMO HEIMERDINGER, UNIVERSITÄT FREIBURG

a­ ntiken asketischen Tradition herrscht die Einsicht, dass ein menschlicher Zugewinn in der Selbstbeschränkung liegen kann. Der Mensch ist grundsätzlich ein gieriges Tier, aber eben auch rational begabt und in bestimmten Konstellationen in der Lage zu reflektie en, dass „mehr“ nicht immer besser ist, sondern manchmal auch ein Weniger besser sein kann. Aber unter welchen spezifi chen kulturellen Konstellationen – das ist eine offene Frage, die mich sehr interessiert. Aktuell ist es offensichtlich, dass Selbstbeschränkung in vielen Bereichen angesagt wäre, und trotzdem fällt sie schwer. Kann man sagen, dass die Fähigkeit zum Verzicht eine Art anthropologische Konstante ist? Heimerdinger: Vielleicht gehört es zu den menschlichen Bedürfnissen, die Fähigkeit des Sich-Beschränkens auszuüben. Nicht jedoch, wenn die Beschränkung als verordnete Regel von außen kommt. Dann ist der Verzicht keine intrinsisch motivierte Handlung, sondern ein Verbot. In diesem Fall wird eine Machtfrage daraus: Welche Instanz verbietet wem etwas und aus welchem Grund? Ich habe mich am Beginn meiner Forschung damit auseinandergesetzt, woher die vorhin erwähnte negative Besetzung kommt. Meine These ist, dass viele begrifflich Unschärfen und Verwechslungen zu Missverständnissen führen. Oft wird etwa von Verzicht gesprochen, wenn eigentlich Mangel oder Verbot gemeint sind. Ich definie e Verzicht als die freiwillige Unterlassung einer Sache, obwohl sie möglich und wünschenswert wäre. Das muss man unbedingt abgrenzen vom Verbot, das verordnet und wo keine Freiwilligkeit herrscht, oder auch vom Mangel, wo die Verfügbarkeit nicht gegeben ist. Dann gibt es noch eine juristische Fassung des Begriff s, nämlich Verzicht als Aufgabe eines bestehenden Anspruches. Ich glaube, dass dieser negative Beigeschmack auch davon kommt, dass im Alltagsdenken oft die Assoziation gilt, ein ‚Recht‘ auf etwas zu haben. Im Fall des Ausbleibens stellt sich dann ein Unrechtsempfinden ein. Es wird dann mit dem Begriff „Verzicht“ zum Ausdruck gebracht. Etwa im Konsumbereich meinen manche, ein Anrecht auf eine Flugreise zu haben. Das gibt es natürlich nicht, wird aber so empfunden. Oder das Recht auf Urlaub? Heimerdinger: Genau. Das spielt zusammen mit einem Wunsch nach Egalität. Wenn schon verzichten, dann soll das für alle gelten. Sobald sich der Eindruck von Ungleichheit einstellt, gehen bei vielen Menschen die roten Lampen an. Menschen sind durchaus bereit, bestimmte Handlungen zu unterlassen, sofern das auch der Nachbar so macht. Daran merkt man die starke Emotionalität und Fragilität, die mit einem Akt der ­Selbstbeschränkung

verbunden ist. Menschen sind in der Lage und bereit für einen Verzicht, aber nur unter bestimmten Bedingungen. Sobald die Komponenten Unrechtsempfinden Ungleichheitsempfinden und Machtgefälle dazukommen, wird es problematisch. Darin liegt die Sprengkraft des Themas. Aktuell befragen Sie Menschen, die auf Basis eines Minimalismuskonzepts auf vieles verzichten. Was bedeutet das? Heimerdinger: Ich interviewe Menschen, die bewusst Teilzeitarbeit gewählt haben statt Fulltime, um mehr Zeitwohlstand zu erleben, und ohne dazu gezwungen zu sein etwa durch gesundheitliche, soziale oder ökonomische Gründe. Sie nehmen in Kauf, auf ein bestimmtes Einkommen und Konsummöglichkeiten zu verzichten: etwa das eigene Auto, eine große Wohnung oder eine umfangreiche Garderobe. In Deutschland gibt es sogenannte Minimalismus-Stamm­ tische. Das sind kleine Interessensoder Gesprächsgemeinschaften, die sich treffen und informell austauschen, um einander zu inspirieren. Es ist eine wenig formalisierte Szene. Ich bin gerade mit fünfzehn Personen aus dem Berliner Raum in Kontakt, zwischen Mitte zwanzig und fünfzig Jahren, alle fühlen sich durch die Idee des Minimalismus angesprochen. Sie sind nicht primär durch eine politische Agenda motiviert und wollen auch nicht in erster Linie gesellschaftspoliti ch wirksam werden, sondern suchen für sich individuell neue Wege. Alle verbindet interessanterweise eine Krisenerfahrung, die sie irgendwann in ihrem Leben gemacht haben: Krankheit, Tod oder Verlust. Diese Erfahrungen führten bei allen zu einem Nach- und Umdenken. Welche Arbeitsverhältnisse haben diese Personen? Selbstständig oder angestellt? Heimerdinger: Mache sind im therapeutischen Bereich tätig, dann gibt es Lehrende, und manche haben auch den Beruf gewechselt. Es handelt sich eher um Menschen mit akademischem Hintergrund aus der Mittelschicht, bildungsorientiert, aufgeklärt, bewusst und aktiv, aber keineswegs elitär. Ich werde diese Gruppe über einen längeren Zeitraum begleiten, um zu sehen, wie sich das entwickelt. Alle beschreiben sich selbst als in einem ständigen Prozess der Reflexion befindlich Ihr Ziel ist, wach und aufmerksam für die eigenen Konsumentscheidungen zu bleiben. Alle beschreiben den Gestus der Konsum­ reduktion als Zugewinn von Lebensqualität. Was machen diese Menschen in der Freizeit? Heimerdinger: Sie pflegen Sozialkontakte oder Hobbys, doch stärker im Vordergrund steht, selbstbestimmt ausreichend Zeit für Alltagstätigkeiten aufwenden zu können. Also selbst zu kochen, im Garten zu arbeiten oder handwerklich tätig zu sein. Da geht es um den Aspekt des Selbermachens.

FOTO: ANDREAS FRIEDLE

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