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LIBERTINE
Brigitte liebte es, gelegentlich Gitarre zu spielen – eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen. © Ghislain Dussart

1876 schenkte Frankreich den USA die Freiheitsstatue.
80 Jahre später schaute Amerika neidisch ans Ufer von St. Tropez. Plötzlich hatte dort eine andere Frau das Zepter der Freiheit übernommen und spielte mit dem Feuer. Als Schauspielerin, Model und Sängerin wurde Brigitte
Bardot zur transatlantischen Ikone. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere zog sie sich aus dem Showgeschäft zurück –und sorgt seither erst recht für Kontroversen.
Text: Michael Rechsteiner Fotos: Ghislain Dussart
Die Vereinigten Staaten von Amerika sind ein tief gespaltenes Land, doch seit der Gründung 1776 sind sich ihre Menschen in zwei Dingen einig: Freiheit muss erkämpft werden und Kinofilme mit Untertitel sind Folter. Trotzdem geschah in den amerikanischen Lichtspielhäusern der 1950er Jahre etwas Seltsames. Selbst die Shitkicker im tiefsten Texas standen plötzlich einmal um den Block, als im Dorfkino jeweils der neueste Film d’Auteur aus Europa auf dem Programm stand. Wie konnte es sein, dass dem amerikanischen Massengeschmack in diesen Tagen mehr nach Melville statt Marvel war? Die Antwort ist ziemlich einfach und lässt KulturpessimistInnen aufatmen: Nirgendwo gab es zu dieser Zeit schönere und nacktere Menschen im Kino zu sehen, als im europäischen Film. Und niemand war in den Augen des damaligen Publikums schöner und nackter als Brigitte Bardot. Als sich zu Beginn der Sechzigerjahre die strengen künstlerischen und moralischen Vorgaben in Hollywood durch den sogenannten Hays Code aufzuweichen begannen, schwand auch das Interesse der AmerikanerInnen am europäischen Film und verschwand zurück in die Nische. Doch ein Star von Übersee war gekommen, um im Rampenlicht zu bleiben: Brigitte Bardot.

Et Dieu Cr A La Bardot
Paris, 1940. In den Straßen marschieren die Nazis. Doch im 15. Arrondissement tanzt ein sechsjähriges Mädchen durch die Wohnung. Wegen der Besatzung darf Brigitte kaum mehr raus zum Spielen, also setzt sie ihre Energie in leichtfüßigen Darbietungen zu den Schallplatten ihrer Mutter frei. Talent und Elan sind offensichtlich, also besucht das Kind neben der katholischen Schule schon bald auch den Ballettunterricht. Doch statt auf den Bühnen der Opernhäuser landet die Teenagerin mit 15 Jahren als Model auf der Titelseite von Elle. Und die Titelseite der Elle landet in den Händen von Roger Vadim. Der angehende Drehbuchautor ist hin und weg. Bardots Zukunft sieht er nicht auf den Papierseiten eines Magazins, sondern auf der großen Leinwand. Vadim führt Brigitte ein ins Filmgeschäft und – kaum ist sie volljährig –vor den Traualtar.
Es gibt Männer, die schreiben ihrer Angebeteten Liebesbriefe. Vadim schreibt seiner ein Kinoscript. „Et Dieu... créa la femme“ feiert 1956 Premiere und macht das Paar zu internationalen Superstars. Vadim, der auch Regie führt, inszeniert seine Frau als Circe von St. Tropez, die jeden Umwerber, der vom Kelch ihrer Schönheit trinkt, in ein Häufchen Elend verwandelt. Das Ende vom Film ist so gut gealtert wie eine Schale Katzenmilch in der Sonne eines Yachthafens: Der gehörnte Ehemann verpasst der Unzähmbaren ein paar Ohrfeigen – und holt sie somit zurück ins traute Heim. Ein Schluss, den schon damals niemand glaubt. Egal ob im Film oder im echten Leben: Kein Kerl ist dem Freiheitsdrang, den Bardot so charismatisch verkörpert, gewachsen. Als „Et Dieu... créa la femme“ ein Jahr später auch in die amerikanischen Kinos kommt, lässt sich Bardot von Vadim scheiden. In den USA wird der Film mit einem Einspielergebnis von 4 Millionen Dollar zur umsatzstärksten fremdsprachigen Produktion der bisherigen Filmgeschichte. In ihrem Essay „Brigitte Bardot and the Lolita Syndrome“ stellt Philosophin Simone de Beauvoir fest, damit sei die Bardot als französischer Export auf einer Stufe mit Autohersteller Renault. Hastig werden die Kinos von der East- bis Westcoast mit alten Filmen versorgt, die BB Jahre zuvor gedreht hat. In „Manina, the Girl in the Bikini“ spielt sie, nun ja, Manina… ein Girl in einem Bikini. Damit verhilft Brigitte dem skandalösen Zweiteiler endgültig zum modischen Durchbruch. Doch nicht nur cineastisches Leichtgewicht bringt Bardot in ihrer Schauspielkarriere auf die Waage. „Le Mépris“ von Jean-Luc Godard zählt bis heute zu den besten Filmen aller Zeiten. Im selben Jahr, 1963, veröffentlicht Bardot ihr Debütalbum. In den folgenden Jahren werden insbesondere ihre Duette mit Chanson-Legende und menschlichem Aschenbecher Serge Gainsbourg zu Fixsternen der französischen Popkultur.
Doch dann… ist Schluss. 20 Jahre lang ist Bardot die Blau-, beziehungsweise Blondpause für eine neue Generation von Frauen. Solche, die für ihr Glück keinen Ehemann brauchen, sondern ein schnelles Auto und die Adressen von den besten Restaurants der Stadt. Doch die 39-Jährige ist ausgebrannt und hat ohnehin alles erreicht. Nicht nur sich selbst zur Ikone gemacht, sondern gleich auch noch ihr Heimatland für die Augen der Welt neu erfunden. Fortan widmet sich BB dem Tierschutz. Und verteidigt diesen bis heute – oft mit einer Vehemenz, bei der ihr der gute Ton entgleitet und strafrechtlich verfolgt wird. Als Bardot im vergangenen Mai zu ihrem 90. Geburtstag dem französischen Fernsehen ihr erstes Interview seit elf Jahren gewährt, wird die Crew auf dem Anwesen von Hunden, Gänsen, einem Pony und Esel begrüßt. Wildschweine grunzen in der Ferne, Nagetiere tummeln sich in den Bäumen. Vielleicht war es Gott, der Brigitte Bardot einst erschuf. Doch sie selbst war es, die sich einen Garten Eden baute.
BRIGITTE BARDOT: INTIMATE
Wer sich durch die Seiten dieses Buchs blättert, fühlt sich wie die beste Freundin eines Mythos. Tatsächlich war Ghislain „Jicky“ Dussart nicht nur ein renommierter Fotojournalist, sondern auch enger Vertrauter von Brigitte Bardot. Der Bildband offenbart bislang unveröffentlichte Aufnahmen, die zufällig auf dem Dachboden des 1996 verstorbenen Franzosen gefunden wurden. Sie zeigen BB weitab vom Scheinwerferlicht, dafür meist als Privatfrau unter der Sonne ihrer Wahlheimat St. Tropez. Schriftsteller Fabrice Gaignault hat gemeinsam mit Bardot die Geschichten hinter den Fotos in Worte gefasst.
Ghislain Dussart, „Brigitte Bardot: Intimate“, 272 Seiten, ca. 120.—, assouline.com
