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DOSSIER WASSER UND KLIMAWANDEL
Wasserhaushalt
«Die grosse Herausforderung ist die Verteilung des Wassers» Die Schweiz wird auch in Zukunft genügend Wasser haben, sagt Carlo Scapozza, Chef der Abteilung Hydrologie beim BAFU. Allerdings würden trockene Flüsse und niedrige Grundwasserstände im Sommer und Herbst künftig vermehrt auftreten, was zu lokalen und saisonalen Engpässen bei der Wasserversorgung und der Bewässerung führen kann. Wie lassen sich solche Engpässe verhindern, und wie kann Konflikten vorgebeugt werden? Interview: Nicolas Gattlen Herr Scapozza, der April 2020 hat den Bauern grosse Sorgen bereitet. Während Wochen fiel kaum ein Regentropfen, und die Pegel der Bäche und Flüsse waren aussergewöhnlich tief. Der Kanton Thurgau hat gar erwogen, die Wasserentnahme für die Landwirtschaft zu verbieten, um die Ökosysteme zu schützen. Ein Vorbote der Zukunft? Carlo Scapozza: Wir haben tatsächlich ein Szenario erlebt, wie es in Zukunft vermehrt auftreten dürfte. Im Winter gab es viel Niederschlag, allerdings nicht in Form von Schnee, sondern als Regen, der schnell abfliesst. Wegen der hohen Temperaturen ist die Schneedecke schon sehr früh geschmolzen. Im April fehlte deshalb in vielen Gewässern der Zufluss von geschmolzenem Schnee. Wir müssen uns darauf einstellen, dass diese Art von Speicher in Zukunft wegen der höheren Wintertemperaturen kleiner und bereits im Frühling abgeflossen sein werden. Im Frühsommer wird der Beitrag der Schneeschmelze an die Flüsse und das Grundwasser deshalb deutlich geringer ausfallen. Der Schnee schützt auch die Gletscher vor dem frühen Abschmelzen. Im April dieses Jahres waren viele Gletscher bereits bis auf eine Höhe von 1800 m ü. M. schneefrei. Wenn ein Gletscher schon früh im Jahr ohne Schneebedeckung ist, fehlt die schützende Schneeschicht, und er schmilzt im Sommer stärker ab. Insbesondere in den Alpen bezieht die Landwirtschaft
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einen Grossteil des Bewässerungswassers aus Bächen und Flüssen, die von den Gletschern gespeist werden. Mit dem Verschwinden der Gletscher wird hier künftig im Sommer das Fehlen von Schmelzwasser stark zu spüren sein. Ohne Klimaschutz ist in Berggebieten im Wallis bis Ende des Jahrhunderts mit einer Reduktion der Sommer abflussmengen um bis zu 60 Prozent gegenüber der Periode von 1981 bis 2010 zu rechnen, in den restlichen Regionen um rund 20 bis 40 Prozent.
«Ein Warnsystem zur Trockenheit würde es ermöglichen, dass etwa die Bewässerung optimiert und Wasser gespart werden kann.»
Was bedeutet das für die Wasserkraft? Wie viel Strom ein Kraftwerk produziert, hängt nicht allein von den Abflüssen ab, sondern auch von den Strompreisen, und die werden vom Strommarkt bestimmt. Auch sind nicht alle Kraftwerkanlagen gleich stark von der Umverteilung der Abflüsse betroffen. Speicherkraftwerke können sie